Meinrad Lienert
Der doppelte Matthias und seine Töchter / 1
Meinrad Lienert

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In einer lauschigen Mulde, etwas seitlings vom Rucheggstall, die von einigen weißstämmigen, prächtigen Birken bestanden war, unter denen ein klares, dürftiges Bächlein nidsich rann, hatte das allzeit unruhige, unternehmende Röllchen einen Garten angelegt. Es gab da alles mögliche drin an Pflanzentum: Erdäpfelstauden, eine Reihe Schnittlauchbüschel, einen dickhäutigen, braunen Bergsalat, Petersilien, aber auch allerlei Blumen, die sie wild durcheinander wachsen ließ, unter denen die goldenen Frauenschühlein, das an einem spinnwebfeinen Faden hängende Wunderhörnlein Rührmichnichtan, Blumen, die immer da wuchsen, aufleuchteten, aber auch schwere rotballige Bubenrosen und gar ein Grüpplein Feuerlilien, die den Goldbelag der Höhewelt hatten. Sogar ein ewig umgängliches Wasserrad, ein Kinderspielzeug, hatte das Röllchen über das plaudersame Wässerlein gebaut.

Es war ein wundervoller, vorsommerlicher Tag und das Röllchen, das sich wieder einmal aus der bäuerlichen Arbeit davongemacht hatte, kniete eben in seinem Garten, schaute lächelnd seinem blitzgeschwinden Mühlerädlein zu und sang zu dessen Klappern und Plappern, was ihr durch den Kopf ging.

Und es ging ihr vielerlei durch den Kopf. Sie gedachte der Maul- und Klauenseuche, die im Tal ausgebrochen war und die bewirkte, daß kein Bein mehr von der Ruchegg zu Tal und erst recht nicht von Erlenstalden und der Enden, auf oder gar über die Egg steigen durfte. Auf einmal kam man nicht einmal mehr zu Brot, das sonst eines Unterdorfbäckers halbgewachsener Brotvertreiber von Kilchaltdorf her im Wagen nach Erlenstalden und im Winter gar den rauhen Waldweg der Genossame herauf auf die Ruchegg gefuhrwerkt hatte.

Es war ja freilich erst ein paar Tage her, seit man die Botschaft von dieser verfluchten, unheilvollen Seuche vernommen hatte, und zwar vom Briefträger, der die Zeitung, den zweimal wöchentlich erscheinenden »Boten von Kilchaltdorf« einfach auf einen Faulstrunk unterhalb ihres Hauses hinlegte und ihnen die so unerwünschte Neuigkeit zurief. Seitdem zeigte er sich überhaupt nicht wieder. Und nun denke man, schon mehrere Tage kein Brot mehr auf dem Tisch! Das ward ihnen allen ein Ungewohntes. Die Bratkartoffeln, obwohl sie von Butter troffen und einen aus jedem gelben Scheibchen anlachten, vermochten das Brot nicht vergessen zu machen. Brot, Brot! Nein, das hätte man sich doch nicht einbilden können, daß das etwas derartig Gutes sei, daß man schon nach einigen Tagen, da es einem nicht mehr zukam, so gelüstig, ja sehnsüchtig danach würde. Nicht umsonst hatte die Base Kathriseppe selig immer das Kreuzeszeichen mit dem Messer über einen frischen Laib Brot gemacht, bevor sie ihn anschnitt.

Aber es ging dem Röllchen noch anderes durch den Kopf. Hatte diese Klauenseuche nicht sogar den Viehhändler Tritsch, den Verlobten der Ältesten, der Judith, von der Ruchegg völlig abgehagt, denn als er sich vorgestern in der Dämmerung aus dem Föhrenwäldchen unterhalb die Weid hinauf aufs Haus zu machen wollte, rief ihm die Judith vom Stiegenbrücklein aus zu, wenn er noch einen einzigen Schritt obsich tue, so wolle sie ihn nicht mehr. Er, als ein bestandener Mann, sollte doch wissen was er mache. Man wolle sich aber von ihm so wenig als von andern Leuten die Seuche in den Stall bringen lassen, was er als ein so gerühmter Viehhändler sich aber noch besonders sollte denken können. Er solle nur machen, daß er wieder abwärts und heimzu nach Hochsiten komme. Das hatte der Baschitoni Tritsch freilich sofort verstanden und so grobkörnig es gegeben worden war, auch ruhig eingenommen und verdaut. Etwas vom Gernhaben und sich Langweilen hatte er noch hinaufgerufen und wie er's kaum erwarten möge, bis die Welt da oben wieder seuchenfrei sei. Alsdann war er lachend wieder abgezogen.

Ja, das war ihrer Schwester, der Judith, nicht so leicht geworden, das hatte sie schon gemerkt, den stattlichen Mann und wohlbestellten Senntenbauern von Hochsiten heimzuschicken. Aber Judith hin, Judith her, sie hatte ihre eigenen Sorgen, denn am nachdrucksamsten ging ihr durch den Kopf, daß nun auch der Tschuppmoos Bändichtli, der flinke Sohn des Geißbäuerleins und Flickschusters da unten im Erlenstalder Riedland, ihr gewesener Schulkamerad, nicht mehr kommen durfte, er, der sich immer etwa wieder, mit der Traggabel am Rücken, über die Ruchegg machte. Merkwürdigerweise mußte er ja dann ebenso immer am Brunnen zwischen Haus und Stall sich abkühlen, und zwar just, wenn sie mit ihrer Gelte übers Vorstieglein herabkam, um Wasser zu holen.

Nein, weder der Vater, nicht einmal die Schwestern, die kluge Judith vielleicht ausgenommen, die jetzt noch merkiger als sonst war, weil sie an gleichen Nöten litt, hatten es herausbekommen, was sich zwischen ihr und dem Tschuppmoosjungen anzuspinnen begonnen hatte und daß nichts als ein großer Stein auf Bändichtlis Traggabel im Bündel zu finden gewesen wäre, wenn er über die Ruchegg kam. Nein, der Vater, so zapplig er sonst in allem war, nach der Richtung war er nicht mehr der merkigste.

Sie mußte laut auflachen, da sie jetzt an den Vater dachte: »Ja, das Röllchen, das Röllchen,« hatte er gestern am Tisch gesagt, sie konnte es im Nebenstüblein ganz gut hören, »das ist noch weit vom Mannsvolk. Es weiß ja, beim Eidhagel, noch nicht einmal recht, wo die kleinen Kinder herkommen, was gilt's? So brumm' nicht allweil wegen seiner und verschimpf' mir's nicht, Salami! Laß es noch eine Zeitlang Kindskopf sein und in seinem Paradieslein da in der Mulde unten herumspielen. Der Engel mit der feurigen Rute wird's eines Tages, Gott sei's geklagt! noch mehr als früh genug hinausjagen.«

Nein, der Tschuppmoos Bändichtli wird sich hüten, jetzt auf die Egg zu steigen. Soviel Verstand hat er doch gewiß auch, daß er nicht das Landesunglück der Klauenseuche weiterverträgt. Und käme er dennoch, wäre das doppelt schlimm für sie, dann, dann, nein, hätte er sie nicht so recht lieb, wenn er sich nicht einmal da halten könnte und es gar versuchte, hinterrücks doch an sie zu kommen. Er mußte ja wohl einsehen, daß der Vater von ihm auf keinen Fall etwas wissen wollte, von eines Geißbäuerleins und Allmeindnutzers Buben. Wenn er ihm aber gar noch die Seuche auf die Ruchegg brächte! Jesusgott, nein, daran durfte man nicht einmal denken. Ach, es war so traurig auf der Welt, einen wohl leiden zu mögen, den man nicht haben darf, einen zum Zerreißen, zum Fressen liebhaben, mit dem man kaum über den Brunnen hin alle vierzehn Tage ein paar Worte und Blicke, Blicke, ja freilich, die schon, wechseln kann. Und nun gar diese gottverdammte Klauenseuche, die den Tschuppmoosbattisten Bändichtli völlig von ihr verbannte. Daran dachte natürlich kein Bauer im ganzen Land, daß diese Seuche allenfalls auch der Liebe so bös mitspielen könnte. Diesen Leuten war's nur ums Vieh und alleweil ums Vieh zu tun. Was kümmerte es die Zottelkappen, wie dieses Landübel sogar mit den Herzen so heillos wirtschaftete. Ja, ja, die Judith, die konnte sich dreinschicken. Sie war ja sowieso bedachtsam und nicht die heißeste. Aber die Mannsleute waren ja so, daß sie allweil meinten, wenn man ihnen einen lebhaften Blick gab, nun sei die Liebe wie die Milch in der Pfanne bei uns eben grad am Erwellen und Übersieden und höchste Zeit sei's, sie abzunehmen. Ja, die Älteste, die war ihres Viehhändlers, dieses doch schon ziemlich dicken Hochsiters, sicher. Aber sie und der Bändichtli! Ach, was für eine traurige Zeit, nein, weit mehr: eine erzlangweilige Welt.

