Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

In den Hungerbergen

Da hinten in der Heide, wo Fuchs und Wolf sich »gute Nacht!« sagen können, liegen die Hungerberge.

So haben die Bauern die siebenfache Kette von Sandhügeln genannt, die sich dort hintereinander erheben, und die Jäger, die dort im Frühherbste auf Birkwild suchen, nennen sie die Schwitzmühle.

Früher soll dort einmal ein Dorf und ein schöner Eichenwald gewesen sein; im dreißigjährigen Kriege brannten die Schweden das Dorf nieder oder die Kaiserlichen, denn von beiden zogen Kriegsvölker hier durch, und der Wald verschwand auch; jetzt wachsen dort Fuhren, die die Bauern gepflanzt haben.

Es gibt in dieser großen Jagd viel schönere Ecken: das Bruch, die Wohld, die Gemeinheitsfuhren; aber mir sind die Hungerberge das Haupt. Dort stört mich niemals ein Mensch, und es ist schon ein Wunder, wenn ich irgendwo in der Heide die Twicke eines Heidhauers aufblitzen und seine weißen Hemdmaugen leuchten sehe. Einsam bin ich hier.

Allein bin ich deswegen nicht. Wo Heide wächst und Fuhren stehen, kann ich es nicht sein, denn dort bin ich zu Hause. Mit allem, was um mich lebt und webt, stehe ich auf du und du, mit dem gelben Sande, mit dem bunten Gestein, mit den Bäumen und den Blumen und mit allem, was da kreucht und fleugt, singt und summt.

Aber Gelegenheit, einsam zu sein, ist reichlich da in dieser Jagd, denn weit zieht sich die Heide hin, und breit liegt das Moor da; mich aber zieht es in die Hungerberge. Denn hier, wo ihn nie ein Mensch stört, steht Jahr für Jahr der stärkste Bock, weit und breit von hier wechselt er, wenn der Abend Himmel und Erde verbindet, zur Äsung, heute in das Bruch, morgen zu Felde, je nachdem der Wind weht.

Denn es kann einem alten Bock hier schon gefallen. Da sind Dickungen, so rauh, daß nur ein Bock sich zwischen den verfilzten Zweigen durchfinden kann; da sind enge Stangenörter und Bäume, die sich schon gereinigt haben; da sind Wacholderbüsche, das Gehörn daran zu fegen; Brombeeren und Himbeeren wuchern da und in den Sinken manches bessere Kraut.

Sieben Jahre sind es her, daß ich die Hungerberge für mich entdeckte. Ich hatte im Bruche geweidwerkt und ging quer durch die Heide, denn der gelbe Sand lockte mich. Es war eine Hitze zum Umstürzen. Ich zog Bluse und Hose aus und legte mich nackt in das feuchte Torfmoor der Sinke. Und wie ich da so lag und rauchte und ein Loch in den blauen Himmel sah und gähnte und die Augen mir zufallen wollten, da flammte es rot zwischen den krausen Fuhren auf, und vertraut, als gäbe es weder Kraut noch Lot, zog ein Hauptbock über die Heide und äste sich an den goldenen Blüten des Zwergginsters. Meine Büchse aber hing hinter mir am Baume, und rühren durfte ich mich nicht.

Zwei volle Wochen kostete es mich, ehe ich dem Bock die Kugel antragen durfte, aber es waren zwei herrliche Wochen, reich an blutroten Sonnenuntergängen und goldenem Morgenrot und glühenden Unterstunden, reich zwar an Mühe und Schweiß und Enttäuschung und überreich an Aufregung, Spannung und Hoffnung. Als er dann im glühenden Mittagssonnenbrande wieder einmal über die hohe Heide zog und in der Todesflucht die Dickung annahm, und ich vor die Dickung schlich und horchte, und meine Pfeife zu Ende rauchte und mich barfuß in die Dickung stahl und ihn da liegen sah, da wünschte ich, meine Kugel hätte ihn verfehlt, damit ich noch weiter so reiche Tage leben dürfte.

