Meinrad Lienert
Der doppelte Matthias und seine Töchter / 1
Meinrad Lienert

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11

Als es einzuwintern anfing, heiratete die Reb den Metzger Balz Schwitter von Kilchaltdorf.

Er hatte eine heillose Freude an ihr. Die Hochzeit ward im Unterdorf zu Kilchaltdorf in der bescheidenen Wirtschaft des Bäckers Burket gar festlich abgehalten, wobei der alte Stump die ganze Zeit auf seinem Stuhl hockte wie hoch zu Roß. Seine Arme wollten nie recht zur Ruhe kommen, doch prahlte er dasmal nicht. Es konnte ja jetzt jedermann sehen, wer und was der Matthathias Stump auf der Ruchegg war. Seine Töchter, die sogar ins große Dorf hineinheirateten, zeugten für ihn und sein Haus.

Aber auch die Reb hatte die Fassung seit ihrer Niederlage in der Töchterkammer des Ruchegghauses schon lange wieder gefunden. Zweimal schlug sie die Faust auf den Tisch während des Hochzeitsschmauses, daß die Gläser tanzten. Einmal, zum ersten, als der Salami ihrem Mann, der doch die Gitarre so eifrig gezupft und dazu die saftigsten Schelmenliedlein aufgetischt hatte, einfach das Glas wegnahm und ihm nichts mehr einschenken lassen wollte. »Hat der Lehrer uns zu Ehren und allen zur Freude die Harfe geschlagen,« lärmte sie über den Tisch auf ihre Schwester Sulamith los, »so soll er auch seinen Rausch dafür haben. Bis jetzt hat er ja noch nicht einmal das trunkene Elend. Und wenn er das Trinken eben nicht so gut verträgt wie du, so kann er ja dann warten unterm Tisch, bis es dich auch mag und zu ihm legt. Dann wollen wir euch beiden zuhören, wie ihr zusammen schnarcht, wie jenesmal auf der Ruchegg, als ihr hinterm Hausmattengütsch unterm Tisch gelegen seid und wir euch drunter haben hervorziehen müssen.«

Und dann ließ sie nochmals die Faust auf den Tisch donnern, als man den Spielaumichel, den dürrbeinigen Dolmetscher von Stagelrain, nicht in die Gaststube hineinlassen wollte, weil er schon angetrunken sei und als sie nun hören mußte, wie er, außen an der Hausmauer auf einem Faß stehend und durch ein offenes Fenster in die Wirtschaft hineinschauend, ihr mit vertrunkenen, muntern Froschäuglein den landesüblichen Hochzeitsspruch hersagte:

»Mer wüüsched Ü Glück und Säge,
dick r 's möged träge.
As d' Liebi wien äs Ührli goht,
Hergäge, as si jo nüd bstoht.
Und as sie süttig blybt wie hüt,
Und übers Johr im Wiegli lyt

Ja, da schlug sie die Faust gewaltig auf den Tisch, was dem Metzger, ihren Mann, so freute, daß er aufstand, den Spielaumichel packte, ihn einfach durchs Fenster hereinzog und unten an den hochzeitlichen Tisch in einen Winkel hockte.

Und als die Reb sich nun zu Kilchaltdorf im Metzgerhaus ihres Balz Schwitters eingewöhnt hatte, zeigte es sich, daß sie ihren Platz keineswegs verfehlt hatte. Sie gab eine tüchtige Schlächtersfrau. Wo sie mittat, hinter der Fleischbank oder im Stall, war alles mit ihr wohlversehen. Und was ihrem Mann besonders imponierte, war, daß sie so draufgängerisch war und mit aller Zähigkeit eine Geschäftsverbindung mit ihren Schwestern auf Hochsiten und zu Erlenstalden durchsetzte. Dem Salami richtete sie einen Saustall ein wie eine Arche Noah, wie der alte Stump sagte, so daß sich diese Schwester im großen mit der Schweinezucht abgeben konnte und auch erfolgreich abgab, da sie sich mit der Sennhütte zu Erlenstalden auf Rebs Betreiben in Verbindung setzen konnte. Mit der kenntnisreichen Judith aber besuchte die Reb die Märkte und half ihr und ihrem Mann zu einem immer ausgedehntern Viehstand, wofür sie sich nicht nur des Baschitoni Tritschen alte oder kranke Kühe und Metzgkälber, sondern auch sonst noch manchen Vorteil zu sichern wußte.

»Das ist die Reb, ja, ja, die Reb,« pflegte der Alte auf der Ruchegg zu sagen, wenn er wieder hörte, daß sie zwar nicht im Schwingen, wohl aber im Geschäft, einen herzhaften Lupf getan hatte. »Solch ein Weibervolk gibt's weitherum nicht mehr. Der Stump, der Stump, der Stump! Aber,« gruchste er dann etwa auch, »nun ist's freilich auf der Ruchegg ruhiger geworden, seit sie nicht mehr Haus und Stall und Weid auslärmt und poltert. Wenn nicht ich noch hin und wieder ein wenig herumbrüllen täte, könnte man sich einbilden, auf der Ruchegg sei alles eingeschlafen, wie einst in jenem Märlein, wo eine Hexe alles verhext hat und der Koch mit dem Messer vor der Nase seines Lehrbuben eingenickt ist. Die Mager ist ja alleweil ein wenig ein Beinhaus gewesen, außen und innen, aber auch das Röllchen, das sonst mit den Bergfinken und Spottdrosseln um die Wette gesungen hat, ist so wunderlich still geworden. Ich weiß nicht was sie hat. Wenn sie älter wäre, würde ich natürlich denken, es sei das Mannsvolk schuld, denn in neunhundertneunundneunzig Fällen unter tausenden ist's nichts anderes. Aber in den Bäcker Burket, der ja jetzt immer selber mit dem Brot, alle Wochen zweimal wenigstens, zu uns herauffährt, seit es Schlittweg hat, ist sie nicht so verschossen, daß ich glauben könnte, sie sei in diesem Spittel stark unpäßlich. Obwohl er ihr allerlei heraufkramt und nie ohne wenigstens ein Eierwecklein oder sonst etwas Mürbes, Schleckhaftes zu ihr kommt, so will's mit ihm bei ihr doch nicht recht vorwärtsgehen. Nun, nehmen wird sie ihn ja doch noch. Und mir ist's recht so, denn da kommt sie mitten in den Hanfsamen hinein, und da sie eben so ist, daß sie nichts wagt oder nicht viel und keinen rechten eigenen Willen hat, so ist's gut, wenn sie's bekommt wie eine Forelle, die man einfach aus dem Bergbachwasser in einen Fischkasten im Dorf setzt: Da bist wohl aufgehoben und schwimmen kannst ja! Besser ist's so für ihresgleichen, als wenn sie's haben müßte wie hierlands die freien, aber geplagten Haselhühner im Wald, für die's heißt: Schau' zu, wie du durchkommst!«