Trotz alledem tat das Röllchen einen Jauchzer, der wie ein Schwarm Vögel, denen der Käfig plötzlich aufgeht, sich allseitig in alle Himmel hinaufjubelte. Dazu trieb sie ihr Wasserrädlein immer toller an.

Jetzt aber schoß sie auf und stand horchend, die blauen Augen im Fernen, da.

Wahrhaftig, da war ihr Bescheid geworden, aber nicht vom Echo. Ein Jauchzen war die Antwort zwar, aber was für eines! So krächzend, so scherbelnd konnte doch nur ein unbäuerlicher Dörfler jauchzen. »Aha, da kommen sie ja gläublich, die Herren!« rief sie aus.

Nämlich, das Bezirksgericht von Kilchaltdorf hatte im Sinne, wie sie gestern erst durch den Tschuppmoos Bändichtli vernahmen, der's ihrem Vater noch im Zunachten vom nahen Föhrenwäldchen herauf, an den Stall hinauf zugelärmt hatte, in den Weiden jenseits der Ruchegg einen gerichtlichen Augenschein aufzunehmen. Der Augenschein lasse sich nicht mehr aufschieben, heiße es. Die Herren Richter gedenken sich aber also durchs Tal und auf die Ruchegg zu ziehen, daß sie das Seuchegebiet in Erlenstalden umgehen können, auf daß durch sie niemand angesteckt werde und zu Schaden komme. Für diese Botschaft, die den alten Stump vor Aufregung fast aus dem Häuschen brachte, hatte er dem Tschuppmoos Bändichtli eifrig gedankt. Aber danach hatte er im Haus herumgetan wie ein Wilder und sich verschworen, wenn das Gericht es wirklich wagen sollte, ihm allenfalls die Klauenseuche auf den Berg zuzuschleppen, was er aber nicht glauben könne, so wolle er den Herren dann schon zeigen, wie, wo und wann. Und der Salami und die Reb hatten sich nicht viel weniger empört, auch die Judith und die Mager nahmen diese Botschaft schwer, so daß dem Röllchen das Lachen und Singen für eine Weile völlig verging. Der Stump hatte dann seine Mistgabel, mit der er eben den Kühen und Geißen das Bett machte, nur so seitlings, fast liebevoll angeblickt. Und der Salami hockte sich gleich danach draußen vors Haus, fegte an ihrer alten Flinte, die ihr im Schoß lag, herum und schimpfte dazu wie eine aufgeschreckte Elster, also daß es schien, der Mond getraue sich bei diesem wüsten Tun nicht recht hinter den Tannen des Butzistockgrates herauf. Die Reb hatte einen Haufen großer Steine aus der Weid vor das Haus zusammengetragen und gleich angefangen, sich damit im Steinstoßen nach dem Brunnenstock zu üben, während die Mager neben dem Stall um ihren Besenstiel frische, weißtannige Reiser band. Es fing an kriegerisch auszusehen auf der Ruchegg. Die Judith, die trotz allem bedachtsam blieb, hatte die liebe Not, den herumfuchtelnden Vater, der aufgeregt alleweil wieder um Haus und Scheune hastete, wie ein Roß am Seil, das traben lernen soll, abzunehmen und ein wenig zu besänftigen. Sie hatte es nach dem Tag des aufpeitschenden Berichtes mit Zureden, Ausreden und mit allerlei Werweißen soweit gebracht, daß man auf der Ruchegg zu glauben begann, es könne mit einem gerichtlichen Augenschein derzeit doch nichts sein, der Tschuppmoosjunge sei gewiß auf ein leeres Gerücht hin bergwärts gelaufen, um bei ihnen den Gefälligen, den Guten zu machen. Auf jeden Fall wolle man's ruhig und Gewehr bei Fuß an sich herankommen und aber niemals durchlassen, komme wer da wolle und was da wolle. So hatte man's denn fast vergessen und sehnte sich nur wieder nach Brot, wie die Schülerknaben.

Aber nun schien doch etwas mit diesem Augenschein los zu sein.

Das Röllchen war aus der blumenreichen Mulde voll Wohlgeruchs auf den Bord geeilt. Von da aus sperberte sie nun mit gar wachbaren Augen über die Weiden hinab. »Ja, auf Ehr' und Seligkeit!« machte sie völlig erschrocken. »Da unten, über die Fuchsweid herauf kommt ja, wahrhaftig, ein ganzes Geläuf Mannsvolk. Wenn das nicht das Bezirksgericht Kilchaltdorf ist, so nimmt's mich wunder, wer's denn sonst sein könnte. Militär, junge Soldaten wie im letzten Frühling, rücken da leider nicht heran, das sieht man. Also werden's die Richter seien. Heja, gewiß, sind's Richter, sonst wären sie gelenkiger und kämen rascher obsich. Heiland, Heiland, was wird der Vater sagen und wie wird erst unser Salami tun!«

Jetzt verschwand die Schar der heraufsteigenden Männer im Föhrenwäldchen unterhalb der Ruchegg. Lange konnte es doch nicht mehr dauern, so müßten sie in die Weid heraustreten.

Im Galopp, leichtfüßig wie ein Rehgeißlein. rannte das Mädchen auf Stall und Haus zu. »Vater, Vater!« rief sie, »sie kommen, bei Gott, sie kommen, sie kommen!«

»Wer kömmt?« fragte lärmend der Salami aus der mit hölzernen Stäben vergitterten Küche. »Was machst du denn so ein Gebrüll? Es wird etwa nicht . . .«

»Das Gericht kommt, das Gericht kommt!«

»Was, wer, das Gericht?! Jetzt ist's gut!«

Und weg war sie.

»Vater, Vater!« schrie das Röllchen.

»Ja, was hast denn?« fragte jetzt auch der alte Stump, aus dem Holzschopf tretend, eine Bürde Küchenholz auf dem Buckel.

»Das Gericht, Vater, das . . .«

Tätsch! platschte das zusammengebundene Kleinholzbürdelein ins Gras und da rollte es auch schon rainab aufs Föhrenwäldchen zu. »Wird nicht sein, Maitli?!« rief er aus. »Du siehst Gespenster. Das Gericht? Was redtst du da? Willst uns erschrecken. Hast du's denn selber gesehen?«

»Jaha, gesehen, Vater. Über die Fuchsweid herauf habe ich sie schuhnen sehen, so langsam, sattlich, wie's nur gutgehaberte Herren können. Das ist doch gewiß etwas Rats oder Gerichts.«

Der kleine Hirte war einen Augenblick still geworden, wie der offene Fensterladen vor dem Föhn, aber jetzt ward er völlig lebendig.

»Heda, ihr Maitli, Maitli!« lärmte er ans Haus hinauf. »Ho, ho, ho! das Bezirksgericht kommt, das Gericht, die Himmelherrgottsdonner! Nun kommen sie, scheint's, doch. Jetzt gilt's Ernst. Rüstet euch, macht, macht und kommt! Sie stecken schon da unten im Föhrenwäldchen und können also im Hui da sein. Kreuzhagelwetter abeinander, das sollen sie aber eben nicht, das sollen sie ewig nie. Macht, Maitli, rührt euch, fleißt euch! Jetzt sprengt's einmal. Ihr wißt was das heißt, wenn die Klauenseuche in meinen schönen Viehstand hineinmag. Flink, flink!«

Er riß die Axt mit einem gewaltigen Ruck aus dem Scheitbock, der vor dem Schopf stand, also daß es ihn fast überwarf und daß ihm die Hirthemdkapuzze vom angegrauten, arg verwilderten Kopf fiel.

Gar scharfe Ausschau hielt er jetzt gegen das Föhrenwäldchen hinunter.

