Meinrad Lienert
Der doppelte Matthias und seine Töchter / 1
Meinrad Lienert

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10

Oben in der Hausmatte, um den weitsichtigen Gütsch, hatte sich die gesamte Stumpenheit mit Zubehör auf dem sonnenwarmen, zum grünen Teppich zurechtgeweideten Rasen, hingelagert. Zwar gab's da auch den Tisch, den der Kannalles von Stagelrain, der Chläus Hülpi, hergerichtet und an den Rain hingestellt hatte, aber der trug nun ein Fäßchen leichtgärenden Birnenmost, wohlbekömmlichen Saft, den der Bäcker Burket auf seinem Gefährt mitgebracht hatte. Auch standen drauf in Reih und Glied die Flaschen mit des Viehhändler Tritschen roter Tranksame und des Röllchens mächtigem Eierzopf unter den Langbroten, neben denen sich auch Rebs Geschenk, der ansehnliche Schinken, im zwiefachen Kranze von Metzger Schwitters Schweinswürsten vertat. Es fehlte auf dem noch frischen, harzduftigen Tisch aber auch nicht an Fassung für die Tranksame, denn es gab da einige etwas trüb, ja alt aussehende Gläser und aber auch eine Reihe Kaffeebecklein, die heute Wein und Most sollten auswirten helfen.

Es war ein Spätherbstnachmittag jener Art, die alles nahscheinig und glaubhaft macht und in denen man sich einbildet, man habe Siebenmeilenstiefel an den Füßen, wie jene Kinder im Märchen und könne nun einmal federleicht und allseitig die Welt auslaufen.

Das Röllchen eröffnete das ländliche Festchen zu Ehren St. Wendels und seines Heiligenhäusleins auf seiner Handorgel mit einem flottausrückenden, aber heimweherischen Alemandertanz, zu dem alle Köpfe ein wenig nickten und aller Augen Jawohl! sagten. Und es war, als ob die kleine Handorgel die schon etwas angeschneiten Hochalpen, die sich vor ihnen aufgetan hatten, mit allen Farben der Freude ausmalte. Gold, rot und himmelblau waren überall Trumpf. Ein Aufjauchzen, das vom alten Stump selber herkam und dem er, die Arme mächtig hebend, nachfliegen zu wollen schien, schuf einen lichten Feiertag bis in alle Schluchten und verlorenen Runsen hinein.

»Heda, ihr Sackerlotsmaitli, rührt euch und bringt uns zu essen und zu trinken. Sachs genug hätten wir und eine schönere Eßgelegenheit als auf diesem Gütsch oben kann's im Himmel und auf Erden nirgends geben. Her mit der Tranksame!«

Die Töchter machten sich über den nebenstehenden Tisch her und gleich lebte alles wie der reiche Prasser im Evangelibuch und das Röllchen sorgte für köstliche, alles in Lebenslust verwandelnde Tafelmusik.

»Es ist nun doch schade,« redete der kleine Hirte, seinen grauen Wildmannskopf hochhebend, »daß uns unser Pfarrer Nepomuk nicht hat bleiben können. Zum ersten hätte ich ihm den gemütlichen Hock da auf unserm Hausmattengütsch auch gönnen mögen, und zum andern hätte er uns ein schönes Gesätzlein über unsern Kapellheiligen daunten oder sonst einen wohlbekömmlichen Zustupf loslassen können. Das wäre diesem Tag gut angestanden. Ich kann nicht predigen, obwohl ich's vielleicht auch im Kopf und jedenfalls im Schnabel hätte. Aber wenn ich die Gedanken noch so schön beisammen habe, so kann ich sie doch nicht so herausbringen, denn dann ergeht's mir wie unserm lieben Salami, sie wollen alle miteinander, wie eine Herde Schafe, zum Maul heraus. So lasse ich sie lieber eingestallt. Und was diesen lieben heiligen St. Wendel anbelangt . . .«

»Wir sind jetzt aber da nicht zu einer Predigt auf die Ruchegg gekommen,« warf unwirsch die Frau Schullehrer ein, »wenn ich eine Predigt anhören will, so kann ich alle Tage selber eine halten.«

»Ja, das kann sie,« machte halblaut der Lehrer.

Ein Gelächter jauchzte auf.

»Heja,« fuhr der Alte zu reden fort, »deine Schafherde, Salami, behältst du gewiß nicht im Hag, dir steht der Gatter allzeit sperroffen. Trotzdem, ich sag's noch einmal, auch eine Art Predigt hätte uns auf dem Gütsch da ein Segen sein können, denn, meine liebe Tochter Sulamith, was du dem Lehrer predigst, kann unmöglich immer das Wort Gottes sein. Und leicht würde bei uns zu Dornen, was du aussäest, weil's aus Dornen kommt. Aber beim Lehrer fällt's auf willigen Boden und es freut mich, wenn er in dem Dornicht, das draus um ihn ringelum aufgeht, auch allerhand Rosen zu finden weiß, denn . . .«

»Ich geh' heim!« rief kreischend der Salami.

»Ah pah, das tust du nicht,« raunte ihr ihr Schwager, der Viehhändler Tritsch, vernehmlich zu, »du weißt ja, der Vater meint's recht; wenn's ihm in der Regel auch ungesiebt aus dem Redwerk kommt.«

»Ja, aber ich bin immer das Huhn, das er verpickt,« sagte sie.

»So hör' doch einmal auf also zu gackern, dann bist du mir so wert als die andern,« sagte der Stump und fuhr über seine sich rasch gebende Tochter hinwegsehend zu reden fort: »Allenfalls hätte uns ja die Mager da, die in den Heiligenlegenden gar wohl beschlagen ist, etwas von unserm lieben heiligen Schirmer St. Wendel erzählen können, aber da wollen wir ihr eher einmal im stillen Kämmerlein zuhören, denn obwohl sie sonst weitaus die stillste und geruhsamste von uns allen auf der Ruchegg ist, sobald sie einmal anläßt und gar auf die Heiligen zu reden kommt, zeigt es sich, daß wir ihr alle auch gar zu weltlich gesinnt sind und es, ihrer Meinung nach, zu viel mit dem Zeitlichen haben. Dann kommt sie völlig ins Predigen und fängt an zu klagen, daß sie da auf der Ruchegg, wo wir doch dem Himmel schon um ein gutes Höhenmaß näher sind als die Leute im Tal, versaure und verbaure und an Leib und Seele verdorren müsse. Und dann hebt sie immer ihr Loblied auf das große Dorf an, wo man so recht unter die Leute und Mitchristen gelange und der Kirche Tag und Nacht so nahe sei und wo man so oft in guter Gemeinschaft zum Singen komme. Das Singen ist ja ihr Leben. Sie hätte notwendigerweise ein Schwarzdrossel werden sollen.«

Ein munteres Lachen ringsum.

