Hermann Löns
Kraut und Lot
Hermann Löns

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Tote Zeit

Wenn die Jagd auf den Hasen schließt, dann beginnt auch für den Durchschnittsjäger die Schonzeit.

Einige sind dessen froh; Tag für Tag Kesseltreiben oder Standtreiben mitzumachen, das ist bei hartem Sturzacker und steifem Nordostwind auf die Dauer kein Genuß mehr, so herrlich es einem anfangs auch dünkt. Andere aber sind voller Betrübnis. Neidischen Herzens gedenken sie der Männer, denen es vergönnt ist, auf Sauen, geltes Wildbret und geringe Hirsche zu pirschen oder am Seestrande und Flußborde allerlei fremdes Geflügel anzugehen, und sehnsüchtigen Herzens wünschen sie den Vorfrühling herbei, der ihnen Schnepfenstrich und Hahnenbalz beschert.

Nur wenige sind es, die auch in der stillen Zeit zu Holze ziehen. »Was soll ich draußen?« sagt man sich, »es gibt doch nichts zu schießen!« Meistens gibt es das allerdings nicht, aber ein gerechter Weidmann vergißt sein Wild und seine Jagd auch wintertags nicht; er sieht einmal zu, ob das Rehzeug nicht Not leidet, ob es nicht nötig ist, den Hühnern und Fasanen zu schütten, ob es nicht am schneehellen Abend bei den Kohlgärten knallt und ob die Pässe und Wechsel schlingenfrei sind.

Ein Gang in die Jagd lohnt sich immer, vorzüglich zur kargen Zeit. Es hat geschneit und es hat getaut. Hartschnee deckt die Saat, zugeweht sind die Himbeeren, verschneit ist das Heidkraut. Dankbar nehmen es die Rehe auf, tritt der Mensch ihnen von ihren Ständen zu der Äsung Bahn, denn allzu leicht klagen sie an den Läufen, müssen sie sich selber die Wechsel durch die scharfe Schneekruste treten, und die laufkranken Stücke reißt dann ohne viel Mühe der Fuchs. Eine Kleinigkeit ist es für den dickbestiefelten Jäger, über der Saat und auf heidwüchsigen Blößen den Schnee zu zertreten und hin- und hergehend das Himbeer- und Brombeergestrüpp vom Schneebehange zu reinigen; leichte Arbeit ist es, hier und da mit der kurzen Wehr für Proßholz zu sorgen, wenige Mark kostet es, den Abraum, der beim Ausasten der Obstbäume beiseite fällt, in die Jagd zu fahren und an passenden Stellen auszulegen, aber reiche Frucht trägt alles das dem Jäger.

Nicht nur einen Wechsel auf die Zukunft bringt so pflegliches Tun, es fällt nebenbei auch noch mancherlei ab, was nützlich und angenehm ist. Freischützen und Ströpper sehen sich sehr vor in einer Jagd, in der der Jäger auch dann auftaucht, wenn das Wild Schonzeit hat, und die Dorffixe, die sich das Hetzen angewöhnten, bleiben gern zu Hause, spürten sie einmal Nummer acht mit Pfeffer und Salz auf den Keulen. Auch glückt es dem Jäger gar zu leicht, den heimlichsten seiner heimlichen Böcke wieder zu Blick zu bekommen und sich einen Vers darauf zu machen, wo er den Herrn Geheimrat im jungen Sommer, wenn Dickung und Stangenort grüne Mauern sind, zu suchen hat, und so haut er sich heute schon hier einen Pirschsteig und da eine Bucht und sorgt für einen Hochstand oder eine Kanzel, wo es nötig ist. Ab und zu aber kommt dann auch ein Tag, an dem der Gang sich bar bezahlt.

Am hohen Ufer des schnellen Baches holt der Jäger den Erpel herunter und schmückt mit den krummen Wirken den Hut; aus dem hohen Schnee tritt er das Kaninchen, und schießt er das erste Mal auch daneben, er lernt es bald, zu unterscheiden, was es heißt, das Wild in die Schrote hineinlaufen zu lassen; heute erbeutet er im gelben Röhricht am Teiche den überzähligen Fasanenhahn, morgen glückt es ihm, aus der pfeilschnell dahinbrausenden Schar Birkwild einen stolzen Hahn herunterzuholen, und ist er ganz begnadet, so bringt er auch wohl einen seltenen Gast mit, eine Trappe, einen Säger oder ein anderes Stück fremden Wassergeflügels.

Je öfter der Jäger zwischen Schonzeit und Jagdaufgang zu Holze zieht, um so mehr sieht er ein, daß es keine tote Zeit gibt. Ist er harter Art, macht er sich aus kniehohem Schnee und pfeifendem Winde nichts, so dünken ihm Wald und Heide zur winterlichen Zeit ebenso schön wie sommertags.

Wenn der Hunger hinter dem Hartfrost im Walde hergeht, dann hat es der Fuchs gut. So manches Reh, das mit zerschundenen Läufen dahinzieht, fällt ihm zur Beute, und manchen kümmernden Hasen reißt er im Lager. Niemals ist die Maus leichter zu greifen als unter dem Schnee, und rund um die Gehöfte liegen die Abfälle von den Schlachtfesten. So wird Reineke bald der Balg zu eng, und das üppige Leben bringt ihn auf zärtliche Gedanken. Die Betze rennt. Baue, die lange unbefahren waren, führen auf dreißig Gänge gegen den Wind, starke Wechsel führen aus allen Dickungen zu ihnen, und rundumher ist der Schnee zertreten.