Und da schob sich auch schon der Salami, trampend, die Büchse umgehängt wie ein rechter Weidmann, über das Stiegenbrücklein herab. »So!« rief sie kreischend aus, »nun sollen sie kommen, ich habe doppelt geladen.«

Das Röllchen, das nun, die Hände im Schoß, auf dem Scheitbock saß und ihrer massigen Schwester entgegensah, mußte laut auflachen, was ihr die räße Schwester aber übelnahm, denn sie begann auf sie zu schimpfen: »Ja, jetzt wenn's bös kommt, hat man viel an dir, du Hoffartsgockel!« schrie sie. »Die Jungfer spielen und dich aufrüsten und herausputzen und den Tag verjauchzen, das kannst du, aber . . .«

»Halt's Maul!« schnörzte sie der Alte ab, »wir haben jetzt da nicht Kinderlehre; nun gibt's anderes zu tun. Du bist ja auch nicht von gestern und frisch vom Taufstein weg. Man hat mit dir auch schon allerlei erleben können. Und das will ich dir grad auch noch sagen, deine Flinte sehe ich nicht gern, heute schon gar nicht. Es ist genug, daß ich dir immer, freilich umsonst, sagen muß, ich werde es nicht mehr dulden, daß ein so schweres, zeitiges Weibervolk wie du immer wieder wildert. Solltest dich schämen! Maitli, Maitli!« rief er aber gleich wieder ans Haus hinauf, »kommt ihr oder kommt ihr nicht?!«

»Vater,« gab der Salami keifend heraus, das Gewehr zärtlich wie ein Wiegenkind im Arm haltend, »Vater, Ihr müßt mir das bißchen Jagdfreude, das ich etwa zeitweilig habe und haben will, nicht so herabmindern oder gar schlecht machen, denn noch allemal, wenn ich ein Häslein, ein Haselhuhn oder sonst etwas saftiges Vier- oder Zweibeiniges aus dem Wald heimgebracht und gut gekocht auf den Tisch vor Euch hingestellt habe, seid Ihr mit Messer und Gabel und dem ganzen Kauwerk, soweit Ihr's noch habt, der erste dabei gewesen, wahr oder nicht? Also!«

»Nun hör' einer das Maul,« machte er unwillig, »scharfrüchig wie eine Stande voll Eingesalzenes stellst du dich einem immer gleich unter die Nase, wenn man dir ein wenig die Meinung . . .«

Der Alte redete nicht weiter, denn nun hörte man jemand wie das heilige Donnerwetter durchs Haus herunterpoltern. Und da sprang auch schon die Reb, brandzündrot wie ein doppeltgenommenes Alpenglühen, übers Stiegenbrücklein herab und auf den Steinhaufen neben dem Brunnen zu.

Und als jetzt auch die Mager, lang und dürr wie eine Streuetristenstange, aber einen Kopf voll rötlich leuchtender Haare, mit ihrem frischausgerüsteten Stubenbesen zu ihnen trat, rannte auch die Reb wieder heran, die Hemdärmel bis an die Ellbogen zurückgestülpt, in den Händen einen halbzentnerigen Stein tragend und sich damit wie ein Tanzbär alleweil hin und her wiegend. »So,« sagte sie, auf ihren schweren Stein und dann auf den Steinhaufen beim Brunnen zurückblickend, »die erste Kanonenkugel wär' also geladen und braucht's mehr, so hab' ich für Munition schon vorgesorgt. Ich könnte damit herumschießen, fast wie die Burschen vom Militär, die letztes Jahr in allen Krachen herumkanoniert haben. Und wißt Ihr was, Stump: Nun wollen wir nicht warten bis sie vor uns stehen. Sobald sich die ersten aus dem Föhrenwäldchen machen, fange ich an, sie zu steinigen, so daß sie wie zu Morgarten durcheinander geraten. Und alsdann wir wie eine Erdbreche über sie dar!« »Red' nicht so einfältig, Reb,« sagte der Alte, seine Blicke aber wohlgefällig über seine Tochter gehen lassend, die wie aus Stahl und Eisen neben ihm stand und die ihm so auffallend glich. »Wir dürfen da nicht gleich katzenhageln, obwohl's unter euch Wildkatzen gibt. Laßt erst nur den Matthatias Stump machen. Wenn ich's mit den Leuten vom Gericht nicht zuweg bringe, gut, so bist du alleweil noch die Reb und die andern da, deine Schwestern, sind auch nicht von Seide und Samt, das große Kind etwa ausgenommen,« machte er, mit einem flüchtigen Lächeln dem Röllchen in die blauen Augen sehend. »Sowieso, vieles ist oft bloß leerer, weißer Wind was daherkommt und tut wie eine Lawine. Steh fest, o Vaterland!«

Jetzt war auch die Judith, frisch wie eine Wiese im Morgentau, die alle Blumen und Gräser aufrichtet und sichtbar werden läßt und üppig wie ein schöner Hochsommertag, gemessenen, fast etwas trägen Ganges vom Stall her zu ihnen gekommen. In der Faust trug sie mit nachlässiger Selbstverständlichkeit, wie eine harmlose Stachelpalme voll Äpfel am Palmsonntag, eine ansehnliche Mistgabel, die sie eben schulterte.

»Ja, Vater,« redete der Salami unwirsch, »aber einen Schreckschuß in die Luft will ich doch abgeben, sobald wir sie zu Gesicht bekommen. Sie sollen wissen mit wem sie's zu tun haben.«

»Halt's Maul und rühr' dich nicht!« schnarchte sie der Alte ab. »Ja, du wärst mir die Rechte; auf dich könnte ich mich verlassen. Du tätest mir den heiklen Handel allweg schön verungeschickten und verlümmeln, du Gans! Und sowieso sag' ich dir: Häng' nicht dein vorlautes, bitteres Maul in alles was da allenfalls läuft. Laßt ihr mich nur machen. Man kommt um den Stump herum nicht so gleitig wie um einen Brunnenstock.«

»Gelt nur, Vater,« meinte jetzt das Röllchen, »die Herren vom Gericht ziehen gewiß gleich wieder ab, wenn sie sehen, daß wir so fest willens sind, sie nicht über die Egg zu lassen.«

»Ja, kannst dir's denken,« lachte der Hirte kurz auf. »Bist wohl noch ein Kind, ein Springding, wenn auch freilich ein untunliches und einfälliges und eins, das sich noch wird sehen lassen dürfen. Ja, da hast du eine Ahnung, Röllchen, da kennst du die Herren eben nicht wie ich, wenn du dir einbildest, die werden sich wie Schülerbuben heimschicken lassen. Oha Most! Und gar Herren, die in Amt und Würden stehen. Bei solchen ist's als ob sie mindestens siebenfach geweiht und um und um mit Altardecken überhangen wären. Jeder hält sich für einen Regenten vor Gott und Menschen, wenn schon ihn jede bessere Wirtin beim Kartenspiel übertrumpft und jedes zeitige Röcklein mit ein Paar roten Backen zehnmal verkauft. Sobald einer Gemeindrat ist, so denkt er schon: Ich bin es! Und man kann ihm's wie einem Wirtshausschild mit goldenen Buchstaben, vom Gesicht ablesen. Und ist einer gar Kantonsrat oder noch höher, so fühlt er sich überhaupt so hoch oben, daß es ihm fast schwindlig wird. Völlig auf den Wolken thront er, nur daß er nicht Tag und Nacht und aus Roggen Weißbrot machen kann. Ja, da heißt's Hochachtung und zehn Schritte vom Leib. Und tupft man so einen Herrn nur, so wird er unangenehm und heiß wie ein Bügeleisen und hat's wie die Grille, die sogleich den Bürzel mit ihren zwei Beißzangen stellt. Und nun gar ein Gericht, wo sich drin jeder mit dem Jüngsten Gericht in Verbindung und so auch eine Art als seine erste Instanz, sagt der Erlenstalder Sigrist, fühlt. Also seid mir nicht zu hitzig! Es ist allenfalls genug, wenn's ich werde. Wollen dann die Unfläte nicht mit sich reden lassen, dann, ja zum Donnerwetter, kann man wieder sehen. Aber noch einmal, Salami, scharf geschossen wird da keinenfalls, auch nicht einmal in die Luft! Mit Gerichtsherren, meine ich alleweil noch, sollte man's auch von Hand und der Enden aufnehmen können. Ist ja an ihnen das meiste mürbes und halbmürbes Holz, wie jene grüngepolsterten Stühle, auf denen sie hocken und wo sie die Leute drauf richten.«

»Vater,« warf der Salami, schwerverdrossen, ein, »Ihr seid ja auch nicht mehr heutig und schon über und über grau, wie die Welt im Herbstnebel.«

»Das kann dir gleich sein,« gab er, fast erbost, zurück. »Ich federe gottlob alleweil noch wie ein Herrenfuhrwerk und bin ich außerhalb grau, so bin ich innerhalb . . . Ich pfeif' dir drein, das geht dich einen Dreck an!« lärmte er, »was kannst du von mir wissen. Ich bin . . .«

»Sie kommen!« rief das Röllchen halblaut aus.

