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Auf Sauen

Es ruft ein Horn im weißen Walde; hell klingt es durch die Stille. Fröhliches Hundegekläff schallt hinterdrein; ärgerliches Markolfgekreische antwortet ihm.

Eine halbe Stunde lang habe ich auf Hornruf und Meutelaut gelauert, dieweil ich den Goldhähnchen und Meisen zusah, die in dem Buschwerk umherturnten, und den Kreuzschnäbeln, die aus den Wipfeln der alten Samenfichten goldene Spreu auf den silbernen Schnee rieseln lassen, wenn sie die Zapfen zerklauben.

Nun aber vergesse ich die bunten Turner des Buschwerks und die roten Kletterer der Wipfel, hebe mich von dem Jagdstocke, fasse den Zwilling fester und lasse meine Augen an dem räumigen Holze entlang gehen und über die breite weiße Bahn davor, über die die Stämme blaue Schatten werfen.

Nach rechts gehen meine Augen bis dahin, wo über einem forstgrünen Rocke ein rotes, weiß umrahmtes Männergesicht in der Sonne leuchtet, nach links, wo ein anderes, von blondem Barte eingefaßtes Antlitz herüberscheint, die beide, wie mein Gesicht, ab und zu sich langsam bald nach rechts, bald nach links drehen. Zwischen dem Weißbarte und mir tritt ein Altreh auf die Bahn. Unschlüssig bleibt es stehen, sichert und wechselt dann eilig in das nächste Jagen hinein.

Heller klingt das Geläute der Finder zu mir heran, verschweigt, hebt wieder an, wird dumpfer und dumpfer, schwillt abermals an und vermischt sich mit dem hohlen Anjuchen des Rüdemannes und dem ärgerlichen Gezeter der Häher zu einer wilden Weise, die nach vergangenen Zeiten klingt und meiner Brust heiße Schauer schenkt.

Eine Finkmeise schimpft vor mir lästerlich. Das ist verdächtig. Ich nehme den roten Adlerfarn unter Blick, die gelben Schmielen und den weißen Behang der Fichten und Fuhren, auf dem das Sonnenlicht in vielen Farben spielt. Lauter zetert die Meise, der Zaunkönig hilft ihr dabei, nun fällt auch eine Amsel ein. Ganz verstohlen bricht es im Gestrüpp; ein roter Fleck schiebt sich hinter den Stämmen her, und dann steht breit und blank der Fuchs da, windet hin und her, prallt zurück, überfällt zwischen mir und dem Förster zur Linken den Graben und flüchtet eilig in das rückwärtige Jagen hinein.

Deutlich höre ich es jetzt über mir schallen: »Hu, Su, Su! Wahr' too, min Hund, wahr' too! Hu Su, Su!« Giftiger wird das Geläute der hin und her suchenden Finder, lauter das Brechen. Ein Hase rennt mir bis vor die Stiefel, schlägt einen Haken und flieht über das Gestell. Hinter ihm her, seinen Wechsel scharf haltend, kommt ein Sprung Rehwild angezogen, eine Ricke mit ihren beiden Kitzen und ein Schmalreh. Sie treten eine Weile im Bestande hin und her und trollen dem Hasen nach. Ich blicke gewohnheitsmäßig hinter ihnen her, da gibt es mir einen Ruck. Deutlich höre ich vor mir das Blasen von Sauen. Es zieht an mir vorüber, nach rechts hin, und dann fahren in einer Wolke von Schnee dicht bei dem weißbärtigen Hegemeister zwei angehende Sauen über die Bahn. Zweimal knallt es. Das eine Stück bleibt im Feuer, das andere rollt im Schuß in den Schnee, nimmt sich wieder auf und flüchtet schwer krank weiter. Hinter ihm stürmt, heiser vor Wut, ein schwarzweißer Terrier.

