Meinrad Lienert
Der doppelte Matthias und seine Töchter / 1
Meinrad Lienert

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Der kleine Hirte hatte ihn lautlos, ernsthaft, aber dabei über irgend etwas anderes nachdenkend, angesehen und zu seinen Worten wiederholt beifällig genickt. Aber als er jetzt antworten wollte, ging die Türe und die Mager trat, völlig verändert in ihrem Aufrust, in die Stube. Sie hatte sich so ländlichschön als möglich gemacht. Ihre Hemdärmel waren weiß wie Schnee und ihr sonst so trocken scheinendes Gesicht glänzte, als ob sie's hätte wichsen lassen. Aber die schweren Zöpfe um ihren Kopf waren wie ein dreifacher Heiligenschein im Lampenlichte anzusehen, nur viel irdischer. An den kleinen Ohren hatte sie ansehnliche goldene Ringe hängen, die nun nie recht zur Ruhe kommen wollten.

»Ja,« sagte der Martschen Kari Fuchs, »wie siehst denn du auf einmal aus, Mager? Man kennt dich ja rein nicht mehr. Hast dich völlig tausendwöchig drillen lassen. Willst etwa auch mit uns zu Tal und gar nach Kilchaltdorf in den Bären zum Tanz?«

»Allweg nicht mit dir,« machte trocken, aber freundlich die Mager, »denn soviel ich weiß, hast du schon eine. Geh du nur heimzu und hol' die von ihren zwei Kleinen weg. Sie ist dir's keinenfalls ab.«

Der Kari lachte. Der Bäcker Burket aber mußte nur so Augen auf dieses lange Geschöpf machen, das da gebückt in der Stube stand und das ihm jetzt ganz hübsch vorkam.

»Macht, macht,« eiferte der Alte, »so kommen wir einmal fort.«

Der Kantonsrat erhob sich, seine Kaffeekachel im Stehen völlig austrinkend.

»Wir wollen trachten zu Tal zu kommen,« redete der Stump weiter, »denn wenn wir so säumen und noch dazu lang Kalender machen, so könnte es wohl sein, daß ich erst am Morgen zum Kehraus nach Kilchaltdorf käme. Hin aber will ich, ob's stiebt oder hagelt. Wohin mein Kopf einmal will, dahin kommt er auch. Und nun, Burket, Bäcker, wie ist's jetzt, willst mitkommen oder willst nicht?«

»Nein,« gab der Bäcker herum, »ich hab's ja schon gesagt, mit euch zweien gehe ich auf keinen Fall.« Und die Mager geradewegs ansehend, setzte er bei: »Eine Weile kann ich ja noch da vor dem Ofen bleiben. Vielleicht hat deine Tochter Hagar noch eine Extraherzstärkung für mich im Speisgänterlein oder im Büfett. Ich könnte sie just jetzt brauchen.« Er hatte ein verstaubtes Lächeln, wie eine Stube, in die ein Sonnenblick schief hineinzielt. »Danach,« machte er, ernster werdend, »lasse ich mich auf Erlenstalden hinunter und übernachte im Hirschen.«

»So pressieren wird's allweg nicht,« meinte jetzt die Mager, »der Meister Bäcker soll nur ruhig hier bleiben, solange es ihn gut annimmt.«

»Ja,« meinte der alte Stump, »langweile ihn nur nicht mit deinen Heiligenlegenden. Wenn du ihn durchaus etwas Geistiges, sagt der Erlenstalder Sigrist, lehren willst, so liegt ja mein Altes Testament mit den rotlachten Bildern dort auf der Kommode. Da geht's etwa streckenweise kurzweiliger zu als in deinen Legenden. Sing ihm aber lieber etwas vor, denn das kannst du.«

»Vater,« beschied die Lange kurzangebunden, »Ihr braucht mich jedenfalls nicht mehr zu christenlehren. Ich weiß schon selber wie man die Wolle kartet.«

»So ist's recht,« sagte schmunzelnd der Hirte. »Wie täte jetzt die Reb ausrufen: der Stump, der Stump, der Stump!«

»Also schlaf wohl, Bäckermeister,« rief der Kari Fuchs aus dem Obereigen aus, »und schau', daß du dich an der langen Jungfer da nicht zu stark verkühlst.«

»Du mußt mir keine Hitzen borgen, Martschen Kari; heiz' du deinen Ofen!« trumpfte ihn die Mager ab.

Der kantonsrätliche Hirte lachte eins heraus, aber der Stump nahm seinen langen Stock vom Uhrgehäuse weg und gebot: »Fort jetzt, Kari, wir wollen abtanzen, wir haben uns schon zu lange versäumt.«

Wie sie aber mit ihrem schweren Schuhwerk auf die Türe zuknebelten, rief ihnen der Bäcker zu: »Stump, das sage ich dir, Roß und Wagen hoffe ich dann jedenfalls morgen bei mir daheim anzutreffen, sonst könnte es einen gesalzenen Spaß für diese und jene geben, denn der Bäcker Burket ist auch nicht von Lehm und läßt sich also nicht gern zu einem Pfingstenkuckuck oder sonst einem Kinderspielzeug auskneten. 's ist nur, daß du's weißt.«

»Gut,« machte der Stump, den Stagelrainer hinauslassend und sich in der Türe halbwegs wendend, »hab' nur keinen Kummer, du sollst zu allem und jedem kommen was dir gehört, Bäcker, das sag' ich, der Matthathias Stump.«

Also nahm er die Türe zu und folgte dem andern übers krachende Stiegenbrücklein in die stille Winternacht, auf die tiefverschneiten Weiden hinaus, fast feierlich wie ein Erzbischof, seinen langen Stecken ansetzend und sich, wie verwundert, weltum schauend. Aber mit einemmal schüttelte er das Haupt und machte sich alsdann fast eilig mit seinem Begleiter weidab.

In der behaglich durchwärmten Rucheggstube aber hatte sich der Bäckermeister Burket näher zum Ofen gemacht, während die Mager dem Vater und dem Gast bis aufs Bödelein der Stiege hinaus nachgegangen war.

