Meinrad Lienert
Der doppelte Matthias und seine Töchter / 1
Meinrad Lienert

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7

Ein schöner Sonntagvormittag. Die Stube des Ruchegghauses war voll von Morgensonne, also daß der Matthatias Stump vor dem großen grünen Ofen und seine Töchter Hagar und Rahel zu beiden Seiten des Tisches mit der zerschrammten Schieferplatte wie in einem goldenen Rauch dasaßen.

Der kleine Hirte, dessen wildrauhe Haare immer grauer wurden, staunte aufmerksam, völlig versunken, in das gewaltige, stark mitgenommene Buch des Alten Testamentes, das er wieder einmal vor sich hatte.

Eben betrachtete er den Einzug der sämtlichen Geschöpfe der Erde, die auf dem kupferfarbigen Bild in die ungeheuerliche Arche Noah, ein mehrstöckiges Schiff, hineinwanderten. Man konnte Kamele, Löwen, Schafe, Wölfe, Störche, Einhörner, Hasen, Hühner und andere Tiergattungen, paarweise, in paradiesischer Eintracht und bester Marschordnung, in ihre letzte Zuflucht einziehen sehen. Und so hingegeben schaute der Alte in das Buch, als wollte er warten, bis alle tierischen Gebilde Gottes in der Arche untergekommen seien, bevor sie die unheimlich heranbrausende Sündflut erreichte. Dabei bewegten sich seine Lippen immerzu, ohne daß man jedoch etwas zu hören bekam.

Die Mager hatte ebenfalls ein Buch, ihre mit Buntdrucken geschmückte Heiligenlegenden, vor sich, während das Röllchen an einer weinroten Winterkappe strickte, womit sie jemand beim Einwintern zu überraschen und zu erfreuen gedachte. Aber die Nadel ging jetzt nicht eben emsig und grad so wenig las die Mager in ihren Legenden. Die Schwestern schauten einander in die Augen und sangen dazu alle Marienlieder, die sie auf der Vorkirche erlernt hatten.

Und dann, als es für einen Augenblick still ward in der Stube und nur das Schrittlein des Uhrenplampers an der Wand, das unbeirrbare Schrittlein in die Ewigkeit, sich hören ließ, rückte die Mager mit ihrem Anliegen heraus, das sie ausgedacht und schon länger in ihrem schlichten Busen mit sich herumgetragen hatte.

Nämlich, sie suchte ihren Vater, der erst etwas verwundert, ja ungehalten von seiner Bibel aufschaute, zu bereden, zu überzeugen, daß man zum Dank an unsern Herrgott, der den Viehstand auf der Ruchegg seinerzeit vor Maul- und Klauenseuche so wunderbar bewahrt habe, irgendwo in der Hausmatte ein bescheidenes Heimkapellchen, wie's solche ja auf andern Gütern auch gebe, erbauen sollte. Nicht bloß würde das Dank bedeuten, es wäre sicher und heilig auch ein Schutz und Schirm gegen erneute Angriffe der Klauenseuche und gegen all die bösen Geister und Ungeheuer, die ja überall umgehen und den Leuten Unheil antuen.

Immer höher war des Hirten Kopf gekommen und nun horchte er mit Ohren, Mund und Augen auf den unerwarteten Vorschlag seiner Zweitältesten und seine starke, zerfurchte Stirne, ob der die grauen durcheinandergewirbelten Haare anzusehen waren wie ein Wald von Bergahornen ob einer sonnenbeschienenen Felsenwand, war steif und starr seiner Tochter zugekehrt.