Der Alte brach ab und schauten alle aufgeregt, in brennender Neugier, zum Föhrenwäldchen hinunter, aus dem sich nun erst zwei, dann nach und nach eine ganze Schar Mannsleute herausließen.

Jawohl, das konnte man gleich sehen, das da unten waren Leute aus dem Dorf. An ihrer Aufmachung an konnte man's merken. Aber nein, es gab auch einfache, bäuerlich-sonntäglich angezogene Leute drunter. Ja, das werden die Vertreter ab der Bauernsame sein. Deswegen war es wohl dennoch das Bezirksgericht.

Jetzt schienen sie alle aus dem Holz heraus zu sein. Und nun fingen sie, einige bestandene Männer voraus und ein paar ältere und alte, die ihre Grauköpfe und Glatzen entblößt hatten, gemächlich, ja eher mühsam, hinterdrein, weidan gegen das Ruchegghaus heraufzusteigen.

Nun hieß es handeln. Noch durch ein paar Haselbüsche ließ der Stump die Heraufkommenden sich nahen. Aber als sie jetzt auf einmal unter ihm, von keinem Himbeersträuchlein mehr verdeckt, in der Sonne bergan schritten, hob der Salami blitzgeschwind ihre Flinte und da donnerte auch schon ein Schuß durch die Wald- und Bergwelt, alle Echos aus ihren Schlupfwinkeln aufjagend.

Und siehe da, nun tat der Stump nicht einmal wüst, im Gegenteil, er konnte ein Schmunzeln nicht verbergen, als er nun sah, wie die Herren vom Gericht, denn daß sie's waren, erkannte er an einigen von ihnen und an einem alten Advokaten, der mitging, – steif und starr wie frischgeschlagene Böllerstudel, dastanden und mit wahrhaft erschrockenen Augen zum Ruchegghaus heraufglotzten.

Und nun sahen die Herren vom löblichen Bezirksgericht Kilchaltdorf zu ihrer großen Überraschung, ja Beunruhigung, den kleinen, grauen Hirten obsich, ganz nahe zwischen Haus und Stall stehen und um ihn seine starkbewehrten Töchter. Sie mußten nur so staunen. Ja, das sah ja recht gefährlich aus, völlig wie im Hirtenhemdenkrieg in den alten Zeiten, mochte es aussehen.

Und als sich die Herren Richter doch wieder in Bewegung setzten und Miene machten weiterzusteigen, gebot ihnen die Stimme des Bergbauern donnergängig Halt. Und wie sie sich, der behende, noch jugendliche Bezirkswaibel voraus, dennoch obsich machten, flog dem besagten Amtsdiener ein Stein, groß wie ein Butterballen, hart an den Füßen vorbei und rollte weiter durch die Schar der Richter hin, die ihm schleunigst und achtungsvollst Platz machten.

Jetzt aber hielten die Herren an und der alte, dürre Advokat, der das Gericht für seinen Klienten begleitete, der Dr. Hieronimus Fink, lachte auf wie eine alte Ziege.

»Nichts für ungut, ihr Herren,« redete nun der alte Stump zu ihnen hinab, »aber wir müssen uns helfen wie wir können. Nämlich hier heißt's: Übergang verboten! Weswegen werden die Herren, nehme ich an, schon wissen, denn, ihr lieben Herren, es ist ja landauf und ab wohlbekannt, daß da unten zu Erlenstalden die Maul- und Klauenseuche ausgebrochen ist. Und solltet ihr's nicht gewußt haben, was ich aber nicht glaube, so wißt ihr's jetzt und ich rechne, so gescheiten, weitsichtigen und durch und durch gerechten Leuten werde man's nicht zweimal sagen müssen, was die Seuche für uns geplagte Bergbauern bedeutet. So nehmt mir's denn nicht übel, ihr Herren, wenn ich euch sage, daß ihr nun wieder zu Tal und den Berg umgehen müßt, falls ihr auf die andere Seite hinüber wollt. Da über die Ruchegg nämlich, kommt ihr nicht durch.«

Unterhalb des Hofes ward's nach dieser bestimmten Absage einen Augenblick still, dann aber ließ sich ein alter Herr, der Gerichtspräsident war's, der Stump erkannte ihn jetzt, hören. Er sagte dem Hirten in aller Freundlichkeit, sie hätten einen Augenschein im obersten Weidlein jenseits der Ruchegg aufzunehmen, der nicht länger aufgeschoben werden könnte. Sie möchten aber ihn und sein Haus in keiner Weise schädigen. Deshalb hätten sie einen weiten Umweg um Erlenstalden gemacht und seien so mit dem Seuchengebiet gewiß nicht in Berührung gekommen. Er solle nun Vernunft walten lassen und ihnen ja keine Schwierigkeiten machen. Es sei schon genug daran, daß man sie mit Schüssen empfange und daß man beinahe eine obrigkeitliche Person, den Waibel, gesteinigt habe. Item, sie wollen aber nichts gehört und gesehen haben, doch solle man jetzt den Paß freigeben. Sowieso, daß er's wisse, das Bezirksgericht von Kilchaltdorf sei keinenfalls willens, sich erschrecken oder so oder anders von seinem Pflichtgang abbringen zu lassen, man möge den Baubau machen wie man wolle.

Als jedoch der Präsident und sein Kreis wieder zuschreiten wollten, gebot ihnen der Stump mit hochspringender Stimme abermals Halt und zugleich schwang man oben die Waffen. Und gar die Axt in der Faust des kleinen Hirten glänzte und gleißte auf wie der Blitz im hereinbrechenden Donnerwetter.

So blieben die Herren wieder, wenn auch höchst widerwillig stehen, um so mehr als dasmal ein gewichtiger Stein, aus der mannskräftigen Faust der Reb herkommend, hart über ihre Köpfe hinwegsauste. Es konnte mit diesem aufgebrachten Bergbäuerlein und seinen bäumigen Töchtern am End' doch recht ungemütlich werden und schließlich gegen das Gesteinigtwerden fühlte sich keiner der Herren Richter versichert.

»Ja, was ist's denn mit Euch, Stump,« rief jetzt der Präsident, »wollt Ihr denn wirklich einem Gericht und gar dem Bezirksgericht von Kilchaltdorf, vor das Ihr ja allenfalls selber gehört, den Weg versperren? Wir haben Euch doch dargetan, daß die Seuche nicht an uns gekommen sein kann. Mann Gottes, wollt Ihr uns hinauflassen oder nicht?!«

Scharf kam's herauf.

»Nein, ihr Herren,« antwortete der Alte, »ich lasse euch nicht durch, denn das weiß der Teufel, ob ihr nicht doch auf Erlenstaldener Boden herumgegangen seid. Ich will's euch ja gerne glauben, aber ich sage euch auch, daß ihr das nicht recht versteht oder verstehen wollt. Die Klauenseuche ist ein heimtückisches Luder und kann euch auch außerhalb Erlenstaldens unter oder an die Schuhe gekommen sein. Wir Bauern haben da unsere Erfahrungen. Wir können hier oben auch nicht warten, bis es einer hohen Obrigkeit endlich in den Sinn kommt, wir könnten allenfalls Landjäger oder Wächter notwendig haben. Sowieso, wer sich zu sehr auf den Hund verläßt, ist ein schlechter Hirte und die beste Sense ist ein frühzeitiger Mähder. Ich will aber kein Unmensch sein und mir nicht nachreden lassen, ich hätte den Rechtsgang in der Welt aufgehalten und euch am Richten verhindert, obwohl vielleicht deswegen die Erdäpfel im Boden nicht fleckiger oder die Leute ärmer und schlafloser würden. Also zum ersten soviel: Da oben in dieser rauhen Welt regiert der Matthatias Stump, und ohne seinen Willen kommt da kein Bein durch. Es ist schlimm genug, daß wir in dieser schädlichen Seuchezeit die Füchse, Hasen und Rehe nicht anbinden können.«

»Na,« rief der Salami dazwischen, »aber auch den Füchsen und Hasen werde ich vielleicht den Weg noch verlegen.«

»Halt's Maul!« kanzelte sie der Stump halblaut, barsch ab.

