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Vor Tau und Tag

Es ist nicht kalt, jedoch auch nicht warm, und obwohl es nicht hell ist, so ist es auch nicht dunkel.

Zur Linken über dem schwarzen Bollwerk des fernen Waldes steht die schmale Sichel des zunehmenden Mondes. Sie sieht aus, als habe sie keinen Zusammenhang mit dem Himmel. Rechter Hand über dem Bruche funkelt ein großer Stern. Auch er scheint dort nicht hinzugehören.

Ganz leise raschelt das dürre Gras hinter mir. Die Frösche murren dumpf, und bald hier, bald da ächzt die Mooreule. Ab und zu geht der durchdringende, verängstigte Wanderruf einer Rotdrossel über mich hin. Die Krickente lockt, dicht bei mir pfeift die Ralle, und laut plumpst und platscht es in dem Staugraben. Dann tritt etwas hinter mir in den Porstbüschen umher, und ein kurzes Husten wird hörbar.

Ich lehne mich bequem gegen die Rückwand des Schirmes, den ich mir aus Plaggen baute und mit Buschwerk verblendete, strecke die Beine von mir und sehe bald nach dem Monde, bald nach dem Sterne. Jedesmal wird der Mond dann dunkel und der Stern verschwindet auf eine Weile. Langsam dringt die Nässe des Bodens herauf und kältet mir die Füße, und die kühler werdende Luft läßt mich erschauern. Der Wind ist nach Osten umgeschlagen.

Die Wiese wird heller; es reift. Ich sehe einen Schatten vor mir herhuschen und höre das bereifte Gras knistern. Ein Hase wird es gewesen sein. Es rauscht hastig in der Luft und fällt mit dumpfem Schlage auf der Wiese ein. Das ist der erste Hahn. Ein halblautes Gackern in den Porstbüschen begrüßt ihn. Stockenten klingeln vorüber, aufgeregt quakend, wieder pfeift die Ralle, und die erste Bekassine lockt. Rundumher fallen die anderen ein, und auf einmal bebt die Luft von ihrem Gemecker.

Im Moore bläst ein Hahn und beginnt zu trommeln. Es rauscht über mich fort und plumpst vor mich hin, rauscht noch einmal und plumpst wieder und abermals und wiederum. Ich renke mir die Augen nach den Hähnen aus und weiß, daß ich sie doch nicht sehen kann. Jetzt bläst einer halbrechts von mir. Ein seltsamer Laut ist das, der mir die Haut warm macht. Unwillkürlich fahre ich mit der Hand nach dem Kolbenhalse und ziehe sie wieder zurück. Es ist noch viel zu dunkel.

Nun blasen zwei Hähne vor mir und ein dritter trommelt. Er muß ganz dicht bei mir sein, denn sonst würde sich sein Balzen lauter anhören. Ein dumpfes, hin und her taumelndes Gefuchtel ist über mir; das ist der Kiebitz. Jetzt ruft er; halb übermütig, halb wehleidig klingt es. Überall locken und meckern die Bekassinen. Eine Amsel beginnt zu pfeifen, noch eine, und die Singdrosseln fallen ein. Der Brachvogel flötet und steigert seinen Ruf zu einem gellenden, weinerlich verklingenden Getriller. Dieses Liebeslied ähnelt einer Totenklage.

Der Wind setzt stärker ein und raschelt lauter im Grase. Da hinten hellt sich der Himmel ein wenig auf. Alle die Hähne vor mir trommeln wie toll und blasen ab und zu dazwischen; weiterhin im Moore und auf den Wiesen kullert es ebenfalls und läuft mit dem Meckern der Bekassine in eine gespenstige Weise zusammen, vor der das Gepfeife der Drosseln und das Klagen der Kiebitze fast verschwinden.

Aus dem hellen Strich über dem Moore bricht eine rote Flamme hervor, von gellenden Trompetentönen begrüßt. Ein Trupp reisender Kraniche ist es, der im Bruche übernachtet hat. Es ist Tag geworden. Kalt ist die Luft, und Wiese und Bruch sind silbern vom Frühreif. Ich zähle vier Hähne vor mir, und höre noch vier balzen. Eine Krähe quarrt, der erste Fink schlägt, die Heidlerche dudelt. Die Mooreule ist verstummt und nur einige Bekassinen melden sich noch.

