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Vor der Wildwiese

Vier Wochen sind es her, da saß ich vor der Wildwiese und sah mir das Damwild an, das in dem langen herbstlichgelben Grase sich äste.

Friedlich und verträglich waren sie alle, der starke äste sich neben dem kapitalen, der angehende stand bei dem starken Schaufler, selbst die Schmalspießer bewegten sich sorglos und sicher.

Heute bin ich wieder im Tiergarten. Aber auf der Wildwiese ist es leer, kein Stück steht da, nur ein Bussard kreist über der fahlen Wiese und die Markwarte streichen warnend von einem Tannenhorst zum andern.

Ich will schon weitergehen, da sehe ich einen schwarzen Fleck in den hohen Schmeelen, der sich in unregelmäßiger Bewegung vorwärts schiebt. Ein angehender Schaufler ist es. Er äst sich unruhig, verhofft alle naselang, und sichert manchmal eine ganze Weile.

Ganz hinten vom Fang her klingt ein seltsamer Schrei, ein röchelnder, wütender, böser Ruf. Der Schneider vor mir wirft auf, tritt hin und her, und zieht dann der Fichtendickung zu, so schnell es ihm die lahme linke Keule erlaubt.

Der Schrei vom Fang her und die lahme Keule, sie sagen mir, daß es aus sei mit der Friedlichkeit und Verträglichkeit im Tiergarten. Jetzt setzt es Schaufelhiebe und Kampfsprossenstöße, daß es kracht und klappert, daß Haare und Deckenfetzen fliegen. Die Brunft ist im Gange.

Die breite Schneise gehe ich entlang, der Richtung zu, von der der Brunftschrei kam. Ab und zu bleibe ich stehen und horche. Goldhähnchen piepsen, Meisen zetern, eine Krähe quarrt, der Turmfalke ruft. Und dann kommt der röchelnde Kampfruf näher.

Unter den hohen Buchen, da, wo das Fallaub in der Sonne wie rotes Gold zwischen den dunklen Stämmen leuchtet, sind große schwarze Flecke in Bewegung. Damwild nimmt da Mast auf. Ein ganzes Rudel ist es. Aber die alte Verträglichkeit ist nicht darin. Die Kälber stehen allein, ihre Mütter schlugen sie ab, sie sind ihnen lästig. Die Schneider halten sich abseits von den Schauflern, sie haben mehr als einmal eins in die Rippen gekriegt und nun übergenug davon. Der Hauptschaufler aber äugt stolz umher und schreit ab und zu.

Von links, wo die Kastanien in der Sonne gelbrot brennen, taucht in goldenem Halmgewirre ein schwarzer Fleck auf und zieht näher. Über dem glitzert etwas Breites, Gespreiztes, Zackiges in der Sonne, das sich hebt und senkt. Und dann kommt von dem Fleck ein Schrei, ein frecher, herausfordernder Ruf.

Der Schaufler vor mir wirft auf und sichert nach dem Gegner. Würdig und besonnen zieht er ihm näher, unterwegs aber besinnt er sich und äst sich an dem Grasfleck am Wege. Der andere kommt näher und näher, sein Kampfruf klingt immer böser, aber wie er ganz dicht heran ist, da senkt auch er das Haupt und äst sich an den Bucheckern. Ich glaube, die Brunft ist doch noch nicht ordentlich im Gange.

Ich warte und warte, aber es kommt nicht zum Kampf. So bummele ich im Bogen nach dem Fang und von da an dem Gatter entlang. Dicht vor mir wird hinter einer in blankem Messing prangenden Hainbuche ein Schaufler hoch. Mühsam hinkt er weiter. Das ist der zweite lahme Kämpe heute. Die Brunft ist doch schon im Gange.

Ein Brechen und Prasseln ist vor mir. Ich schlage einen Bogen und stehe dem Weymouthskiefernhorst gegenüber. An dessen Kante schlägt ein Hauptschaufler. Knörend und schreiend zieht er vor der Dickung hin und her, wirft den gelben Sand mit den Schalen und Schaufeln in die Luft als goldenen Regen, stellt sich auf die Hinterläufe und schlägt mit den Schaufeln in das blaugrüne Geäst, daß grüne Brüche herumfliegen.

Er hat schön da gewirtschaftet. Drei, vier Stämme, seine Schlagbäume, zeigen den rotgelben Bast und den weißen Splint. Immer wieder schlägt er ihnen die Schaufeln in die Rinde, stellt sich hoch und bearbeitet die Zweige. Einem Schmalspießer kommt das Benehmen des alten Herrn ulkig vor und mit neugierigem Jungensgesicht zieht er an ihn heran. Im nächsten Augenblick ist er wieder in der Dickung; er hat eins auf den Ziemer gekriegt, daß es nur so brummte.