»Und zum zweiten, ihr Herren,« redete er abwärts weiter, »will ich aber beide Augen und allenfalls auch noch das Elsternauge an der linken Zehe zudrücken und euch doch über die Ruchegg steigen lassen, wenn ihr die Schuhe auszieht. Die Strümpfe will ich euch anlassen, da die wenigsten von euch das Barfußgehen gewohnt sind. Hingegen die Schuhe müßt ihr da unten zu Haufen werfen. Danach, ja, mögt ihr, Gottesnamen, daherüber über die Egg und auf euren Augenschein gehen. Aber anders tu' ich's nicht. Und nun besinnt euch!«

Oben unter den Töchtern und unten unter dem Gericht ging ein Gelächter um.

Aber dann ward es laut und vieltönig unterhalb des Ruchegghofes und redeten alle die Mannen vom Gericht und Zubehör durcheinander. Doch hörte man aus allen den besänftigenden Baß des Gerichtspräsidenten und die krächzende, starkbrüchige Stimme des alten Fürsprechers Dr. Fink, die das aufgeregte Kollegium bald zu geschweigen vermochten, denn sie sprachen den Richtern zu, den Vorschlag des Rucheggbauern anzunehmen. Man dürfe es nicht auf Gewalt ankommen lassen, da das für das Gericht kaum glimpflich und ohne Beulen ablaufen dürfte und da man ja den Augenschein schon mehr als langfristig habe werden lassen. Er beantrage im heiligen Ernst, sagte der alte Fürsprecher, dem rabiaten Stump und seiner gefürchtig aussehenden Amazonenhorde zu Willen zu sein. Einmal ausnahmsweise in den bloßen Strümpfen herumzugehen, sei allweg nichts Ehrwidriges; in Afrika und der Enden laufen ja die Könige haufenweise sogar barfuß herum.

Man stimmte zu, man widersprach aber auch heftig und mit Falkenaugen sah der kleine Hirte über seine starke Nase hinunter auf das strittige Gericht.

Aber als es für einen Augenblick unterhalb stiller ward, rief die Judith, an ihrer Mistgabel wie an einem Spazierstock ein paar Schritte vortretend, hinab: »Heda unten, ihr Herren, hört!«

Gleich ward es unten still und mit verwunderten Augen schauten die Richter zu der breitschulterigen, weißroten, wie ein Apfelbaum im Vollblust prangenden Jungfer hinauf.

»Ihr Herren,« sagte die Judith, »nichts für ungut, daß ich euch dreinrede, aber es ist mir grad in den Sinn gekommen, daß ich nun schon drei Tage und Nächte nicht minder, auf meinen Schatz, auf den Viehhändler Baschitoni Tritsch von Hochsiten, ich weiß nicht, kennt ihr ihn oder nicht, umsonst warte und ungern warte, ihr könnt es mir glauben. Aber seht, ich ließe ihn mir jetzt nicht über die Scheiter und wenn er nichts anhätte als seine überhängenden Augenbrauen. Da dürftet ihr nun doch Vernunft annehmen, ihr lieben, guten Herren und sollte auch euch dreinschicken, wenigstens für eine Weile die Schuhe abzuziehen und in den Strümpfen über unsere Matten und die Egg zu gehen.«

Unten war ein Auflachen, aus dem das Meckern des alten Advokaten herausstach.

»Ja,« meinte die Mager halblaut, denn sie hatte viele Bibelsprüche im Kopf, »denn wo du gehst, ist heiliges Land.«

»Sei doch still!« schnörzte sie der Salami ab, »das paßt jetzt gewiß für unsern derzeit so verjauchten und übermisteten Boden, du Fahnenstange!«

Der alte Stump verwandte kein Auge vom gutlauniger werdenden Gericht. Seine Arme begannen unruhig zu werden und kamen ins Rudern. Aber als jetzt die Judith noch hellstimmig hinunterrief: »Wenn ihr's eingeht, ihr Herren, soll's euch gewiß nicht reuen. Zum ersten tut ihr uns einen christlichen Gefallen und zum andern wollen wir euch einen Älplerkaffee rüsten, der euch acht Tage lang warm hält, wenn ihr von eurem Augenschein zurückkommt. Und nun, was meint ihr?«

»Ja,« brummte beifällig der Stump, »das hast du gutgemacht, Judith. Bist doch die gescheiteste von allen, aber die Reb, die Reb . . .«

»Nun denn,« kam's von unten herauf, »wir sind 's so einverstanden. Heißt das: wir können es, scheint's, jetzt nicht ändern, aber schön ist's von euch nicht, daß ihr mit dem Bezirksgericht also umspringt. Das hat jedenfalls noch niemand gewagt.«

»Gut,« lachte der Stump kurz auf, »so bin ich denn erste der's wagt. Und nun, ihr Maitli,« redete er seine Töchter halblaut an, »bleibt noch da und stramm im Glied. Ich traue den Herren nicht ganz und glaube es nicht bis ich's sehe, daß sie sich dazu verstehen werden, sich vom doppelten Matthias in den Strümpfen über die Ruchegg schicken zu lassen. Das wäre dann allweg der erste Augenschein, soweit die Welt geht, den ein Gericht in den Strümpfen aufgenommen hätte. Aber danach, hört, müssen wir mit den Herren schonlich tun und mit ihnen umgehen wie mit schallosen Eiern, bis wir das Barometer bei ihnen wieder auf beständigschön geklöpfelt haben. Man weiß nie, wo man sie brauchen kann, gar um ein gnädiges Urteil könnte man allenfalls in der diesseitigen, streitsüchtigen Welt froh werden. Aber du, Röllchen,« wandte er sich an seine Jüngste, die sich auf den Scheitstrunk gestellt hatte und die Augen beschattend, mit brennender Neugier auf das gar lebhaft gewordene Gericht hinuntersah, »du könntest jetzt ins Haus hinauf und Ordnung zu machen anfangen, denn . . .«

»Nein, Vater,« lachte das Röllchen auf, »ist das lustig! Beigott sie tun's!«

Der Stump sah rasch unter sich. Und nun ließ auch er über und über aufhellen, wie eine Sonnenuhr an einem Gutwettertag. Ja, potz Hagel, die Herren taten's. Da unten hatten sie sich ins Gras und auf die moosbewachsenen Steinblöcke geworfen und ihre Schuhe auszuziehen begonnen.

»O Mutter, die Finken sind tot!« summte der Alte vor sich hin. »Auf das, ihr Maitli, wollen wir heute nach Betenläuten, wenn die Richter da weg sind, ein gutgezuckertes, höllscharfes Holzschrötersüpplein kochen, bis uns die Augen übergehen. Heilige Kümmernis, da kommen sie ja schon!«

»Ja, aber das kann ich nicht verputzen,« machte der Salami zu der Judith, die wieder unter ihnen stand, »daß du gleich das ganze Mannsvolk da und gar so heikelnäschige Dorfherren und gefräßige Herrenbauern ins Haus eingeladen hast. Die bringen uns zu armen Tagen.«

»Schweig, du Gelle!« sagte barsch der Stump. »Wie kann man so gehässig reden? Ist nur gut, daß ich weiß, daß du's innerhalb besser hast, sonst könnte einer ob dir erschrecken. Wir wollen froh sein und Gott danken, wenn wir die Herren mit Glimpf über die Egg und danach ohne Stachel und Dornen zurück und wieder völlig abbekommen.«

»Ruhig, Vater,« warnte halblaut, tiefstimmig die Mager, sich an ihrem Tannreisbesen zu voller Höhe aufrichtend, »da sind sie.«

Ja, da kamen sie in schönem Umgang, wie auf einer Wallfahrt begriffen, herauf und herangestiegen. Zuvorderst der jugendliche Bezirkswaibel, mit dem ganzen Gesicht in die Stumpentöchter hineingrinsend. Danach kam an seinem Stock der alte, etwas zitterige, aber sich doch guthaltende Gerichtspräsident. Den Hut hatte er in der Hand und ab und zu fuhr er sich über den verschwitzten weißen Kopf. Mit ihm, um ihn schritten die mehr oder weniger bestandenen und alten Richter. Und alle schwitzten sie und alle keuchten sie ein wenig und aber gar alle gingen, ja beigott, das gingen sie, – in den Strümpfen daher.