Was ihn aber am meisten beunruhigte war seine zunehmende Vereinsamung und daß er fürchten mußte, sein schönes Bergheimwesen werde in fremde Hände kommen. Das Röllchen, das sich zwar im Bauerngewerbe recht gut auskannte und etwa auch wacker und mit großer Umtunlichkeit mithalf, wird ja kaum einen Bauern heiraten. Es schien ihm hiefür zu feinfädig, zu heikelnäschig und immer wieder konnte man's zum Brunnen oder gar in die Mulde hinunterlaufen sehen, zur Wasserrinne vor dem Heimkapellchen, um vor jedem Essen die Hände zu waschen. Die Mager aber, das konnte er allundein Tag hören, die hatte eine wahre Krankheit, dorfsüchtig war sie. Immer wieder tönte sie davon, wie's doch so herrlich wäre, zu Nidach oder zu Kilchaltdorf zu wohnen, dort mitten unter soviel Leuten umgehen zu können und zu hören und zu sehen, was sie alle treiben und was sie dabei für Gesichter machen. Und wo sie alle Tage zur Kirche gehen und eine große Orgel und den schönen Gesang eines großen Kirchenchores anhören, ja, wer weiß, vielleicht gar selber mitsingen dürfte. Es gebe ja dort wie ihr der Schwager, der Lehrer Beda Aloser, erzählt habe, sogar Gesangvereine, in denen auch Weiberleute mittun könnten.

Nein, die Mager, so lang und sehnig sie war und so gut sie sich in der Haushaltung machte, fürs Bauern war die nicht, niemals. Sie tat's auch nicht gern, zuwider war's ihr. Man mußte nur hören, wie sie unwirsch ward und erst recht einsilbig und trocken wie vierzehntägiges Brot, wenn man halt immer wieder verjauchte Hosen oder gar ein wenig Mist oder sonstiges Erdhaftes in die Stube hineintrug.

Da war also nicht viel zu wollen. Er mußte drauf denken, die Ruchegg, sobald ihm die Mager noch allein verblieb, gut zu verkaufen und mit ihr nach Erlenstalden, in den Weiler, hinunterzuziehen und sich dort auf eine Art häuslich zu machen und so oder anders, im Winter auf einer fremden Ofenbank und im Sommer vor dem Hausmäuerlein eines fremden Hauses, sich zu langweilen und auf den Tod zu warten. Aber freilich würde er erst ab der Ruchegg gehen, wenn er das Alter noch mehr zu spüren bekäme. Einstweilen machte man's ja noch. Aber hatte er den Weggang der Judith und des Salami kaum recht in acht genommen, die Reb die fehlte ihm jetzt, überall fehlte sie ihm, denn sie hatte für ihrer drei gewerkt und geleistet, wenn sie sich auch auf das Vieh nicht so gut verstand wie die Judith.

Auf jeden Fall mußte ihm jetzt ein Knecht zu. Er war doch ein alter Mann, immer mehr ward ihm das gegenwärtig. Als es einwinterte hatte er's in den Gliedern mit einem schmerzlichen und hinderlichen Reißen bekommen, von dem er sonst zeitlebens nie etwas wußte. Auch wollte es ihm scheinen, das Weibervolk schaue ihn von Jahr zu Jahr, je grauer und verwitterter er auszusehen komme, immer giltmirgleicher an, etwa wie eine abgehende Bachweide am Weg, der die Zweige abdorren. Kurzum, alt, alt. Oder wie ist's letzthin auf der Kiste gestanden, drin der Bäcker Burket dem Röllchen zum Namenstag den Spiegel mit dem hoffärtigen Rahmen gebracht hat: Achtung, zerbrechlich! Nein, das wußte er aus der Heiligen Schrift, daß man aufs Alter nicht nur die Mühen des Lebens und ihre ganze Unmuße zu mindern trachten, sondern allmählich mehr ans Ewige statt nur alleweil ans Zeitliche denken sollte. Nun, er hatte ja auch das nie völlig vernachlässigt. Sowieso, das Alter soll vor ihm nicht großtun und ihn gar zu fürchten machen wollen. Er würde weiter leben, vor Gott und Mensch, so recht als etwa möglich und im übrigen, er war der Stump. Mochten es andere halten wie sie wollten oder mußten, er gedachte keineswegs abzugeben und die Arme lampen zu lassen, solange er noch eine Sense ins Gras führen und eine Kuh melken konnte. Und solange er auf der Ruchegg verblieb, würde er auch der Meister sein.

Also muß ich einen Knecht zutun, eine billige Hilfe, sagte er immer wieder zu sich, denn einen Knecht, der einen großen Lohn fordert, erträgt mein Bergheim so wenig als die Anwesen der andern Bergler. Und Mäuse, fünfprozentige, habe ich auch drauf, wenn auch freilich nicht so viele, daß sie mich fressen können, solange ich mich noch zu wehren und zu kehren vermag.

Ja, solange ich mag, aber wie lange mag ich noch? Immerhin, das wolle er dem Herrgott überlassen, sagte er sich, aber so gut es keine Sünde sei, einen Blitzableiter auf dem Haus zu haben, so wenig könne es schaden oder gar eine Schande sein, einen Knecht einzustellen, wenn man altere und es einsam um einen werde. Also muß ein Knecht heran, ein wohlfeiler. Wie aber sollte er zu so einem kommen?

