Meinrad Lienert
Der doppelte Matthias und seine Töchter / 1
Meinrad Lienert

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6

So durfte der Schullehrer von Erlenstalden, Beda Aloser, es wagen, auf die Ruchegg zu einer gewichtigen Stumpentochter, zum Salami, zu Licht zu gehen. Er tat's mit der Leidenschaft eines wahrhaft Verliebten. Und wenn er sich auch nächtlicherweile keineswegs im Galopp, sondern eher langsam über den wüsten Waldweg auf die Ruchegg begab, ja sozusagen sich hinaufwand, so war er doch innerhalb voll Feuer, also daß er wie ein Johanniskäfer völlig leuchtete.

Der Salami machte ihm das Freien aber nicht zu leicht. Deshalb sagte die Mager, die zwar zu Erlenstalden auf der Vorkirche weitersang, sich aber nie zeigte, wenn er in der Rucheggstube oder vielmehr in der Küche, zu Licht war, ihre räße Schwester werde den Lehrer solange nicht nehmen, bis sie sicher sei, daß er ihr durch eine Dornhecke hindurch aus der Hand fresse. Auch die Nachtbuben, die hie und da, vor allem zu Röllchens offener und heimlicher Wonne, um die Hausmauer tobten, Scheiterbeigen zusammenritten und ihre Stimmen greulich verkehrten, nahmen den Schulmeister etwa her und plagten ihn gar arg, bis sie ihn zuletzt immer wieder durch ihren Krüppelwald übers Stiegenbrücklein hinauf und in die Rucheggstube hineinließen.

Aber als ihn ein Bursche nachts, da er verschwitzt und atemnötig auf der Ruchegg ankam, gleich bei den Beinen packte und mit ihm, wie ein junger, frischeingespannter Hengst im Wagengestell, in der regennassen Hausmatte herumsprang, lärmte der Salami kreischend aus der Küche, sie sollen den Lehrer gehen lassen, sonst komme sie mit dem Jagdgewehr unter sie hinaus. Und als sie nur ausgelacht ward, erschien sie wirklich unter den Nachtbuben vor dem Haus, die Flinte in den Fäusten.

Doch da ging die Lustbarkeit erst recht los. Man entwand ihr, trotz ihrem erbittertsten Widerstand, das Mordgewehr. Alsdann umtanzte man sie, sich den stöhnenden, herrjeselnden Schullehrer wie einen Sack voll Sägemehl zuwerfend, daß er nun wirklich fast völlig um alle Luft kam. Und je wütender der zündrote Salami ward und je wüster sie mit Maul und Faust tat, desto hochflutiger ward der Übermut und das Gelächter der nächtlichen Horde der Jungburschen.

Da war mit einemmal die Reb mit der Ofenkrücke unter sie hinausgefahren. Im Hui hatte sie ihre bedrängte Schwester und deren halbzerbrochenen Liebsten befreit. Und also freuten sich die Nachtbuben über die Angriffigkeit der Reb und ihrer mannhaft gehandhabten Ofenkrücke, daß sie ihr den Sieg nicht zu schwer machten. Ja, auf einmal hatten sie zwei Burschen auf den Schultern zwischen sich. Und so ward die sieghafte Reb, zum großen Vergnügen des alten Stump, der dem Hau aus einem Fenster im Mondschein gut aufgelegt zugeschaut hatte, im Triumph, von der ganzen Bande begleitet, übers Stiegenbrücklein hinauf in die Rucheggstube hineingetragen, während der Salami, fluchend wie ein Roßknecht, am Brunnen sich mühte, ihren geschändeten Lehrer wieder einigermaßen flott zu machen.

Aber endlich kam der langersehnte Tag, der dem Erlenstalder Schullehrer seine Sulamith in die engen Kammern des Schulhauses brachte.

Die Hochzeit ward in der Wirtschaft zum Hirschen in Erlenstalden abgehalten.

Am Hochzeitsessen aber gab es, unter andern Fleischspeisen, sogar noch etwas ganz Besonderes, nämlich einen großen Auerhahn, den der Salami, als letzten Ausweis ihrer Schießkunst und Jagdfreude im ledigen Stand, kurz vorher noch in den Wäldern um die Ruchegg gewildert hatte. »Der närrische Vogel war gut zu bekommen,« sagte sie offen, im Brautkranz, massenhaft, wie in Wogen, neben ihrem unscheinigen, aber nun hochseligen Beda hockend, »denn es war Balzzeit und da war der verliebte Tor, wie alles was Gockel heißt und auch ist, eben stocktaub bis auf seinen Urgroßvater zurück.« – »Ja,« meinte der alte Stump, an einem Schenkel dieses schönen und schweren Waldvogels herumnagend, »deine Ehe fängt bitter an, Sa–Sulamith, denn es ist mir, ich habe das Maul voll Tannadeln.«

Es war aber eine lustige Hochzeit, auf der sogar die Base Anneseba aus der Stolzern, trotz ihren alten, im Urväterlichen verwurzelten, festen Grundsätzen, ein wenig ins Wanken kam, während der Stump sich bei jedem gestobenen Gautanz hoch zu Roß und ein Held dünkte.