Der Stump tat einen geschwinden Blick abwärts. Ja, da unten vor dem Föhrenwäldchen lag alles richterliche Schuhwerk an einem Haufen. Es machte gewaltig mit ihm, ein Gelächter, ja ein Jauchzen wollte hochkommen, aber nein er gab ihm den Paß nicht frei, obwohl er nicht die Maulseuche hatte. Auch die Töchter nahmen sich zusammen.

Aber als jetzt mitten unter den Strumpfgängern der alte, steinstaudendürre Fürsprecher, der Doktor Fink, daherstakelte und hinter ihm her gar ein atemnötiges Männchen, das immer wieder ein wenig ächzte und verdrossen die Glatze schüttelte und als sie sehen konnten, wie komisch diese Alten die Beine an sich zogen, wie die Katzen im nassen Stoppelfeld, wenn sie auf einen Stein traten, überlief's der Reb. Mächtig, unaufhaltsam kollerte ihr Gelächter hinaus. Und nun stimmten auch ihre Schwestern ein, so daß es wie ein breiter Strom lauter Freude, ja höchsten Entzückens, über das schuhlose Gericht hinging.

»O, o, o verflucht, ist das lustig!« lärmte die Reb.

Nein, der Stump hatte sich in der Gewalt, kein Gesicht verzog er bei den Wonneschauern, die über seine Töchter gekommen waren und die sich so allum kundgegeben hatten.

»Nichts für ungut, ihr Herren,« machte er, als nun das ganze Gericht bei ihm stand, »'s ist halt einfältiges Weibervolk.«

Und alsdann bedeutete er dem Röllchen, es möchte den Herren den kürzesten Weg über sein Gut und in die strittige Weid auf der andern Rucheggseite zeigen und sie also ein Stück Weges geleiten. »Danach, ihr Herren, vergeßt uns ja nicht zu Gast zu kommen, wenn ihr mit euerm Augenschein fertig seid!« sagte er, »Ein Älplerkaffee wird euch erwarten und er soll, wahrlichgott, recht sein.«

Mit sauersüßen Gesichtern, etwa auch in sich hineinbrummend, zog nun das löbliche Bezirksgericht Kilchaltdorf über die keineswegs nach den ersten Rosen duftende Hausmatte hinweg, dem Röllchen nach, das als einzig barfüßiges Geschöpf unter ihnen sich nicht wenig freute, den strümpfigen Herren Richtern und ihrem Anhang ein Zeitchen den rechten Weg weisen zu dürfen.

Der Stump aber und seine andern Töchter, die sich ins Haus und in den Stall gemacht hatten, schauten heimlich hochbeglückt den Richtern nach, wie sie sich mühten, dem Röllchen im Gänsemarsch zu folgen und wie sie dabei mit gar bedachtsamen Beinen und vorgestreckten Köpfen sich über den eben recht dunkelgemusterten grünen Rain hintasteten, als ob sie über lauter glitschige Frösche gehen müßten.

Es ging schon dem Abend zu, als das behende Röllchen mit den Strumpfmannen wieder auf die Ruchegg zurückkehrte und sich mit ihnen ins Haus hinaufmachte.

Die Herren vom Gericht und gar auch noch der alte, neidgelbnasige Advokat, hatten sich mit dem hübschen Mädchen, dessen Gedanken noch tausendmal geschwinder sein mochten als seine gleitigen, bloßen Füße, schon ziemlich angefreundet. Nun schienen sie aber alle vom gerichtlichen Augenschein oder vielmehr von der ungewohnten Bergfahrt ermüdet. So ließen sie sich denn mit großem Vergnügen um den breitbeinigen Tisch vor dem Ofen in der Rucheggstube nieder.

Die Mager, der's ja oblag, die Stube und die Kammern zu verwalten, hatte alles in beste Ordnung gebracht, ja sogar abgestaubt. Der Boden war mit frischen Tannreissprossen bestreut, und zwar bis in den Flur hinaus und die neueingerahmte Stadt Basel sah in der Abendsonne aus, als ob sie über und über aus feuerrotem Stein gebaut sei. Aber hatte die Stube eben noch gar nüchtern nach Abwaschwasser gerochen, so duftete jetzt alles von einem dampfenden Milchkaffee, den die küchebeherrschende drittälteste Stumpentochter, der Salami, in einem umfänglichen braunen Krug samt den zugehörigen Kaffeekacheln auf den Tisch gestellt hatte. Es lag dabei auch das große, kaum angeschnittene Langbrot und bei ihm ein Butterstöcklein, das sich gar anziehend, halt rein zum Aufessen, zu geben wußte, während daneben ein Bissen Räßkäse aus ungezählten Äuglein bitterlich weinte.

Also langte das löbliche Bezirksgericht von Kilchaltdorf, der Aufmunterung des alten Stump gern folgend, herzhaft zu. Auch die Mager, die so lang war, daß sie in der niedrigen Stube nur leicht gebückt herumgehen konnte und die eben den Weihbrunne an der Türe nachfüllte, hieß sie zugreifen.

Und siehe da, alles löste sich in eitel Wohlgefallen auf, besonders als bei starksinkender Sonne der kleine Hirte auch noch eine Blechkanne voll kräftig geschnapstem schwarzen Kaffee vom Salami auffahren ließ.

Jetzt begannen die Richter, die ältlichen und aber auch die alten, allmählich wieder Federn auf den Hüten zu merken. Sie wurden recht aufgeräumt und hörten mit aller Wohlgeneigtheit dem Stump zu, der nun bei des Salamis scharfeinhauender Tranksame auch hochkam und zu prahlen anhob, daß es stob. Erst rühmte er sein Vieh und seinen gesamten Bauernbetrieb über alle Kirchtürme und Berge hinaus und alsdann auch seine Töchter, indem er sie seinen Gästen weit über Lebensgröße ausmalte.

Und als dann bald die Judith mit munterm, immer ein wenig lachendem Gesicht oder die Reb mit polterndem Gelächter oder angriffigen Augen aus der Küche in die festlich gewordene Stube guckten und das Röllchen sich gar in den Ofenwinkel hockte und die Handorgel gehen ließ, daß es die mehr oder minder wurmstichigen, richterlichen Knochen wie in Wolle einwickelte und die Zehen in den Strümpfen fast ins Hüpfen brachte, da war es völlig gewonnen. Das Stumpenhaus hatte das Barometer auf beständigschön hinaufgetrieben.

Der Bergbauer wußte sich aber jetzt nicht mehr zu lassen. Erst stand er alle Augenblicke auf und redete mit der Vollkraft seiner gottverliehenen, nicht gewöhnlichen Beredsamkeit ins Richterkollegium um den Tisch hinein, indem er einer hohen Obrigkeit alle offenen und heimlichen Schäden der schweizerischen Eidgenossenschaft, des Kantons und der Gemeinde so recht föhnklar sichtbar zu machen suchte und indem er sich vorab bemühte darzutun, wie die Bauernsame der Anfang und das Ende aller Weltordnung sei und wie es im besondern Bundes-, Kantons- und Bezirkspflicht wäre, den elenden Waldweg der Genossame auf die Ruchegg in ein jederzeit und nicht bloß im Winter fahrbares Sträßchen umzubauen und ihm an seine vorhabende neue Alphütte im Gschwendalpeli 90 % an die Kosten zu vergüten. Und als er dann auf die Klauenseuche zu sprechen kam, war er gar nicht mehr zu zähmen, obwohl die Judith ab und zu einmal in die Stube kam und ihn auf seine Stabelle zurückzupfte. Er schlug alle Augenblicke auf den Tisch los und schließlich behauptete er, der Bundesrat sei an der Klauenseuche schuld, denn wenn nur ein einziger unter diesen Stabellenreitern wäre, der wenigstens ein schmales Urnerkühlein oder ein paar Geißen im Stall hätte, von denen er mit einem übelzeitigen Weib und einem Geläuf triefnässiger Kinder leben müßte, würde er schon dafür sorgen, daß die welschen Ochsen und die Seuche nicht über die Grenzen hereinmöchten.

Aber als dann das Röllchen einen lüpfigen Gautanz zog, verwandelte sich die bissige Tranksame in ihm in lauter Honig. Er ward hellauf und unversehens griff er zu seinem halbvollen Kaffeebeckelein und stellte es auf seinen verwilderten Graukopf, damit in der Stube herumtanzend, auf die Knie gehend und mit Zunge und Fingern schnalzend und knallend.