Und als sie nun wieder hereinkam, schaute er mit recht verdrossenen, düstern Augen zu ihr auf. Und siehe, da begann der ganze Knäuel seiner schmerzlichen Gedanken, wie ein Schlangenkönig, auseinanderzurascheln, denn nicht ohne ein stilles Vergnügen und eine daraus hervorgehende Beruhigung sah er zu, wie die hochgewachsene Hagar, des doppelten Matthias Zweitälteste, die aufgequollenen Fastnachtsküchlein und die braunen köstlich duftenden Kräpflein, die er als Überraschung fürs Röllchen in den Ausguck des Stiegenbrückleins gelegt hatte, in ihrer Schürze hereintrug, aus dem weißen Bündel auspackte und sie alsdann vor ihm in einem großen, roten Becken aufbaute. »So,« sagte sie, die hellbraunen Augen zutunlich, ja warm, über ihn gehen lassend, »nun wollen wir auch ein Zeitchen Fastnacht zusammen haben und es uns behaglich machen.«

Zu mehrerer Bekräftigung brachte sie danach auch gleich vom Büfett her einen schönen, hellroten Rossolibranntwein, der seit dem heiligen Abend zu Weihnachten nicht mehr war angerührt worden, auf den Tisch. Und sich auf eine Stabelle, nicht zu weit vom Bäcker, hockend und ihm und sich zwei kleine grünliche Gläser vollschenkend, sagte sie: »Gesundheit, Meister!«

Also stießen sie miteinander an, daß es einen gar guten Klang gab. Und als ihm die süße Tranksame, die ihm aber wie ein Habicht ihre scharfen Krallen ins Blut hieb, so reichlich zu fließen begann, schien er sich allmählich immer mehr von seiner drückenden Verärgerung zu erholen. Stirne und Augen entwölkten sich und nicht lange dauerte es, so kam seine Stabelle ein wenig ins Wandern, was sie freilich nicht ganz unbemerkt tun konnte, denn sie hatte vier Beine, und zwar hölzerne, klapperdürre.

An dieser Wiedererweckung seiner gedrückten Lebensgeister war aber der übersüße Rossoliwein nicht allein schuld. Die Mager förderte sie durch ihre so ungewohnte, überraschende Liebenswürdigkeit noch weit mehr. Sie, die sonst alleweil ein Gesicht machte wie ein ausgetrocknetes Bachbett und die außer beim Essen und Beten und Gähnen den Mund kaum auftat, hatte nun ein fortwährendes Lächeln in den Augen, das so neu und unberührt aussah, als ob sie's seit ihrer Geburt immer irgendwie vorsorglich verwahrt gehalten hätte und es jetzt eben ein erstesmal trüge, um damit den Bäcker aus dem Kilchaltdorfer Unterdorf zu beglücken. Und dazu kam sie ins Reden und wenn's auch nicht so geschäftig und klappernd herging wie bei dem Mühlchen vor der Heimkapelle des St. Wendel, so hatten doch ihre Worte einen festen und aber angenehm eingehenden Schritt.

Gar wohl tat es dem immer näher rückenden Bäckermeister zu hören, wie die Mager über die Leichtfertigkeit ihrer jüngsten Schwester herzog, wie sie ihn zu trösten und ihm klarzumachen suchte, daß er eigentlich durch den Streich der für ihn doch Allzujungen vielleicht vor spätern, viel schlimmern Erfahrungen gnädig bewahrt worden sei, und wie's ihm mit diesem zwar gutherzigen, aber bubensüchtigen Röllchen, das sich eben schon einen von Kindsbeinen an gemerkt habe, heillos hätte fehlen können, und wie sie ihn schon lange bedauert habe, denn das Spiel der beiden sei ihr keineswegs verborgen geblieben. Sie habe aber über sie gewacht, sei ihnen überall in den Weg gestanden und ihnen so unbequem als menschenmöglich geworden. Also nur habe sie's einzurichten gewußt, daß sie sich nie zu nahe kommen konnten. Sie habe das alles, neben der Sorge um ihre übermütige Schwester, seinetwegen getan, auf daß er wenigstens bis zur Hochzeit nicht völlig hintergangen werde. Aber für nachher, das werde er jetzt auch verstehen, hätte sie ihre blutjunge, meisterlosige Schwester keiner Brandschadenversicherung herzhaft empfehlen können. Wenn eben so ein Röllchen einmal irgendeinen Bändichtli oder sonst einen Übermut mit einem Heiligen-Namen im Kopf habe, so bringe ihn keine Zange mehr heraus. Nun sei's aber ja, sie sage getrost für ihn gottlob! noch beizeiten gut abgelaufen. Statt daß er ein Fähnchen aufs Hausdach bekommen hätte, das aus dem Flattern kaum mehr herausgekommen wäre, sei er nun wieder völlig sein Eigener und habe freie Weide. »Was hättet Ihr denn am Röllchen gehabt, Burket?« sagte sie. »Ihr hättet ja doch nichts mit ihr reden können. So ein Hupfauf, so ein Gummiball versteht vom Ernst des Lebens ja noch keinen Pfifferling. Sie hat wohl ihren Liebsten vor Augen, aber daneben ist ihr ihr Schuh, ja der Nestel dran wichtiger als das was sie ihm als Mittagessen auf den Tisch stellt. Keinen Hochschein hat so ein Springding davon, wie sich die rechte, wahre Liebe füreinander aufopfern muß, wie eine Frau ihrem Mann alles und eins sein muß und wie sie ihm das Aufstehen leicht und den Feierabend wohlbekömmlich machen soll. Dieses junge Gagelzeug in seiner ersten Närrsche hat eben nur die Kirchweih im Kopf und ist dem harten Leben gegenüber wie ein junges Geißlein, das sorglos den Zickleinmetzger, der schon das Messer wetzt, umhüpft. Ich hab's schon oft gesagt und sag's heute wieder,« redete sie, ihm sein Gläschen mit dem schönen Rossoli frisch anfüllend und ihren dreifachen Kranz binsenroter Haare dicht an seiner schon ein wenig schlaffen Wange vorbeiführend, »wenn ich meinerseits ans Heiraten denken wollte, müßte es niemand anders sein, als ein bestandener, vernünftiger Mann, der anfangs weiß, wie man ein Ding angreift und der einem treu bleibt und das auch schätzt, was man ihm alles von Herzen gern tut. Ja, so einen, glaube ich, könnte ich dann noch gehörig liebhaben, und zu so einem würde ich getrost sagen, was der Vater uns da letzthin aus dem Alten Testament von jener Ruth, die dem alten Boz die Ähren auf dem Feld aufgesammelt hat, vorgelesen hat: Wo du hingehst, da gehe auch ich hin und dein Gott ist mein Gott! Und was es da alles noch geheißen hat. Ja, zu einem solchen Mann könnte ich das sagen und einem solchen wollte ich auch nachfolgen, selbst wenn ich ihm alle Tage ein paar Stunden barfuß durch die Brennesseln nachwaten müßte.«

Kurzum, die Mager sprach wie ein Buch und dazu wie ein unterhaltsames Buch, das man mehr als einmal lesen kann. Der Bäcker mußte nur so zuhören. Erst hatte er sich gesagt: Ja, ist das nun diese lange, trockene Mager, die sonst ein Gesicht macht streng wie eine Verbottafel und langweiliger als ein Bahnhofwartsaal 3. Klasse und die ihre Worte so ängstlich spart, wie eine geizige Hausfrau die Kaffeebohnen. Aber je mehr er, und nicht nur wie beim Arzt alle Halbstunden einen Löffel voll, von der roten, eindringlichen Tranksame einnahm und je zutraulicher sich das lange Mädchen machte, mit seiner Haarwelle auf dem Kopf, die einem das Kopfkissen hätte ausfüllen und lind werden lassen können, desto mehr wuchs das Wohlbehagen des Bäckers an.

