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Im hohen Venn

Aus den Bergen Graubündens war ich hinabgestiegen in den lachenden Rheingau, hatte den weißen Schnee mit rosigen Apfelblüten vertauscht, statt des duftlosen roten Weines aus dem Veltlin mich des duftenden Rheinweines gefreut, bis auch die Rebenhügel mein Herz beunruhigten und der Heidhunger immer quälender wurde, zumal, als bei Eltfeld eine Heidlerche über mir sang.

Da fuhr ich dann den Rhein hinauf, an Bergen vorbei, prangend von Grün und Blumen, an Burgen vorüber, die mir alte Geschichten erzählten; aber erst, als die Berge rechts und links zur Seite wichen, als meine Augen weiter schweifen durften, wurde mir freier um die Brust, und als zum ersten Male nach langer Zeit gelbe Sandberge auftauchten, mit Fuhren bestanden, mit blühendem Bram bestockt, da tat ich einen tiefen, langen Atemzug und fühlte, wie mir die Augenwinkel naß wurden.

Jetzt aber bin ich im Venn, im hohen Venn, und labe mich an seiner Unendlichkeit. Meine Augen grüßen das braune Land und liebkosen jeden Heidbusch, dieselben Augen, die kalt blieben, als sie an den sonnigen Steilhängen der Hochalpen die Bergheide rosenrot aus dem Schnee kommen sahen, und die stumpf und kühl die blühenden Bäume an den Ufern des Rheins betrachteten. Hier aber grüßen sie lächelnd jedes bißchen dürftigen Lebens, das sich an den Grabenborden zeigt, die rosigen Perlen des Moorrosmarins, die weißen Wollgrasflocken und die goldenen Kohmolken, die im Süden schon längst abgeblüht waren.

Auch jetzt, da noch die Nacht auf dem Venn liegt, habe ich mehr zu schauen, kann mich an mehr laben, als da unten in den himmelhohen Schneebergen oder in dem lachenden Lande am Rheine. Mir ist zumute, als seien die Sterne hier heller und freundlicher als in den Alpen, und schöner erscheint mir die Mondsichel, als jüngst, wo ich sie über dem Taunus stehen sah. Aber da rief auch keine Mooreule, federte der Boden nicht unter den Füßen, roch es nicht nach Torf und Post. Alles ist mir hier lieb und wert, redet zu meinem Herzen und wärmt mir die Seele. Das Knistern des Heidkrautes klingt mir wie ein zärtliches Flüstern, und es ist mir, als striche der laue Wind liebkosend mein Gesicht.

Eine Stunde bin ich schon gegangen von dem letzten Kolonnenhause, das vor dem Venn liegt; eine halbe Stunde ist es noch bis zu dem Balzplatze. Das letzte Stück Wiesenland liegt hinter mir, der letzte Machangelbusch gleichfalls, und jetzt komme ich an die letzte Fuhre. Ein krüppeliger Baum ist sie nur, krumm und schief und halbmal so hoch als ich, und doch sieht sie riesenhaft aus hier, wo alles flach und eben und niedrig ist. Groß und gewaltig, wie ein Hünengrab, steht vor dem Vormorgenhimmel auch der Schirm, den ich mir aus Heidbülten gebaut habe, und er ist doch nicht höher, als daß ich, wenn ich in ihm sitze, gut geborgen bin. Aber es dauert noch eine ganze Weile, ehe ich bei ihm bin; vorsichtig muß ich mir den Weg zu ihm suchen und mehr als ein dutzendmal den Springstock gebrauchen, um über die Abzugsgräben hinwegzusetzen. Nun aber bin ich bei ihm, steige hinein, ziehe den Lodenmantel über, stecke mir die Pfeife an und horche in die Halbnacht hinaus.

Aber nichts vernehme ich eine ganze Weile, als das verhaltene Flüstern des Windes im Risch und das verstohlene Rieseln des Wassers in dem Graben. Nur einmal plumpst es dort, und dann fliegt eine Moorlerche vorbei, dünn piepend. Die Sterne werden weniger und der Mond hat sich von dannen begeben; halbrechts von mir hellt sich der Himmel über dem Venn auf, frischer geht die Luft und kühlt mir die Stirn, die noch etwas benommen ist; ich habe die Nacht in dem engen Alkoven neben dem Bauern zugebracht, denn eine Dönze gibt es in dem altväterischen Rauchhause nicht, das aus einem einzigen Raume besteht, in den sich die Menschen, die Kühe und die Hühner teilen müssen.

Mit einem Male ist mir so, als müsse die Stille aufhören. Einen Augenblick später beginnt ein Ziegenmelker zu spinnen, ein zweiter antwortet ihm, pfeift gellend und klatscht laut mit den Schwingen. Mit hartem Geplärre streichen Enten vorüber und plantschen auf dem Graben ein, ein Kiebitz fuchtelt über mich hin und die Luft füllt sich mit dem Gemecker der Himmelsziegen. Tief im Venn ruft dumpf die Dommel, die Mooreule beginnt zu balzen, ein Regenpfeifer schreit traurig, und wehmütig flötet der Kolüt. Ganz fern bläst ein Hahn; aber der, auf den ich ansitze, meldet sich noch immer nicht. Gestern und vorgestern, als ich ihn ausmachte und verhörte, war er schon viel früher zu Gange. Am Ende balzt er heute anderswo und ich habe mir umsonst die Nacht um die Ohren geschlagen.