Und als sie nun ihren Vorschlag, der jedenfalls vorher reiflich zurechtgemacht und genugsam und allseitig erdauert worden war, vorgebracht hatte, rief der alte Stump aus, die behaarte Hand über den Tisch streckend: »Gib mir die Hand, Mager, gib mir die Hand!« Und als er seiner Tochter schmale, langfingerige Hand ein paarmal gehörig geschüttelt hatte, sagte er: »Mager, für dumm hab' ich dich nie gehalten, wenn du schon das ganze Jahr durch kein Maul aufmachst und kaum Lieber Gott sagen magst, denn was du tust, tust du recht und dabei, mehr als die Schwestern, Gott zu Ehren. Stube und Kammern sehen alleweil wie geschleckt aus, was in einem Bauernhaus, in das soviel Mistiges hineinkommt, wenn auch oft nur am Schuh und an den Hosen, etwas heißen will. Aber daß du nun gar so einfällig bist und uns da einen so guten Gedanken vorbringen kannst, das hätte ich hinter dir nicht so ohne weiteres gesucht, obwohl du die nachdenklichste bist. Meine andern Töchter haben wohl auch Einfälle, aber etwas Geistliches betreffen sie allweg selten oder nie, sie gehen stark ins Zeitliche und da wieder ums Mannsvolk. Was meinst, Röllchen?« Er lachte kurz, gutmütig auf. »Ja,« rief er aus, die Faust auf den Tisch schlagend und mit einemmal völlig hochkommend, »allweg, Sackerlot abeinander! bin ich mit dir einverstanden. Du hast den Nagel auf den Kopf getroffen. Ein Kapellchen soll in unsere Hausmatte, so wahr ich der Matthatias Stump bin. Zum ersten bin ich's dem lieben Gott schuldig, zum andern ist's gegen künftige böse Zeiten und zum dritten und letzten sehe ich nicht ein, weswegen der Stump nicht auch, so gut als etwa der Jörlieni im Däsligs und der Sebimariä im Ruhstallrank und andere Zottelkappen, ein Kapellchen auf seinem Grund und Boden haben sollte. Eine Klosterkirche muß es ja nicht sein, nicht einmal ein Beinhaus, aber ein sauberes, geweißeltes Heiligenhäuslein, in das man etwa ein Altärchen, einen Heiligen und ein paar glitzerige Kerzenstöcke stellen kann, soll's, beim Eidhagel, werden. Wenn's auch zu klein wird, als daß jemand hineingehen könnte, so ist das Hineingehen ja auch nicht notwendig. Für das andere haben wir ja die Kirche im Tal. Aber ein Heiliger, und zwar einer, der im Himmel und auf Erden viel gilt, soll drin samt seinem Altar Platz finden. Und da habe ich, gottlob, an Heiligen und heiligmäßigen Leuten keinen Mangel. Ich brauche nur das Buch da vor mir aufzutun.«

»Ja,« lachte das Röllchen auf, eine Masche aus den Stricknadeln fallen lassend, »aber den Abraham müßt Ihr nicht ins Kapellchen stellen, sonst ist Euere Tochter, die Mager da, nicht zufrieden, denn er hat's der Hagar doch gar nicht schön gemacht.«

Ein wenig lachte der Alte. »Ja, ja, Röllchen, du Krötlein, das ist das erstemal, daß ich zu merken bekomme, daß du auch etwas von der biblischen Geschichte weißt. Aber so unrecht kann ich dir nicht geben. Es gibt jedoch noch andere Heilige und Erzväter, wenn ich auch nicht den Noah meine, denn der ist ja wohl der Patron der Weinbauern, so können wir ihn nicht . . .«

»Vater,« sagte trocken, tiefstimmig, die Mager, »das will ich Euch gleich sagen, dasmal wollen wir keinen Heiligen aus dem Alten Testament, daß Ihr's wißt! Ihr müßt aber deswegen keine Augen machen,« redete sie etwas vernehmlicher, aber in tödlicher Ruhe, an den Alten hin, der schon zapplig ward, die Arme zu heben und die breiten Schultern ob dem kurzen Gestell zu wiegen anfing, »ich will auch einen rechten und großen Heiligen in unser Heimkapellchen, aber dasmal einen landbekannten und vorweg auf der Bauernsame geachteten Heiligen. Und damit Ihr nicht lang auf ihn zu warten braucht, so müßt Ihr wissen, daß ich den Schutzpatron der Älpler und Sennen meine, den heiligen Wendel.«

Der Alte ließ die Schultern stiller werden und auch die Arme begannen sich zu beruhigen. Sinnend schaute er durch die Scheiben nach der Reb, die zwischen Haus und Stall, wie gar oft, mit ihrem starken Ziegenbock ein Wettstoßen abhielt, das gewöhnlich sie gewann, denn wenn's der Bock zu toll trieb, packte sie ihn kurzerhand an den Hörnern und drehte ihn auf den Rücken. Eben hetzte sie ihn um den überfludernden Brunnen.