Also kam er nach und nach in eine leibliche und seelische Berauschtheit und beglückende Betäubung hinein, daß er den Streich, den man ihm gespielt hatte, samt Röllchen, Roß und Wagen vergaß und nur mehr die schlanke Hagar anzusehen vermochte und den Übersegen ihrer Haare, mit dem man das felsenharte Angesicht einer Fluh hätte verhängen und verschönern können. Nein, diese Haare! Wie ein Hochmoor voll roter Binsen waren sie anzusehen. Zu gern hätte er sie auflösen und drin nisten mögen. Und was die Mager für Augen zeigen konnte! Jetzt begriff er, daß ihr Mund so wenig sprach. Diese Augen machten ihn völlig unnötig. Wie kam es, daß ihm das alles so lange Zeit hindurch entgangen war? Wie hatte er nur, in seinem Schwarm für jenes zerbrechliche Spielzeug, fürs Röllchen, ihre hochgewachsene Schwester übersehen können! Ja, die war freilich auch ein Spielzeug. aber ein ganz anderes, eines wie die Riesentochter im Märlein. Wie mußte die seiner Bäckerei gut anstehen! Wahrhaftig, die Fremden, die nach Kilchaltdorf kamen und die seine einfache Auslage so wenig beachteten, würden sich diese lange Bergbauerntochter und das rotbraune Wunder ihrer Haare gewiß alle ansehen wollen. Nein, wo hatte er bisher nur seine Augen? So einen Schatz zu übersehen! Aber natürlich, sie war ja immer so totenstill gewesen und ihre Augen sahen immer so aus, als ob sie selbe in irgendeiner Heiligenlegende drin hätte. Aha, oho, die stillen Wasser! Da konnte man's ja wieder sehen. Nun, wenn er sie einmal zu Haus hatte, wollte er den Deckel schon von diesem verschlossenen Brunnen abheben und ihre Haare sollten über ihn hereinfallen wie eine Heufuhre.

Zu diesem allem schien nun der Bäcker auf guten Wegen, denn er hatte Hagars Hand schon lange und fest in der seinen und seine etwas langsamer, verschleierter gewordenen Augen hingen sich an ihren Hals und wollten, so wenig wie Blutegel, davon lassen.

So kam's denn, daß die Mager, die den Weg ins große Dorf nie aus dem Sinn verloren hatte, sondern ihn, gegenteils, zähwillig verfolgte, es hinterm Ofen schon eine ausgiebige Strecke vorwärts gebracht hatte. Trotz allem heimlichen Trachten und Mühen wollte es ihr ein halbes Jahrzehnt lang gar nicht geraten, dem ersehnten Dorf auch nur um einen Fröschesprung näher zu kommen und nun war sie heute, in einer gutbenutzten Stunde, flugs bis hart vor Kilchaltdorfs Kirchturm, ja, bis fast und gar in des Bäckers Burket Backstube und Brotladen, in dem's so allerlei Leckereien gab, hineingekommen.

Und als sie nun auch noch von ihrem uralten und umfänglichen Wald am Rucheggflüehli zu reden anhob, von dem sie ja wisse, daß er ihn fürs Leben gern hätte, verlor er den Kompaß völlig und ward so gründlich von den ruhigen, tiefgängigen Reden und so manches versprechenden Augen des sich an ihn schmiegenden Mädchens eingebeizt, daß man ihn getrost in eine kühle Kammer zum Lagern und Vergären hätte bringen dürfen. So bekannte er denn auch, daß er den Wald schon lange gern gehabt hätte, und er vertraute ihr an, es sei ihm heillos dran gelegen, daß ihm da kein anderer und gar dieser Melchternschädel aus dem Obereigen, mit seiner Säge, ins Gehege komme. Gerade jetzt wäre Bauholz so unverschämt und gottlos begehrt und daher hoch im Preis wie noch nie.

Sie aber versprach dem Bäcker, mit dem Vater zu reden, und zwar zünftig, denn sie verstehe ihn fast so gut zu nehmen und dahin zu bringen, wo sie ihn haben wolle, ohne daß er's merke, wie einst und etwa im Viehhandel immer noch, ihre gescheite Schwester Judith auf Hochsiten. Er solle sie nur machen lassen. Wenn er das rechte Vertrauen in jeder Beziehung zu ihr habe, so könne es ihm mit den schönen Tannen am Rucheggflüehli nicht fehlen.

Also hatte es ihn bald völlig und ganz, wozu der warmfarbige Rossoliwein, der in der Krausle immer geringer und in ihm immer mächtiger ward, das seine redlich beitrug. Er sah nur noch die verwandelte Mager, die ihm alleweil schöner und anmächeliger vorkam. Er brachte es gar nicht mehr zu ihren hellbraunen Augen hinauf, die jetzt warm wie ein getäfeltes, heimeliges Kämmerlein um ihn waren. Vergessen war das Röllchen samt seinen himmelblauen Augen, vergessen wie ein weggeworfener Zigarrenstummel.

Man weiß nicht recht wie's gekommen ist, ob der heilige Wendel im Heimkapellchen, der nunmehrige Schutzpatron der Ruchegg, den die fromme Tochter Stumps in ihren Nöten anrief, vielleicht doch auch, als einstiger schöner Schäfer im Griechenland diese Nöte wohl ermessend, mithalf, kurzum, auf einmal hatte der Bäcker Burket die Lange im Ofenwinkel auf dem untersten Stiegentritt und auf den Knien und sie hing ihm am Hals und streichelte ihm mit ihrer im bäuerlichen Betrieb möglichst geschonten Hand die ergrauende Schläfe.

Gar lauschig war's hinterm Ofen. Und der Bäcker, dessen Sinne die so rasch aufgehende Liebe und der Feuerwein völlig in Auflösung gebracht hatten, während sie seine Zunge lähmten, gab alle weitere Aussprache auf. Die Mager aber fand eine solche sowieso überflüssig. So kam's denn, daß die große Wanduhr ob ihrem Gehäuse allein das Wort hatte. Mit ruhigen Schritten konnte man sie die hohe Zeit dieser spätsommerlichen Liebe ausmessen hören.