Die Jugend sparte die Tänze nicht. Die Hirschenstube begann zu stieben und zu rauchen. Die begehrteste Tänzerin war aber immer noch die Judith bei dem Mannsvolk der Gefreundeten. »Denn,« sagte der Kari Fuchs, der Kantonsrat aus dem Obereigen, »wenn die Stumpen-Judith auch nicht just am besten tanzt, ja vom wieselflinken Röllchen hierin weit überholt wird, so ist sie doch am kurzweiligsten in die Arme zu nehmen. Man weiß, was man an ihr hat und hat was man weiß und braucht nicht wie bei einem magern Zicklein die Gräte und Knochen zu fürchten. Ein Weibervolk um und um wie eine ganze Sennenkirchweih.«

Alles unterhielt sich also an dieser Hochzeit aufs angenehmste und langwierig, nur die Mager hockte alleweil da so lang sie war, als ob sie da in der Wirtsstube aus dem Boden gewachsen wäre, denn tanzen konnte sie nicht.

»Jetzt schau' einmal des Stumpen Mager an,« raunte ihr Vetter Franz Domini aus der Bachtellenruns der Stolzernbase zu, »sie macht, beim Strahl, ein Gesicht wie ein Wegweiser in die Wüste.« – »Ach was, Dummheiten,« gab aber diese zurück, »dieses lange, trockenaussehende Geschöpf, diese Mager, hätte es so gern lustig wie die andern. Ist ja jung und hat den rassigen, doppelten Matthias zum Vater. Was gilt's?! Wenn sich die Nachtbuben mehr an diese lange Föhre machten, sie fänden unter ihrem krausen Wipfel schon auch ein munteres Eichhörnchen. Die armen Maitli! Es ist etwas Heilloses. Wenn sie euch Mannskerlen, die immer nur glatte Zifferblätter oberhalb und aber unterhalb schwere Truhen auf breiten Gestellen haben wollen, nicht völlig in die Augen und ins Gelüsten passen, laßt ihr sie verjumpfern und verschrumpfen. Auf das was in ihnen innerhalb allenfalls sein könnte, gebt ihr wenig oder gar nicht acht, so kommt's und es geschieht euch recht, daß ihr oft eine scheinige, anmächelig gemalte, aber leere oder mit wertlosem Gerümpel angefüllte Truhe erwischt und das bescheidene, unaufdringliche Wandkästchen stehen laßt, das vielleicht voll köstlicher Dinge ist. Aber so ist's und so wird's ja wohl bleiben.«

Auch das Röllchen schien nicht recht vergnügt. Es lachte nur einmal laut heraus, als der betrunkene Erlenstalder Fuhrmann, der alltäglich mit seinem Wagen ins Tal fuhr, nun in die Wirtsstube hereinstolperte und mit der Peitsche, sich mitten in den Tanzplatz hineinstellend, den Takt zur Tanzmusik knallte und als ihm dann die Reb die Peitsche aus der Faust rang und ihn damit zur Tür hinausfuhrwerkte, daß es pfiff. Und ein zweitesmal lachte sie noch, als des Tschuppmoosbattisten Junge, mit einem Korb voll Torf auf dem Rücken, am Wirtshaus vorüberging und sich auf Leben und Sterben abquälte, den vom schweren Korb geduckten Kopf und erst recht die Augen zu ihr zu erheben. Aber dieses laute Auflachen verlor sich rasch in ein stilles, sehnsüchtiges Lächeln und zuletzt fast und gar in ein Weinen, als der Korb voll Turben mit dem Bändichtli um die Ecke verschwand.

Als jedoch der Salami gegen Mitternacht mit ihrem Schullehrer, der ohne zu wissen wie, aber vom ewigen Zutrinken und Bescheidtun, ein Räuschlein bekommen hatte, heimzuging, lachten der alte Stump und die Reb ein wahres Donnergepolter heraus und die andern ihnen nach, denn es sah völlig aus, als schleppe die handsame Hochzeiterin, die ihren Gatten am Kragen gepackt hatte, bloß noch sein leeres Gewand aus der Wirtschaft und der Lehrer sei völlig irgendwie, wie beim Zauberkünstler in der Kirchweihbude, vergangen.