Die Mager stellte eben einen Holzteller, auf dem eine lange Wurst und ein Ring Brot lag, neben den Bauern auf den Rasen, ihm zugleich ein Glas voll Rotwein überreichend. »Vater,« sagte sie mit ihrer angenehmen, tiefen Stimme, »habt keine Angst, ich steige nicht auf die Kanzel, denn das Mannsvolk will uns ganz anderswo und auf der Kanzel allweg zuletzt haben. Und das Weibervolk täte keinen Augenblick auf mich hören; es hört ja auch nur zu beim Predigen, weil's Mannsleute sind, die predigen. Aber was Ihr vom großen Dorf und vom Singen angetönt habt, das ist wahr und dem bestehe ich.«

»Siehst du jetzt, Kind, sechs bis sieben Schuh langes,« machte erfreut der Stump, »daß du das Zeug zum Pfarrer gehabt hättest, denn du kannst es schön setzen. Hättest halt ein Mannsbild werden sollen.« Er lachte frohgemut auf und sein Glas hochhebend und gegen die Sonne haltend, rief er aus: »Wie hat allemal mein Großvater gesagt: ›Schönes Weinlein, laß dich trinken! Hab' ich dich in meinem Blut, ist das Wetter herrlichgut. Herrlichgut, die Welt voll Finken. Schönes Weinlein, laß dich trinken!‹« Und er sprang auf und mit dem Glas sich wiegend, schaukelnd, sang er lärmend: »Heijupedihee, im Schwyzerland! was jung ist, freut sich miteinand'!«

Aber gleich hockte er sich wieder auf den Rasen, auf dem noch helläugige, tiefblaue Enzianensterne zwischen rosahäubigen Maßliebchen blühten und sagte, den Holzteller mit der Wurst zu Handen nehmend und wohlgefällig betrachtend: »So, und jetzt, ihr lieben Leute und Gefreundeten, wollen wir einmal unseres jungen Metzgers Balz Schwitters gediegene Würste versuchen und sehen, ob sie's dann mit unsern eigenen Rauchwürsten, die aber eben erst ins Kamin gekommen sind, aufnehmen können. Wir,« lachte er auf, »wir hierlands dürfen ja getrost Schweinefleisch essen, obwohl der Matthathias Stump und sein Nachwuchs auch so eine Art Makkabäerblut im Leib haben.«

Und nun gab man sich also dem Essen und Trinken hin, daß es für ein Zeitchen fast still um den sonnenwarmen Gütsch ward. Aber die Augen gingen nach den verschneiten Bergen gegenüber und in die tiefen Täler, aus denen ein blaues Seelein unverwandt zu den Festenden hinaufschaute.

»Hooo, ho, heda, ihr Meitli, was ist's mit euch?!« rief der Bauer, »habt ihr Stumpenblut oder habt ihr keines?! Da, meine ich, werdet ihr uns doch, beim Eicker, nicht einschlafen lassen wollen. Ein Glück, daß uns der Judith ihre rotäugige, süffige Tranksame wachbar erhält. Gesundheit!« Er stieß mit dem bei ihm hockenden Bäcker Burket an, »Gesundheit, Meister Bäcker! Wenn wir zwei auch nicht mehr die Jüngsten sind, alte Habichte haben auch noch Augen und Krallen und die Tauben sollen sich vor ihnen in acht nehmen, denn wenn's sein muß, können sie auch noch zupacken.« Weitum ging sein Gelächter. »Zum Wohl allerseits!«

Aber seine Töchter hatten nur auf ihres Vaters Stimme und Wegleitung, an die sie stramm gewöhnt waren, gewartet. Schon machten sich die Mager und das Röllchen zu ihrer Stagelrainer Schwester hin. Und als die Judith sich nun auch erhob, stand sie zwischen ihnen, breitschulterig und weiß und rot und anmutig wie eine ganze schweizerische Berglandschaft.

Und nun begannen sie zu singen. Hell und kristallauter war des Röllchens Stimme, wie ein übermütig weidab hüpfendes Quellwässerlein und breiter, gesänftigter wie ein munterer Mühlebach im Tal floß der Judith ihr Singen dahin. Aber das alles nahm der weitumgehende Alt der Mager auf und nahm es mit sich, wie ein tiefgängiger Strom in alle Lande hinaus.

»Jä, Bürschtli, wän du wildre witt,
Sä lauff i mir nüd noe.
Bi nu äs nütigs Firggeli,
Äs brings, äs chlüpfigs Reh.
I weiß wohl as nüd a mer lyt.
I ha jo nu vil z'liechte Tritt,
Wo keiner teuffe Gspure git.
Äs Reh, das bist du, währli, nüd.
I ha di für nes Röisli.
Es räukt dr jo ums Bäggli, Chind,
Wo d'ane gohst und stohst.
Und sygist noch bist nu säwyt,
Vo Rose schmökt dem's Pfeisterbritt,
Wo a di sinnt, und Wält und Zyt.«

Mit vieler Freude und starkem Beifall ward das Lied aufgenommen. Besonders der Tschuppmoosjunge, der mit dem alten Metzgerknecht ein wenig, aber unmerklich von den andern, seitwärts unter einer völlig alleinstehenden, graubärtigen Wettertanne lagerte und der das Röllchen während des Singens in einem fort angeschaut hatte, wußte seinen Beifall nicht anders auszudrücken, als durch ein blitzzüglich himmelfahrendes Aufjauchzen und dadurch, daß er zweimal nacheinander den Hochstand auf den Händen machte und also um den Tisch zu gehen trachtete, was ihm aber nur zu einem kleinen Teil gelang.

»Jeses,« machte die Base Anneseba aus der Stolzern fast erschrocken zum Viehhändler Baschitoni Tritsch, »jetzt schau' einer diesen Heustöffel da an! Auf den Händen geht er. Was doch der heutigen Jugend alles einfällt, ah, ah, ah!«

»Freilich,« gab der Viehhändler lachend herum, »vielleicht bis wir vom Gütsch da abziehen, wären wir alle froh, wir könnten wenigstens so gut auf den Füßen gehen, wie es jetzt der Bändichtli auf den Händen zuweggebracht hat.«

Es lachten alle auf. Aber die Judith sagte, sich neben ihren Mann wieder ins Grüne lagernd: »Das wollen wir gleichwohl nicht hoffen.«

Jetzt aber zeigte es sich, daß die Reb und der Salami während dem Singen ihrer Schwestern keineswegs auf der faulen Haut gelegen hatten, denn nun schritten sie eben, reichlich bepackt, um den Gütsch. Sie mußten sich ziemlich unbemerkt zum nahen Ruchegghaus hinunter gemacht haben. Auf den Schultern trug die voranschreitende Reb einen gar schweren, fast runden Stein, den großen Stein, der nachtrampende und schlampende Salami aber hatte den kleinen Stein auf sich.

