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Moorfrühling

Es dauert immer lange, ehe das Moor sich aus dem Winterschlafe aufrafft; es scheint fast, als könne es die Eiszeit nicht vergessen, in der es entstand.

Wenn in den Gärten der erste Flor vorüber ist und der Waldboden schon bunt von Blumen ist, dann besinnt sich auch das Moor darauf, daß es Frühling geworden ist.

Die Wasserhirse bedeckt die Gräben mit hellgrünen Blättern; aus den Wollgrasbülten schieben sich graugelbe Schäfchen, die Kriechweiden verwandeln ihre silbernen Knospen in goldene Blüten, und an den Abstichen entfaltet die Rosmarinheide eine rosenrote Perle neben der anderen.

Bisher verstärkte der Wiesenpieper dünner Lockton das Schweigen des Moores mehr, als daß er es durchbrach; jetzt meckern die Himmelsziegen, die Brachvögel flöten, die Kraniche trompeten, Weihen und Sumpfeulen schlagen die Kastagnetten, und allmorgendlich rühren die Birkhähne die Trommeln, daß es ringsumher hallt und schallt. Das Moor wacht auf.

Neulich waren die Nächte noch zu eisig für die Balzjagd. So verhörte ich nur die Hähne, pirschte mich an drei Morgen an drei, die einzeln balzten, heran, und bekam auch am dritten Morgen einen, flickte die Schirme vom Vorjahre um die Balzplätze aus, baute einige neue und vertrieb mir die Zeit sonstwie. Nun aber haben wir südlichen Wind und es ist im Schirm schon auszuhalten. So milde ist es, daß ich am liebsten den dicken Mantel in der Köte ließe. Aber vor der Sonne wird eine eisige Luft hergehen und das Moor ist naß und kalt. So muß ich ihn denn schleppen.

Es ist noch schwarze Nacht. Vom Ellernbruche her ertönt das dumpfe Brummen der Rohrdommel, aus dem Kiefernort kommt das Unken der Ohreule, in den Gräben murren die Moorfrösche und von den nassen Wiesen erschallt das Geschnatter der Enten. Die Himmelsziegen sind erwacht und locken und meckern immer mehr. Ein Kiebitz ruft und fuchtelt an mir vorüber. Die Ralle pfeift schrill, weich und rund flötet der Brachvogel und endet mit klagendem Triller. Ich muß schneller ausschreiten; sonst komme ich zu spät. Alle Augenblicke vernehme ich das Sausen vorbeistreichender Birkhähne, und im Moore bläst schon der erste. Es wird bald Tag werden.

Aber ich komme doch noch rechtzeitig in den Schirm. Und der Tag läßt noch eine Weile auf sich warten. Die laue Luft ist schuld daran, daß das Moor so früh lebendig geworden ist. Doch ein kühler Luftzug, der durch die dichten Wacholderzweige, die mich verdecken, fährt, und in dem Heidkraute ruschelt, weist darauf hin, daß es so nicht bleiben wird. Doch das ist mir gerade recht; wenn unter dem Vormorgenwind das Moor Reif ansetzt, das gibt einen schönen Balzmorgen. Und der heutige wird so; alle Augenblicke saust und plumpst es und hinterher geht ein Blasen und Kollern los, daß es eine wahre Lust ist. Wohl ein Dutzend Hähne sind eingefallen, seitdem ich in den Schirm kroch, und immer mehr stehen mir zu.

Ich drusele vor mich hin und denke an alles und nichts. Vorgestern habe ich das Tanzfest im Kruge mitgemacht. Es war sehr lustig. Der beste Tänzer, der hübscheste Jungkerl im Dorfe, der den Kontrahinterum am schneidigsten tanzte, hat sich gestern totgefahren; die Gäule gingen ihm durch. So ist das Leben. Das tanzt und lacht und singt und trinkt, und hinter ihnen lauert einer und sucht sich einen von ihnen aus, gerade wie ich hier sitze und auf einen von den Hähnen passe. Und wer weiß, ob nicht hinter mir einer in seinem Schirme sitzt, die Waffe auf den Knien, mit der er mich zu fällen gedenkt. Der Gedanke stört mich wenig. Einmal kommt es dazu ja doch; ob das nun heute ist, oder morgen, das ist gleichgültig. Ich weiß, daß es so kommen wird, bin immer darauf gefaßt, und bereite mich darum nie darauf vor. Das mögen die tun, die aus dem Verneinen des Lebens einen Beruf machen, die Mönche. Ich aber sage zu ihm: Ja!