»Doch,« sagte ihm sein Schwiegersohn, der Viehhändler Tritsch, als er wieder einmal nach Weihnachten auf Hochsiten hinunterkam und den Zacharisli, sein Großkind, der ihm schon herzhaft an die Hakennase griff, auf den Knien hatte, »wohl, ich wüßte dir einen, Großvater, einen zwar etwas jungen, aber einen willigen und schaffigen Knecht, der sich immer besser anläßt oder nicht, Judith?«

»Allweg,« stimmte die Judith bei, »der Bändichtli, des Tschuppmoosbattisten, wäre ein Gefundener, ein Geschenk wäre er für Euch, Vater. Er arbeitet wie ein junger Hengst und denkt wie ein Meisterknecht. Gern geben wir ihn freilich nicht weg, denn wenn wir neben ihm jetzt auch unsern alten Hogerfranzkarli mit seiner an ihn angewachsenen stinkenden Tabakpfeife und den starken Thysel aus den Studen haben, so lassen wir den Battisten Bändichtli nicht gern von uns, denn er ist ein Bursche.«

Ja, meinte der alte Stump zur Judith, es falle ihm nicht ein, sie zu berauben und sie also um ihre Knechte zu bringen, wenn sie solche Wunder seien. Er werde etwa schon noch ein Knechtlein finden. Haben müsse er einen und das wolle er auch sagen, er kenne ja diesen Tschuppmoosjungen, aber grad Berge versetzen oder bergab teufelnde Lawinen aufhalten, glaube er nicht, daß dieses weidenleichte Bürschlein könnte. Auch dünke es ihn, der Bursche habe es zu stark mit der Handorgel. Sonst habe er ihm freilich nicht übel gefallen. Flink sei er und zugreifen könne er, und er tue es auch, das habe er schon oft beachtet. Besonders im letzten Sommer, als sie ihm das Knechtlein zum Heuenhelfen heraufgeschickt hätten. Es sei wahr, die Arbeit sei ihm von der Hand gegangen wie gehext.

Jawohl, meinte die Judith, er sollte diesen Burschen erst jetzt sehen und wahrnehmen können, wie der das Vieh schon verstehe. Er habe freilich an ihr eine gute Lehrmeisterin gehabt, aber er lasse sich auch danach an. Ein Mann aus Stein sei nicht gut schulen, selbst wenn es ein Heiliger wäre, hingegen der Bändichtli sei eben gar nicht von Stein. Auch sollte er's ihr nicht verübeln, daß sie ihn nicht grad gern weggebe. Ihm jedoch lasse sie ihn mit Freuden. Das sei eben etwas ganz anderes. Sie hätte an fremde Leute gedacht. Bei ihm oben auf der Ruchegg aber schaffe der Knecht ja nicht nur für den Matthathias Stump, sondern auch für seine Töchter.

Sie hatten nun Mühe, den Alten, der den Kopf gar hochhielt, zu vermögen, den Tschuppmoos Bändichtli anzustellen, aber schließlich nahm er ihn doch gern.

So dauerte es nicht lange, so arbeitete der junge Knecht, des ärmlichen Hühnerbäuerleins und Flickschusters Sohn, auf der Ruchegg als ein getreuer, zuverlässiger Beistand des alten Stump in Stall und Feld. Und kein Monat verging, so konnten die verheirateten Schwestern, die Judith, der Salami und die Reb von ihrem Vater zu hören bekommen, so oft sie wollten, daß dieser Tschuppmoosjunge sich verdacht gut anlasse, so gut, wie er's von dieser Sorte Genossameausmelker niemals erwartet hätte. Er nehme ihm, sozusagen, die Arbeit rein aus den Händen und vor der Nase weg. Er wisse nicht, ob das auch ein wenig von diesem Knechtlein komme, aber so ausgiebig sei auf der Ruchegg, seines Wissens, noch nie gemolken worden. Auch wisse er von allem und nicht bloß vom Mist, wie wertvoll eine Sache sein könne. Kurzum, er sei recht und mache keinen großen Lärm, was ja freilich auch nicht notwendig sei, denn wenn auf der Ruchegg gelärmt sein müsse, so sei alleweil noch der alte Stump hiefür da. Was ihn auch freue, sei, daß der Bursche mit allem zufrieden sei, obwohl er's ja zu Hochsiten viel besser gehabt hätte. Und daß er beim Weibervolk herum jedenfalls nicht der Geschickteste sei, könne ihm auch nur recht sein, denn er komme eigentlich nur zum Essen ins Haus und danach mache er sich wieder ans Werken, und zwar so gleitig, als ob ihm die Arbeit von jemand gestohlen werden könnte. Höchstens am Samstag abend hocke er sich ein Zeitchen in den Ofenwinkel und spiele ein wenig auf Röllchens Handorgel, was er ihm gern übersehen wolle, denn die Musik sei ja grad kein Laster, und wen sie einmal habe, der sei, wie's ihm scheine, nicht mehr gut davon zu entwöhnen. Und ein wenig Tanzmusik habe ihm schon mehr als einmal wieder aufs Roß geholfen, wenn er gemeint habe, es wolle ihn etwas bodigen.

Die Mager gebe sowieso nicht viel um den Burschen, denn die ertrage den Hühnerbauerngeruch nicht wohl, und sie schneuze schnell ob ihm. Unter einem wohlhabenden Dörfler tue es die nicht, wie sie ja auch wissen könnten. Das Röllchen habe wohl etwa sein Späßchen mit dem Knecht, aber da sie fast gleichalterig seien und sich allweg seinerzeit noch auf dem Schulhausplatz getroffen hätten, sei dies nichts anders. Etwas für den Hausgebrauch und die Kurzweile müsse solche junge Lebware doch auch haben. Und überlaut hätte er letzthin den Bäcker Burket anlachen müssen, als der unversehens das Knechtlein am Tisch habe hocken sehen, denn er habe dazu ein Gesicht gemacht, als sehe er den Zahndoktor mit der Zange auf sich zukommen. Sogar das Röllchen scheine es bemerkt zu haben, es habe auch gelächerig ausgesehen. Er könne es nicht verstehen, wie so ein feistessender Mann in den besten Jahren, denn der Bäcker sei ja kaum Ende der Vierzig, gar noch auf so einen Tschuppmoos Habenichts eifersüchtig sei. Aber er wolle eigentlich da nicht zuviel sagen. Wenn halt die Leute vernarrt seien, so seien sie's und das meistens sogar bis am Morgen nach der Hochzeit; ja drüber hinaus. Was übrigens, unter ihnen gesagt, den Bäcker Burket anbelange, so glaube er allweil, ein wenig, vielleicht sogar viel, mache ihm auch noch der schlagreife Wald an der Ruchegg das Röllchen werter. Nun, das sei ja menschlich. Es schaue eben ein jeder, daß er seine Kelle so voll als möglich aus der Suppenschüssel bekomme.

Nein, also was das Knechtlein anbetreffe, so könne er da nicht viel anderes sagen. Er sei soweit mit ihm nicht übel zufrieden.