Allzu böse würde ich ihm darum aber nicht sein. Ich habe genug Hähne aus dem Schirm und auf der Pirsch geschossen, und das Schönste auf der Balzjagd ist das Passen vor Tau und Tag; dann zeigt mir die Dunkelheit seltsame Bilder und die Stille flüstert mir heimliche Mären zu. Augen schwimmen mir entgegen, lieb und gut, und andere, kalt und feindlich; rote Lippen lächeln mich liebreich an, und andere verziehen sich höhnisch; liebkosende Hände nähern sich meinen Backen und geballte Fäuste tauchen vor meinen Blicken auf; sanfte Stimmen hauchen zärtliche Laute und werden von bitteren Worten verjagt, die mich haßerfüllt umzischeln. Und ich hocke da und sehe in die Vergangenheit und nach der Zukunft hin, lausche auf das, so da war, und das, so da sein wird, und vergesse Hahn und Jagd, bis ein heiseres Zischen mir sagt, weshalb ich eigentlich hier lauere.

Der Hahn ist da. Dreimal bläst er und dann beginnt er so toll darauf los zu trommeln, daß ich meine, er müßte dicht vor mir sein. Aber dann würde es nicht so laut klingen, denn je näher ein Hahn beim Jäger balzt, um so mehr verliert sich das Balzlied. Ich zerpflücke mit meinen Blicken die schwere Dämmerung, sehe aber nur ein undeutliches Gewirre dunkler Klumpen, die bald still stehen, bald in Bewegung sind. So kommt es mir wenigstens vor, obgleich ich weiß, daß das nur eine Täuschung ist. Aber der eine Heidbült halblinks scheint wirklich seinen Platz zu verändern, bald lang, bald kurz zu werden, und jetzt erkenne ich, daß es eine Henne ist; zärtlich lockt sie, und der Hahn balzt sich näher an sie und an mich heran. Ein zweiter fällt ein, und ein dritter, und das Zischen und Blasen verschlingt sich mit dem Gemecker der Himmelsziegen zu einer sonderbaren, verworrenen Weise, die einlullend und betäubend wirkt, wie ein Schlummerlied, so daß ich nur mit Mühe die Augen aufhalte. Doch ein giftiges Gurren und ein heftiges Flügelgeflatter läßt mich nicht zum Einnicken kommen; zwei der drei Hähne kämpfen.

Der Himmel rötet sich immer mehr und es wird schnell licht. Ich kann jetzt deutlich den einen Hahn erkennen, der, ohne sich um die beiden anderen zu kümmern, unentwegt trommelt und sich dabei langsam um sich selber dreht. Und jetzt sehe ich auch den Platzhahn; er sitzt da und ordnet sein zerzaustes Gefieder. Der dritte Hahn aber ist nicht mehr da; er ist abgekämpft von dannen gestrichen. Der alte Hahn ist mit dem Ordnen der Federn fertig. Er schüttelt sich, äugt nach dem anderen Hahn, bläst hart, gurrt giftig, und ehe ich es mich versehe, ist er über den anderen Hahn her und flatternd und kratzend springen beide gegeneinander an, daß die Federn nur so fliegen, bis der Junghahn auf den Rücken zu liegen kommt, heftig behackt wird und sich endlich, arg zerplustert, retten kann.

Wild äugt ihm sein Gegner nach, bläst stolz, pflückt wieder an seinen Federn herum und schiebt sich, in einem fort trommelnd, immer näher an mich heran, ohne daß ich ihn so frei bekomme, daß ich ihm die Kugel antragen kann, denn die Heidbülte decken ihn zu viel. Ich lasse aber kein Auge von ihm, balzt auch die Weihe noch so sehr hinter mir, trompetet der Kranich auch noch so lustig dort oben auf dem blanken Venn. Sogar dem Kolüt, der laut flötend sich auf der Brandfläche niederläßt, schenke ich nur einen halben Blick. Den scharf gemachten Drilling in den Fäusten spähe ich nach dem Hahne, der dichter, immer dichter an mich herankommt, meist wie eine schwarzweiße, am Kopfe feuerrot gezierte Schlange dahinkriechend, ab und zu sich hoch stellend und blasend.

Ganz frei steht er nun, und der Kugelschuß glückt möglichen Falles. Vielleicht knalle ich aber auch daneben, oder treffe ich, dann schieße ich das Wildbret zuschanden. So will ich lieber warten, bis er auf Schrotnähe vor mir ist. Und ich lauere und lauere, bis mir die Arme zittern, und lauere, bis auch die Knie zu bebern beginnen, und lauere, bis Puls und Herzblut immer ungestümer werden, bis mir der Schweiß aus der Stirne bricht, Glühhitze in meinen Backen kribbelt, der Atem mir im Kehlkopfe piept und ich meine, es nicht mehr aushalten zu können. Und dann, endlich, endlich, endlich, habe ich ihn so nahe, schiebe den Lauf durch die Schießlücke, halte auf Kopf und Hals, drücke und sehe, daß er im Feuer rundum purzelt.

Damit ist die Spannung in mir auch dahin. Ganz gelassen steige ich aus dem Lauerloche, nehme den Hahn auf, der nach Spiel, Rosen und Gefieder recht alt zu sein scheint, hänge ihn an den Rucksack, schiebe den Mantel dahinter, stopfe mir eine neue Pfeife und gehe den Damm, der vor dem hohen Venn einherläuft, entlang. Weihen balzen, Moormännchen zirpen, Himmelsziegen locken, der Kolüt flötet, und ich freue mich an allem, was da lebt und webt und grünt und blüht, und an dem weiten braunen Venn, das mir lieber ist als die himmelhohen Berge des Bündener Landes und das lachende Rheintal.


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