Der aber, der jetzt hier steht, der Bock kostet mich noch mehr Mühe und Schweiß. Zweimal bekam ich ihn zu Blick in diesen drei Wochen; das eine Mal jagte er einen anderen Bock, der sich in die Nähe der Hungerberge gewagt hatte, vor sich her; so rasend schnell stoben die Böcke an mir vorbei, daß die wilde Jagd längst vorüber war, ehe ich den Drilling schußgerecht in der Hand hatte; und das andere Mal zog er vor mir her in der langen Heide, die ihn bis zum Halse deckte, und ich mochte den Schuß nicht wagen. Jeden Morgen spürte ich ihn auf den Wegen, mehr als einmal vernahm ich seinen tiefen Baß, wenn ihm der Wind meine Witterung zutrug, aber vor die Augen bekam ich ihn nicht mehr, und wenn ich mir auch eine Nacht nach der anderen um die Ohren schlug und abends so lange paßte, bis die letzten Sonnenmale am Himmel verblichen waren.

Die Hoffnung, ihn zu erbeuten, gab ich auf, die Hungerberge aber nicht. Zu schön ist es, hier in der Vormittagssonne die warme Luft mit allen Poren zu fühlen, zu köstlich, den Kiengeruch einzuatmen, der über der Heide schwebt, in der, halb grün, halb schwarz, die Wacholder stehen, aus der wie blankes Gold des Zwergginsters Blumen leuchten. Vom Himmel herab singen die Heidlerchen, vom Moore kommt das Flöten der Brachvögel, die Luft lebt von Grillengesang, und die Hitze zittert über dem Sande. Hinter mir in dem hellen Holze singt ein Täuber sein dunkles Lied, und vor mir tanzt ein heller Falter hin.

Heidlerchensang und Grillengefiedel machen müde; höre ich länger darauf hin, dann fallen mir die Augen zu. Und mir ist heute so, als sollte sich mir mein Wunsch fügen. Das Käuzchen, der Glücksvogel, weckte mich heute vor dem Tage, ohne Suchen fand ich Vierblattklee, und das schönste Mädchen im Dorfe kam mir im Bruche entgegen, lachte mich an und wünschte mir Glück. Ich lasse den Rucksack liegen, wo er liegt, schultere den Drilling und schleiche barbeinig voran. Blauflügelige Heuschrecken schnarren vor mir auf, goldgrüne Käfer blitzen vor mir hin, ein alter Rammler, vom knisternden Heidzweig geweckt, erhebt sich aus seinem Lager und hoppelt verdrossen fort.

Von hier oben habe ich weite Sicht über die Dickung, die sich über die drei Hügelkämme hinzieht; hier steht der Bock. Jeden Morgen steht seine Fährte hier hinein. Und dort in der hohen Heide, wo die krausen Fuhren ihre Triebe recken, ist sein Hauptgang um diese Zeit. Aber da ist nur Heide und Heide und hier und dort ein Wacholderbusch, zerfegt und zerfetzt von dem Gehörn des Bockes. Ich muß jetzt ganz still stehen, denn eine Krähe bäumte vor mir auf; äugt sie mich, so plärrt sie los, und der Bock weiß Bescheid. Endlich streicht sie weiter, und ich schleiche von Busch zu Busch, immer stehen bleibend, den Drilling fertig zum Schusse, die Augen überall, auf jeden Laut horchend. Aber hier ist nichts als Grillengezirpe und das Gepiepe der flüggen Meisenbrut.