Aber die Mager wußte so gut wie ihre Schwestern, warum der Tschuppmoos Bändichtli von der Judith als Knecht ab Hochsiten auf die Ruchegg versetzt worden war. Sie verstand auch die harmlosen Spaßworte besser als ihr Vater, die etwa am Tisch und Samstagabend nach Betglocken zwischen Röllchen und dem jungen Knecht hin- und hergingen. Jedoch sie schwieg, doch war sie überall, dachte und wachte.

Eines ruhigen Winterabends hockte der Matthathias Stump vor dem Ofen in der Rucheggstube bei einer Kanne voll schwarzen Kaffees und bei ihm vertat sich, die Ellbogen auf dem Tisch, sein Pfeifchen nebelnd, der Kantonsrat von Stagelrain, der Kari Fuchs, des Martschen, aus dem Obereigen.

Sie redeten zusammen über den weitumgehenden, längst schlagreifen Wald voll großmächtiger Urtannen an der Ruchegg im Flüehli, den der Kari Fuchs, der neben seinem Bauerngewerbe auch eine Säge hatte, die ihm weit mehr eintrug als seine Viehzucht, zu gern gehabt hätte. Aber der Stump schien dessen Wert auch zu kennen, denn er war nicht grad entgegenkommend mit dem Preis und wollte ihn, wie alles was er in seinem großen, verwilderten Kopf sich einmal vornahm, durchsetzen. Soviel der Stagelrainer auch auf ihn einredete, der kleine Hirte wollte nicht recht mit sich markten lassen. »So habe ich den Preis für den Wald im Sinn, und soviel sollte ich auch dafür haben, Kari,« sagte er immer wieder. »Du machst ja doch ein gutes Geschäft dabei und kannst, wenn du ihn bekommst, wieder einen Säckel voll, ein ganzes Goldvögelgenist voll Napoleons, auf die Sparkassa nach Kilchaltdorf tragen, denn bei den Holzhändlern ist's grad wie bei dem Metzger, der aus der Kuh Fleisch und Knochen, alles bis aufs letzte Splitterchen und Euterfaserchen per Pfund und Lot verkaufen kann. Hundertfach teilen können sie so ein Rindvieh und da einen Schoß voll Fünffränkler einsacken, wo sie uns nötigen Bauern eine Handvoll dafür geben. Mit dem Wald, den wir euch Holzhändlern verkaufen, ist's haargleich: Ihr bekommt Bäume, Bauholz allerart, Balken, Laden, Scheiter, kurz, kein Spänchen geht euch verloren, denn was ihr nicht sonst abbringt, verkauft ihr noch fürs Herdfeuer und als Sägmehl. Wahr oder nicht?«

Aber des Martschen Kari Fuchs wollte ihm das nicht gelten lassen. Er versuchte ihm die Konkurrenz, den teuren Betrieb und was immer er zu seinen Gunsten zu sagen wußte, klarzumachen und so auf den Preis, den ihm der Alte gestellt hatte, soviel als christenmenschenmöglich zu drücken.

Es war schon ein ziemliches Räuchlein in der niedern, braunen Stube, doch war dran das immer eifriger Wolken machende Pfeifchen des Stagelrainer Kantonsrates nicht allein schuld, denn auch durch die halboffene Küchentüre, in der die Mager das Geschirr abwusch und hie und da tiefgängig ein wenig hüstelte, kam Rauch.

Nein, was zuviel war, war zuviel. »Schließlich braucht man doch nicht wie das Schweinerne im Kaminschoß geräuchert zu werden,« sagte das Röllchen, das am Fenster an einem Strumpf strickte.

Sie huschte über die ausgelaufene Diele und schloß, ziemlich geräuschvoll, die Küchentüre.

Jetzt war ein Klingeln in der Nacht draußen. Pferdeschellen.

Sie horchten auf. Es kam näher und jetzt wurden Schuhe am Stiegenbrücklein vor der Haustüre abgeklopft. Und da trampte es auch schon über den Flurboden, die Stubentüre ging. Auf der Schwelle stand der Bäckermeister Burket von Kilchaltdorf. »Guten Abend beieinander, da wäre ich also!«

»Ja, was führt denn jetzt dich heute abend noch auf die Ruchegg, Burket?« fragte verwundert der Stump, »wirst's doch nicht bis in deine Backstube im Unterdorf hinein gerochen haben, daß der Kantonsrat da aus dem Obereigen bei mir zu Licht ist und mir den Wald abzwängen will. Deswegen hättest du nicht so eilen müssen und gar noch mit Roß und Wagen, denn der Wald ist immer noch im Handel. Der Herrgottsdonner da möchte ihn auch am liebsten umsonst haben. Er will mir noch weniger geben als du, obwohl du nicht einmal eine Säge hast und zu deinen Holzscheitern auf Umwegen kommen mußt.«

»Ja,« machte der Bäcker, seine bereifte Kappe ans Uhrgehäuse hängend und sich zu den andern am Tisch niederlassend, nachdem er sich mit allen und mit dem Röllchen am einläßlichsten, begrüßt hatte. »Dein Wald ist ein Wald und ich nehme ihn auch, und was dir der Kantonsrat Fuchs aus dem Obereigen dafür bietet, gebe ich auch. Gleichwohl, das ist mir heute nicht die Hauptsache, Vater Stump, heute bin ich nicht wegen Holz hier, es wäre denn um ein Stück Holz von deinem leibeigenen Stamm. Ist's dir denn völlig entfallen, daß wir letzthin, als du mit der Reb und ihrem Metzger Schwitter bei mir im Unterdorf zu Gast warst, ausgemacht haben, ich könne deine Blonde da heute, als am zweiten Fastnachtstag, am Geudismontag, zum Tanz nach Kilchaltdorf abholen. Ich sage dir, im Bären im Oberdorf ist's schon herbeigegangen mit Tanzen und Jauchzen, daß es eine Freude war. Gelt, Röllchen, dein Vater wird dir doch unsere Abrede berichtet haben, denn,« setzte er bei, seine graue Schläfe, auf die ihm der Kantonsrat Kari Fuchs mit wunderlichem Lächeln sah, ein wenig herablassend, »das könnte mich kaum freuen, wenn man so etwas zum einen Ohr hinein und zum andern nur so hinausließe, wie ein Schülerbub die Ermahnungen der Großmutter. Was ist's also mit uns zweien, Röllchen?«

Freilich, o ja, beeilte sich das Mädchen, das auffällig aufgeregt an seinem Strumpf strickte, beizustimmen, der Vater habe es ihr schon zu wissen getan, es sei so, ja, ja.