»So,« lärmte die Reb, »da hätten wir nun ein paar rechtschaffene Brocken aus dem Dimmerbach. Sie sind unsere Kameraden, mit denen wir ja fast alle schönen Sonntage ein Spielchen machen. Und jetzt wird sich's zeigen, wer etwas ist. Steh auf dort!« rief sie an den grinsenden, vergnügt auf sie schauenden Metzger hin, »du kannst nun mit den Stumpentöchtern ein wenig Steinstoßen. Und daß du nicht meinst, wir wollen dich übervorteilen, so geben wir dir zwei Schritte vor, denn du bist's hierin in der Hand nicht so gewohnt wie wir.«

Der junge, kraftvolle Metzger ließ sich das nicht zweimal bieten. Er sprang auf, machte sich zur Reb und half ihr das Ziel dem Gütsch entlang, an der Wettertanne vorbei, etwas abstecken.

»Es kann aber mittun wer will,« sagte der Salami, »denn der Metzger ist gottlob nicht das einzige Mannsvolk auf der Welt. Meinen Beda nehme ich freilich zum vornherein aus. Auf sowas ist er nicht abgerichtet; dafür hat er doch zu wenig Bestand. Er hat's mehr im Kopf als in den Beinen. Geistigerweise, wie der Sigrist sagt, geistigerweise, müßte es ihm allweg keinen Kummer machen, da könnte er's mit jedem aufnehmen und da käme er noch weit übers Ziel hinaus.«

»Red' nicht so einfältig, du Gans,« verwies ihr der alte Stump. »Das glaubt dir der Beda selber nicht, denn wenn er geistigerweise so ein Riese wäre, so hätte er schon lange versucht, den Stein wenigstens weiter zu werfen als du und also über das Ziel hinaus, das du ihm gesteckt hast, hinauszukommen. Solang' er das nicht fertigbringt, ist's freilich besser, er lasse sich in keiner Weise aufs Steinstoßen ein, weder mit den Händen und Beinen noch mit dem Kopf. Was uns andere anbelangt, so schauen ich und der Bäcker zu und lassen euch machen. Für sowas sind wir zu alt oder was meinst du, Burket?«

Das Röllchen schaute blitzschnell auf den Bäcker, ihn vom angegrauten Kopf bis zu den Füßen mit einem Blick umfassend und messend.

»Ja,« sagte der, denn er fürchtete bei diesem Wettkampf mit dem großen, aber auch mit dem kleinen Stein schlecht abzuschneiden, »nicht daß ich's nicht auch noch in den Ellbogen und Waden hätte, aber Stein gestoßen habe ich nie; da fehlt mir die Übung. Außerdem . . .«

»Ist das mehr etwas fürs junge Volk, da habt Ihr recht, Bäcker,« machte die Base Anneseba.

Nein, du dumme Truhe, dachte der Bäckermeister, das hab' ich nicht gerade sagen wollen. Du bist mir ein schöner Beistand, viel habe ich von dir. Aber er verhielt sich mäuschenstill und schaute aufs Röllchen, das sich zu seiner Handorgel zuoberst auf den grünen Gütsch hockte und giltmirgleich auf die Herankommenden, den Metzger und die Reb sah.

»Röllchen!«

Des Bäckers Stimme.

»Ja?«

»Gesundheit!«

Der Bäcker trank ihr mit vielsagendem Lächeln zu.

»Ja,« kam's vom Gütsch, »Meister Bäcker, es soll Euch wohltun!« Und freundlich und maienschön bescheinigte sie ihm sein Lächeln, was ihm wärmer gab als die Backstube im Winter.

»Bändichtli!« rief sie aber jetzt dem Knechtlein des Viehhändlers, dem Tschuppmoosjungen, zu, der eben den alten Metzgergehilfen die Pfeife aus seinem Tabaksäckel stopfen ließ, »willst du denn nicht auch beim Steinstoßen mittun?«

Der Bursche schaute aufleuchtend unter der Wettertanne hervor zu des Stumpen Jüngster hinauf. »Schon, gern, wenn ihr mich mittun laßt.«

»Was, der da auch?« machte der Salami, fast geringschätzig nach dem Jungen sehend.

»Warum denn nicht?« redete die Judith. »Ist ja auch ein Erlenstalder und schon manche Last hat er auf seiner Traggabel über die Ruchegg gebracht. So wird er wohl auch bei diesem Wettstoßen etwas vermögen.«

»Meinetwegen,« sagte der Stump, »laßt den Spritzling mittun. Er wird allweg den Stein nicht über das Ende der Welt hinauswerfen.«

Gleich hatte sich auch der Bändichtli den Stumpentöchtern zugesellt, die nun, die Judith und das Röllchen ausgenommen, bei den zwei Steinen standen. Und als der Alte sich und den Bäcker Burket und die Base Anneseba aus der Stolzern zu Preisrichtern ernannt hatte, gab er das Zeichen zum Beginn des Steinstoßens.

Erst versuchte man's mit dem kleinen Stein. Aber der Metzger und die Reb hielten es nicht der Mühe wert, hier mitzumachen.

Es dauerte auch nicht lange, so hatten die Mager, die einen mächtigen Anlaufschritt nahm und aber auch der wacker vorgehende Salami, den Tschuppmoosjungen, so sehr er sich ins Zeug legte, mit dem kleinen Stein überholt. Und als er sich, auf das allgemeine Gelächter hin, wehrte und sagte, es fehle ihm nur die Übung, wenn man wolle, komme er nach vierzehn Tagen wieder auf die Ruchegg, dann werde er sie schon meistern, lachten die Töchter erst recht auf und der Bäcker am lautesten.