Und als nun des Bäckermeisters graue Schläfen immer mehr sich herabließen und er friedlich und seligen Antlitzes einnickte, behielt ihn die Mager erst eine Weile still wie verholzt in den Armen und erschien nichts an ihr lebendig als die hellbraunen Augen. Alsdann erhob sie sich mit ihm und trug ihn hinterm Ofen hinauf, bedächtig und nicht ohne Mühe, in die Elternkammer, wo sie ihn sänftiglich neben ihres Vaters Bett auf den Laubsack ihrer Mutter selig hinlegte.

Danach stieg sie wieder in die Stube hinunter, wo sie sich vor dem Ofen niederließ, nachdem sie ihr Legendenbuch vor sich aufgeschlagen hatte. Seelenruhig begann sie darin zu lesen. Sie wollte wach und in der Stube bleiben bis zur Heimkehr ihrer Leute. Niemand sollte sagen können, man hätte sie schlafend gefunden, muttergottseelenallein mit einem Witwer auf Freiersfüßen.

Ja, Freier. Ihr Angesicht war jetzt im schwachen Lampenschein wirklich fast schön und neu erblüht und in ihren Augen schien etwas wie ein Sonnwendfeuer auf hohem Gipfel aufzugehen. Sie blickte wohl ins Buch, aber immer auf die gleiche Seite. Keinen Buchstaben sah sie, obwohl es ja von ihnen wimmelte. Ihre Augen, ihre Gedanken weilten beim schlafenden Bäcker, und sie war gewiß, daß sie nun sogar seine Träume nach ihrem Wunsch und Willen zu leiten vermöge.

Doch nein, das hatte sie jetzt nicht mehr notwendig. Sie trug ja schon seinen Ehering, deren er zwei besaß und deren einen er ihr selber an den Finger getan hatte. Immer wieder schaute sie ihn lächelnd an. Das große Dorf, die Backstube und die Kirche vor der Türe waren ihr sicher.

Unterdessen waren das Röllchen und der Bändichtli auf dem leichten Gatterschlitten des Bäckers, mit dem wacker ausrückenden Roß, glücklich nach Erlenstalden und dann nach Kilchaltdorf ins Unterdorf gekommen. Dort ließen sie das Gefährt einfach stehen, indem sie's an einen Ring in der Mauer festbanden. Danach verzogen sie sich, Hand in Hand, ins Oberdorf, in die Wirtschaft zum schwarzen Bären. Nicht ohne Herzklopfen machten sie sich in die räumliche, wohlerhellte Wirtsstube, in deren angebautem Sälchen man tanzte, hinein.

Aber ihre Hemmungen und Beklemmungen verschwanden bald, als sie sich von ihrer nächsten Verwandtschaft, die da gut vertreten war, mit Freude und Hallo empfangen sahen. Um die Augen der erstaunten Erlenstalder Kilchaltdorfer und der Enden kümmerten sie sich nicht viel.

Sie brauchten auch keine langen Berichte und Ausreden zu machen, denn die Judith, die mit dem Röllchen die ganze Geschichte bei ihrem letzten Besuch auf Hochsiten einfädelte, hatte der ganzen versammelten Freundschaft von dem Streich, der da dem alternden Bäcker gespielt werden sollte, leise Kunde gegeben. »Der Bäcker Burket ist gewiß, auf Ehr' und Seligkeit, ein rechter, grundbraver und wie's scheint, auch noch ein durch und durch gesunder Mann,« hatte sie zum Schluß gesagt, »da er sich noch mit einer zweiten Frau auf den Weg machen möchte. Ehr' und Respekt vor ihm! Gleichwohl hätte er nicht grad eine unter den allerjüngsten Weibern auslesen sollen und dazu gar noch eine, die schon einen hat, der ganz anders gut zu ihr paßt.«

So mußten sie denn aus all den Gläsern der Verwandtschaft um den Tisch Bescheid trinken, sogar vom andern Tisch trank man ihnen zu und vor allem war es das Jungvolk, welches vom Tanzboden hereinströmte, das sie von Herzen und mit allseitiger Zutunlichkeit bewillkommnete.

Selbst der Spielaumichel, der Dolmetscher und Marktläufer, der immer vertrunkener, ausgemergelter aussah und von dem das bresthafte Gewand herabhing wie von einer Vogelscheuche, trat auf sie zu und verlangte durchaus, daß das Röllchen Bescheid aus seinem Glas trinke. Das zwar lehnte sie ab, doch stieß sie mit ihm an und ließ ihn so tief in ihre blauen Augen hineinsehen, daß es ihn fast übernahm, denn es war ihm für einen Augenblick, er liege wieder als kleiner Geißbub hochoben auf dem Berggrat in den Alpenrosenbüscheln und schaue wunschlos, glückselig in den knisterndblauen Föhnhimmel hinein. Aber das verging ihm gleich wieder. Er lachte ziemlich dreckig auf und sagte halblaut zum Bändichtli: »Ja, ja Bursche, das glaube ich, so wollte ich auch auf die Ruchegg Blumen suchen gehen, wenn ich einen solchen Strauß davon zu finden und zu binden wüßte. Gib jetzt nur ja gut acht, daß du ihn nicht wieder hergeben mußt, denn, was gilt's? der Alte, der da auf seinem rauhen, waldigen Höcker oben mit dem St. Wendel den Garten ums Heimkapellchen in der Mulde hütet, läßt dir seine wilden Rosen nicht so wohlfeil. Was meinst?«

Der Tschuppmoosbattisten Bändichtli meinte nicht grad viel. Er sah den Spielaumichel nur flüchtig, warnend an, mit einem Blick, der da sagte: Was nicht in den Augen liegt, kann in der Faust sein. Aber gleich hatte er wieder ganz andere Augen, alle seine Sinne machten sich zu Röllchen, wie die honigvollen Bienen in ihr Haus und Heim. Aber aus all seiner Wonne sah ihn dann immer wieder das wie aus den Felsen der Heimat herausgemeißelte Angesicht des alten Stump mit Adlerblicken dräuend an, so daß er zu einer vollkommenen Seligkeit nicht zu gelangen vermochte. Irgendwie gab es da doch wohl für ihn und seinen herztausigen Schatz noch ein Fegfeuer durchzumachen, bevor sich ihnen der Himmel völlig auftat.

Zwar das Röllchen, das ihn schon ein paarmal in den Tanzplatz hinaus geradezu gezogen hatte, denn die Augen ringsum machten ihn immer scheuer, schien sich nicht besonders um das Künftige zu bekümmern. Sie lachte und gab sich völlig aufgeräumt. Jedoch, wenn er so in ihre Augen hineinblickte und das tat er fast immer, so war's ihm doch, es sei dort irgendwie im Blauen unruhig, es wetterleuchte aus verborgenen, verheimlichten Wolken und die Bangnis eines kommenden Gewitters mache dieses Blaue etwas mitternächtig.