Der Jäger, der von der Fütterung kommt und vergnüglich der guten Dinge gedenkt, die ihn im Kruge erwarten, fährt zusammen, denn aus dem raumen Orte kommt ein Gekreisch, das gellend durch den Wald schallt. Hier ist es, da ist es, jetzt dort und nun wieder hier, es schwillt an und ebbt ab, steigert sich zu bellendem Gemecker, geht in ein langes Gekeife über und bricht jäh ab. Unwillkürlich flog die Waffe von der Schulter, spannte der Daumen die Hähne. Erste Dämmerung verwischt die Umrisse der Buchen, aber der Himmel ist hoch und der Schnee leuchtet. Da, wo der Wurfboden der Fichte als schwarzer Klumpen droht, fahren drei Schatten durcheinander, verknäulen sich, lösen sich, verschwinden und tauchen wieder auf.

Vergessen ist Frost und Kälte, Hunger und Durst. Heiß läuft es dem einsamen Manne über den Rücken, und unter der Mütze kribbelt es ihm, als wäre sein Haar gut abvermietet. Er weiß nicht, soll er oder soll er nicht, nämlich Stand halten oder sich heranpirschen, oder aber, denn für Schrot ist es noch zu weit, den Rieker auf den Drilling schlagen und eine Kugel wagen. Hätte er es nur getan, denn fort ist die liederliche Bande und treibt ihr zuchtloses Spiel mit Gekreisch und Gerauf in der Dickung weiter. »Pech!« denkt der Jäger und kratzt sich den Kopf. Aber langsam sinkt seine Hand an der Joppe nieder, schließt sich um den Kolbenhals, noch langsamer knicken sich die Ellbogen ein, krümmen sich und heben sich die Arme, und noch viel langsamer richtet sich die Laufmündung der Waffe dahin, wo zwischen den Bäumen zwei lange schwarze Streifen bald erscheinen, bald verschwinden. Jetzt tauchen beide Schulter an Schulter auf dem Schnee wieder auf, und da denkt der Mann der Kunst, die ihm sein Lehrprinz beibrachte: ein dünnes Zirpen kommt zwischen seinen gespitzten Lippen hervor und läßt die Füchse verhoffen. So schwach das Geräusch auch ist, das das Richten der Waffe erfordert, sie vernahmen es doch; aber ehe daß sie wenden können, reißt sie der Hagel zusammen. Der eine will wieder hoch, doch der Würgelauf spricht sein Donnerwort. Der Jäger lacht über das ganze Gesicht. Zwei Füchse, zwei starke Winterfüchse, beide gut im Balg, ein Rekel und eine Betze, das ist doch etwas anderes, als einen Krummen nach dem anderen im Kessel umzulegen. Eigentlich wolle er diesen Abend schon nach Hause; aber es waren drei Füchse da, und so bleibt er die Nacht im Kruge und zieht vor der Sonne zu Holze. Zu Schusse kommt er morgens am Bau freilich nicht, aber der dritte Fuchs liegt ihm zu sehr im Sinne; so verpaßt er den besten Zug und da der Neuschnee so weich und der Tag so warm ist, läßt er Geschäft Geschäft sein, pfeift auf die Stadt und bleibt, wo er ist. Da, wo er weiten Blick und etwas Deckung hat, frühstückt er ausgiebig von den derben Dingen, die ihm die Krugwirtin in den Rucksack tat, und dann bummelt er gemütlich, aber mit offenen Augen, durch sein Reich.

Es ist so viel zu sehen und zu hören im Walde, daß ihm bei seiner Pfeife die Zeit nicht lang wird. Meise, Häher, Dompfaff, Specht, Zeisig, Kreuzschnabel, Krähe, Zaunkönig und Ammer unterhalten ihn; er sieht dem Eichhorn zu, das Fichtenzapfen zerraspelt, und der Maus, die bei der Fasanenschüttung fett lebt, freut sich über den Eisvogel am Bachkolk und über des Bussards Gleitflug, und dann fällt ihm ein, daß in der Dickung da unten bei jedem Treiben ein Fuchs steckt. So meinte er, es lohne sich wohl, die Kanzel zu erklimmen und Musik aus der hohlen Faust zu machen. Gedacht, gemacht! Jämmerlich klingt Lampes Todesklage durch die Stille, mit Gezeter von den Hähern, mit Gequarre von den Krähen begleitet.

Eine kleine Viertelstunde vergeht. Der Jäger überlegt, ob er nicht wieder hinunterklettern soll. Aber fünf Minuten will er noch daran wenden. Aus fünf werden zehn, aus zehn fünfzehn. Nun, es ist wohl alle Tage Jagdtag, aber nicht jeden Tag Fangtag. Doch was war das? Da bewegte sich doch etwas am Rande der Dickung? Es kann ein Hase sein, aber vielleicht ist es das Gegenteil. Wahrhaftig, der Fuchs ist es. Da ist der Kopf, und da die Lunte; den Rumpf decken die Fichtenzweige. Aber jetzt tritt er vor, windet und tritt aus der Dickung heraus. So steht er gerade richtig für die Kugel. Drauf, eingestochen, gedrückt! Das glückte! Er rollt bergab, schlägt noch einige Male und rührt sich nicht mehr.

Sehr vergnügt ist der Jäger. Sobald er kann, will er wieder draußen sein. Es sind noch viel mehr Füchse im Berge, und Marder auch, und eine leere Redensart ist es, das Wort von der toten Zeit.


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