Der Stump aber rief, einen Schnitt Schinken, den er sich eben weggesäbelt hatte, in sein Glas Rotwein tunkend: »Mach', daß du unter die Wettertanne zurückkommst, zum Metzgerknecht, Bürschlein! Das will ich dir glauben und zubilligen, daß du im Steinstoßen noch zu wenig Übung hast; Übung ist ein Vorteil, das muß man gelten lassen. Aber, du Lecker, du hast auch noch zu wenig Bestand. In einem Jahr, zwei, kann sich das bessern, denn du bist sonst gut zuweg und gewachsen wie eine wohlgeratene Erle. Bevor du also gestählter um die Waden bist, laß andere Leute machen, schau' zu und lern'! Es kann ja noch nicht grad lang' her sein, seitdem du in die Schule gegangen bist.«

Rauchend vor Scham legte sich der Bändichtli unter die Wettertanne zum alten Metzgergesellen.

Das Röllchen aber hatte einen zornigen Aufschrei getan, also daß alles verwundert, fast erschrocken zu ihr aufsah.

Nein, es war weiter nichts, nur eine Biene hatte sie stechen wollen.

»Du närrisches Geschirrlein,« rief der Alte aus, »was schreist du denn so, wenn sie dich doch nicht gestochen hat?«

»Vater,« machte sie, dunkelrot, »nun habt Ihr Euer Glas schon wieder leer. Wartet, ich will Euch einschenken.«

Sie glitt an den Tisch, eine Flasche zu holen, wobei ihre Augen, so himmelblau als möglich, den Tschuppmoosjungen beschienen, der, völlig geknickt, unter der Wettertanne hervor zu ihr hinschaute.

Und siehe da – Röllchens Augen machten ihn rascher gesund und munter, als es der Wunderteich im Gelobten Land hätte tun können, denn sie brachten ihn ja auch in ein warmes Bad.

Aber hart vor den andern stand jetzt die Reb, den großen Stein liebevoll in der starken Hand wägend und wiegend, denn der Salami und die Mager hatten diesen gewichtigen Brocken schon nach dem eingesteckten Knebel, als dem Ziel, geworfen. Obwohl es ihnen gelungen war, ihn nahe dranhin zu bringen, so hatte sie der Metzger Schwitter doch um ein gutes Maß überholt, indem er den Stein mit mächtigem Ruck und Druck fast ans Ziel brachte.

Jetzt ließ die Reb unversehens ein tolles Gelächter herauskollern, also daß die Base Anneseba erschrocken zusammenfuhr. Und dann aber begann sie den Stein zu heben und ihn und sich zu wiegen und es war, als fange die verschneite Alp gegenüber mitzuschaukeln an. Und da flog der Stein wie ein Auerhahn aus einer Reckholderstaude, – ein Aufjauchzen unter den Stumpentöchtern – und schwerfällig rollte er über das Ziel hinaus.

Der kleine Hirte war aufgestanden. Und nun stand er noch da, den grauen Wirrkopf hoch und die Arme wie zum Angriff ausweitend und vorstreckend. Aber wie er nun die Reb aufrecht, stolzschreitend herankommen sah, ging er auf wie ein Freudenfeuer. »Röllchen, gib mir Wein!« rief er aus.

Und wie er nun sein Glas plattvoll hatte, ging er seiner starken Tochter ein paar Schritte entgegen und ihr das Glas hinhaltend, sagte er: »Reb, das hast du recht gemacht. Der Metzger ist ein baumstarker, kerngesunder und junger Mann, ein Mann wie von Granit und siehe da, heißt's in der Bibel, der Herr hat ihn doch in deine Hand gegeben. Du hast ihn mit dem Stein überholt. Gesundheit, Reblein!«

»Der Stump, der Stump, der Stump!« machte in verhaltener, grimmiger Befriedigung die Reb, sonst nichts. Sie warf sich ins Grüne, ließ sich ein Glas Wein einschenken und den herankommenden, keineswegs verdrossenen, ja lachenden Metzger zu sich auf den Rasen ziehend, trank sie's flätig aus und sagte kurz zu ihm: »Bist doch ein Mannskerl, du! Aber gleichwohl, Metzger, mich bodigst du heute noch nicht.«

»Ja,« meinte der Balz Schwitter, einen kräftigen Schluck aus dem Glas tuend, das ihm die Mager gebracht hatte, »mit dem Stein habe ich dir nicht vorkommen können, aber wenn's zwischen uns zweien zu einem Hosenlupf, zum Schwingen käme, wollte ich dich doch dazu bringen, daß du mir den ausbedungenen Kuß . . .« Er redete nicht weiter. »Prosit, Reb!« rief er aus, mit ihr anstoßend.

Sie sagte auch nichts, sah ihn aber alleweil an, daß es ihm innerhalb und außerhalb ganz wunderlich ward, denn er wußte nicht, was er aus diesen angriffig, fast wild blickenden Augen machen sollte.

Unterdessen hatte aber der Schullehrer Beda Aloser, den man weiter nicht im Auge behielt, sich dem stillen Suff und einer daraus mit amerikanischer Schnelligkeit herauswachsenden freudigen und bekömmlichen Weltanschauung hingegeben. Seine schleimigen Augen weiteten, regten sich und begannen über den Tisch hinwegzuschleichen, wo sie allerlei schöne, bodenwohlauf stimmende Dinge zu sehen bekamen. Sein Gesicht, das schwammig wie eine Metzgwage voll Kuttellappen zwischen den Schultern gelegen hatte, belebte sich immer mehr und die Arme sammelten sich mit den Händen allmählich um sein Glas Rotweine und es sah ganz aus, als hätte er dieser Anhängsel so viele wie etwa ein besserer Polyp.

Und auf einmal kam ins vielfarbige Lachen und Reden der andern, die sich seit einer geraumen Weile zu einem Lager voll Frohheit wieder zusammengelassen hatten, ein ganz ungewohntes Zirpen, als ob die Grillen im Gras die Eintönigkeit ihres Gesanges aufgegeben und sich zu allerlei Melodien verstiegen hätten. Nämlich, es begannen sämtliche Töne, die's auf Erden gibt, stiegleinauf, stiegleinab zu hüpfen und jetzt hob dazu hinter ihnen ein Singen an, das wie aus einem leeren Brunnendünchel herauskam und eine Gangart hatte, als müsse es barbeinig durch ein flotschnasses Moor waten.

Und da erblickten sie zu ihrer Verwunderung und insonderheit zu ihrem großen Vergnügen, den Schullehrer Beda Aloser, der sich an den von schöner roter Tranksame und allerlei Mürbalien überstellten Tisch gemacht hatte. Da nun hockte er auf dem bisher unbeachtet gebliebenen Mostfäßchen, spielte die Gitarre und sang dazu. Und siehe, ihre Verwunderung nahm zu wie der Graswuchs nach ausgiebiger Bejauchung, als sie nun hörten, wie der Schullehrer mit einem Gesicht, das sie angleißte wie ein frischeingeseifter Tanzboden, ein meisterlosiges Schelmenliedchen nach dem andern von sich gab. Splitternackt tanzten diese federleichten Geschöpfe vor ihnen herum.