Still wird es über mir; die Jagd geht zurück. Kein Anjuchen vernehme ich mehr, nur ab und zu noch den Anschlag eines Hundes, der an einer einzelnen Sau jagt. Die Meisen im Unterholz haben wieder das Wort und die Goldhähnchen in den Kronen. Fern fällt ein Schuß, und noch einer, und eine kleine Weile darauf ein dritter. Dann ruft das Horn; der erste Trieb ist beendigt. Ich entspanne und entlade der Vorschrift gemäß die Waffe, wie meine Nachbarn auch. Vor dem Blondbart linker Hand fährt ein schwarzer Klumpen über die Bahn. Hastig arbeitet der Förster an seiner Büchse herum und wirft sie dann mit wütendem Rucke über die Schulter, denn über ihm auf der Schneise taucht der Oberförster mit den beiden Forstläufern auf. Am Quergestell ist Jagdbericht. Ich melde: »Ein Fuchs, ein Has, vier Rehe.« Mein Nachbar gibt an: »Ein Kälberstück mit Begleitung; eine ledige Bache nach Abblasen.« Der Hegemeister berichtet: »Zwei angehende Sauen, eine im Feuer, eine schwer krank nach Jagen acht.« Es wird mit dem Schweißhunde sofort nachgesucht. Nur siebzig Gänge ist die Sau gekommen und dann verendet. Die Hauptrotte hat sich im Jagen elf gesteckt. Dahin geht es nach kurzer Frühstückspause. Kreuzschnäbel fliegen mit lauten Locktönen über die Kronen, Zeisigschwärme brausen mit verworrenem Gezwitscher dahin, Häher begleiten uns schimpfend und lästernd. Der Oberförster weist mir meinen Stand vor einem alten vermoorten Windbruche an, auf dem hohe Stechpalmen, über und über rot von Beeren, silbern in der Sonne funkeln. Über mir steht wieder der weißbärtige Hegemeister, unter mir der blonde Revierförster. Eine geraume Zeit vergeht, während der ich den Seidenschwänzen zusehe und dem Tannenhäher nachblicke, der über die Blöße dahinschnurrt. Dann kündet das Horn den Beginn des neuen Triebes an und die Hunde werden laut. Bald aber schweigen sie. Ich stehe da und lauere. Ein einsames Altreh zieht vertraut über das Gestell, ein Hase hoppelt über den Windbruch, drei Stück Rotwild, eben erkennbar, trollen im Bestande vorbei. Dann bricht es laut über mir, ich höre das Hecheln der Hunde, der Fox und ein Dobermann tauchen vor mir auf, sehen sich unschlüssig um und suchen gelangweilt weiter, und dann würgt sich ein Koppelführer, einen Sack über dem Kopfe tragend, aus der verschneiten Dickung, schüttelt den Schnee ab, sieht mich an und sagt: »Dor hett 'ne Ul seeten!«

Wieder bläst das Horn, abermals sammeln wir uns zum Bericht. Ein Kreiser kommt auf Schneeschuhen an: »Die Sauen sind in Jagen vier herein und nicht heraus.« Das ist ein weiter Weg, und naß vor Schweiß von der Sonne und dem Waten im hohen Neuschnee kommen wir dort an. Einen raumen Stangenort mit eingesprengten Fichten habe ich vor mir, den eine schwarze Dickung abschließt. Das Horn schallt. Ein Weilchen darauf geht ein furchtbarer Lärm los. In hellen Fluchten kommt ein ganzes Rudel Wild angestürmt und bricht dicht bei mir über die Brandrute; hinter ihm her zieht vorsichtig ein guter Zehnender. Lange äugt er mich an, tritt unschlüssig hin und her, geht zurück, zieht in der Dickung auf und ab und fährt dann mit einer Riesenflucht in das jenseitige Jagen. Zwei Hasen folgen ihm, und schließlich auch, merkwürdigerweise jetzt erst, der Fuchs.

Es knallt hier und kracht da, und nun donnert es auch bei meinem Nachbarn zur Linken. Aber ich darf nicht hinsehen, denn die Jagd kommt mir immer näher. Grob und fein hallt das Geläute der Meute heran, und das hohle Anjuchen des Rüdemannes. Es rasselt und prasselt aus der Dickung heraus; mein Herz wird unruhig und meine Hände krampfen sich um die Waffe. Aber eine Bache mit Frischlingen ist es, die spitz auf mich zutrollt, eine Wendung macht und mit ihrem Gefolge in das andere Jagen hineinpoltert. Ich will ihr nachsehen, da rasselt und prasselt es abermals aus der Dickung heraus, eine grobe Sau steht breit da, laut blasend, bekommt meine Kugel und verschwindet in einer Schneewolke. Und rechts von mir knallt es und links von mir, und drüben am Kopfe des Triebes, und an seiner rechten Flanke, und hier und da sind die Finder laut und hinter ihnen her schallt das hohle Anjuchen. Mit einem Schlage ist alles still, nur hinten in Jagen eins oder zwei sucht ein Hund noch aus hellem Halse. Und dann ruft das Horn.