»Jaha,« machte der Alte unversehens, sich der gleichgültig auf ihn sehenden Mager zuwendend, »ja, da kann ich dir nicht alles durchtun, Lange. Der heilige St. Wendel, Potzdonner, ja freilich, das ist ein Heiliger, wie wir sie nicht bürstendick im Lande haben. Einer, der sich unserer Viehschäden annimmt und das billiger als die Doktoren. Und einer, der das Übel am besten dadurch doktert, daß er's in der Regel nicht aufkommen läßt. Ein Wohltäter, der nicht viel Wesens macht und den man nicht erst bei Nacht und Nebel zu Kilchaltdorf oder zu Nidach abholen muß. Ein Vaterunser und heiliger St. Wendel bitte für uns! und da ist er. Ja, ja, der heilige St. Wendel. Also, Mager, so will ich dasmal auf einem alttestamentlichen Heiligen für das Heimkapellchen nicht bestehen, obwohl es an Leuten, die wissen, wo der Bauer die Elsternaugen am Zinsfuß hat, auch nicht fehlt. Aber das ist doch etwas anderes. Der heilige St. Wendel ist nicht so uralt und so kann er auch eher verstehen, wie man jetzt bauert und was alles uns nottut. Gut, ich bin's einverstanden, durch und durch, der heilige St. Wendel muß ins Kapellchen. Aber nun sag' mir, Mager, he, du einfällige, woher willst du einen heiligen Wendel nehmen und nicht stehlen?«

Ja, darüber habe sie schon nachgesonnen, aber sie müsse gestehen, das wisse sie auch nicht, wo man einen solchen hernehmen könnte. Aus den Kirchen, in denen man ihn als Patron verehre, bekomme man natürlich keinen und einen zu machen sei niemand landauf und -ab imstande. Der halbnärrische Chäpper in der Medenen ob Stagelrain könne ja freilich etwas holzschnitzeln, aber bisher habe sie von ihm noch nichts zu sehen bekommen als klotzige Tabakpfeifen und ein Kästchen mit einem Geschnitz drauf, von dem kein Mensch habe sagen können, ob es ein Gesicht sei oder eine Kreuzspinne im Netz. Aber vielleicht wäre es doch möglich, zu Kilchaltdorf oder noch eher im alten Städtlein Nidach, wo sogar die Leute Gesichter haben wie abgetragene, wurmstichige Holzfiguren, einen heiligen Wendel zu bekommen. Wenn er auch nicht neu wäre, so könnte er ja doch genügen und sich gewiß sehen lassen, falls man ihn gehörig abstauben würde. Da hieße es dann halt auch: Sauber abgeputzt ist wie neu.

»Mager,« meinte der Stump jetzt, der seiner Tochter und ihrem schleppenden, langweiligen Vortrag aufmerksam zugehört hatte, »das eilt am End' nicht so; über das können wir immer noch nachdenken. Es sonnt heute nicht zum letztenmal, wollen wir zu Gott hoffen. Also gut. Was aber jetzt bald getan werden muß, ist, daß wir unsern Leuten von dieser Stiftung, von diesem Heimkapellchen Bericht geben. Es müssen alle Stumpenleute und die zu ihnen am nächsten gehören, damit einverstanden sein. Heißt das, versteht mich wohl! ich tät's auch, wenn alle nein sagen würden. Jedoch ein derartiges gutes Werk soll von der ganzen Stumpenfamilie ausgehen, auf daß es auch allen zum Segen wird und unsern Herrgott und den heiligen St. Wendel in allen Teilen zufriedenstellt. Aus diesen Gründen soll mir jetzt eine von euch Töchtern morgen oder übermorgen, denn ich will das nicht lange anstehen lassen, zu Tal und von unsern Absichten Lehrers, also unserm Salami und der Judith auf Hochsiten und ihrem Viehhändler, Nachricht geben. Was gilt's, sie freuen sich. Sowieso, gemacht wird das Kapellchen, das sagt der Stump.«

»Hela,« meinte mit hoher, etwas gleißender Stimme, das Röllchen, »Vater, ich kann Euch heute noch auf Erlenstalden und Hochsiten hinunter. Ist ja just Sonntag und da weiß unsereins sowieso nicht was machen. Zur Reb hinaus und mitspielen und den Hollediho machen, mag ich nicht. Gleich wird sie grob, packt mich und – da liegst, Herzwasser! Das hält auf die Dauer höchstens ihr Geißbock aus. Also ich gehe gleich.«

Sie sprang auf, daß die Stabelle umfiel und riß ihren weichen, breitrandigen Strohhut, den ein Büschel natürlicher Feldblumen schmückte, vom Nagel neben dem Gehäuse der Wanduhr.