»Mager,« lärmte der Alte gegen die Küche. »Komm hinein, der Bäcker Burket ist da und hol' die Kanne! Wir müssen noch mehr von dieser schönen schwarzen Tranksame haben. Und du, Röllchen,« redete er zu seiner Jüngsten, »lauf nach dem Knecht! Wo steckt er denn, der Bursche? Hört er denn nicht, daß ein Roß vor der Stiege steht, ungeduldig wird und gestallt sein will. Hörst du's, wie's eben wieder sein Schellengeröll verschüttelt! Mach', mach'! Der Bändichtli wird im Stall hocken und handorgeln und halt auch irgendeine Fastnacht im Kopf haben.«

»Gleich, Vater, ich laufe,« sagte das Röllchen, das eben ein Kaffeebeckelein mit brennenden Rosen drauf, vor den Bäcker hinstellte und ihn dabei mit seinen blauen Augen ansah, daß ihm die Seele wie ein Eichhörnchen im Hui zuoberst in den Kopf hinaufsprang und zu den Augen hinaussperberte, »habt keinen Kummer, ich will den Bändichtli schon finden.«

Und weg war sie.

»Ja,« meinte nun der Bäckermeister gewaltig aufheiternd, »es muß dem Röllchen doch kund gewesen sein, es ist ja, bei Gott, schon völlig festtäglich aufgerüstet.«

Und als jetzt die Mager aus der Küche kam, um die Kanne zu holen, begrüßte er sie, die gebückt vor ihm stehen mußte und aus hellbraunen, brunnenklaren Augen auf ihn herabsah, fast überschwenglich, was ihr gar wohl zu bekommen schien. Aber als sie nun, die Kanne in der Hand, sich immer geneigten Hauptes, unter der tiefsitzenden Decke in die Küche zurückmachte, sah er ihr mit keinem Auge nach. Das Röllchen, ja, das Röllchen, da gab's für ihn nichts anderes. So ein herztausiger Schatz um und um! He, 's Donners, und wie sie ihn angesehen hatte! Es mußte sie doch gefreut haben, daß er kam und sie gar mit Roß und Wagen abholen wollte. Nein, das war doch wohl so, sie hatte ihn eben gern und war nur etwas scheu, wie's so Landkätzlein sind und dann aber hinterrücks, heimlich, wenn sie's einmal erblickt haben . . . Er dachte es nicht aus, es hätte ihn das zu sehr abseits und ins Land Wunderschön hineingeführt. Für einstweilen war ja die Hauptsache, endlich herausgefunden zu haben, daß sie ihn gern hatte. Das andere wird dann schon auch kommen.

Er beachtete die Mager auch nicht weiter, als sie jetzt mit der frischgefüllten Kanne eintrat, einen Eierkuchen, groß wie eine Bauernweste, auf den Tisch stellte und ihnen die schwarze, kirschgeistrüchige Brühe einschenkte, denn nun war er anderwärts Aug' und Ohr. Der Stagelrainer Kantonsrat, der Martschen Kari Fuchs, hatte nochmals des Waldes wegen angesetzt. Er schien hiefür sogar einen gewaltigen Anlauf genommen zu haben. Ja, wahrlichgott, er hing sich an den Alten, wie eine ins Wasser geworfene Katze an den Bachbord.

Der Bäcker begriff es durchaus. Dem Fuchs aus dem Obereigen mußte nun die Lage mit einemmal föhnhimmelklar geworden sein, nachdem er sehen konnte, wie er, der Bäcker Burket, mit dem hübschen Nesthäkchen auf der Ruchegg stand und gar, daß er sie schon zum Tanz nach Kilchaltdorf abholen durfte. Nun wollte ihm dieser Schläuling wohl den Wald, den er für sich gefährdet und sich entgehen sah, noch schnell abjagen und den Stump dazu bringen, mit ihm handelseinig zu werden. Hatte der Kari Fuchs aber des Alten Wort, so war der Wald sein, denn man konnte wohl einen Wald voll Urtannen, aber auch nicht ein Wörtlein von dem biegen oder brechen, was der kleine Hirte einmal bestimmt gesagt hatte.

Zu gern hätte er sich in den Handel gemengt, den der stämmige Bauer aus dem Obereigen nun mit einem Eifer in Gang zu bringen suchte, als hätte er hiefür Hochwasser nötig, wie für seine morsche Säge im Steinkastenbach. Aber er durfte sich nicht zu sehr dreinlassen, nicht zu laut dreinreden und für den Wald einsetzen. Das hätte den klugen Alten vielleicht doch stutzig machen und ihm den Gedanken erwecken können, es sei ihm mehr um das Holz als ums Röllchen oder doch eben so sehr um den Wald zu tun, und es könnte passieren, daß er ihm wohl eines Tages die schönen Tannen billig abnehme, aber die doch immerhin bäuerische Tochter um keinen Preis. Nein, es lag ja freilich nicht so, daß der Stump das denken sollte, aber man konnte bei diesen unvertrauigen, hinterhältigen Bergbauern nie so recht wissen, was sie dachten und woran man mit ihnen war. Auch mußte ja das Röllchen jeden Augenblick wieder in die Stube eintreten. Und wenn nun diese hörte, wie er ihres Vaters Wald nacheiferte, und wenn sie darüber Verdacht zu schöpfen und sich Gedanken zu machen anfing . . . Nein, jetzt nicht, bei allen Heiligen nicht. Da heißt's aufpassen und nicht zu täppisch ins Porzellangeschirr hineinfahren.