Der Salami, seine Frau, strahlte. Nun erfuhren sie ja, daß ihr Mann nicht bloß Schule halten konnte. Nun hörten sie, daß er seine Zupfgeige nicht umsonst mit sich auf die Ruchegg getragen hatte. Und erkennen mußten sie, daß er auch kein Haufen Stroh oder ein abgestorbener Ast am Stammbaum der Aloser war, denn er gab es ihnen so saftig, wie er's drin hatte und wie sie es sich nie gedacht hätten. Heja, was hatten sie denn geglaubt? Der Salami wollte auch keinen Waldbruder heiraten, der von nichts anderm als von schalem Wasser und trockenen Wurzeln lebt. Aha, da hatten sie nun ihren ganzen Mann, der wenig gewöhnte rote Wein – sie lachte überlaut, glücklich heraus – hatte ihm's gründlich ausgebracht.

Aber als er jetzt endlich, die Töne auf der Gitarre nochmals stiegleinauf, stiegleinab hüpfen lassend, Ruhe gab und wieder in sich zusammenzugehen schien, wobei die Augen sich aber in schleimiger Freudetrunkenheit unter den Festenden herumschlichen, hob der alte Hirte den Graukopf zu ihm auf und sagte: »Aha, Lehrer, bist du so ein Schalk! So ein heimlichfeister bist du. Es ist schon besser, wenn du deine Zupfgeige mehr einem zeitigen bis höchstzeitigen, bubensüchtigen Weibervolk, als deinen Schülerknaben aufspielst. Sonst würden sie in dem, worin sie sowieso früh genug und nach allen Windrichtungen ausgebildet werden, im Gernhaben, zu gleitig ausgelernt. Gleichwohl, für alte Sünder und etwa für den kopfhängerischen König Saul, wäre dein Spiel noch zu brauchen. Es täte sie wieder auftauen und zu allerhand Leben bringen, wie das Abwaschwasser einen Topf voll absterbender Wegeriche, Knöteriche und Rapunzel. Schau', schau', unser Beda. Bist ein Schlecker du, wenn auch kein Falter und Honiglecker, denn es riechen noch lange nicht alle Blumen gut, die dich anzuziehen scheinen. Und da haben wir gemeint, du könnest außerhalb der Schulstube nicht fünfe zählen. Tust dich ja immer im Land um wie eine verregnete Kirchenfahne. Spitzbub, Maitlischmecker, Erzlecker!«

»Tut doch nicht so, Vater!« legte keifend der Salami los, »Ihr wißt doch auch was lands in der Liebe. Wenn Ihr auch einen langen Hirtenstab habt, so macht Euch das noch lange nicht zum Bischof. Und da Ihr mit Euren wackelig werdenden Zähnen sowieso nicht mehr gut beißen könnt, so ist Euch so ein lustiger Singvogel, wie er in meines Bedas Gitarre nistet, gewiß ein willkommenes Späßlein, Butter aufs schwieriger werdende Rauhbrot. Unsereins kennt die Alten auch und nicht bloß aus dem Alten Testament und von der Susanne im Bad her. Laßt mir meinen Mann gelten, ihr alle, sag' ich! Ihr vergönnt es ihm nur, daß er so ein Künstler ist. Ich hätte gedacht, ihr tätet alle vor Freude . . .«

»Sei doch still, du Gelle!« herrschte sie der Alte an. »Was machst du denn für ein Geschrei? Wir hören alle noch gut. Ein heimlichfeister ist er, dein Beda. Das hab' ich gesagt und was ich einmal gesagt habe, das steht und den Föhn möchte ich sehen, der's wegbläst. Aber deswegen will den Lehrer kein Mensch umbringen. Es ist ein jeder wie er ist, heja, so mag er sich auch geben wie er ist und leben wie er muß und uns seine überschmalzten Liedlein . . .«

Es verschlug's ihm. Der Spielaumichel, der Dolmetscher und Landausläufer von Stagelrain, stand mit einemmal mitten unter ihnen. Er mußte sich fast leiser als der Schatten der nahen Wettertanne unter sie hineingeschlichen haben.

»Ja, 's Donners abeinander,« rief der Bauer aus, den Spielaumichel, der allseitig eifrig grüßte, anglotzend, »hat der also den Festbraten bis auf Stagelrain hinunter zu riechen bekommen. Es ist ja grad, Michel, als ob's dich heute unter uns hineingehagelt hätte; was freilich kein Wunder wäre, denn du bist ja selber ein Hagel, und zwar ein gefehlter Hagel. Ja, red', wie ist jetzt das? Du wirst doch nicht heute schon zum heiligen St. Wendel in unserm Heimkapellchen versprochen haben? Du kannst ja sowieso nicht grad übermäßig viel bei ihm gelten, denn unser lieber heiliger St. Wendel hat allweg Tag und Nacht durch zu tun, den Schaden, den du im Viehhandel anstiftest, so gut als möglich zu wenden.«

»Nichts für ungut, Stump,« sagte, rundum lächelnd und schöntuend in ewiger Bewegung, der Dolmetscher, »aber ich habe zu Erlenstalden im Hirschen gehört, unser Viehhändler, der Baschitoni Tritsch und der Metzger Balz Schwitter seien vorbeigekommen und danach auf die Ruchegg zu irgendeinem Festanlaß gestiegen. Da hat's mich eben auch hinaufgetrieben, denn ich möchte, beim Strahl, nicht, daß dir ein anderer ins Gehege käme, Baschitoni,« wandte er sich an den Viehhändler, »und dir die erstrangige Kuh vor der Nase wegkaufte, die bei der Alten in der Stolzern in unserm Stagelrainer Berg im Stall steht und die du schon lange gern gehabt hättest. Nämlich, die Bäuerin, die alte, wurmstichige Schnitztruhe in der Stolzern, will sie dir jetzt verkaufen. Drum hab' ich heute so pressiert, denn es gehen welsche Viehhändler, der spitzköpfige Fantoni und der schwarze Gabuzzi, im Land um und suchen die Ställe nach Nutzware, aber auch nach Reinrassigem ab. Auch für dich, Metzger,« wandte er sich an Balz Schwitter, »weiß ich jetzt etwas Feistes. Der Resenmadlentschi Wisel im hintern Tschübernell hat eine schlagreife Sau, die er dir billig lassen würde, denn er hat's, wie ich, hat Geld nötig, ohne Geld keine Welt, ich . . .«

