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Auf weißer Heide

Das waren schwere Tage, böse Tage. Von früh bis spät an den Schreibtisch gebannt, immer die Feder auf dem Papier, den Kopf in der linken Hand, ohne aufzusehen.

Denn wenn ich aufsah, lockten die weißen Dächer, und wenn ich weiße Dächer sehe, dann ist Arbeitslust und Schreibstimmung beim Kuckuck und die Sammlung zum Teufel; dann sehe ich vor mir weiße Weiten, dahinter weiße Hügel mit schwarzfleckigen Kuppen, hohe Fuhren mit weißen Kappen, Machangelbüsche mit weißen Mützen, sehe Fährten und Spuren, die der weiße Leithund mir zeigt, und schwarze Krähen in blauer Luft, und dann geht die Schreiblust durch die Lappen und die Arbeitsfreude über das Zeug. Darum fort mit den Augen vom Schneedach und auf das Papier, bis ich die Feder auswischen kann an der kohlschwarzen Hasenpfote.

Dann aber hinaus! Schnee in der Stadt, schrecklich! Ein Rußgekrümel auf schmutzigen Haufen in den Gossen, ein Tropfen und Träufeln von allen Dachkanten, Schmiere und Matsch auf den Bürgersteigen, und trotz Winterüberzieher und Gummischuhen die unbehaglichste Behagnislosigkeit im Leibe. So packte ich den Rucksack und ölte den Drilling, zog die Schmierstiefel an, stülpte die alte Mütze auf, hing den Mantel über den Arm und dampfte heideinwärts, wo keine Mietskasernen mich ärgern und keine Prunkhäuser, keine Fabrikschlote und keine Theater, fuhr, bis die Strohdächer sich häufiger zeigten mit den Mährenköpfen am Giebel, bis der Schnee weiß wurde, mit den Augen in der Zeitung. Aber dann flog sie in die Ecke; bessere Augenweide gab es: Hasenspuren am Bahndamm, Rehfährten auf den Grabenborden, Krähengesindel, schwarzes und graues, und einen auf dem Grenzstein blockenden Bussard. Und noch weiter, wo hoher Fuhrenwald den Schneesturm von der Wintersaat abgehalten hatte, da kam Feuer in meine Augen; schwarz lag es da auf der Saat, glänzend in der Sonne, und weiß leuchtete es dazwischen, und auf den hohen Hängebirken saß es in schwarzen Klumpen, an der Wintersonne sich wärmend, Birkwild, ein Flug von sechzig Stück.

Auf dem kleinen Bahnhof steht der Jagdaufseher schon. Ein junger Kerl, echtes Heidjerblut, ernst und still. Keine Spur von Jägertum zeigt sich in Haltung und Kleidung. Sein graugelber, verschossener Sammetanzug ist derselbe wie ihn alle Bauern tragen, er trägt dieselbe Mütze, dieselben Kniestiefel, und ist, wie alle Bauern, bartlos um Mund und Backe. Nur Rucksack und Gewehr und ein Stückchen der Hirschhornschale des althannoverschen Weidmessers, aus dem Hosennahtschlitz sehend, verrät den Jäger. Und die Augen, die aus alter Gewohnheit hin und her wandern, die Kopfhaltung, die sich nie schnell verändert bei dem stillen, gelassenen Mann, der gewohnt ist, alle Glieder im Lot zu haben, mag da kommen, was da will, wie oder wo es sei. Er lächelt mich an und gibt mir die Hand: »Wat willt Sei scheiten? 'n Voß oder Aanten oder 'n Barkhahn? Barkhoihner sünd de Masse da!« Ich lache: »Erst 'n Barkhahn, dann 'n Voß und tauleßt Aanten. Drei Dage hebb ick Tid.« Da lächelt er wieder und steckt sich mit Kennermiene eine von dem Dutzend an, die ich ihm mitbrachte. Er weiß, zur Balz kann er zwölf Mann jeden Morgen einen Hahn versprechen, aber wintertags?

So stapfen wir durch das Dorf in die weiße Feldmark. Schorse erzählt: gestern hat er den achten Fuchs im Eisen gehabt, dazu drei Marder, sieben Iltisse. Birkwild liegt in der toten Flaage und auf Möllers Kamp. Auf der toten Flaage gibt es kein Anpirschen, da muß er es mir angehen; aus Möllers Kamp aber gehen zwei Gräben zu und ein Zug Buschwerk. Da geht's vielleicht! Vielleicht, vielleicht auch nicht; werden sie angegangen, so schlagen sie sich meist nach dem Moore, von wo sie morgens kommen und wo sie zur Uhlenflucht hinstreichen, aber alle Deckung meiden die Schlauberger und biegen seitab um jeden Busch. Sie kennen die Sache schon.