Doch freuten sie sich zusammen so gut sie's konnten, und sooft jetzt aus dem kleinen Saalanbau, wo die Tanzmusik auf den Stabellen ihrer breiten Bankunterlage hockte, ein lüpfiger, zündender Gautanz lockte, eilten sie hinein und stoben unter anderm Frohvolk den Ringelreihen ihrer jungen Liebe.

Aber eben als sie sich wieder einmal vom Tanzboden an ihren Tisch zur Verwandtschaft zurückmachten, tat sich die Türe der Wirtschaft auf, soweit sie nur konnte und der Matthathias Stump ab der Ruchegg schritt, den Hut hinten am Kopf, mit dem langen Stock in der weitausgestreckten Rechten, über die Schwelle. So klein er war, sein umfängliches Haupt mit dem gewaltigen Schlapphut und vor allem sein Gebaren ließ ihn geradezu groß erscheinen.

Ja, dem Tschuppmoosjungen, seinem Knechtlein, der sich erbleichend an den Tisch machte und sich dort duckte, kam der kleine Hirte riesenmäßig vor. Er wollte dem Röllchen unwillkürlich seine Hand entziehen, aber sie behielt sie fest in der ihrigen unter dem Tisch und drückte sie immer wieder angelegentlich.

»Aha,« meinte halblaut, mit einem Blick auf den eintretenden Stump, der Spielaumichel ziemlich vernehmlich, »da kommt einer aus dem Alten Testament. Es ist nicht der Erzvater Abraham, es ist nicht der Prophet Habakuk, es ist nicht der König Nabuchodonosor, wohl aber der Matthathias Stump ab der Ruchegg. Nun könnte es sein, daß einmal das Gewitter da ist, bevor man's hat donnern hören.«

»Jaha,« kam die Stimme der Reb kräftig zu ihm über ihren langen Tisch hinweg, »dank' Gott, du Lump, wenn's nicht bei dir einschlägt.«

Ein unterdrücktes Lachen ringsum.

Der Alte ab der Ruchegg aber schien das gar nicht zu hören. Er schaute sich, stehenbleibend, einen Augenblick in der Wirtsstube um. Alsdann schritt er zuerst auf die Tische zu, wo seine Landesgenossen und etwa auch Alterskameraden mit ihren Weibern und ihrem Jungvolk hockten, denn von allen Seiten fuhren ihm dort die vollen Gläser entgegen. Er trank auch aus allen ein wenig Bescheid. Er begrüßte sich mit dem wackelhäuptigen Franzsebi ab der Altmatt und mit dessen noch zitteriger Schnapsdrille, mit der einäugigen Marann. Auch des Gleitigen Martitonis scharfsichtiger ältlicher Tochter, das Gluvenäuglein genannt, drückte er die kalten fünf Finger. Und also begrüßte er die Beth aus dem untern Tries, deren vollmondiges Antlitz immer in zerlassener Butter zu schwimmen schien und der man deswegen landum das »Sonnenzeit« sagte. Aber vor allen zeichnete er nun die Base Anneseba aus der Stolzern aus, die eben nach ihm mit zwei halbgewachsenen Neffen eingetreten war. Er gab ihr laut, fast lärmend, Gruß und Handschlag.

Alsdann trat er mit ihr endlich auf den Tisch zu, an dem seine Sippe beisammen hockte und sich keineswegs wunderte, daß er dasmal nicht geradeswegs auf sie zugekommen war. Sie wußten ja, daß er einen Wurm hatte, von dem sie aber hofften und wünschten, er möchte sich nicht an dem fröhlichen Fastnachtabend zu einem feuerspeienden Drachen auswachsen. Es konnte ja noch recht lustig werden, denn es war der Geudismontagabend, und im kleinen Saal nebenan gab's schon allerlei Maskierte, Dominos, verhunzte Trachten und andere Mummerien.

Und nun wunderten sich die Stumpenleute und Zugewandte doch sehr, als sie gewahren mußten, wie sich der kleine Hirte ob der Ruchegg mit der Stolzernbase und ihren jungen Vettern ruhig zu ihnen gesellte und sie alle herzlich, aber freilich nicht so überlaut wie sonst, begrüßte. Und fast für selbstverständlich nahmen sie's hin, daß er das Pärchen, seine Jüngste und den Tschuppmoosjungen, nicht begrüßte, die in großer Unruhe, sich so gering und unscheinig als möglich machend, unweit von ihm saßen und sich nicht mehr getrauten, der lockenden Tanzmusik zu folgen. Er sah sie gar nicht an, ja er tat, als ob sie gar nicht da wären. Sie hatten dem Alten doch wohl zu schlimm mitgespielt.

Aber sonst war der Stump wie immer; nur die Judith wollte es bedünken, der Vater schaue sie nicht so offen, gradaus an wie gewöhnlich. Es mochte ja wohl sein, daß er ahnte, woher dem Röllchen die Hilfe gekommen war, und wer ihm also eigentlich den Sohn des Flickschusters und Hühnerbäuerlein vom Tschuppmoos als Knecht auf seinen Berghof geschmuggelt hatte. Gewiß ärgerte es den Alten jetzt, daß sie ihm in Röllchens Gartenmulde zwar zuerst den hl. Wendel, danach aber hinterrücks diesen noch keineswegs heiligen Bändichtli hineingeliefert hatte.

Am zutunlichsten war er immer zur Reb, die sich aber nicht viel daraus zu machen schien. Sie lachte polternd auf, als eine Maske in altscheiniger, hölzerner Larve und einem aus bunten Lappen zusammengesetzten Weibergewand ihren Mann, den Balz Schwitter, zum Tanz abholen wollte. Sie sah ihm an, daß er lieber mit einer Anziehendern auf den Tanzplatz ausgerückt wäre. »Geh nur mit ihr, Balz,« sagte sie starkstimmig, »du kannst ja nicht wissen, ob nicht eine blutjunge Hübsche in dem wüsten, alten Anzug steckt.«

Und der Metzger rückte mit der Maske richtig aus.

Der Stump jedoch befahl einen Doppelliter vom Mehrbessern über den Tisch. Und als er sich und der Stolzernbase und allen um ihn, Röllchens und Bändichtlis Gläser übersah er, eingeschenkt hatte, wandte er sich an den Salami und fragte: »Ja, was ist denn das für ein Brauch von dir? Gehst du heute einspännig zum Tanz, wo hast du den Lehrer?«

»Heja, der muß halt heute einmal zu Haus bleiben und die Zwillinge hüten, denn die Magd, die ich für die Säue eingestellt habe, hat mit ihrem Schatz auch zum Tanz wollen. Ich werde ihm aber einen Armvoll Fastnachtskrapfen heimbringen.«

Der Alte machte nichts draus. Er schien überhaupt gar nicht recht hinzuhorchen, auf das was sie antwortete, doch fragte er nach einer Weile, den anschwellenden Bergbach ihrer Rede unterbrechend, wie es den Großkindern ergehe.