»So, du Krauthund,« sagte jetzt die Stolzernbase, die dem Spielaumichel in seiner Hast, trotzdem er seine Augen rundum hatte gehen lassen, doch entgangen war, »da bist du jetzt einmal gehörig in den Kuhkot getreten, Spielaumichel, und kannst einen Schuh voll herausziehen. Nämlich, die alte, wurmstichige Schnitztruhe ist auch da, und sie kann sich nicht erinnern, weder dich während eines Vierteljahres jemals gesehen, noch dir die besagte Kuh für irgend jemand feilgeboten zu haben. Du wärst mir sowieso nicht der erste, den ich rufen ließe, wenn's bei mir etwas zu handeln und zu verdolmetschen gibt.«

Alles war in ein tolles Gelächter ausgebrochen, aber während man nun den Spielaumichel weidlich hänselte und der sich so klein und unscheinig als menschenmöglich machte, ließ der Stump das Mostfäßchen unter dem Schullehrer, über den sein mißbilligender Zustupf wie eine Sonnenfinsternis gekommen war und der nun in zunehmender Betrübnis dasaß, wegnehmen und anstechen.

Dadurch kam der Lehrer Beda Aloser ebenfalls und unfreiwillig ins Grüne zu sitzen. Und als nun auch der landskräftige, noch süße Birnensaft aus dem Tale von Steinen zu fließen begann, rief der graue Hirte dem Spielaumichel zu: »Heda, alter Schlauch für alles, Erzschlauchiger, laß dich zum Most! Umsonst sollst du nicht auf die Ruchegg gestiegen sein am Namenstag des heiligen St. Wendels.«

»Es wäre sonst nicht zu tun,« machte der Dolmetscher bescheidentlich, zu Tisch rückend, von dem ihm die Mager eine Wurst und einen Rundschnitt Brot und alsdann auch ein Beckelein voll Süßmost übermachte, den der alte Süffel aber mißtrauisch, kopfschüttelnd beroch, bevor er dran zog.

»Wohl bekomm's!« wünschte der Stump, sein Glas Rotwein wieder einmal in die Abendsonne hebend und sich des schönen Tages königlich freuend.

Aber der Salami, die alle Tranksame liebte und die demnach dem schönen, roten Flaschenwein das Tor weit aufgetan hatte, fühlte sich in jeder Hinsicht im Aufgang. Also begann sie der festenden Gesellschaft ihre künftigen, weitzielenden Pläne für ihre Wirtschaft zu offenbaren. Ganz großartig ward ihr zumut. Es sei ja blutwenig, was ihr das Schulmeisterslöhnlein ihres Beda ins Haus bringe, redete sie, aber es sei immerhin Bargeld. Auch aus dem Webstuhl stampfe sie eine schöne Handvoll Bares heraus. Aber die Hauptsache sei doch, daß sie's verstanden habe, zu einem Gütlein zu kommen. Ein Mensch ohne eigenen Boden unter den Füßen habe in der Welt und unter den Leuten und vor sich selber keinen festen Stand und rechten Bestand. Wenn's auch nur wenige Jucharten Eigenland sei, so habe sie's doch mit der Mistgabel und mit dem Jauchekasten verdoppelt, so daß es etliche Kuhessen ertrage. Und dabei könne sie mit der Schweinezucht ein Schönes verdienen. Es mache ihr sowieso keinen Kummer. Und wenn sie auch nur der Salami sei, so sei sie doch eine Stumpentochter und nicht ruhen noch rasten werde sie, bis ihr Beda ein Herr, ein wirklicher Herr, ein Herr durch und durch sei, vor dem man zu Kilchaltdorf den Hut abnehme, obwohl ihm dort bis jetzt keine Katze und kaum ein Spatz aus dem Weg gegangen sei. Aber sie lasse nicht nach. Herrenleute wollen sie werden. »Deswegen,« machte sie kreischend, »muß mir jetzt noch eine Kuh zu und den Saugaden baue ich weiter aus und . . .«

Mit Verwunderung erkannte sie, daß ihr kein Mensch mehr zuhörte, denn aller Augen waren auf dem Metzger Balz Schwitter, den die Reb soeben, sich bolzgrad vor ihn hinstellend, zum Ringkampf herausforderte.

»Also,« redete sie zu ihm, »steh auf, komm und probier's mit mir! Du hast ja vorhin nach dem Steinstoßen so geprahlt und großgetan und gesagt, es fehle dir beim Steinstoßen nur an der Übung, aber im Ringen und Schwingen da wäre es dann etwas anderes, da wolltest du mich bald genug auf den Rücken gelegt haben. Was machst du für Augen an mich hin, Bursche? Ja, schau' mich nur rundherum an! Da bin ich und ich bin dich wartig.«

»Jaso, den Weg!« sagte der Metzger und sprang auf, »da bin ich gern dabei. Nichts könnte mir willkommener sein, als mit dir auf diesem grünen Bödelein um den Gütsch da ein wenig zu ringen, Reb.« Er lachte auf. »Wahrlich Gott, das passiert unsereinem nicht alle Tage, daß man so etwas ungestraft in die Finger nehmen darf, ja, dazu gar noch eingeladen wird. Das ist einmal ein anderes Herumlüpfen als ein dummes Kalb oder eine mordjolärmende Sau.«

Den Kittel hatte er schon lange ausgezogen, jetzt stülpte er aber auch die Hemdärmel zurück und reckte und streckte kampffreudig die gewichtigen Arme. »Was meinst, Reb, wie ist's, wollen wir dranhin?«

»Was fällt dir ein, Schwester,« sagte jetzt die Judith, »es wird doch nicht dein Ernst sein, mit Mannsleuten zu ringen? Da geht's halt rauh und ungewöhnt zu und du könntest übel drankommen, ja, wüst geworfen werden. Schau' den Balz Schwitter an, was der für einer ist und wie er dasteht! Reb, mach' keine Dummheiten, überlaß das dem Männervolk. Für unsereins schickt sich das nicht.«

»Aha,« gab die Reb zurück, »ist der Baschitoni, dein Mann, schon so weit mit dir, daß es dir ob diesen Tabaklern zu fürchten anfängt. Also deswegen hast du dich ja wohl beim Steinstoßen hinter deinen Mann verkrochen und dich dasmal so völlig gedrückt, daß man von dir ja nichts zu merken bekommen sollte. Wir Rucheggler sind dir jetzt wohl zu rauhwollig, gelt? O Schwester, Große, nicht einmal da hast du mehr mittun wollen. Früher, als wir zusammen noch alle Sonntagnachmittage vor dem Hause Stein gestoßen und aber auch hinterm Haus geschwungen und gerungen haben, daß die Rasenstücke aufgeflogen sind, hast du nicht so zimperlich geredet. Sowieso, du hast dich von deinem Viehhändler beherren lassen, also schau' du für dich!«

»Ja, das glaubt dir kein Mensch, Reb, ich schon gar nicht,« machte lachend der Baschitoni Tritsch.

