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Den Bach entlang

Der Tag ist schwül, hinter den Dächern der Stadt drohen auf hellblauem Hintergrunde weiße Wettertürme, im Westen hängt eine bleigraue Wolke und die Sonne sticht. Das ist mir sehr angenehm. Heute beißt die Forelle.

Ich ziehe den leichtesten Jagdanzug an, nehme Rucksack und Wetterkragen und lange den Angelstock aus dem Schrank.

Nicht die Fluggerte, die ist an dem Bache nicht angebracht, an dem verwachsenen, unter Weiden, Winden und Hopfen dahinklucksenden, dessen Kolke nicht Raum bieten für den Wurf mit der Fliege. So bleibt das Fliegenbuch im Fach und in den Rucksack wandert die Wurmbüchse.

Eine Stunde Bahnfahrt, eine Tasse Kaffee auf dem Kleinbahnhof, noch zehn Minuten Fahrt auf der Kreisbahn, dann bin ich angelangt. Ein kurzer Weg auf kalkweißer, flimmernder, augenblendender Landstraße, und ich bin an Ort und Stelle.

Hinter der grauen Steinbrücke, aus deren Ritzen die zierlichen Wedel der Mauerraute herabhängen, kluckst der Mühlgraben durch ein dichtes Gewirr von großblumigen Weidenröschen, Sauerampfer, Wasserhirse, wildem Bandgras, hohem Baldrian und noch höherer Kohldistel. Rechts und links ist Feld, Rüben mit blanken Blättern, blühende Kartoffeln, alles besät mit den roten Flatterblumen der Klatschrose. Weiterhin an den Hängen färbt der Quendel ganze Flächen rötlichblau, goldgelb prangt dazwischen das Johanniskraut.

Die Angel ist ausgezogen, die Schnur angemacht, ein dicker, langer Wurm windet sich am Haken. Ich gehe den Bach entlang. In den wenigen offenen, seichten Stellen, wo das Wasser klar ist, schießt die junge Brut hin und her. Da habe ich nichts zu erwarten. Stände hier eine gute Forelle, wäre keine Brut da. Aber dort, wo des Pestwurzes riesige Schirmblätter den Bach beschatten, wo die dunkelblauen Libellen um die Windenblumen flirren, da ist es tief. Ein dicker Wasserfrosch macht einen tadellosen Kopfsprung, wie ich mich nähere. In die zwei Hände breite Lücke zwischen den breiten Blättern lasse ich den Wurm fallen. Ein Klatschen folgt und ein Reißen. Ich gebe Schnur und warte. So, jetzt! O weh! Die Schnur verfing sich.

Ich streife einen frischen Wurm auf und lasse ihn auf denselben Fleck fallen. Die Schnur spannt sich, der Köder schwimmt. Aber kein Ruck erschüttert die Angel. Langsam ziehe ich den Köder und lasse ihn wieder schwimmen. Da ruckt es, die Schnur geht stromauf und pendelt hin und her; im Bogen fliegt eine Forelle in das Gras und schlägt sich frei.

Hier oben will ich mich aber nicht länger aufhalten, hier steht nur geringes Zeug, viertelpfündiges höchstens. Ich gehe den Graben entlang, höre den Hänflingen und Stieglitzen zu, die in den Pflaumenbäumen zwitschern, gehe an dem Lehmabhang vorbei, um den die Uferschwalben fliegen, an Böschungen, prangend von rotem Mohn, an Uferbuchten, wo auf duftender Minze goldne Käfer kriechen, bis zu der Brücke, bei der der Mühlgraben in den Bach stürzt.