»Heda, 's Donners abeinander!« machte fast erstaunt der Alte, »was ist's denn mit dir, Rolli? Du hast's aber pressant. Immer, wenn's heißt, wer geht zu Tal? springst du auf wie ein Gummiball, mit dem die Jungen zu Kilchaltdorf sich die Zeit vertreiben. Es nimmt mich bald einmal wunder, was Kuckucks dich denn alleweil so talbodenwärts zieht. Und gar zur Judith auf Hochsiten ist das ein Gejäg, als ob dort alle Tag Kirchweih wäre. Obwohl ihr's, es ist wahr, gut zusammengekonnt habt, als die Große noch hier war, so will's mich jetzt doch bedünken, du übertreibest es. Die Judith hat ja für gewöhnlich allweg anderes zu tun als dich abzuhören und zu ratsamen. Aber geh! Bist halt noch gar jung, ein neugieriges Springding und mußt ab und zu auch etwas anderes sehen, als jahraus und -ein immer die gleichen Gesichter an Menschen und Vieh. Wenn's einer alten Ziege schon passieren kann, daß sie wunderfitzig wird und sich für ein Zeitchen unter dem Hag durch auf Reisen macht, um etwas Neues zu sehen und zu erleben, so läßt sich's an einem jungen Geschöpf im Weibsrock erst recht verstehen. Also gut denn, so mach' dich meinetwegen zu Tal und laß mir den Salami und ihn,« er lachte wohlgelaunt auf, »und ihren Schullehrer, aber auch,« setzte er bei, »und den Baschitoni Tritsch auf Hochsiten mit seiner Frau, unserer Judith, grüßen. Sie sollen sich alle etwa auch wieder einmal da oben auf der Ruchegg zeigen.«

»Und Euer Patchen, der Zacharisli, Euer leibhaftiger Enkel?« fragte neckisch das Röllchen, sich vor einem Spieglein in der Nebenstube die Zöpfe ordnend.

»Hela, Sackerlot,« sagte, fast ein wenig beschämt, der Alte, »und den Zacharisli laß mir auch grüßen. Hat ja auch ein gutes Maß voll Stumpenblut im Leib. Beinahe hätte ich ihn vergessen. Ja, da begreife ich jetzt, weshalb du so gern auf Hochsiten hinuntergehst. Halt eben, daß du ein Kindlein wiegen kannst, denn etwas zu wiegen müssen die Weiber haben, sonst sind sie nie recht zufrieden und kommen leicht ab, selbst wenn sie mit dem Bankobersten verheiratet sind. Weiber aber, die nichts zu wiegen haben wollen, gibt es nicht oder dann sind es keine oder es fehlt ihnen die Hauptsache, um derentwillen wir sie eigentlich liebhaben müssen: das Mütterliche. Also mit Glück, Röllchen!«

»Daß Euch das nicht schon länger aufgefallen ist,« redete die Mager an den Hirten hin, »daß das Röllchen gern Kindlein wiegt. Man sieht ihr's ja auf hundert Stunden weit an. Sie ist ja selber eine wie eine Wiege, denn ich habe sie noch nie stehen oder hocken sehen, ohne daß sie, so oder so, ein wenig, etwa auch viel, ins Schaukeln gekommen ist. Es ist noch nicht lange her, hat sie noch ihr hölzernes Babi gewiegt und gestern und vorgestern hat sie die jungen Katzen im ganzen Haus, im Stall und auf den Matten herumgetragen, aber, Vater, auf das müßt Ihr Euch schon gefaßt machen, daß unser Fegnest, der Rolli, auch schon länger als Ihr glaubt, am Kindleinstein herum zu sinnen beginnt, hinter dem hervor man ja, wie's heißt, die Kinder beziehen könne.«

»Ja, ja, da hast du recht,« meinte der Stump, beifällig nickend, »das Röllchen fängt an Augen zu bekommen. Auch bedünkt's mich, es gehe die letzte Zeit so unmerklich, wie auf den Zehen herum, als ob es irgendwo hineinwundere und irgend etwas erfahren möchte.«

In der Nebenstube kicherte es.