Ich muß lachen. Dicht vor mir sagt es laut und deutlich: »Ja!« Und dahinter: »Jajajaja!« Eine alte Birkhenne verulkt meine halblauten Gedanken. Doch ein alter Hahn zischt ihr ein barsches »Pscht« zu; das Weib schweige in der Gemeinde der Hähne! Aber die alte Hennenrechtlerin kümmert sich wenig um den Einspruch; fortwährend erschallt ihr Gegacker. Das macht den Hahn wild und er bullert ganz gefährlich los. Immer giftiger keift die Alte, immer lauter poltert der Hahn; es paßt ihm durchaus nicht, daß die ehemalige Liebste und Gattin ihn hier bei den Junghennen erwischt hat und ihn an seine gesetzlichen Verpflichtungen erinnert. Er fühlt polygam; sie nicht. So sagt sie wenigstens, obgleich sie es früher, als ihre Stoßfedern sich noch nicht zu krümmen begannen, es nicht so genau nahm, und je mehr Hähne um sie balzten, desto lieber war es ihr.

Öfter trompeten hinten im Moore die Kraniche, häufiger flötet der Brachvogel, lauter quieken die Kiebitze, und die Luft ist erfüllt von dem Gemecker der Himmelsziegen. Fortwährend klingeln Enten vorüber und die erste Drossel pfeift. Es wird Tag; gegen Morgen hellt sich der Himmel auf. Wilder blasen und kollern die Hähne. Ihre Stimmen mischen sich durcheinander, so daß keine sich hervorhebt. Ab und zu gackern die Junghennen zärtlich Beifall, und jedesmal keift dann die Alte dazwischen, doch nicht mehr so anhaltend, wie vorhin; es hilft ja doch nichts. Es ist eine merkwürdige Sache, die Hahnenbalz; hundertmal war ich schon dabei und bin immer noch nicht klug daraus geworden. Ursprünglich war sie wohl eine Veranstaltung, damit die stärksten Hähne in den Besitz der Hennen kommen; heute scheint das nicht mehr der Fall zu sein, sondern die Balz ähnelt den Bällen der guten Gesellschaft.

Die Sonne macht den Versuch, aus dem Schlafe zu kommen. Es wird fußkalt, und das Heidkraut starrt vor Reif. Ich zähle die Hähne. Dreizehn sehe ich, fünf höre ich; mithin sind anderthalb Dutzend versammelt. Dschtdschtdscht buff; da ist noch einer angekommen, und nun fällt der zwanzigste ein. Das ist ein Hauptschwerenöter. Ohne Vorrede bemächtigt er sich einer Henne, und noch einer. Aber jetzt, da er es mit einer dritten ebenso machen will, erregt sein Benehmen Anstoß; ein alter Hahn rückt ihm entrüstet entgegen, und ein Gekratze und Gebeiße geht los, daß die Federn fliegen. »Gickgack, gickgack« machen die Hennen; es freut sie, daß es ihretwegen zu einer Keilerei gekommen ist. Das erhöht ihr Selbstgefühl bedeutend. Doch mit einem Male lassen die Hähne voneinander ab, der Alte pflückt einige Blätter und tut so, als ging ihn der andere nichts an, und dieser widmet sich wieder mit Erfolg einer Henne. Den schieße ich auf keinen Fall; der muß sich vererben. Der Alte aber soll daran glauben. Neidhammel, Rauhbein und Kneifer dabei, das gefällt mir nicht.

Ich schiebe den Drillingslauf durch die Schießlücke und drücke. Da liegt er! Die nächsten Hähne poltern davon, die anderen machen lange Hälse; zwei aber balzen weiter. Das rauchlose Pulver knallt nicht laut. Der verendende Hahn schlägt noch einmal mit den Flügeln. Sofort stürzt sich ein anderer auf ihn und bearbeitet ihn mit dem Schnabel. Das kann ich nicht leiden! So! nun hast du auch dein Teil. Wieder stieben einige Hähne ab, doch es balzen immer noch sechs Stück, und da aller guten Dinge drei sein sollen, so werde ich mir noch einen langen. Ich lade sehr vorsichtig und spähe gerade nach einem alten Hahn, der sich langsam heranbalzt, da verdunkelt sich mein Lugloch und ehe ich noch recht weiß was los ist, donnern alle Hähne samt den Hennen ab. Schnell springe ich auf und sehe noch eben, wie der Habicht, einen wild um sich fuchtelnden Hahn in den Griffen, hinter den Birkenbüschen verschwindet, mühsam flatternd. Ich reiße den halben Schirm auf und laufe, was ich kann, hinter dem Strauchdieb her, aber er ist schon jenseits des Kanals und der ist gestrichen voll Wasser.

Na, dann kann ich ja zur Jagdbude gehen. Den Mantel hinter dem Rucksack, daran die beiden Hähne, bummele ich los. Die Sonne taut den Reif von dem Heidkraut und wärmt mir den Rücken tüchtig durch. Die Kraniche trompeten, der Brachvogel trillert, die Täuber knurren, der Grünspecht wiehert, und in allen Büschen und Hölzern singt und klingt es.

Der Frühling kam in das Moor.


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