Von dem höchsten der Hünengräber, die hier liegen, spähen wir nach der toten Flaage. Richtig, da sind sie; dicht an Plinkes Hause. Der kann sie vom Fenster aus totschießen, wenn er will; aber das tut Plinkenvatter nicht, der wildert nicht. Deutlich heben sich die dunklen Flecken von den verschneiten Findlingsblöcken ab, von dieser altmodischen Mauer, die der Heidjer vom alten Schlage so gern um seinen Hof hat. Ein Teil des Fluges baumt auf den krummen Birken an der Mauer, und von dem Birkenhorst auf der Dünenkuppe kommt ein Flug angestrichen.

»Na, Schorse?« Weiter brauch ich nichts zu fragen. Er beschreibt mit der Rechten einen Bogen: das heißt, ich soll um die Dünen gehen, zeigt nach der Einsattelung vor dem Birkenhorst, das heißt: »Dat mot Sei ansitten gahn,« und macht mit der Linken eine Bewegung nach dem Hofe, und das heißt, daß er sie mir im Bogen angehen will. »Witt Tüg?« fragt er dann noch; ich nicke. Er meint, ob ich das Kapuzenhemd im Rucksack habe, das ich zur Entenjagd überziehe. »Na, denn 'n Dübel in'n Nacken!«

In weitem Bogen umschlage ich die Dünen. Überall Hasenspuren, kreuz und quer, Hühnergeläufe am Graben, eine Iltisspur an der Brücke, eine Rehfährte am verschneiten Brombeerbusch. Auf dem kahlen Ebereschenbaum der Grauwürger, warnend abstreichend, einige Krähen auf den Eichen an Westermanns Hof, eine Elster auf dem Zaunpfahl. Der Weg ist weit. Jetzt bin ich hinter den Dünen. Aus dem Rucksack nehme ich das Hemd, ziehe es über und stapfe weiter durch den Schnee. Bei der Einsattelung schiebe ich den Mündungsdeckel auf, werfe mich hin und krieche auf dem Bauche empor.

So, hier ist der richtige Platz, eine kleine Senkung, hinter der ich den Kopf heben kann. Nun den Mündungsverschluß ab, gespannt und gewartet. Da unten geht Schorse; übereilen tut er sich nicht. Jetzt verschwindet er hinter dem Eichkampe links vom Hofe. Ich liege und warte und spähe mit dem Glase nach dem Hofe; nichts ändert sich in der Gruppierung der dunklen Flecke auf der weißen Mauer. Aber jetzt ist es mir, als wenn die Flecke da fort sind, schon sehe ich eine schwarze Wolke über der weißen Fläche; die linke Hand faßt den Vorderschaft, mein Rücken hebt sich etwas, ich sehe es heranstreichen, es teilt sich, die Hälfte gerade auf mich zu, die andere links ab. Jetzt backe ich an, sie schwenken ab, ich fahre mit; natürlich lauter Hennen, sechs, sieben, zehn, fünfzehn, und mitten drin ein Hahn, und der ganze Flug Hähne da unten.

Ja, so geht's! Warum strichen die Hähne nicht hier und die Hennen da? Warum mußte der eine Hahn mitten zwischen dem Weibsvolk sein? Warum lag ich nicht da unten? Ach was, wer wird sich ärgern! Morgen ist auch ein Tag und übermorgen noch einer. Bei den drei Eichen setze ich mich auf den Findling und qualme, bis Schorse kommt. Er fragt nicht lange; drei Worte, dann weiß er Bescheid. »Pech!« Weiter sagt er nichts.

Am anderen Morgen geht's wieder los, wieder nach der toten Flaage. Ich habe mich hübsch in den Schnee gerodet und will das Birkwild erwarten, wenn es vom Moore heranstreicht. Aber ich warte und warte und umsonst; endlich mache ich mich hoch und sehe über den Hügel; da äst die ganze Bescherung auf der freigewehten Saat. Der Kuckuck weiß, wie sie dahingekommen sind. Da unten steht Schorse; er schießt. Ich verstehe ihn und drücke mich hinter der Kuppe nach der Stelle, wo gestern die Hähne vorbeistrichen. Wieder vergeht eine halbe Stunde; da löst sich rechts vom Hofe ein schwarzer Fleck ab und bewegt sich im Bogen an den Hähnen vorüber. Jetzt machen einige den Hals lang, jetzt läuft alles durcheinander, und jetzt, wo der Aufseher hundert Gänge heran ist, streichen sie ab, ein Gewirr schwarzweißer Flecke, und da streichen sie hin, zweihundert Gänge von mir. Da soll doch dieser und jener!