»Aber,« redete der Alte weiter, »was ist's denn mit dir, Mager? Wenn man dich so ansieht und dabei fremd zu dir ist, so könnte man meinen, du hättest Klostergedanken und gingest uns eines Tages in die kalten Mauern mit den für immer verriegelten Türen. Glauben könnte man, du seiest wie eine ausgetrocknete Alp, auf der es sommerlang nichts mehr zu weiden gebe. Schau', Mager, Kind, also machst du ein Gesicht an die Leute hin. Und doch weiß ich's gewiß, denn ich kenne mich und hab' deine Mutter gekannt, daß du im Grunde ein kurzweiliges, wachbares Stumpenblut hast und daß du, wenn du eine Alp bist, die trocken aussieht, innerhalb Tag und Nacht um Regen betest und sehnsüchtig auf den Moses wartest, der dir deine heimlichen, muntern Quellen aus dem Leibe klopft. Wahr oder nicht? Vor mir, Schatz Gottes, brauchst du dich nicht zu verstellen. Ich hab' auch schon gemeint zu sehen, daß du in deinem Legendenbuch die Geschichten der heiligen Mannsleute fleißiger liesest als die der heiligen Frauen. So merkig ist der Stump auch noch, wenn er auch keine Taster hat wie ein Schneckenbock. Aha,« rief er freudig, getroster aus, als er seine Tochter Hagar ihn lieb anschauen und sich dann lächelnd erheben sah, »siehst du, der Stump weiß, was es mit dir ist. Du kommst mir vor, wie jene Kirchenwand zu Hochsiten, von der man den Verputz abgekratzt hat, unter dem dann das Bildnis der hl. Zille zum Vorschein gekommen ist. Zwar hat man gleich gesehen, daß diese Zille etwas Heiliges war, aber auch daß sie an einer Orgel gesessen ist und frohherzig eins drauflosgespielt hat.«

»Vater,« meinte schon wieder völlig trocken, giltmirgleich, die Mager, »so ganz ohne Kern wird die Nuß kaum sein, die Ihr da vor mir aufgetan habt. Aber weder braucht Ihr mich für eine Heilige zu halten, noch für einen tollen Hollediho, was Ihr freilich auch nicht tut. Ich bin halt die Mager und weder von Stein noch aus Maienbutter und in Wirklichkeit, nein, wißt Ihr nicht, was es mit mir ist. Es hat schon mancher sicher und heilig gemeint: Schaut, schaut, dort läuft ein Fuchs! und dann war's eine Füchsin.«

Der Alte lachte und sah seine lange Tochter sinnend, fast neugierig an.

Jetzt trat das Röllchen aus der Küche in die Stube. In einer Hand hielt es einen hübschgeflochtenen Kratten, der topfebenvoll von glänzenden, schwarzen Brombeeren war. Es hatte sie schon am frühen Morgen in den Sträuchern, die den Garten in der Mulde unter dem Gehöft umwucherten, gewonnen und nun wollte sie selbe ihrer Schwester Sulamith, der Frau Lehrer, zu Erlenstalden im Vorbeigehen zutragen.

Jetzt erhob sich auch der Bauer, was man freilich kaum merkte, denn er war ja immer noch auf den Beinen fast gleich kurz, wie auf der Ofenbank hinterm Tisch. Aber hochgetragenen Hauptes zuschreitend verließ er mit seinen Töchtern die Stube.

Er wollte in den Stall hinüber, um nach einer trächtigen Kuh zu sehen, die er brüllen hörte, während die Mager, den Schein eines tiefverborgenen Lächelns in den großen, braunen Augen, hinter dem Ofen hinaufstieg, um in der Stubenkammer sich ein Zeitchen auf Vaters Bettstatt zu hocken und in sich hineinzuträumen.

Das Röllchen aber huschte, so geschwind sich's mit dem schweren Kratten machen ließ, über das Stiegenbrücklein hinunter. Und als sie am Brunnen vorbeikam und aber die Reb mit dem gehetzten und verängstigten Ziegenbock auf sich zujagen sah, machte sie ihre Hand heimlich zur Kelle. Wie nun ihre vom tollen Spiel mit dem Bock glühende Schwester auf der andern Seite des Brunnens vorüberrannte, fuhr sie flugs in den überfließenden Trog und überströmte die Reb mit einem Überfegen eiskalten Wassers.

Alsdann jagte sie, ab und zu wie eine Kegelkugel über einen Stein hinweghüpfend, rainab.

Knapp konnte sie noch ins Föhrenwäldchen unterhalb der Hausmatten hineinhasten, als Tannzapfen, faustgroße Steine, ja Kleinhölzer allerart hinter und neben ihr an den Baumstämmen aufschlugen.