In den Mühlgraben werfe ich den Köder. Die reißende Strömung wirft ihn zu mir zurück. Vor mir steht die Schnur einen Augenblick, dann geht sie langsam stromauf. Ich habe Anbiß. Jetzt ein kleiner Ruck, dann ein Zerren; ich reiße durch ganz leises Anziehen, und nun folgt ein Klatschen, ein Prasseln, daß das Wasser spritzt. Ich will mit einem Schwung die Forelle auf den Rasen holen, aber die Schnur sitzt fest. So springe ich bis an die Knie in den Bach, lange die Schnur heraus, ziehe an und fasse die Forelle. Eine stramme Amerikanerin, wohl über ein Pfund schwer. Ein Schlag mit dem Gnickergriffe über ihren Nacken macht sie schlapp, ich kann den Haken aus ihrem Schlund lösen und die Schnur frei machen.

In ein breites Pestwurzblatt wickelte ich sie sauber ein, versenke sie in den Rucksack und überschreite die Brücke. Hier beginnt das Hauptwasser. Weiter unten ist es zwar besser, da sind offene Kolke. Aber hier, wo der Bach versteckt liegt, in einem Gewirr von Weiden und Winden, Ellern und Hopfen, Weidenröschen und Pestwurz, Baldrian und Spierstaude, da macht es mir Spaß, unter tausend Schwierigkeiten den Wurm hineinzubringen und den Fisch zu landen.

Aber schwül ist es. Der Schweiß tropft mir von der Stirn. Ich gebe Hut und Joppe einem kleinen Blondkopf, der mir für einen Nickel die Sachen zur Wirtschaft trägt. Dann ziehe ich einen munteren Wurm auf und werfe da, wo großblumige Käspappeln ihre Stengel recken, ein. Dem Wurf folgt ein Anbiß. Ich lasse schlucken und ziehe an; bis in die Weiden habe ich die Halbpfündige schon heraus, da verfängt sich die Schnur und die Forelle schlägt sich los.

Ein frischer Wurm und fünf Schritt weiter. Ärgerlich schimpft der Neuntöter; es paßt ihm durchaus nicht, daß ich bei seiner Kinderstube bin. Vor mir, unter dem Weidenbusch, ist eine tiefe Stelle. Aber wie da den Köder hinbringen? Oben hindern die Zweige, unten des Pestwurzes Blattschirme. Zehnmal versuch ich's, immer gelingt's vorbei. Aber nun gerade! Beim elften Male klappt's. Plumps, sagt der Wurm, ratschklatsch, die Forelle. Sie sagt, sie will nicht, tobt hin und her, bachauf, bachab. Die lohnt sich. Aber ich lasse ihr Zeit, rucke nur leicht an. Und dann ein Schwung, ein Silberblitz in der Luft, und da tanzt sie in den blanken Rübenblättern. Ein halbes Pfund mehr.

Da unten ist wieder eine Lücke und darunter sprudelt der Bach recht munter. Ich bringe die Angel hinein, der Wurm treibt, aber es beißt nichts. Zurück und wieder schwimmen lassen. Und noch einmal und so sechsmal. Aber da spannt sich die Schnur. Heraus mit ihr. Ein Schierlingsstengel ist die Beute. Na, denn noch einmal. Siehste wohl, hat ihn schon. Ein Viertelpfund mehr für die Küche.

So, jetzt will ich es bei den Malven noch einmal versuchen, wo mir die eine abfiel. Und ich will einen ganz dicken Wurm nehmen. Große Würmer, starke Fische. Fünfmal lasse ich es plumpsen, zehnmal ziehe ich zurück, dann schnappt's. Jawohl, sie ist es. Unter dem linken Nasenloch hat sie den Riß vom vorigen Mal. Aber nur knapp ein halbes Pfund.