Auch Schorse ist falsch; ich sehe ihn eine Bewegung mit dem Arm machen, als wollte er wen mit der Faust auf den Kopf schlagen, und schon von weitem schreit er: »So'ne entfamten Lörke! Aber nu to, nah Möller sinen Kamp!«

Etwas ist meine gute Laune zurückgegangen, aber schließlich, ist's hier nicht tausendmal schöner als in der engen Stadt? Und war das nicht herrlich gestern abend in der Luderhütte, als die Krummen über die Felder hoppelten und der Fuchs nicht kam. Wenigstens so lange ich da saß, denn seine Spur war heute morgen da. Und ich habe ja noch heute und morgen, und auf Möllers Kamp muß ich einen kriegen.

Muß ich! Da sind sie, aber gerade da, wo ich nicht anpirschen kann. Nun wird's mir zu dumm; da äsen sich siebzig Hähne auf dem Roggen und ich kann zusehen, und höhnisch balzt ein halbes Dutzend. Ich sehe die weißen Flügelbinden, die weißen Stoßfedern, sehe die krummen Spiele, und der leise Wind trägt mir den Balzlaut zu. Möchte wissen, warum die nun eigentlich balzen; hat ja weiter gar keinen Zweck, keine Henne in der Nähe, und wennschon, bei vier Grad Kälte läßt sie das schönste Gebalze ja doch kalt. Und ein richtiges Balzen, wie im Frühjahr, mit Luftsprüngen, ist es nicht, nur ein langes Kullern, ein seltenes Schleifen.

Ich glaube, sie äsen sich nach uns zu. Vielleicht geht es doch; bis zur Koppel decken mich die Büsche. Schorse bleibt auf dem Brink und sieht, wohin sie abstreichen. Jetzt bin ich an der Koppel; wahrhaftig, sie äsen sich nach mir zu.

Vorsichtig trete ich hinter der Krüppelfuhre in den Graben. Das ist ein dummes Gehen in der viertelfußhoch überrieselten Grabensohle, tief gebückt; ab und zu, wo ein Busch am Bord stockt, hebe ich den Kopf und schiele nach der Koppel. Sie äsen sich immer mehr hierher, denn hier hat der Wind den Schnee fortgeweht. Sie kratzen und pflücken in der Saat herum, ab und zu sichert einer oder hält mitten im Äsen inne und balzt ein bißchen.

Jetzt habe ich sie auf Büchsenschußweite; hinter diesem Busch kann ich mich bequem hochmachen. Einen kann ich jetzt mit dem Würgelauf kriegen, aber den will ich nicht, er ist mir zu minne. Ich will den alten Hahn, der in einem Ende balzt, aber das sind siebzig Gänge. Und Kugel, nee! Elf Millimeter, das ist nichts für den kleinen Hahn, dann fliegt das Wildbret in der Nachbarschaft herum.

Fünfzig Schritte vor mir liegt ein Haufen Drainröhren, die haben es dem alten Burschen angetan. Prrr, nun steht er oben drauf, äugt nach rechts und links, vor und hinter sich, dann bläst er einmal, zweimal und nun geht das Kullern los. Ich könnte ihm eine Stunde lang zusehen, wenn ich nicht im Wasser stände. So backe ich denn langsam an und lasse fahren. Dem Knall folgt ein Schwirren und Sausen, geradeaus streicht die bunte Schar, macht dann einen Haken und wie sie an den Brink kommt, knallt es zweimal; ein Hahn verliert Federn, läßt die Ständer hängen und tut sich von dem Fluge ab. Ich sehe Schorse laufen, dann sehe ich nach meinem Hahn. Der liegt oben auf den roten Drainröhren, die Schwingen hängen rechts und links herab, der Kopf läßt rote Tropfen in den Schnee fallen.

Ein alter Winterhahn in voller Balz angepirscht, der ist mir lieber, als, wer weiß, wie viel Augusthähne vor dem Hunde, als drei Althähne im Treiben.


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