Aber sie jauchzte triumphierend auf und weidab ging's im Sturm, Erlenstalden zu.

»Rolli, Rollibock, Rolli!« lärmte es hinter ihr oben auf der Ruchegg.

Am Abend, ziemlich spät, der Mond stand schon hoch ob dem Bärlauistock, war das Röllchen wieder daheim.

Es mußte sich stark erhitzt haben; seine Wangen waren hochrot und besondere belustigte es die Reb, daß eine von Röllchens Backen so rot war, daß sie zu bluten schien. Oder blutete sie denn nicht wirklich ein wenig?

»Rolli, du bist ja eine wie ein Feuer,« rief lärmend die Reb aus, »und rauchen tust gar auch noch.«

»Ja,« meinte die Mager, den Schalk in den hellen Augen, trockenstimmig, »man könnte fast glauben, du seiest zusammen mit den drei Jünglingen im Feuerofen eingesperrt gewesen.«

»Sonst heißt's immer,« sagte die Reb, »wenn ich mich ein wenig erhitze: Schaut die Reb an, schaut, was ist der für ein roter Apfel zu den Schultern herausgewachsen! Und nun bist du einmal ebenso rot und noch röter. Ist ja grad, als hätte dich einer in die linke Backe gebissen.«

Sie ließ ihr Gelächter herauspoltern.

»Ja, dann ist's ja wohl doch die rechte Backe gewesen, wenn's auch die linke war,« sagte, aber ohne das Gesicht zu verziehen, die Mager, »denn es steht geschrieben, wenn dich einer auf die linke Backe . . .« Sie brach ab und ihr braunes Gesicht erhellte sich ein wenig. »Vielleicht,« setzte sie neckisch hinzu, »heißt's doch nicht ganz so, wie du's allenfalls meinen könntest, Röllchen.«

»Narrensachen,« sagte kräftig die Reb, »geschrieben oder nicht geschrieben, da weiß ein jedes Kind, was es zu tun hat.«

Jetzt lachten alle drei Schwestern auf.

Das Röllchen hatte sich wie zerschlagen auf eine Stabelle am Tisch niedergelassen. Aber obwohl es fast in sich zusammenzufallen schien, behielt es doch seine lachenden Augen, die nun wie gewitterträchtig, fast unheimlich blau waren wie Schmiedefeuerchen, die eben dran sind, ein Band stahlhart und unzerbrechlich zu glühen. Sie sprach kein Wort, saß nur so da wie ein blühendes Stäudlein auf dem Wegbord, das einen jungen Wandergesellen verbirgt, umduftet und in wohlige Träume hineinsäuselt.

Die Mager setzte sich zu ihrer jüngsten Schwester und ihre Hand nehmend und sie verständnisinnig drückend, schaute sie ihr in einem fort in die wunderlich still gewordenen, nachtblauen Augen hinein.

Aber als sich nun auch die Reb dem Röllchen gar in den Schoß warf, daß das aufschrie und die Stabelle krachte, trat, gewichtig wie immer, der alte Stump in die Stube. »Ja was,« machte er, »bist du noch zurückgekommen, Röllchen. Ich habe gedacht, du werdest zu Hochsiten bei der Judith oder doch zu Erlenstalden beim Salami übernachten, obwohl ich das ungern sehe. Was ein rechter Stump ist, will heimzu und übernachtet kaum bei eigenen, geschweige bei fremden Leuten. Man ist ja so rasch unwert, weil eben fast in jedem Haus und in jeder Kammer sich schon allerlei Gäste, die man gewöhnlich nicht sobald zu sehen bekommt, eingenistet haben: Krankheiten, Schulden, Streit und Zank, Neid und andere Übel und Sorgen und die Menschen sich so dran gewöhnen, daß sie meinen, das müsse so sein, statt daß sie mit Gott und Schmalz in den Ellbogen fest zugreifen und die unerwünschte Gesellschaft auszumisten suchen.