Übrigens konnte er's ja einstweilen abwarten. Es stand nicht so bös wie er gedacht hatte. Der Alte war widerständig und seine immer furchiger werdende Stirne sah nun aus wie eine schwer ersteigbare Fluh. Der Kari Fuchs aus dem Obereigen konnte ihm zureden soviel er wollte, der Stump wiegte höchstens das mächtige Haupt. Nicht einmal die Arme ließ er rudern, was er doch oft um des kleinsten Ärgers willen tat. Und schließlich sagte er: »Kari, siehst, mußt dich nicht so in die Stränge legen, du bringst den Karren heute doch nicht ab Fleck. Es kann sein, daß du dich noch besinnst und mir ein andermal mit einem andern Angebot näher rückst, denn ich weiß, was mir die Tannen gelten, die mit meinem Urgroßvater schon alt waren, unter denen meine Großmutter beim Farrenmähen in der Waldlichtung unversehens meinen Vater zur Welt gebracht und ihn samt der Sense auf der Schulter ins Ruchegghaus hinuntergetragen hat, und aus deren Wipfeln mein Vater mehr als einen Auerhahn heruntergeschossen hat. Jaha, ich weiß es, was mir die Tannen wert sind, Kari. Sie sind das Gefreuteste an meinem Heimwesen, denn sie sind der Sparhafen der Stumpenleute und die einzige Goldgrube, die wir haben. Also merk' dir's, Kari Fuchs aus dem Obereigen: Ich will meinen Preis für die Bäume haben und keine langen Reden. Die magst du im Kantonsrat halten, wo man dich noch dafür zahlt. Mich wirfst du damit nicht um, denn du bist kein Josua, und die Posaune des Ungläubigen stürzt keine Mauern. Vielleicht, daß ich's mit dem Spruch da nicht ganz genau treffe, aber in die Nähe, glaube ich, komme ich dem, was ich damit sagen will. Also, bedenk's!«

Nein, der Wald schien dem Bäcker noch keineswegs verloren. Immerhin, aufpassen hieß es. Er durfte dieses Geschäft nicht mehr außer acht oder gar ruhen lassen. Sobald ihm die flinke, ankehrige Stumpentochter ja und Amen gesagt haben wird, wollte er bei dem Alten hinter den Wald. Entgehen, nein, nur das nicht! durfte ihm dieser gute Schick auf keinen Fall.

»Mager,« rief jetzt der Hirte, »geh, schau' einmal und treib, daß das Röllchen bald kommt! Sie wird sich in der Kammer oben noch fertig herausputzen. An sich herumgeschönt hat sie ja den ganzen langen Tag. Aber es scheint, daß der Spiegel, den du ihr überflüssigerweise letzthin gebracht hast, Bäcker, alleweil noch etwas an ihr auszusetzen hat. Der dumme Scherben weiß eben nicht, daß alles Weibervolk schön ist, wenn's jung ist. Aber wir Alten wissen es mit jedem Tag besser. Ist's oder ist's nicht, Burket?« Er lachte auf und gleich aber wandte er sich wieder an die Mager: »Und sag' auch dem Bändichtli, dem Knecht, grad, er brauche nun des Bäckers Roß doch nicht einzustallen, denn der Bäckermeister und mit ihm mein Maitli fahren doch gleich wieder ab und talzu. Der Bursche hat's aber, wie man merken kann, auch noch gar nicht getan, denn das Schlittengeröll schellt ja immer wieder da draußen vor dem Stiegenbrücklein.«

»Heja,« meinte der Bäcker, »ich hab' den Gaul eben nur ans Stiegengeländer angeseilt.«

»Mach', mach', Maitli, fleiß dich und hol' uns das Röllchen!« lärmte der Stump an die Lange hin. »Und du, heda, Burket,« redete er zum aufhorchenden Bäckermeister, der sich ganz ins Nachsinnen verloren hatte, »greif zu! Schau', was für einen Länderteil Eierkuchen euch mein über sechs Schuh hohes Töchterlein Hagar auf den Tisch gestellt hat. Und du, Kari Fuchs! Macht das nicht auch Tanzmusik in eurer Nase?« lachte er. »Langt zu, ihr Mannen, langt zu, so habt ihr wieder Bestand, sonst nimmt euch der Ruchegger Schneewind, wenn ihr hinauskommt.«

Die Mager hatte sich unterdessen aus der Stube gemacht, doch nicht allzu rasch, und als sie hinausging hatte sie ein an ihr ganz ungewohntes Lächeln auf dem sonst so unbeweglichen Gesicht.

Der Kantonsrat von Stagelrain und der Enden, der Martschen Kari Fuchs aus dem Obereigen, wollte den Waldhandel mit dem Alten einfach nicht ruhen lassen. Immer wieder setzte er an, obwohl der Stump dazu gähnte, wohl auch ein wenig die Hakennase rümpfte. Der Bäcker aber hockte da, so aufgeregt, als ob er Ameisen in den Hosen hätte, und doch getraute er sich nicht, dem Stump, der ja übrigens seine Absichten auch kannte, auch seinerseits ins Holz zu kommen. Auch wollte er nicht der Narr sein und dem Stagelrainer Melchternschädel den Wald im Preis steigern, daß er ihn danach vielleicht selber von seinem voraussichtlichen Schwiegervater blutteuer oder doch nicht so wie er ihn haben möchte, abkaufen müßte. So verhielt er sich denn still bei dieser Sache und freute sich aber innerlich, daß, des Ruchegglers Gesicht nach, der Waldhandel, an diesem Abend wenigstens, kaum zu einem Abschluß kommen konnte.

Die Türe ging, die Mager stand gebückt auf der Schwelle.

»Da bist du,« machte der Alte, »kommt sie also, dieses Eitelfähnchen, kommt sie endlich? Nein, es ist doch nicht zu fassen, was diese Weibsbilder immer an sich zu schaffen, zu glätten und zu putzen haben, bis sie sich anmächelig genug vorkommen. Aber wahr ist's ja, wenn's auch meine Jüngste nichts angeht, das Weibervolk hat's nicht leicht. Es muß ja warten, bis es irgendeinem grobhölzigen Bauernschuh augenfällig wird, und bis er ihm, um Gottes willen, die alte Jungfer abnimmt und dafür einen siebentretigen Webstuhl, einen Viehstall, eine Stube voll Schreihälse und ein Leben voll übelzeitiger Tage und Wochen aufladet. O die Weiber! Sie sind wohl Narren, sich also zu Märtyrerinnen machen zu lassen. Aber wohlverstanden, ihr guten, lieben Mannen von Stagelrain und Kilchaltdorf, meine Töchter geht das nichts an. Die sind Stumpentöchter, wenn freilich,« machte er zögernd, ein wenig zudunkelnd, »meine Jüngste, das Röllchen da, es nur halbwegs ist, oder gar . . . Kurzum, sie hat mir zu wenig eigenen Willen. Ich hab's schon oft gesagt und sag's wieder, sie . . .«