Und wie nun der alte Gerichtspräsident, der sich des scharfgepfefferten Schwarzen völlig enthalten hatte, mit einemmal aufbrach und mit ihm auch das ganze Bezirksgericht, verdroß das den Rucheggbauern. Fast mißmutig hockte er sich vor den Ofen und sah, die rauhen Hände um seine Kaffeekachel legend, als wollte er sie dran erwärmen, fast geringschätzig auf die aufbrechenden Richter, die hinter einer so schönen Tranksame so wenig Sitzleder und Bestand hatten. »O Mutter, die Finken sind tot!« sang er lallenden Mundes.

Wie nun die Herren, die zuvor in der Küche und im Ofenwinkel bei den Stumpentöchtern für die Bewirtung dankten und sich dann in den Strümpfen über die Türenschwellen gemacht hatten und also weg waren, ließ er sich aber von seiner Jüngsten, vom Röllchen, ohne weiteres hinterm Ofen hinauf in die Stubenkammer und zu Bett bringen. Er merkte es kaum, als die Falltüre sich unter ihm schloß und das Röllchen flinkfüßig wieder in die Stube heruntereilte.

Als es jedoch in die Küche hinauskam, die so ziemlich leere Kaffeekanne in der Hand, fand es am Küchentisch zu seiner Überraschung den alten, schiefäugigen Fürsprecher, den Doktor Hieronimus Fink. Er saß da und sprächelte mit seiner zerbrochenen Stimme allerlei Wohleingehendes, Leichtverdauliches in die Stumpentöchter hinein, die sich da zusammengefunden hatten, um sich durch das grobe Holzgitter des Küchenfensters den Abzug des Gerichts, das sich unterhalb des Hauses vor dem Föhrenwäldchen glücklich wieder beschuht hatte, anzusehen.

Und jetzt standen die Stumpentöchter alle wieder um den Tisch bis auf den Salami, der am Herd zu tun hatte und hörten dem ausgetrockneten Alten zu, der sich schon vor einer Weile in die Küche hinausgeschlichen hatte und also, unbemerkt von seinen Weggefährten vom Gericht, zurückgeblieben war.

Solange er mit dem Salami allein gewesen war, hatte er sich auf einem gar willigen Grund und Boden befunden, denn diese dicke Rucheggköchin, die oben und unten gleichmassig und schwammig aussah, hatte seine an- bis übelrüchigen Witze mit beifälligem Gelächter aufgenommen. Dafür mußte er sich aber von ihr die Ohren vollschwätzen lassen, was er, trotzdem sie immer wieder ins Kreischen kam, da sie sich aus irgendeinem Grunde einbildete, er höre nicht am besten, sich aber gerne gefallen ließ. Es gab sich nämlich, daß ihr gutumschanztes Herz und ihr erhitztes Gesicht mit den beidseitigen Hänglauben zündroter Backen ihm etwa recht nahe kamen. Das heimelte ihn immer mehr an, also zwar, daß er dem Salami gar bald den Vorschlag machte, sie möchte zu ihm nach Kilchaltdorf als Magd kommen. Sie hätte bei ihm einen leichten Dienst, jedenfalls mache er ihr's so leicht als menschenmöglich. Aber sie hatte ihn ausgelacht und ihm geantwortet: »So ein Späßlein mit Euch, Meister Fürsprecher, habe ich nicht ungern, denn Ihr wißt was Lands und wie man die Häslein einbeizen muß. Aber mit einem alten Gaul zu kutschieren begehre ich nicht. Da hört lieber auf von dem zu reden. Ein Kind, was ein Kind? ein Rind müßte ja merken, was ich für ein leichtes Dienstlein bei Euch hätte.« Also hatte auch er aufgelacht und wohlaufgelegt und aufs lebhafteste setzten sie ihre glitschige Unterhaltung fort bis die Reb in die Küche kam, die, ohne auch nur mit einer Wimper zu zucken oder den Mund zu einem Lachen zu verziehen, seine faulen Späße mitanhörte. Als er jedoch auch ihr die Dienststelle bei sich antrug und ihr mit einem mehr als abschüssigen Witz kurzerhand einen Kuß ins Gesicht hineinschnalzte, da er ihr Schweigen für lauter Zustimmung nahm, schlug sie ihn ohne weiteres aufs Maul, daß es pfiff. »He, 's donners, was meinst du alter Dornhag, du ausgeklopftes Markbein,« herrschte sie den Advokaten an, daß er völlig in seine Hosen hineinzuversinken schien, »die Reb ist die Reb und auf eine Stelle bei dir spuck' ich. Ich will mich zeitlebens von keinem Jungen beherren lassen, geschweige von so einem ausgedorrten und abgewetterten Wegweiser in die Ewigkeit.«

Doch erholte er sich auch da unglaublich rasch und bald hatte er wieder sein schmutziges Lächeln, das ganz einem faulenden Wassertümpel in der Nebelsonne gliche gefunden. Und wie dann die üppige Judith in die Küche gekommen war, hatte er, nach kurzem, seine Einladung zu baldigem Dienstantritt bei ihm auch ihr annehmlich zu machen versucht. Sie fertigte ihn jedoch mit munterm Kichern, freundlich, ohne ihn aber anzusehen, ab, indem sie sagte, sie habe schon einen, dem sie mehr oder weniger zu dienen gedenke. Zwar sei er auch nicht mehr ganz jung, aber wenn sie einen Schneemann hätte haben wollen, hätte sie sich im vergangenen Winter solche selber haufenweise machen können.

Da hatte der Alte nur gewiehert und mit gleißenden Äuglein schweigend eine Weile diese vollerblühte Stumpentochter allseitig abgeweidet. »Sackerlot,« krächzte er ihr dann zu, »wenn unser Bezirk statt des unvernünftigen Viehs das Weibervolk prämiieren würde, was er eigentlich für seine schönste Pflicht halten sollte, kämst du zuvorderst an den Hag zu stehen, Maitli.«

Lautauf lachte der Salami, aber die Judith nahm ihn für Luft und kümmerte sich nicht weiter um ihm

Nun aber waren alle Töchter in der Küche, auch die Mager, denn sie löffelten, nach kurzem Gebet, um den tannigen Tisch hockend, die Mehlsuppe zusammen aus, die der Salami mit einem Käsebrocken vor sie hingestellt hatte. Und obwohl so ziemlich alle den alten Advokaten satt zu haben schienen, so war doch keine so ungastlich, ihn fortzuschicken. Im Gegenteil, der Salami, die mit dem Fürsprecher gar nicht übel auskam und seine anzüglichen Reden und Sprüche fleißig belachte, hatte auch vor ihn hin einen Teller voll Suppe gestellt. Er ließ ihn jedoch stehen und machte sich in seinen Strümpfen vom Tisch weg auf eine Stabelle beim Herd, denn die Reb hatte ihn also allmählich und unauffällig an die Wand gedrückt, daß er für seine Rippen fürchtete.

Und wie er nun sah, daß ihm die Mager, als er von den Vorzügen, Freuden und Freudlein eines großen Dorfes zu reden anfing, als einzige gar aufmerksam, ja andächtig zuhörte, bekam er auf einmal eine Vorliebe für ihre unglaubliche, in dicken Zöpfen um den Kopf gehende Haarfülle und für ihr hochgestelltes Gesamtwesen. Jawohl, mit der ließ sich allenfalls reden. War sie auch nicht die hübscheste unter den Stumpentöchtern, – die jüngste mit den blauen Schalkenaugen kam ja überhaupt noch nicht in Frage, – so war sie doch auch jung, ländlichfrisch und wohl zugänglicher und dienstwilliger als die andern alle.

So war's denn kein Wunder, daß der Fürsprecher der Mager bald folgte, als sie aus der Küche in ihr Sonderreich, in die Wohnstube zurückging.

Und in der Stube hockte er nun bei ihr am Tisch vor dem Ofen und redete in sie hinein von der schönen Stelle, die sie bei ihm bekäme und von dem ganz andern neuen Leben, das sie im großen Dorf fände. Und da er rasch herausmerkte, daß sie gern zur Kirche ging und sang und daß sie's ein wenig mit der Frömmigkeit hatte, denn die Heiligenlegende lag vor ihr auf dem Tisch, so nahm er sie von dieser Seite, ließ die schlechten Witze sein und begann selber frömmlich zu tun und den Kirchenmann zu spielen.