»Aber Reb, aber Reb,« sagte geschämig, halblaut das Röllchen, »du wirst doch nicht mit dem Metzger . . .«

»Halt's Maul, du Fratz!« schnauzte sie der Salami an, die sich auf den Hosenlupf freute, »du bist ja nicht unsere Mutter.«

»Gleichwohl, Kind, Reb,« meinte die Base Anneseba aus der Stolzern, »du bist doch nur ein Weibsbild und . . .«

»Was bin ich?« lärmte die Reb, »die Reb bin ich und eine Stumpentochter, also macht Platz da!«

»Ja,« rief jetzt der alte Stump, der eben mit dem Bäcker Burket angestoßen hatte, »laßt doch die Reb machen. Sie hat noch Waden wie vor altem. Die drückt keiner so leicht auf die Knie, geschweige daß er sie legt. Haarus, Reb, wehr' dich und zeig' wer du bist!«

»Aber wenn ich dich bodige, Schatz,« sagte jetzt wohlverständlich der Metzger, »und dich also dazubringe oder gar zwinge, daß du mir einen Kuß machst, und ich hoffe das bombensicher, so will ich dir dafür ein gutes Bauerndutzend Küssen, auch mehr, zurückzahlen.«

»Ich habe dir's schon gesagt,« machte sie kurz, »wenn du mich dazubringst, daß ich dir gezwungen oder aus freiem Willen einen Kuß . . .«

Da hatte er sie schon gepackt. Und nun begann ein Ringkampf, der alle auffahren ließ und der den alten Stump in die höchste Aufregung brachte, »denn,« raunte er der Stolzernbase zu, »das ganze Festchen freut mich nichts, wenn er die Reb bodigt.« Bei sich aber dachte er jetzt, vielleicht hätte ich's doch nicht zulassen sollen, denn einen Mann mit solchen Armen mit einer solchen Stierenkraft wie den Metzger da, gibt's landauf und ab keine drei. Er hätte nicht ungern den St. Wendel für die Reb zu Hilfe gerufen, aber das getraute er sich nun für dieses Ringen doch nicht recht, auch wär's ihm parteiisch vorgekommen, zudem kam's ihm zu Sinn, daß man diesen Heiligen doch mehr als Schirm- und Schutzherr für die Viehhabe anrufe und . . . Nein, er konnte diesen Gedanken nicht länger nachgehen. Der Ringkampf nahm ihn jetzt völlig gefangen.

Jawohl, die Reb hielt sich wacker. Und als der Tschuppmoos Bändichtli des Röllchens Handorgel erwischte und gar einen gestobenen Gautanz aufzuspielen anfing, legte sie sich wie ein junges Roß erst recht ins Zeug. Der Metzger hatte alle Hände und Füße voll zu tun, sich ihrer zu erwehren. Zu Fall jedoch oder auch nur einigermaßen unter sich brachte sie ihn auch nicht. Und bald zeigte es sich, was dieser Balz Schwitter für ein bäumiger, zähfaseriger Bursche war, denn er rang mit wachsendem Erfolg, um so mehr, als sie anfänglich zu stürmisch vorgegangen war und sich so rascher verbrauchte. Es gelang ihm, sie in die Knie zu zwingen und mächtig mühte er sich jetzt, den stierenmäßigen, erhitzten Kopf verzweifelt vorstreckend, die Reb zu küssen. Und als er meinte, es sei nun gewonnen, war sie aber schon wieder auf und setzte ihm von neuem mit voller Kraft zu. Doch was sie auch tat, auf den Rücken brachte sie ihn nicht; immer wieder kam er ihr aus und einmal hatte er sie soweit, daß er sie gar fest an sich zu drücken vermochte. Stöhnend lag sie an seiner Brust, immer näher brachte er ihr Gesicht an sich. »So, Reblein,« machte er schwer schnaufend, »nun wären wir soweit, nun gib mir den Kuß gutwillig, denn, schau', küssen mußt du mich nun sowieso, du mußt, du mußt!«

Fast berührte er ihren Mund. Sie glühte, sie schäumte. Ein wütender Ruck, es gelang ihr wieder loszukommen und was er auch tat, er bekam sie nicht mehr wie vordem an sich, im Gegenteil brachte ihn die Reb, bei seinem hartnäckigen Trachten und Mühen um ihren Mund, in einen immer böseren Stand, so daß er sich wieder völlig auf die Abwehr verlegen mußte.

Nein, da war nichts mehr zu wollen. Mehr und mehr ermüdeten sie beide. Es ward ein unschönes, zweckloses Hin- und Herringen und -reißen und der Reb hingen die aufgelösten Haare schon eine Weile über ihr schweißbedecktes, ja rauchendes Gesicht.

»Fertig!« rief eine Stimme.

Sogleich und gern, man konnte es sehen, ließen die Ringer voneinander ab und warfen sich auf den Rasen, eifrig atemholend.

»Ja,« sagte jetzt der Bäcker Burket, der Halt geboten hatte, »der Kampf ist unentschieden. Aber es würde kaum viel anderes herausschauen, auch wenn wir euch nochmals aneinanderließen. Es ist hart herbeigegangen und das muß ich sagen, daß ist tags meines Lebens noch kein Weibervolk gesehen habe, das sich so heillos stark und gelenkig gezeigt hat. Ein Mordsbursche, deine Reb, Stump. Sie hat dem Metzger gehörig zu schaffen gegeben und der ist ein Mann und was für einer!«

»Jaha, die Reb hat sich stumpenmäßig gehalten,« sagte der Hirte, den roten Kopf hochtragend. »Respekt vor dir, Reb, bist halt ein Weltbursche.«

Aber so ganz zufrieden war der Alte doch nicht. Einerseits hätte er's ja überaus gern gesehen, wenn die Tochter, auf die er am meisten hielt, den landum als einen der kräftigsten Burschen bekannten Metzger hätte bodigen können. Anderseits aber wäre es ihm auch wieder nicht unlieb, nein, eher wie gewünscht wäre es ihm gekommen, wenn dieser wohlbestellte Kilchaltdorfer Metzger Balz Schwitter die Reb wenigstens dazu gebracht hätte, daß sie ihn hätte küssen müssen. Vielleicht würde sie das doch ein wenig gezähmt haben. Sie war etwa auch gar eine Wilde, und wer weiß, was aus diesem Kuß hätte herauswachsen können, denn das sah ja ein Einäugiger auf eine Stunde weit, daß der Metzger es auf diese seine Zweitjüngste abgesehen hatte.