Ich stehe und warte und fühle, wie mir die Sonne die Haut unter der Bluse gerbt und den Schweiß über den Rücken schüttet; die Augen wollen mir mit einemmal zufallen und die Verdrossenheit stellt sich neben mich, schielt mich an und tuschelt: »Du Narr, du Narr!« Ein Schleier ist vor meinen Augen; das Glitzern ist von der Heide fort, und aus den Fuhren verschwand das Flimmern; die Heidlerche singt langweilig, und der Kiengeruch will mir nicht mehr schmecken. Ich denke an eine grüne Bank unter einem blühenden Lindenbaum, an eine helle Stimme und ein kühl beschlagenes, schäumendes Glas. Neben mir das unholde Wesen flüstert und tuschelt in einem fort: »Geh doch, du Narr!«

Und dann rennt sie, was sie kann, die Verdrossenheit; der Schleier ist nicht mehr vor meinen Augen, süß singt die Heidlerche, labend duften die Fuhren, und die Heide glimmert und flimmert wie Gold. Denn irgendwo vor mir bricht und dröhnt es, bricht es hell und dröhnt es dumpf, und ich weiß, was das ist, und das ist der Bock; er fegt und plätzt. Und nun steht die Angst links bei mir und rechts der Wagemut; die eine hält mich zurück, und der andere stößt mich voran: »Geh zu, geh zu, sonst kommst du zu spät!« Aber die andere wehrt ab: »Bleibe stehen, sonst springt er ab!« Ich höre nach rechts und horche nach links, und dann sage ich: »Ich will es wagen!« Und schleiche bis zu der nächsten Fuhre und spähe und lausche.

Aber ich gewahre nichts und vernehme nichts und zürne mir selber, bis das Knicken und Poltern wieder beginnt; da wage ich mich einen Busch weiter, halte den Atem an und lasse die Augen verloren suchen, bis sie eine Wacholderspitze fassen, die ein klein wenig zittert. Jetzt schwankt sie wild hin und her, es rasselt und prasselt, es stöhnt und dröhnt, und jetzt zeigt sich ein roter Fleck, und darüber ein silberweißes Blitzen und Blenden. Das ist der Bock, aber er steht nicht frei; die hohe Heide deckt ihn und ein krauser Wacholder, »Warten, warten!« so flüstert es links von mir, und rechts: »Auf und an!« Und in mir singt es: »Auf und an, auf und an, spannt den Hahn, lustig ist der Jägersmann!«

Die Hand liebkost den Kolben, der Finger streichelt den Abzugsbügel. Vor mir ist freie Heide; fort kann er nicht, der Bock! Ich trete vor den Busch, gehe in die Knie, und den Kolben an der Backe, den Ellbogen auf dem Knie, den Finger am Bügel, warte ich, bis der Wacholder wieder hin und her geht, und dann lasse ich des Rotkehlchens Warnruf erschallen. Still steht der Strauch, und hinter ihm hervor, das Haupt hoch, rundumher äugend, tritt der Bock. Die hohe Heide deckt mich gut, aber der Bock steht schlecht, ich muß warten, bis er sich dreht. Steif steht er da, wie ein dürrer Wacholder, so rot; der dünne Ton hat ihm allen Übermut genommen. Wenn das Rotkehlchen warnt, darf der Bock nicht weiterfegen, denn die Luft ist dann nicht rein, und sicherer ist es dann in der Dickung.

Er wendet und äugt nach der Dickung hin; ich fasse Haar und lasse fliegen. Im roten Feuer sehe ich ihn eine hohe Flucht machen. Den habe ich! Er kann nicht weit; vor dem breiten Wacholderbusche brach er zusammen. Ich warte, ob er nicht doch den Kopf noch hebt, und gehe langsam, leise näher, immer näher, bis ich bei ihm stehe und sehe, daß er den Schuß nicht mehr vernommen hat. Als er die hohe Flucht machte, war sein Leben nicht mehr in ihm.

Und jetzt, wo er an der Fuhre hängt und die Heide unter ihm sich purpurn färbt, da ist mir, als hätte ich mich selber um viele reiche Tage bestohlen, an denen ich in Hoffnung und Enttäuschung noch weidwerken könnte den Bock in den Hungerbergen.


 << zurück weiter >>