»Vater,« sagte jetzt die völlig in die Stube hineingetretene Mager, »nichts für ungut, müßt nicht aufbrausen und wie ein aufkommendes Gewitter zu wetterleuchten anfangen, aber ich kann die Schwester, unsern Rolli, einfach nicht finden. Weiß der Kuckuck, wo die hingerollt ist. Im Haus herum, in allen Kammern, im Stall, ja in der Mulde unten beim verschneiten Heimkapellchen, habe ich sie gesucht, aber weder sie noch den Tschuppmoos Bändichtli, unsern Knecht, gefunden. Sie sind rein wie vom Wind vertragen, vom Teufel verschleppt, vor dem uns Gott und unser lieber Schirmer St. Wendel,« sie bekreuzte sich andächtig, »behüten möge im Leben und im Sterben. Und Trost allen christgläubigen armen Seelen! Nein, beim Strahl, Vater, nicht einen Brosamen hab' ich von ihnen zu sehen bekommen.«

»Ja, da hast du die Augen allweg nicht grad stark gebraucht,« meinte, etwas ungehalten, der Hirte, »das Röllchen wird den Narren machen und mit dir Versteckens spielen, wie sie's ja mit allen macht. Wohl, Dummheiten, die wird jetzt in der Nacht, wo der Tanzboden auf sie wartet, zum heiligen St. Wendel hinunterlaufen. So etwas könnte doch wohl nur dir in den Sinn kommen. Auf der Winde oben wird sie stecken und den Bäckermeister da ein Zeitchen zängeln und gängeln wollen, um ihm seine doch schon etwas steifern Tanzbeine etwas aufzutauen und glimpfiger zu machen. Ich will sie jetzt dann schon über die Stiege herunter lärmen. Und der Knecht, du lange Einfalt, der wird eben vor dem Hause sein, bei des Bäckers Gefährt. Hast ihn nur nicht wahrgenommen hinter dem Wagen, der doch samt dem Roß immer noch da draußen vor dem Stiegenbrücklein steht. Man hört ja den Gaul alle Augenblicke seine Schellen verschütteln. Hast du denn das auch nicht gemerkt?«

»Hejawohl,« beschied die Mager, die Wimpern über ihre großen Augen gehen lassend, als hätte sie irgend etwas zu verbergen, »diese Roßschellen habe ich nicht bloß gehört, ich habe sie auch gesehen, denn es hängt ja das ganze Geröll samt Lederzeug am Geländer des Stiegenbrückleins und immer, wenn ein Windstoß um die Hausecke kommt, läutet es.«

Der kleine Hirte hob aufhorchend den Kopf hoch.

»Was,« rief er aus, »das Schellengeröll hängt am Stiegengeländer vor dem Haus und kein Wagen, kein Roß und kein Knecht ist draußen herum?! Es wird doch nicht sein? Ja, was ist denn jetzt das, wo ist denn . . .« Er stand auf und mit den kurzen Beinen gewaltig ausgreifend und die Arme wiegend wie ein Adler die Flügel, schritt er durch die Stube.

Da hatte er die Türe schon aufgerissen: »Röllchen,« lärmte er durchs Haus hinauf, »Rolli, Rolli!«

Und als er keinerlei Antwort bekam, machte er sich aufs überdachte Stiegenbrücklein hinaus und rief durch dessen halbmondförmigen Ausguck in die Nacht hinein: »Rolli, Bändichtli, Bändicht, Battistenbub!«

Alle lauschten in der Stube angestrengt. Der Bäcker Burket aber war erst bleich und rot geworden und hockte jetzt da, ziemlich verwirrt, fast dumm dreinschauend.

Der Stump polterte wieder in die Stube hinein. Nein, er habe keinen Bescheid erhalten, sagte er etwas bedrückt, das Roßschellengeröll hänge richtig am Stiegengeländer, aber von Roß und Wagen habe er so wenig zu sehen bekommen als von seiner Jüngsten und vom Knecht. »Es muß grad wohlwollen,« rief er aus, »wenn der Himmelherrgottsdonnerbub, der Battisten Bändichtli, mit unserm Fegnest, mit dem Röllchen, nicht auf des Bäckers Schlittengatter auf und davon und nach Kilchaltdorf an die Fastnacht gefahren ist.«

»Ja, es sieht fast und gar so aus,« meinte der Kantonsrat aus dem Obereigen, der Kari Fuchs, der ein schadenfrohes Lächeln nicht ganz zu verheimlichen vermochte, »ein Weltskrötlein, dieses Röllchen!«

Die Mager aber sagte: »Ja, am End', sein könnte das. Es fällt mir jetzt doch auch allerlei ein von dem Tudichum und den immer mehr zunehmenden Neckereien, die unser Knecht und mein schönes Schwesterlein die letzte Zeit zusammen gehabt haben. Auch haben sie mir ihre Augen nicht immer verheimlichen können. Das wird ihnen eben nach und nach immer schwieriger geworden sein. Habt Ihr denn gar nichts gemerkt, Vater?«

»Eh, Herrgottssackerzucker, kein Stäubchen, keinen Hauch habe ich gemerkt,« lärmte der Alte. »Ich hab' da anderes zu tun gehabt als aufzupassen, wohin diese Heuschrecken zielen, wohin diese vier Tanzbeine die Richtung nehmen. Und sowieso, ist's mir doch nie auch nur in den Sinn gekommen,« setzte er abflauend, hinzu, »daß eine Tochter von mir mit eines Hühnerbäuerleins Jungen etwas anderes mache, als etwa eine Zeitlang den Narren. Daß dieses federleichte Röllchen da auf einmal so unternehmend werden könnte, das ist mir etwas Neues. Schau', schau', schau'! Was sagst jetzt, Bäcker? Ah, ah, ah! Und gar auf deinem Schlitten, die Donnersfratzen abeinander!«

Nein, dem Bäcker Burket war's nicht recht ums Reden. Erst hatte er ein grimmiges Gesicht gemacht und es schien ganz, als wolle er auf und draus und sprungweise wie ein Stein über die Fluh, den beiden Durchbrennern nachrasen. Aber als er dann des Martschen Kari Fuchsen Gesicht mit einem schnellen Blick erwischte und sah, daß der vor Behagen wie eine frischvergoldete Kirchenuhr aufleuchtete, schraubte er, wie's eben just die Mager mit der Steinöllampe, die von der Decke hing, machte, seine Flamme zurück, biß auf die Zähne und dachte: 's ist jetzt wie's ist, aber auslachen sollt ihr mich nicht zu sehr und mir den Ärger vom Gesicht abweiden schon gar nicht. Dabei kam ihm wie ein kühlender Fächer der schöne, große Wald am Rucheggflüehli in den Sinn. Schon dieser wertvollen Tannen wegen wollte er's mit dem alten Hirten nicht verderben. Erst recht mußte er den Wald nun haben, und wenn's nur wäre, um seinem Konkurrenten hierin, diesem Stagelrainer Kantonsrat und Melchternschädel, sein verdammtes Grinsen heimzuzahlen.