Er konnte alledem aber nicht weiter nachsinnen, denn sein Schwiegersohn, der Viehhändler und die Judith, die ihm seinen heimlichen Verdruß wie aus einem großbuchstabigen Gebetbuch vom Gesicht ablas, zogen ihn ins Gespräch. Und als der Baschitoni Tritsch vom Stierenmarkt am See zu berichten anfing und wie er da mit seiner Heimkuh, mit der Lusti, Glück gehabt habe, fing er an zu vergessen und allmählich aufzuheitern, wozu der süffige Rotwein wacker mithalf.

Der Unterdorfmetzger von Kilchaltdorf aber, der Balz Schwitter, hatte der Reb nach guter Ringkämpferart die Hand mit lachendem Gesicht und mit Augen, die seine Wünsche taghell offenbarten, entgegengestreckt.

Aber, nein, die Reb nahm sie nicht an. Sie sah auf und schaute ihn giltmirgleich, weder gut noch bös an. Es plagte sie geradezu, daß es ihr im Ringen nicht so gut geraten wollte wie beim Steinstoßen, daß sie den Metzger nicht unter sich gebracht hatte. Leicht hatte sie ja diese Kraftprobe von Anfang an nicht genommen, aber so bärenstark war ihr der Kilchaltdorfer doch nicht erschienen. Ihr Schwager, der Viehhändler Tritsch, war ja auch ein Mann, ein Mann wie eine Fluh, hoch und breit, wohl etwas zu dick, und den hatte sie doch vor nicht langer Zeit, in seiner eigenen Stube zu Hochsiten, nach kurzem Ringen und vor Judiths Augen, die das gar nicht fassen konnte und es ungern sah, auf den Tisch gelegt. Nein, dieser Balz Schwitter war eben harthölziger, ein Baumtrümmel; wo man ihn hinstellte, da stand er. Er hatte ja nun mit ihr zwar auch nicht obenausgeschwungen, das Ringen war unentschieden ausgegangen, der Bäcker hätte nie rechtzeitiger abbrechen können. Aber sie haßte das; entweder ganz oben oder ganz unten, so wollte sie's haben.

Wie nun die Base Anneseba aus der Stolzern zu ihr trat, um sie zu ihrer wackern Haltung zu beglückwünschen, bekam sie, genau wie ihr Vater, um die kecke Hakennase allerlei Rümpfchen. Sie ließ jedoch die Alte weiter nichts merken. Und als sie weg war, legte sie sich wieder auf den Rücken, staunte in den blauen Himmel hinein und sann angestrengt darüber nach, wie sie allenfalls dem Metzger doch noch auf eine nachdrucksame Art den Meister zeigen könnte.

Der neben ihr lagernde Balz Schwitter war auch nicht zufrieden. Er wälzte sich auf dem Rasen unruhig hin und her, als läge er mit dem Alpkobold im Bett. Es ärgerte ihn doch, daß er diese Stumpentochter, so sehr er ihre Mannskräfte und ihre Umtunlichkeit schätzte und so stark er in sie verschossen war, nicht gleich beim ersten Gang, wie schon so manchen kernhaften Burschen, auf die Schattenseite hatte legen können. Aber vor allem fuchste es ihn wettermäßig, daß es ihm nicht gelungen war, ihr ein paar vollsaftige Küsse aufzubrennen, geschweige sie zu vermögen, ihn zu küssen. Und er hatte ihr Gesicht doch so nahe gehabt. Keine Hand, was keine Hand? keine Feder hätte man mehr zwischen seinen und ihren Mund halten können, ohne daß es sie gekitzelt hätte. Verflucht doch auch sowas! Nein, er mußte es anders anstellen, gescheiter und noch weit angriffiger, sonst würde er mit dieser heillos widerständigen, gleich buckelmachenden Katze auf keinen Bord kommen.

Er erhob sich mißmutig, machte sich nach seinem Kittel und nachdem er ihm eine lange welsche Zigarre entnommen, schritt er unter die andern, sich von irgendeinem Feuer zu heischen.

Und als er nun beim Viehhändler Tritsch stand und beim alten, ziemlich stillgewordenen Stump und über den breiten, leicht welligen Scheitel der Judith hinweg nach den weißbemäntelten Bergen sah, ein blaues Räuchlein aufsteigen lassend, gab's ein dreckiges Meckern irgendwo um ihm Er schaute sich nicht einmal um, denn das konnte nur vom Spielaumichel herkommen, der ja genau lachte wie ein Ziegenbock.

Aber nun mußte er sich doch umsehen.

»Grad wie eine Katze, beim Eid' sterb' ich, auf und ähnlich wie eine Katze kann sie's,« rief der Spielaumichel aus.

Was für eine Katze? wollte er den Dolmetscher fragen, der auf einem Tischende ob ihm hockte, ein Kaffeebeckelein voll Most in der haarigen Hand.

»Heijupedihee!« schrie's jetzt aber unterhalb. Und als sich der Metzger rasch nidsich wandte, erblickte er des Stumpen Röllchen, das auf dem Hag dahinging, der unter dem Gütsch die Hausmatte gegen das Weidland abgrenzte. Und also flott, ja zierlich und doch sicher wie ein Seiltänzer, schrittelte das Mädchen über die schmalen Hagschwarten hinweg, daß der Bäcker Burket hingerissen ausrief. »Ja, bei Gott, sie kann's wie ein Kätzlein!«

»Heiteliho!« schrie bodenwohlauf das Röllchen.

»Heiteliho, der Mai isch do!
Heiteliho, was bringt er?
Alli Vögel macht er froh,
Us dä Chinde singt r.
Moled d'Vyeli chnistblo.
Heiteliho und jupedihee!
Nästli git's i Gras und Chlee.
Wer's nüd glaubt, cha's sälber gseh.

Heijo! wer mir auf dem Hag nachgehen kann und mich erwischt ohne hinunterzufallen, bekommt von mir auch einen Kuß, denn,« ihr helles, jauchzendes Auflachen tollte in den Abend hinein, »denn, müßt ihr wissen, ich kann auch schon küssen und hab' von dieser Schleckware nicht weniger in Vorrat als die Reb.«


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