Das Getrommel der Hähne verstummt wie auf Verabredung. Alle sitzen da und machen lange Hälse. Die Frühbalz ist vorbei; gleich wird die Sonnenbalz einsetzen. Ein Junghahn beginnt schon wieder. Er reckt sich, bläst zweimal, flattert in die Luft und schüttelt sein Gefieder, daß es laut schallt. Dann kriecht er tief gebückt mit dick aufgeplustertem Halse dahin und kullert dumpf und anhaltend, sich immer näher an die Henne heranschiebend, die zwischen dem Grase umherpickt und dann und wann leise girrt. Die anderen Hähne fallen nun auch ein, bis auf den ganz alten dort unten, der mit hohem Kragen dasitzt und sich nicht rührt.

Ein scharfer Ruf kommt hinter mir her. Ein helles Weihenmännchen steigt hoch empor, schwebt einen Augenblick dort und wirft sich mit schrillem Gemecker bis dicht auf die goldglühenden Porstbüsche, um wieder emporzuschweben und abermals hinabzufallen. Unter wütendem Gekeife hassen zwei Kiebitze auf eine vorbeistreichende Krähe. Mit klirrendem Flügelschlage saust der Grünspecht vorüber, bleibt in der Birke hängen und jauchzt sein wildes Lachen über das Bruch.

Ich sehe den Kranichen nach, die über dem Moore schweben, sich zu einem Keile ordnen und nordostwärts ziehen, der Ralle, die niedrig, wie eine Ratte, durch das Gras huscht, dem Schmalreh, das aus dem Porst tritt und sich von der Sonne bescheinen läßt, und warte darauf, daß der alte Hahn mit den dicken Rosen und dem breiten Spiel sich näher heranbalzt. Ein Dompfaffenpaar fällt in dem lichterloh blühenden Saalweidenbaume ein, lockt zärtlich und fliegt weiter. Ein Pieper steigt mit blechernem Geschmetter auf, flattert ein Weilchen in der Luft umher und fällt wie kraftlos herunter. Überall läuten die Meisen, lustig singt der Weidenzeisig und wehmütig das Laubvögelchen.

Der alte Hahn balzt unentwegt auf demselben Flecke; ein Porstbusch deckt ihn fast ganz. Die übrigen Hähne sind bis auf den Junghahn mit dem kurzen Spiel abgestrichen. Auch dieser nimmt sich jetzt auf und stiebt von dannen. Bald wird es mit der Balz aus sein. Die Sonne steht schon blank am Himmel und scheint so sehr, daß ich mich nicht rühren darf, denn sonst blendet mein Gesicht zu stark aus dem Schirm heraus. Der Hahn verschweigt. Er pflückt an seinem Gefieder herum und pickt etwas von dem Boden auf. Dann sitzt er da wie ein Klotz und rührt sich nicht. Jetzt, da er den Kopf nach dem Altreh wendet, das über die Wiese zieht, hebe ich den Drilling von den Knien, blase laut und trommele leise. Sofort macht er einen langen Hals und antwortet. Ich reize wieder und lauter und immer lauter. Er äugt hin und her, zischt wütend und kommt trommelnd hinter dem Porstbusche her.

Der lohnt sich. Die roten Rosen sind fingerdick, der Rücken ist blank wie Stahl und das Spiel ist fast zum vollen Kreise gebogen. Hinter mir gackert eine Henne. Immer näher trippelt der Hahn, dumpf trommelnd und hell blasend. Und nun, wo er fast in Schußnähe ist, fängt die Waffe in meinen Händen zu schwanken an, obgleich ich mir einreden wollte, die Jagd aus dem Schirme reize mich nicht mehr. Noch einige Gänge lasse ich ihn herankommen; dann backe ich langsam an und drücke. Mit zwei hohen Fluchten setzen die Rehe in den Porst, hinter mir streichen laut gackernd die Hennen ab und mit schneidendem Schrei taumelt ein Kiebitz vorüber. Der Hahn liegt auf dem Rücken. Drei weiße Federn ziehen mit dem Pulverrauch in die Büsche.

Ich stehe auf, ziehe den Mantel aus, recke und strecke mich und nehme den Hahn auf. Er ist sehr alt; die Sicheln sind lang und breit, aber zerschlissen und abgestoßen. Er hat sein Teil vom Leben gehabt und starb den besten Tod.


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