Man hatte nämlich in des Schullehrers kleines Geschäft vor kurzem vom Kindlistein her Zwillinge, einen Knaben und ein Mägdlein oder wie man im Land sagte: eine Tanzeten, gebracht. Es waren zwei kugelrunde Kinder. Zwei völlige Salami, aber im kleinen, meinte die Hebamme aus der Schlipfau. Als aber der alte Stump, ihr Pate, die Kinder mit biblischen Namen, nach denen er einen ganzen Sonntagnachmittag in seinem Alten Testament suchte, hatte benennen wollen, während sie ihr Vater, der Lehrer Beda Aloser, gern Rosalina und Engelbert geheißen hätte, hatte der Salami kurz und bündig vom Wochenbett aus gerufen: »Auf Joseph und Maria werden sie getauft, wie einst ihre Großeltern auf der Ruchegg geheißen haben und fertig!« So hatte der Alte auch hier mit seinen alttestamentlichen Namen zurückstehen müssen.

»Es geht dem Sebeli und dem Marieli gut, Vater,« antwortete der Salami. »Sie haben schon einen Appetit wie die elf Säulein, die mir die Sau, die ich vom Trutenmärtel ab der Mandliegg hatte, geferkelt hat. Sie gleichen alle beide mir. Nur das Marietschli, das den ganzen Tag aus den Säuen nicht herauskommt, habe viel von ihm, sagt der Beda, denn es sei musikalisch. Auch sagt der Beda, mein Mann . . .«

»Als ob dein Mann etwas zu sagen hätte!« rief jetzt der Metzger aus, der hochrot vom Tanzplatz und offenbar zufrieden mit seiner Maske, zurückkam.

Aber da schlug die Reb, kaum hockte er neben ihr, die Faust auf den Tisch, und zwar also, daß der weißhaarige Butzisteinjörg, der unten am Tisch, den Kopf auf den Armen, schlief und schnarchte, erschrocken den Kopf hob und mit blöden Augen um sich schaute. »Balz, red' nicht so dumm!« schnörzte sie den Metzger an, »unser Salami ist recht mit ihrem Mann, wenn sie ihn auch ein wenig an der Halfter hat. Man kann die Rosse auch zu stark habern und muß sich dann niemand wundern, wenn sie ausschlagen. Aber der Lehrer schlägt nicht aus, gar nicht. Und wenn er damit zufrieden ist, daß er seine Frau gern haben und die Gitarre dazu zupfen kann, so ist das schön von ihm. Viele andere könnten sich ihn zum Spiegel nehmen. Ja, nämlich, jene andern, die zwar auch spielen, aber nicht die Zupfgeige, wohl aber mit Jaßkarten halbe Tage und Saufnächte lang. Und obwohl dich das bloß streift, Balz, so trifft es doch bei andern mitten ins Schwarze oder in den Schwarzen. Also laßt mir die Schwester und ihren Schulmeister in Ruh, das sag' ich.«

»Ja, Schwager Schwitter,« fing nun der Salami, unwirsch kreischend, herauszusprudeln an, »was hast du denn gegen mich? Was geht's dich an, was ich mit dem Lehrer mache? Mein Beda ist kein bißchen stärker unter dem Weiberdaumen als du, denn in deiner Metzg zu Kilchaltdorf im Unterdorf regiert ja . . .«

»Halt's Maul!« schnauzte sie die Reb ab. »Behalt deine Trümpfe für andere Gelegenheiten. Es ist jetzt da genug über diese Sache geredet. Wenn unsere Männer doch mit uns zufrieden sind, was gibt's denn da weiter zu bellen? Also verhalt's!«

Der alte Stump schien kaum auf ihren Zank hingehört zu haben, aber sein grauer Wirrkopf, auf dem immer noch der weitumgehende Schlapphut saß, hatte sich doch zusehends gehoben. Und nun griff er sein Glas auf und sich voll zu seiner Tochter Reb wendend, rief er aus: »Gesundheit, Reb!«

Der Metzger Balz Schwitter aber sagte kein Wörtlein mehr. Er schloß ein Auge, und mit dem andern aber zwinkerte er seinem gegenübersitzenden Schwager, dem Viehhändler Baschitoni Tritsch ab Hochsiten zu, der diesen bedeutsamen Blick mit kurzem, verständnisvollem Schnalzen quittierte.

»Ja,« meinte jetzt die Judith, die breiten Schultern unmerklich wiegend und munter auflachend, wobei es schien, als lächle das goldene Blättleinkettchen, das sie um den vollen, rosigen Hals hatte, mit, »ja, jaha, unsere Männer haben es gut. Es kommen fast nur die Freuden an sie, die Sorgen lassen wir nie völlig zu ihnen durch, auf daß sie uns gesund und schaffig bleiben, denn wir Stumpentöchter haben einen festen Stand.«

Nun stieß der Matthathias Stump auch mit seiner milchweißen Ältesten an, wobei ihm der Hut fast ganz ins Genick rutschte, seine hundertfältig gefurchte Stirn aber heraustrat, wie eine Fluh im Tagen. »Ja, ja, Judith, du bist ein Schatz, aber,« und nun dunkelte er etwas zu, »auch ein hinterhältiger Fratz, wenn der auch verborgener ist als das Füchslein in einer Hube mit allseitigen Ausgängen. Gleichwohl,« und nun heiterte er schon wieder auf, »wahr ist wahr: was den Kopf anbelangt, nimmt's mit dir landauf und ab keine und es kann sein, auch keiner auf, selbst wenn er im Rathaus und auf einer grünüberzogenen Stabelle hockt.«

Auf einmal aber, völlig unversehens, wandte er sich dem still am Tisch sitzenden, sich drunter die Hand haltenden Pärchen, dem Röllchen und dem Bändichtli zu, der ganz erschrocken in die funkelnden Adleraugen schaute, die jetzt über ihn kamen.