»Es ist eben ein abgekartetes Spiel,« redete er endlich, mit einem Lächeln, für das ihn nicht einmal das gutgläubigste Hundeschwänzchen angewedelt hätte.

Aber der Alte hatte seine Antwort nicht mehr abgewartet. Er rief seiner Tochter zu, sie solle ihm die Überstrümpfe und die Pechschuhe hinaufbringen. Alsdann war er hinterm Ofen hinauf in die Stubenkammer gegangen.

Wie nun auch die Mager aus der Stube war, fing der Kari Fuchs aus dem Obereigen den trotz seinem martinisömmerlichen Lächeln immerhin ersichtlich bedrückten Bäcker in seiner Weise zu trösten an. Landesüblich singenden Tones, in behaglichem Bärentramp ließ er seine Worte um ihn gehen. Sein starkgeknickter Zuhörer aber glaubte aus jeder Silbe heraus den falschen Hund und die gottlose Freude über seine schändliche Abfuhr herauszuhören.

»Ja,« sagte zum Schluß der Stagelrainer Kantonsrat, »es ist eine Sache mit diesen Weiberröcken. Man kennt sich unter ihnen nie so recht aus. Und im Bergländischen gar, wo jedes Gehöft und Hüttlein eine eigene Welt ist, wo man sich nicht so nahe kommt wie in den großen Dörfern. Die Leute haben es da fast wie ihr Vieh: Die Kühe des Berglandes weiden auch nicht so herdenmäßig, so gar nahe beisammen, wie die der tiefern Täler. Will jede einen gewissen Abstand von der andern haben und tut keine wie die andere. Ich habe mit dem Frauenvolk auch schon allerhand erlebt und ja, beim Strahl, viel was mich gefreut hat. Freilich, ohne Risse und Dreiangel im Fell bin ich auch nicht durch die Dornhecken gekommen. Aber wie sagt der große Kartsch hinter der Hagelfluh immer wieder, wenn er aus seiner Besoffenheit am Morgen erwacht: Herrgott, muß das ein bodenlos, unerkannt großartiger Rausch gewesen sein, am Katzenjammer an! Dreimal hoch der Branntewein! Schönes Anneli, schenk' ein!«

Und nun war der Bäckermeister Burket, dem bei des andern Trost der Grimm nur immer höher wuchs, wie bei einer Katze, die man wider die Haare streichelt, auch nicht mehr ganz imstande, an sich zu halten. Er begann, erst ein wenig über das Röllchen zu schimpfen, aber als er seinem gar willigen Gastgenossen eng beisammenstehende Augen freudig aufleuchten sah, wendete er, so gut er's konnte, den Gang seiner Rede und sagte, mit einem Lächeln, dem man den falschen Schein auf Steinwurfweite ansah, eigentlich sei ihm an diesem Stumpenmaitli nicht grad viel gelegen, denn wenn das bloß so eine sei, so habe er nicht viel oder soviel wie nichts eingebüßt. Eine so schwachgrädige Liebe könne man ja, und auch wärmehaltiger, auf der Straße, sozusagen, spottbillig kaufen, etwa auch umsonst haben. Sie brauche sich nicht einzubilden, daß er sich ihretwegen hintersinne. Es gebe, gottlob, noch andere Häuser und rechte Häuser berglandum, und gar im Tal und mindestens so schöne Maienstöcke vor ihren Fenstern wie da oben im abseitigen Ruchegghaus.

Aber als er, unter dem fortwährenden lautlosen Beifallnicken und gespäßigen Lächeln des andern, noch mehr in Zug kommen wollte und allmählich anfing, seinem Ärger das Ventil weiter aufzutun, trampte es hinterm Ofen herab. Und da erschien auch der Matthathias Stump völlig für die Winternacht ausgerüstet und beschuht und hinten am Graukopf saß ihm sein gewaltiger Schlapphut.

»So,« rief er lärmend in seiner gewohnten Art, »nun will ich mich zu Tal machen. Hab' nur keinen Kummer, Bäcker, ich will den Handel, den uns da meine Jüngste hinterrücks eingefädelt hat, schon zu einem rechten Austrag bringen, so wahr ich der Stump bin, der Matthathias Stump, versteh wohl! Laß mich nur machen. Das Rind möchte ich sehen, das ich nicht ins Gestell und zum Ziehen brächte. Ich, ja, ich, der doppelte Matthias. Soviel muß ich dir aber doch sagen, Burket: Gar stark darfst du dich auch nicht beklagen, denn am End' bist doch du dem Röllchen und nicht es dir nachgelaufen. Wahr oder nicht? Und nun mach' und komm, wenn du mit mir willst. Ich und der Kantonsrat da, der Kari Fuchs, wollen fort, und zwar gleich.«

»Ja,« stimmte der bei, »lang' kann ich mich auch nicht mehr versäumen,« er schenkte sich gelassen noch eine Kachel voll Schwarzes aus der Kanne ein, »ich muß schauen, daß ich auf Stagelrain und in den Obereigen hinaufkomme, bevor der Mond weg ist. Ich möchte nicht gern den Schädel an allen Tannen anschlagen.«

›Den Melchternschädel, den verfluchten!‹ machte ingrimmig, aber doch nur innerhalb, der Bäcker. Laut sagte er: »Nein, hab nichts für ungut, Stump, aber mit euch beiden gehe ich jetzt nicht zu Tal und nach Kilchaltdorf. Und in den schwarzen Bären im Oberdorf zum Tanz möchte ich schon gar nicht. Es gibt ja da unten zu Erlenstalden auch ein Wirtshaus, wo sie unsereins gern über Nacht haben. Nicht im Traum fällt's mir ein, Rucheggler, mit dir nach Kilchaltdorf zu gehen und allenfalls dort noch den zwei Schelmen zu begegnen, die mir mit Roß und Wagen davon sind. Die täten mich schön auslachen! Sowieso möchte ich nicht gern heute nacht durch den Schnee und gar bis nach Haus dem Schlitten nachstampfen, auf dem ich so bequem und ich muß es bekennen, mit allerlei Aussichten und Absichten, dahinauf bis auf die Ruchegg gefahren bin. Ich müßte mich ja vor mir selber schämen!« setzte er ziemlich laut, die Augen rollend, bei.


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