»Und nun red', Maitli, wie ist's zu Hochsiten gegangen? Am Merken-an nicht so übel, denn du siehst aus, als ob heute Kirchweih wäre und du den Kopf voll Tänze hättest. Also denn, rück' aus!«

Nun begann das Röllchen zu erzählen, wie man sie erst in Erlenstalden gut aufgenommen habe. Die Schwester, der Salami, sei grad dran gewesen, ihrem Schullehrer einen Lappen auf seine Werktagshose zu nähen und dazu hätte sie ihn ausgeschimpft, daß er so ein Tuchschleifer sei. Er sei ihr ja nahe an der Hand gewesen, denn er habe ihr eben die Jagdflinte reinigen müssen, da sie im Spätherbst, gleich beim ersten Schnee, unter die Tannenwelt der Ruchegg hinaufsteigen wolle, um wieder einmal ein Häslein oder irgendein Waldhuhn zu schießen. Sie komme sonst noch um, wenn sie nicht wenigstens einmal im Jahr ein wenig wildfreveln könne. Die Brombeeren, die sie ihr gebracht habe, haben ihr eine rechte Freude gemacht, obwohl sie's nicht habe unterlassen können zu sagen, sie könnten noch reifer sein! Alle, auch Röllchen, lachten auf. Doch es erzählte weiter: Auch ihren Mann, den Lehrer, der an einem Fenster an ihrem Gewehr herumgeputzt habe und anzusehen gewesen sei wie eine braune Jacke, die mit lampenden Ärmeln an der Wand hängt, habe sie anläßlich angeschnauzt: »Beda, du könntest jetzt wohl mit deinen Schulkindern in die Wälder hinauf und für mich mit ihnen Brombeeren zum Einmachen suchen gehen.« Der gute Schlamp sei mäuschenstill geblieben und habe nur von Zeit zu Zeit sich scheu, mit schleimigem Lächeln, nach ihr umgesehen. Der Salami habe ihr aber gleich einen Kaffee kochen wollen, doch habe sie sich fortmachen können, da sie ja noch auf Hochsiten gehen sollte. Also hätte ihr die Schwester, und ihr Beda habe auch mitkommen dürfen, noch ein Stück Wegs das Geleit gegeben. »Und wie wir dann so langweilig dahingeschlendert sind, habe ich unserm Salami auch von der beabsichtigten Stiftung des Heimkapellchens auf der Ruchegg berichtet. Und ich muß bekennen, es hat mich fast gewundert, daß die gesalzene Schwester, die doch sonst an allem etwas auszusetzen hat und die jedes Mückendrecklein, selbst an einem Kirchenfenster, erspäht und ersperbert oder gar dranhin sieht, meinen Bericht gut aufgenommen, ja sich drüber gefreut hat. Gar ihr Mann, der Lehrer, ist von diesem Gedanken völlig hin gewesen und hat sogar das Wasser in die Augen bekommen.«

»Dieser windige Hagel,« brummte der Alte dazwischen.

»Ja, der Salami hat mir heilig versprochen, sie wolle zum mindesten die zwei Kerzenständer, und zwar müßten es versilberte sein, in das Kapellchen stiften. Und danach bin ich auf Hochsiten zur Judith gekommen.