Jedoch der Alte sah seinen jungen Knecht nur einen Augenblick an. »Maitli,« redete er, sich an Röllchen wendend, so laut, daß es die ganze Stube hören konnte, denn die Tanzmusik war eben still geworden, »es ist mir heute, und zwar nächtlicherweile, eine aus der Stube auf der Ruchegg auf und draus, eine leibhaftige Tochter von mir. Und nicht allein ist sie auf und davon, sondern selbzweit und ohne mich zu fragen oder mir auch nur einen Deut zu tun und dazu auf dem veruntreuten Wagen, mit dem Roß meines Gastes, ist sie zum Fastnachtstanz da nach Kilchaltdorf hinunter. Du weißt, wen ich meine. Und nun,« seine Stimme ward eher weniger laut, jedoch die Stirne furchiger und dräuender, »und nun, Röllchen, möchte ich von dir gern hören, ja, Jungfer, das möchte ich wissen, wer denn eigentlich auf den Gedanken gekommen ist, den wohlmeinenden, ehrenhaften Bäckermeister und mich dazu, mit diesem Spitzbubenstreich so sackerlots hineinzulegen? So, da wäre ich, ich, der Stump, jetzt red'!«

»Vater,« antwortete halblaut, hochrot, vor Scham fast vergehend, seine Tochter, »wie könnt Ihr uns denn hier so hart anlassen und bloßstellen vor der ganzen Wirtsstube, was müssen die Leute da von uns denken?«

Der Alte lachte ein verdrossenes Lachen.

»Aha, Kind Gottes,« redete er, »das kann dir jetzt nicht passen, he!! Und schau', ich kann's verstehen, besser als du deinen Vater verstehst und verstanden hast, denn,« nun ward er wieder ringsum vernehmlich, »denn wenn du mich gekannt hättest und wie du mich übrigens hättest kennen können, so müßte es dir föhnklar und himmelheiter aufgegangen sein, schon als kleiner Knopf, daß der Matthathias Stumpf den Weg gradaus nimmt und es nicht so gern mit dem Spiel um die Ecken hat wie andere. So hättet ihr zwei eben auf der Ruchegg in der Stube euch so vor mich hinstellen und euch so bei den Händen halten sollen, wie ihr's jetzt da, gläublich, unterm Tisch tut. Aber ich hab's schon oft gesagt und es auch selber erfahren, die Liebe macht auch einen Salomon zum Narren. Das Sprüchlein hab' ich also aus mir selber. Und nun nimm's wie ich's habe und auch brunnenfrisch gebe, Rolli und red', sag', wer hat uns das alles hinterm Rücken durchgespielt? Ich will und muß es wissen! Und wenn du's nicht sagen willst, du Wetterhex,« und nun blickte er fast bös, »so ziehe ich dich an den Zöpfen heim, denn für nichts, und wieder nichts stampft der Stump nicht von der Ruchegg die halbe Nacht aus durch den Schnee bis ins Tanzhaus zu Kilchaltdorf.«

Nein, so etwas war zu Kilchaltdorf noch kaum jemals erhört worden. Und obschon noch lange nicht alle Leute im schwarzen Bären den kleinen Hirten ab der Ruchegg kannten, so mußten sie nun doch alle mit gespanntester Aufmerksamkeit auf ihn und seine furchige, offene Stirn schauen. Nun, da war wieder einmal etwas Neues los, das konnte ja gemütlich werden: Ein wildgewordener, sowieso halbwilder Bergbauer und seine Tochter, die mit ihrem Knecht durchgebrannt ist. Zwar das mußte man ja gelten lassen, den Knecht konnte man wohl begreifen. Diese Jüngste ab der Ruchegg war eben doch ein wohlgeratenes Hirtenkind über und über. Aber auch sie ward von den anwesenden Bauern- und Dorffrauen verstanden. Dieses Knechtlein, so wenig groß und so jung er war, gewachsen war er saitengrad und Augen hatte er, die doch gewiß nur zum Lachen und Blumensuchen erschaffen worden waren. Jetzt, freilich, lachten sie keineswegs.

»Vater,« redete fast leise die Judith, »macht doch hier unter den Leuten nicht solche Geschichten. Was fällt Euch denn ums Himmels willen ein? Es schauen ja alle Augen auf uns.«

»Jaha, eben recht, schauen sollen sie und ich, ich will eine Antwort haben,« machte der Alte.

»O Mutter, die Finken sind tot!« kam's halblaut aus dem Winkel, in dem der Aumichel hockte.

Obwohl diese höhnische Anspielung auf Stumps Lieblingsgesang viele kannten, lachte doch kein Mensch.

Aber nun hatte sich das Röllchen, das, schwergetroffen von seines Vaters doch nicht erwartetem Vorgehen, von seiner allzugraden Art, dasaß und vor sich hin in den Schoß schaute, erholt. Und ihrem Liebsten die Hand entziehend, sprach sie, rauchend vor Scham: »Ja, Vater, wenn's denn sein muß und einmal müßte es ja doch sein, wenn's auch nicht grad da im Tanzhaus hätte sein sollen, so will ich Euch hier auch Red' und Antwort geben. Ja, es ist wahr, wir sind Euch und dem Bäcker Burket auf und draus und ich bin's gewesen, Vater, die den Bändichtli dazu überredet hat. Er hat es nicht herzhaft wagen dürfen, so mutig er sonst ist. Er hat gesagt, es sei nicht recht, Euch so hinters Licht zu führen, wenn er's dem Bäcker noch so sehr gönnen möchte. Auch käme es danach gewiß gefehlt, ja bös heraus, denn eines Landschuhmachers und Hühnerbäuerleins Jungen werdet Ihr ja ewignie als Schwiegersohn und gar ins Ruchegghaus nehmen und wenn er sich noch zehnmal besser aufs Bauern verstände. Aber seht Ihr, ich hab' ihn doch dazu gebracht. Ich hab' nicht nachgegeben, bis ich ihn im Gatterschlitten hatte. Ihr könnt's ja sehen, er ist noch nicht einmal im vollen Feiertagsgewand, denn als ich ihn im Schlitten hatte und er sagte, er wolle noch schnell den Hut holen, hab' ich dem Roß mit der Peitsche eins aufgemessen und fort ist's gegangen, weidab und zum Tanz. Es mag wohl sein, daß es von mir nicht schön war und daß ich nicht alles bedacht habe, vor allem nicht, daß Ihr uns heute nacht gleich nachlauft und alles da im Wirtshaus vor aller Welt so aufweißelt. Doch ist's jetzt wie's ist. Den andern, mit dem Ihr mich so herrlichgut und für immer habt versorgen wollen, mag ich nicht, wenigstens nicht zum Heiraten. Das hättet Ihr aber merken können, wenn Ihr den Sinn und die Augen nicht immer anderwärts gehabt hättet. Und so ist's halt heute nacht gekommen, daß ich keinen andern Ausweg mehr gewußt habe, als des Bäckers Fahrgelegenheit, dem ich sonst kaum so leicht entwischt wäre, zu benützen und mit dem Burschen da,« ihre Augen streiften den nun mutiger blickenden Knecht flüchtig, heiß, »durchzubrennen. Und nun, Vater, macht was Ihr wollt. Sind wir soweit und habt Ihr uns allen Leuten als halbe Hochzeiter vorgestellt, so geb' ich jetzt erst recht nicht nach. Ich will den Tschuppmoos Bändichtli und wenn ich mit ihm zusammen den Talgenossen vor den Häusern handorgeln und betteln müßte. Aber das müssen wir nicht und niemals, denn er kann schaffen, Vater, das wißt Ihr auch und jetzt, ja, jetzt wißt Ihr alles.«