Ich will warten bis zur Ulenflucht. Dann kommt noch mehr Leben in die Sache. Ich gehe über das gelbe Parkett von dürren Kastanienblättern, über den fahlen, sparsam mit Hahnenfuß und Maßliebchen gestickten Rasenteppich, sehe dem Grünspecht zu, der an der silberblättrigen Riesenweide zimmert, dem Zaunkönig, der aus den Brennesseln mich ausschimpft, mache ein paar Kuhtauben hoch, die im Fallaub Buch aufnahmen, lächle über ein Damwildkalb, das wie ungesund hin und her flüchtet, über ein Eichhörnchen, das mich vom sicheren Ast herab anschnauzt, und freue mich über das Rot und Gelb und Braun des Waldes.

Es ist so warm heute, daß ich auf der Veranda vespern kann. Die Luft ist dick und hüllt alles in blaugrauen Duft, eine leichtsinnige Fastnachtsstimmung liegt über dem Walde. Das Bild stimmt, Waldkarneval ist noch heute. Jeder Baum ist vermummt, hat sich in die buntesten Lappen gehüllt. Die stolzen Buchen haben ein rotes Debardeurkostüm an, die Kastanie schäkert in einem rotgelben Domino, selbst die ernsten Eichen haben sich allerlei bunte Flitter angehängt. Warum auch nicht? Was kann das schlechte Leben helfen? Morgen ist Aschermittwoch, dann ist der bunte Spaß vorbei.

Das Graublau der Luft wird grau, die bunten Farben der Bäume erlöschen. Die Ulenflucht kommt heran. Ich gehe dem Fange zu. Da schreit immer noch der Platzschaufler. Vorsichtig schiebe ich mich näher und bleibe in guter Deckung stehen. Rechts von mir mahnt ein Damtier mit hoher Fistelstimme. Noch mehr rechts schreit ein zweiter Hirsch, erst ganz weit, dann nicht mehr so weit, jetzt näher, jetzt ganz nahe.

Es ist ziemlich schummrig schon. Fahl ist das hohe Gras, das vorhin so goldig war, gespenstisch sehen die welken Bäume aus, die vor zwei Stunden mit frohen Farben prahlten. In den Fichten ruft der Waldkauz, eine verspätete Krähe quarrt hoch über mir, die kleinen Vögel schlafen längst alle.

Ein röchelnder Schrei ertönt links von mir. Ihm antwortet rechts ein anderer. Von links ertönt er wieder, aber näher, von rechts auch, und auch näher. So kommen sich die röchelnden Laute entgegen.

Zwei schwarze Schatten stehen sich jetzt gegenüber. Einmal noch will ein Kampfruf ertönen, aber er bricht kurz ab und endigt in einem Knallen und Prasseln. Dann ist es ganz still. Und dann knallt und prasselt es wieder und wiederholt sich. Dann folgt ein Poltern, ein kurzer Knall, ein Knirschen wird hörbar, ein Rauschen im Laube, und wie ich leise vorwärts pirsche, sehe ich die Kämpen, eine lange dunkle Masse, sich hin und her schieben. Keuchen, Stöhnen, Schnauben, Ächzen begleitet den Kampf. Weiße Atemwolken fegen aus dem schwarzen Klumpen, fahle Blätter wirbeln umher.

Mit einem Schlage löst sich der Klumpen in zweie auf, der eine flüchtet keuchend an mir vorüber, hinterher der andere. Und dann folgt ein dumpfer Ton, als schlüge man mit einem Knüppel auf einen Mehlsack, und noch einer, und dann noch einmal ein Knallen und Prasseln, und wieder der grausame, dumpfe, häßliche Laut, und jetzt poltert der abgekämpfte Schaufler an mir vorbei.

Vor mir aber der andere Schaufler zieht laut schnaufend die Luft ein und schreit seinen Sieg stolz durch den dämmernden Wald. Ein zärtlicher, hingebender, verlangender Ruf antwortet ihm, dem zieht er entgegen, den schwer erkämpften Lohn sich zu holen.

Aber die Nacht ist noch lang, wer weiß, was sie bringt. Hinten, im hohen Ort, meldet sich schon wieder ein Nebenbuhler. Sein Schrei klingt tief und drohend und kommt näher.

Der Schwarze vor mir ist jetzt noch Sieger. Sein Nebenbuhler sitzt im Wundbett und kühlt die zerfetzten Keulen. Sein Besieger aber liegt morgen früh vielleicht steif und kalt auf sonnenbeleuchtetem Fallaub mit weit vorgequollenen gebrochenen Lichtern, und zwischen ihnen ist ein rundes Loch. Da traf ihn der Gegner.

Und der pflückt jetzt die Rosen im herbstlichen Wald.


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