Dieses Mal gibt es einen fröhlichen Bericht. Fast jeder Schütze ist zu Schusse gekommen. Mein Mitjagdgast hat eine grobe Sau und zwei Überläufer im Feuer geliefert, der Oberförster ein hauendes Schwein und eine uralte gelte Bache gestreckt. Und doch ist er nicht zufrieden, denn es gab keine einzige Nachsuche und Hatz. »Haben alle zu gut geschossen, meine Herren!« ruft der rotbärtige Riese lachend. Nun bin ich sein Trost. Er mit dem Schweißhunde am Riemen, ich mit der Büchse in den Händen, und hinter uns der Rüdemann und zwei Koppelführer mit den schärfsten Hunden, so geht es in die geschlossene Dickung hinein, die uns Schnee in die Augen und Ärmel und hinter die Halsbinde stäubt und mit stachligen Zweigen unsere Backen peitscht. Leise ruft der Rotbart ab und zu dem roten Hunde zu: »Such' verwund't, mein Hund, verwund't, verwund't!« und läßt sich von dem wild voranstürmenden Hunde durch dick und dünn reißen.

Die Rotfährte führt in eine Dickung, die so geschlossen ist, daß ein gerechtes Arbeiten unmöglich ist bei dem dichten Schneebehange. Der Oberförster lahmt, Blut läuft ihm über den Schenkel. Ein messerscharfer Zweig hat ihm das Bein aufgerissen. So bleibt er mit dem Schweißhunde zurück. »Hunde los!« ruft der Rüdemann den Koppelführern zu. Mit giftigem Halse stürmen zwei Rüden in die Dickung. Die andern legen sich laut hechelnd in die Halsungen. In der Dickung rumpelt es hin und her, und dahinter tönt immerlos der scharfe Hals der Hunde. Nun geben sie Standlaut; sie haben den Keiler gestellt. Einer von ihnen klagt auf; die Sau hat ihn geschlagen. Die zweite Koppel wird hinterher geschickt. Sowie die frischen Hunde bei der Sau sind, geht die Jagd weiter, dem Stangenorte zu. Der Rüdemann und ich und die Koppelführer rennen an der Dickung entlang; der Oberförster humpelt hinterdrein. Wieder tönt heiserer, vierstimmiger Standlaut herüber; aber ehe wir heran sind, geht die Jagd weiter. Von der Bahn brechen zwei Koppelführer, mehr von den Hunden vorangerissen, als laufend, herbei. »Alle los!« schreit ihnen der Rüdemann zu, indem er in langen Sätzen durch das Gestrüpp poltert. Dann bleibt er stehen und hebt den Arm: »Standlaut! Schluß!« und dann winkt er mir.

Ich laufe, was ich kann, bis ich vor dem Windbruche stehe, auf dem die Meute den Keiler gestellt hat. Vor dem Wurfboden einer alten Fuhre hat er sich eingeschoben, und schlägt wetzend und blasend, Schaum vor dem Gebräche, die Rüden ab. Wütend stürzt sich ein schwerer Boxerblendling auf die Sau, fliegt aber im Bogen in den Schnee, klagt ein wenig und geht wieder an. Dieses Mal glückte ihm der Griff; er hat ein Gehör gefaßt, der Dobermann das andere, und die übrigen Hunde fassen dort und da an. Und so kann ich hinter die Sau treten und ihr den Fang geben.

Dann wische ich mir den Schweiß von Stirn und Hals. Der Rüdemann klappt die Hunde ab. »Tot, tot!« ruft er ihnen zu und schwenkt die lange Peitsche über ihren Rücken. Da fahren sie zurück und lassen sich koppeln. Der Oberförster reicht mir auf seiner Wehr den Fuhrenbruch. Dann winkt er dem Rüdemann. Der setzt das Horn an den bärtigen Mund, und laut klingt es durch den dämmrigen Wald: »Sau tot! Jagd aus!« Langsam stapfen wir der Bahn zu, wo die Schlitten warten. Da wird der Jagdherr geflickt. Zollang ist der Schmiß, den ihm der Zweig schnitt. Auch die Hunde werden flüchtig verbunden. Drei sind leicht geschlagen, einer etwas mehr. Aber er scheint sich wenig daraus zu machen.

Dann klingeln die Schlitten dem Dorfe zu. Die Luft ist weich und warm, kein Stern ist zu sehen, und der Kauz ruft, als wäre es Lenz. Das verspricht Neuschnee für den morgigen Jagdtag auf Sauen.

 


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