Hier unten ist gar nichts zu machen, hier hat die Waldrebe alles verfilzt. Mit Angstschrei stiebt die Amsel ab, und das Großwiesel, das am Rande des Rübenstücks mauste, macht ein Männchen und fährt in das Gestrüpp. Hier geht's nicht, da stehen die dickköpfigen, roten, nickenden Disteln im Weg. Da auch nicht, da hindert mich die Krüppelesche. Hier erst recht nicht, da erlauben es die Brommelbeeren nicht, und da kann ich wegen des Schneeballbusches nicht heran. Aber hier geht es, wenn auch schlecht. Ich muß den Wurm unter den Weidenbusch treiben lassen. Hoppla, die erste. Hinein in den Rucksack. Und die zweite hinterher. Und zwei Schritt weiter die dritte. Alle von derselben Größe, vier auf ein Pfund.

Das ist heute feines Beißwetter. Das meinen die blinden Fliegen auch. Ich muß schmöken, als wenn so 'n armer Bauer backt, sonst ist es nicht zum Aushalten. Aber das schad't nichts. Wo ein Loch im Gebüsch ist, werfe ich ein. Jede Forelle kostet mindestens fünf Würmer, so oft verheddert sich die Angel, aber ich habe Zeit und Geduld. So Stücke sieben hole ich nach und nach heraus, dann wird's mir zu dumm, dieses ewige Angellosmachen und Herumgekrebse in Wurzelwerk und Faschinen, und ich gehe nach den Kolken.

Hier unten macht der Bach Knick auf Knick und in den Ecken ist freies Wasser, und in diesen tiefen Löchern stehen die großen Räuber. Besonders hier in diesem Kolk, da kann man heute eine starke Forelle herausholen, und morgen hat eine noch stärkere die Wohnung bezogen. Ein dicker Grauammer, der von der Spitze des Kreuzdornbusches sein hölzernes Lied mit wenig Witz und viel Behagen herabrasselte, fliegt mit hängenden Beinen einen Busch weiter, wie ich einwerfe. Der Wurm sinkt bis auf den Grund, die Schnur rührt sich nicht. Ich ziehe aus und lasse ihn am hohlen Ufer vorübertreiben, einmal, zweimal, dreimal. Dann zuckt die Rute, die Schnur zittert und verschwindet unter dem Ufer. Leise ziehe ich an, aber sofort gibt es da unten ein Mordshallo. Das platscht und klatscht und spritzt und schäumt, als säße ein mittelstarker Haifisch am Haken. Von hier oben kann ich nichts machen, ich muß hinab in das Dschungel von Kletten, Disteln, Klebkraut und Nesseln und versenge mir Hände und Gesicht. Ich ziehe langsam die Forelle aus ihrem Uferloch. Aber immer wieder schießt sie unter das Ufer.

Zehn Minuten lang gebe ich ihr Schnur und hole auf, dann läßt sie sich bis in die Mitte des blaugrauen, trüben Kolkes ziehen. Und dann ein Schwung, daß die Rute in ihren Gelenken knarrt, ein Plumpsen in den Hafer, und jetzt habe ich sie im Genick, die pfündige Bachforelle.

Ein Staatskerl. Es ist gut, daß sie tot ist. So manchen aus der eigenen Sippe wird sie übergeschluckt haben. Die soll morgen, auf eigenem Teller serviert, von Vergißmeinnicht und Bachehrenpreisblüten umgeben, den Stolz der Tafel bilden.

Hinter den Bergen grummelt das Gewitter. Einzelne Tropfen fallen. Ich hänge den Regenkragen um und fische weiter, aber nur die Kolke nehmend. Bei jedem dritten Wurf lande ich eine Forelle, ab und zu, wenn die Schnur sich verfängt, schlägt sich eine los, aber ich bringe doch so viele zu Land, daß mir das ewige Rucksackaufmachen schon lästig wird. Und ich habe auch genug, mehr als genug. Nur noch einige so bei Wege mitgenommen, und dann bei Blitz und Donnerwetter und strömendem Regen zum Kruge. Angeln macht Durst.

Das hübsche roggenblonde Wirtstöchterlein setzt mir das Glas hin und wiegt die Forellen. Fünf Pfund und ein halbes. Das genügt.


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