Eine Weile betrachtete sie der Alte schweigend, mit zündrotem Kopf, denn der war während der Aussprache immer röter geworden. Und jetzt aber schlug er die Faust auf den Tisch, daß die Gläser tanzten und daß der Butzisteinjörg zum zweitenmal aus seinem Schlaf aufgetrieben ward. »So,« sagte er lärmend, »ja, jetzt weiß ich alles. Röllchen, Röllchen, du bist ein heimlichfeistes, ziemlich abgefeimtes Weibervölklein, aber,« und jetzt hob er den Kopf so hoch, daß ihm der Schlapphut fast völlig im Genick saß, »Maitli, du bist auch von gutem, landskräftigem Holz und dazu vom Stamme Stump, das seh' ich nun, denn du hast deinen Kopf durchgesetzt und das nicht wie ein dummer Stier, sondern wie ein Mensch, der sich selber den Weg bahnen will. Ich habe sonst gemeint, du, und das muß ich dir jetzt sagen, schlügest doch stark aus der Art, habest keinen eigenen Willen. Deswegen und nur deswegen, weil's mir so war, hab' ich dich einem an die Hand geben wollen, der das Leben und den Weg durch den Krüppelwald der Welt erfahren hat. Ja, das wollte ich, denn wenn's nicht im Holz ist, kann man keine Häuser draus bauen. Und nun hast du uns heute die Augen aufgetan und uns deine Abstammung nachgewiesen, denn eine rechte Abstammung, und nicht bloß beim Rindergeschlecht, ist die Hauptsache. Ich kann's nun glauben, daß du dich nicht zu scheuen brauchst, das Leben selber anzupacken. Daß du dazu noch einen Gehilfen haben willst, und zwar einen jungen, flinken, kann ich dir nicht für ein Verbrechen nehmen. So ist der Stump nicht. Und wenn dein Liebster ja bloß eines Geißbäuerleins Bub ist und einer, der nichts hat, so kann ich das nicht ändern. Er kann's ändern, aber du, Maitli, wirst es ändern, das weiß ich jetzt seit kurzem. So möge dir Gott die Arme hochhalten, wie er sie dem Moses hochgehalten hat, bis er den Philistern Meister geworden ist.«

Und auf stand er und griff zum Glas: »Röllchen, Kind, recht hast's gemacht,« lärmte er und stieß mit seiner, über und über wie ein Freudenfeuer aufleuchtenden Tochter an, »aber der Bäcker Burket soll auch nicht leer ausgehen. Er muß ein zügiges Heilpflaster auf sein närrisches altes Herz haben: Der Bäckermeister bekommt meinen Wald am Rucheggflüehli.« Nun stieß er auch mit dem Tschuppmoos Bändichtli an, der nicht wußte, wie er all dies unverhoffte Glück ratsamen, zusammennehmen und wie eine köstliche Heubürde von wahrhaft betäubendem Wohlgeruch auf seine Diele tragen sollte. »Bursche,« sagte der Stump, ihn offen, aber mit Adleraugen gradaus ansehend und an sein zitteriges Glas anstoßend, »trink, es soll dir wohltun, denn du hast einen guten Tag!«

Als sich nun der Alte wieder, aufatmend und den Hut rückend, niederließ, wollten alle seine Leute mit ihm anstoßen, aber auch von den andern Tischen, um die ein immer wieder hochkommendes Gelächter ging, tranken sie ihm und dem jungen Paar zu, mit manchem schalkigen und lustigen Zustupf.

Der alten Base Anneseba aus der Stolzern aber kugelten die Tränen nur so über die Backen herunter, während die Judith mit stillem Lächeln auf ihre jüngste Schwester und deren Bändichtli sah.

Der hatte nun Röllchens Hand wieder und behielt sie auch fest wie in einem Schraubstock, seiner Liebsten alleweil in die blauen Augen sehend.

Aber da erhob sich der Bauer ab der Ruchegg nochmals und mit großen, spiegellautern Augen in den Stubenwinkel schauend, wo der Dolmetscher, der Spielaumichel, hockte und an seinem Glas herumschlückelte, rief er aus: »Und nun, heda, du dort hinten, Spielaumichel, Meister Dolmetscher und kantonaler Landesschluck, dir muß ich's jetzt doch sagen, daß du mich umsonst hast verspotten wollen. Nämlich, die Finken sind nicht tot. Ganz im Gegenteil, mitten in den Hanfsamen sind sie hineingeraten. Und heijupedihee! ich und meine Leute mit mir erleben heute noch eine besondere, wohlbekömmliche Fastnacht, weil wir zweien die häßlich aussehenden Masken vom Gesicht gerissen haben und siehe da, es ist schön und sauber drunter hervorgekommen. Hooo, heda, Base aus der Stolzern, wie ist's jetzt, ich bin Witwer und du Witfrau, was meinst, wollen wir nicht einen Gautanz zusammen wagen? Sind wir noch gelenkig, federn wir noch oder federn wir nicht mehr?«

»Allweg,« sagte die alte Base Anneseba, sich willig erhebend, und zum Stump stellend, der sich hinter dem Tisch hervorgemacht hatte, »wir Alten geben noch nicht so geschwind ab.«

Da rückte der kleine Hirte auch schon, der Base einen Arm um die Schultern legend und mit dem andern rudernd, auf den Tanzboden aus. Und loszogen die Musikanten.

Und wie er nun so mit ihr im offenen Sälein nebenan, allein den Alemander, mit den Fingern klöpfend und mit den schweren Bergschuhen trommelnd, zu tanzen anhob, ward er immer eifriger. Er fing die Stolzernbase zu umkreisen und locken an und weitete dazu seine Arme also gewaltig, als wolle er nicht nur die gewichtige Base, sondern gleich die ganze Welt ans Herz drücken und hochheben.

Am Tisch aber, wo seine Leute mit dem stillgewordenen Pärchen hockten und dem talbodenechten Spiel der beiden Alten zuschauten, begann jetzt auch die Reb mit Faust und Fuß zu trommeln und polternd, stolz ging ihre Stimme: »Der Stump, der Stump, der Stump!«

 
Ende


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