Sie hörte ihm aufmerksam, trocken zu und obschon sie noch lange nicht alles für bare Münze nahm und ihn und seine goldpapierene Frömmigkeit völlig durchschaute, so fing sie doch an, über das Für und Wider eines solchen Dienstes im Dorf ernstlich nachzudenken. Es war ja ihr höchster Wunsch, in ein großes Dorf zu kommen, denn die Bauernsame war ihr zum Sterben verleidet. Man war so gar abseits von den Leuten und von all ihrem Tun und Lassen. Man vernahm und erlebte nichts. Hatten alle Stauden fast das gleiche Gesicht und alles roch nach Langweile und Kuhmist. Und ja, auch von der Kirche war man zu weit ab. Wenn sich's nun einrichten ließe, daß sie den ausgemergelten Weiberschmecker da dazu bringen könnte, sie zu heiraten, so wäre sie von einem Tag auf den andern eine Frau im Dorf, die's recht hätte. Das wäre herrlich. Den Alten freilich müßte sie in den Kauf nehmen, aber das würde doch nur auf Abbruch sein, denn allzulange konnte es der kaum mehr machen. Ja, wie fein wär's, ja, welch ein Gefundenes wäre es, wenn sie von diesem Bauerngewerbe wegkäme und es vielleicht eines Tages dazu brächte, gar auf der Vorkirche im großen Dorf mitsingen zu dürfen, wie sie's jetzt, freilich selten genug, im Erlenstaldener Kirchlein tat. Nein, da mußte man zugreifen. Ein junger Dörfler holte sie ja ewig nie. Vielleicht wohl einmal das Röllchen, aber keine von ihnen. Die Judith zählte sowieso nicht mehr, die kam ja nach Hochsiten. Wie müßte das aber köstlich sein, eine Herrenstube und ihre guten Kammern mit lauter Weißzeug in Ordnung zu halten. Sie sann und sann. Der Vater würde sie nicht stark entbehren. Er hatte es zwar einst gern gesehen, daß sie ihm in seinem Hang zur biblischen Geschichte nachschlug, aber dann war sie ihm allmählich zu fromm und auch zu giltmirgleich gegen alles Bäuerliche geworden. Im besondern hatte es ihn immer geärgert, wenn sie sich im Alten Testament noch besser auskennen wollte als er oder gar wenn sie den Heiligen ihrer Legenden den Vorrang vor den Patriarchen, Propheten, Königen, Richtern und Helden Israels gab. Auch mochte sie ihm wohl zu trocken, zu einsilbig sein, denn da schien sie ganz aus der Art zu schlagen, obwohl ja die Judith auch ruhig und gelassen, aber freilich nichts weniger als trocken oder langweilig war.

Der stark alternde Advokat aber, der Doktor Fink, hielt alles für gewonnen, was ihn freudig bewegte und also stellte und stählte als wäre über ihn, wie über einen austrocknenden Sumpf, ein hochsommerlicher Platzregen gekommen. Schon soweit hatte er die lange Maid, die nicht aufstehen konnte ohne fürchten zu müssen, an der Stubendecke den Kopf anzuschlagen, daß sie ihm ihre Hand ließ. In tiefstem Schweigen hörte sie ihm zu, aber doch nur halbwegs, denn ein Ohr wenigstens horchte in die Küche hinaus, wo's gar lebhaft zu- und herzugehen schien. Das Röllchen und die Judith sangen Schelmenliedchen, der Salami schimpfte und die Reb polterte ab und zu einen geharnischten Ausruf oder ein Gelächter über alles hin.

Und schließlich kam's dazu, daß die Mager dem Fürsprecher zusagte, sie wolle bei ihm in den Dienst treten und es mit ihm probieren. Soweit ging sie, daß sie's ihm nicht abschlug, als er bei ihr immer wieder und immer dringender anhielt, sie möchte ihn ein Stück Wegs, wenigstens bis hinunter vor das Föhrenwäldchen, wo ja seine Schuhe ihn erwarteten, in die Nacht hinausbegleiten.

So machten sie sich denn unversehens leise, ohne auch nur Gute Nacht! in die Küche zu rufen, aus der Stube. Die Mager wollte ja gleich wieder zurück sein, so daß die Schwestern von dem ganzen Handel, den sie mit dem Alten aus dem großen Dorf angesponnen hatte, soviel wie nichts merken konnten. Sie sollten es erst morgen von ihr erfahren, daß sie sich ins Dorf verdungen hatte.

Wie sie nun aufs Stiegenbrücklein hinaustraten, sie barfüßig und er auf leisen, baumwollenen Socken, stand der Mond gar schön und voll am Himmel und herrlich war die Welt im Zwielicht und erfüllt vom herben Odem und Wohlgeruch der waldigen Alpenwelt.

Still machten sie sich übers Stiegenbrücklein hinunter.

Aber als sie nun auf dem samtweichen Rasen vor dem Haus waren und der Scheitstrunk vor dem angebauten Schopf so freundlich und friedlich zu wohliger Sitzgelegenheit einladend dastand, brachten es die Sehnsüchte des arg von seiner Liebe bedrängten Advokaten nicht dran vorbei. Also ließ er sich einfach drauf nieder, riß die Magere solang sie war, an sich und hockte sie auf seine Knie.

Die mochten ihr wohl zu spitzig sein, denn sie wollte aufspringen. Und da er sie nicht losgab, ja den Ring seiner hagschwartendürren Arme enger um sie schloß und sich entsetzlich anhänglich an sie zu zeigen anfing, hieb sie ihm eine herunter und sagte trocken, ihn im Genick packend, zum Brunnen zerrend und sein kahles Haupt ein paarmal herzhaft ins quellfrische Wasser eintunkend: »Nein, das ist mir doch ein wenig zu früh, mein lieber, guter Dienstherr. Ich meine, da seid Ihr doch etwas zu rasch gewesen und habt den ausgehungerten Hund zu geschwind aus seinem Schlupf und ab der Kette gelassen. Seht, so schnell gehen die Riegel im Weidland nicht auf. Es hat alles seine Zeit und wer's mit grauen Haaren noch nicht weiß, ist nicht recht gescheit. Da ist's denn gläublich besser für uns beide, wir trennen uns jetzt schon wieder, denn so hab' ich den Dienst bei Euch nicht völlig verstanden. Schlaft gesund!«

Sie gab dem sich sträubenden, pustenden und sprudelnden Alten noch einen Hieb auf den Hintern, stülpte ihm den steifen Hut über den flotschtriefendnassen Kopf und alsdann schritt sie ruhig, mit ausgiebigen, langen Beinen ins Haus zurück.

Der eingeweichte Fürsprecher aber machte, so rasch er konnte, daß er vom Ruchegghaus weg und nidsich kam, denn es war ihm, da sei nun ein alter gewester Fuchs einmal in den unrechten Hühnerpferch geraten und wüst verpickt worden.

Wie er aber vor dem Föhrenwäldchen seine Schuhe auflesen und anziehen wollte, konnte er sie nicht finden, obwohl er im Mondschein den bemoosten Faulholzstumpf gleich erkannte, drauf er sie hingestellt hatte. Eine Weile suchte er sie rundherum. Endlich kam's ihm, daß irgendein Richter, der ihm einen Streich spielen wollte, es konnten freilich auch ihrer mehrere sein, seine Schuhe mit zu Tal genommen haben könnte.

So mußte er denn, wohl oder übel, in den Strümpfen den rauhen, näßlichen Wald- und Weidweg auf Erlenstalden hinabmachen.

Die Lange aber, die Mager, hatte sich wieder in die Stube gemacht. Obwohl sie das Röllchen und die Judith, ja sogar mit grobschlächtiger Stimme die Reb und kreischend den Salami in der Küche zusammen singen und jodeln hörte und obschon der Gesang sonst ihre Freude war, hockte sie sich doch vor den Ofen, tat einen trockenen Schluchzer und sagte vor sich hin: »Ja, die haben gut singen und jauchzen da in der Küche drin. Sie alle können zu einem Mann kommen, ja, wer weiß, vielleicht kann gar eine ins große Dorf heiraten, aber mir, so einer Fahnenstange, trifft's keinen; da kann ich lange warten.«

Aber ihr Gesicht glättete sich rasch und ziemlich giltmirgleich schlug sie ihre Heiligenlegenden auf und begann zu lesen.


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