»Es war dort just alles um den Vespertisch und so ward ich mit Hallo begrüßt, mußte mich gleich an den Tisch hocken und bekam dazu gar noch Euer Patchen, Vater, den Zacharisli, auf den Schoß. Er ist gehörig gewachsen und hat mir mit seinen Patschhändchen immer die Nase abreißen wollen. Am liebsten hätte er mich wohl ganz aufgegessen. Sie hatten eine große Freude, sage ich Euch, ob der Botschaft vom Heimkapellchen. Da habe die Mager einmal einen ganz guten Gedanken gehabt. Siehst du, Schwester,« wandte sich das Röllchen an die Mager, »die Judith wäre am liebsten geradeswegs zu dir hinaufgelaufen und dir um den Hals gefallen. Aber nun kommt die Hauptsache. Nämlich, wie wir da so beim Milchkaffee hockten und über diese Stiftung und aber auch über allerlei anderes redeten, hieß der Schwager Baschitoni den Bändichtli, des Tschuppmoosbattisten Jungen, der ja auch mitaß, aufstehen und die Spielkarten aus der Kommodtruhe nehmen, sie wollen mit dem Altknecht und dem Melker einen Jaß herausklopfen. Aber als sie nun schon an ihrem Seitentisch hockten und die Karten in die Finger zu nehmen anfingen, legte sie der Schwager Viehhändler wieder weg und zu uns an den Tisch kommend, sagte er, nun habe er eine Idee. Wie er von mir gehört habe, wissen wir noch gar nicht, woher wir für das Heimkapellchen einen hl. Wendel bekommen könnten. Er müsse aber die nächste Zeit ins Städtlein Nidach hinunter zum alten Advokaten, dem Doktor Hieronimus Fink. Der habe ihm einen Prozeß zu führen, einer Kuh wegen, die der Spielaumichel in seinem Rausch sich für trächtig habe anhängen lassen, obschon sie kurz vorher verworfen habe und so wenig trächtig gewesen sei als eine Kirchenorgel. Er könne nun doch den Lumpen, diesen völlig versoffenen Dolmetscher, der einst ein einfälliger Donner gewesen sei, für sich keine Geschäfte mehr besorgen lassen. Und in dem alten Nest unten gebe es vielleicht Gelegenheit, einen solchen Heiligen aufzutreiben. Dieser alte Fürsprecher und Prozeßausroller wisse immer wieder einen Zu-, aber auch einen Ausweg für alles. Denn, sagte der Schwager Tritsch, den Heiligen ins Heimkapellchen wolle er stiften. Er tue es nicht anders. Auch sei's seine heiligste Pflicht vor Gott und seinem Schwiegervater, der ihm seine schöne Frau, die Judith, habe zukommen lassen. Er wisse heute noch nicht, wo er dieses Glück verdient habe. Und sowieso sei ihnen unser Herrgott immer und letzthin im besonderen auch wieder beigestanden und am End habe der hl. Wendel da mitgeholfen, daß er einen Schub Nutzvieh so gut ins Ungarische hinein absetzen und dabei ein schönes Geld habe verdienen können. Also der hl. Wendel aufs Altärchen sei unbedingt seine Sache. Das tue er unter keinen Umständen anders und nicht ruhen werde er, bis er seinen Heiligen gefunden habe.

»Das also, Vater, hab' ich Euch zu berichten. Die Judith und ihr Mann lassen Euch grüßen. Es sei merkwürdig, wie selten man jemand von der Ruchegg zu sehen bekomme. Ob Ihr etwa den Weg auf Hochsiten nicht mehr wißt, Vater, haben sie mich gefragt.«

»So, so, der Viehhändler, der Tritsch, will den heiligen St. Wendel übernehmen,« machte der Hirte vor sich hin. »Schaut, das freut mich, wohl tut's mir. Man sieht doch aus alledem, wes Fadens mein Schwiegersohn ist und daß das Stumpenblut bei ihm in keinen Jauchekasten geronnen ist. So wollen wir nun in Gottes Namen der Sache den Gang lassen mit dem Heiligen und unterdessen will ich dafür sorgen, daß der Kaminfeger und Maurer da unten zu Erlenstalden das Heimkapellchen bald in Angriff nimmt. Ein Kunstwerk muß es ja nicht werden und hoch wird's auch nicht. Aber ein Altärchen drein und drauf der heilige St. Wendel und vor das alles ein ansehnliches Gitter, das ich zu Kilchaltdorf machen lassen will, muß mir dran gewandt werden. Und kann der Kaminfeger da unten zu Erlenstalden das Kapellchen nicht bauen, so kann's dann aber sicher der Dachdecker von Stagelrain. Das ist ein schauerlich Geschickter.

»So und jetzt zu Bett, auf den Laubsack, ihr Maitli! Es ist Zeit mit euch allen. Die Hühner schlafen schon lang auf ihren Sedeln und hört ihr's! die Nachteule, die Pfaffenkellnerin, geht um und prophezeit Schlimmes, aber ich, der Matthatias Stump, glaube es ihr nicht. Macht, macht!«

Er brauchte nicht mehr zu mahnen. Die Mager hatte das Röllchen schon zur Stube hinausgeführt, ja fast getragen, immerzu ihre Augen suchend. Und als nun der Stump mit starkausholenden Kurzbeinen hinter dem Ofen hinauf in die Elternkammer stieg, zog die Reb bedächtig ihre rauhledernen Sonntagsschuhe, denn werktags trug sie überhaupt keine, aus und warf sie dann einfach in den Stubenwinkel, in dem die schwarze Katze hinter dem ungebrauchten Spinnrad schlief. Aufgeschreckt schoß sie auf und verkroch sich unter dem Ofen.

Auflachend nahm die Reb das Weihwasser an der Türe. Alsdann schritt sie pfeifend, mit den Fäusten auf die Wände trommelnd, über den dunklen Flurboden und über die krachenden Stiegen hinauf in die Schwesternkammer.


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