Wie er aber aufs Vortrepplein und in die kühle Nacht hinauskam, regte sich das Leben wieder in ihm, doch seine Zunge konnte und wollte nichts mehr sprechen als das freilich vielgeübte: O Sulamith, o Sulamith!

Und damit machte sich das ungleiche Paar ins nahe Schulhaus hinein, wobei man aber den Salami, und zwar schon fast ein wenig in einer mißfärbigen, schimpfenden Tongebung, reden hörte, bis sich die Türe hinter ihnen schloß.

Es folgte aber auf diese frohe Hochzeit keine üble Ehe, »denn,« pflegte der Spielaumichel zu sagen, »der Salami und der Schullehrer kommen zusammen aus wie zwei Eier im Nest. Er hat nur einen Willen, den ihrigen, und sie hat's gleich. Wie sollte es da nicht wie am Schnürlein laufen?«

Ja, Herr und Frau Lehrer Aloser zu Erlenstalden schienen sich wohlzubefinden. Wenn er nicht in der Schule steckte und sich um die Bänke wand, drin seine Schüler und Schülerinnen als gehorsame Bauernkinder schön auf ihn hörten, schlich er sich hinter seiner Gattin her und suchte ihr seine Zutunlichkeit, ja Hingabe auf jede Weise klarzumachen, indem er die Spiele seiner unveränderlichen Liebe rund um sie gehen ließ wie Springbrunnenwasserkünste. Er nannte sie nur noch Sulamithchen, was sie aber gar nicht genug anerkannte. Gar oft, wenn er mit seinen Zärtlichkeiten ihrem Tagewerk in die Quere kam, fuhr sie ihn schnörzend an: »Mach', daß du wegkommst und laß mich in Ruh! Ich hab' jetzt keine Zeit für solche verliebten Gaukeleien.«

Dann hingen sich seine langsamen Augen an sie und blieben zähschleimig an ihr kleben, wie die Landschnecke bei großer Hitze an Zaun und Baumstrunk. Aber immer ergab er sich in ihren Willen, denn sie war ihm ein heiteres Gefängnis und eine rosenvolle Dornhecke.

Der Salami aber freute sich insgeheim sowohl der großen Dauerliebe ihres Lehrers als noch weit mehr seiner uferlosen Ergebenheit. So hatte sie die nötige Ellbogenweite, um sich und ihn und ihre allenfallsigen Nachkommen durch die Welt zu bringen, ja in der Welt herauszuschaffen. Sie kochte ihm seine Mehlsuppe und die Erdäpfel in der Uniform so wie er's gewohnt war und gern hatte und allsonntäglich tischte sie ihm ein Stück Schweinernes oder gedörrtes Rindfleisch auf, für das er schwärmte. Auch hatte sie ihm ein Paar mehrfarbige, gar warmhaltende Winterschuhe, landbräuchliche Endenfinken, am Gallusmarkt zu Kilchaltdorf gekauft. Sie mußten ihn nach Betenläuten zu Haus behalten, denn als er noch ledig war, hatte er sich ab und zu abends in das Hirschenwirtshaus hineingeschlichen, um ein Schöpplein zu trinken. Ein solch außerordentliches Vergnügen, auf das er sich von einer Woche zur andern wie die Kinder auf den Weihnachtsbaum freute, erlaubte sie ihm jedoch klugerweise nur jeden dritten Sonnabend. Es kam auch etwa alle Vierteljahre einmal vor, daß ihm die Freude ward, auftraggemäß im großen Dorf für seine Frau allerhand Kommissionen zu machen. Alsdann walzte er strahlend, den umfänglichen Regenschirm unterm Arme, nach Kilchaltdorf hinaus. Und da er von Berufs wegen rechnen mußte und nicht schlecht rechnete, gelang es ihm immer wieder, aus dem mitbekommenen Marktgeld zu dem von der vorsorglichen Gattin erlaubten Schöpplein Weins mindestens noch ein zweites zum Vespertrunk herauszubringen. Er kam dann an solchen Abenden fast immer in stiller Seligkeit und beladen mit Paketen, aber auch etwa ohne Schirm, aus dem Dorf zurück. Und jedesmal mußte der Salami ihr kreischendes Gelächter loslassen, wenn sie ihn im Zudunkeln, wie einen Regenmolch die Stiege heraufkriechen und sie mit zwei glasigen Augen verliebt anglotzen sah.

Aber der Salami war nicht die Person, die sich mit ihrer einfachen und keineswegs vielbeachteten Stellung als Lehrersfrau zufriedengegeben hätte. »Ich will mich rühren können, ich will so oder anders auf einen Hochrain kommen, denn, Sackerlot abeinander, ich komme ja auch ab einem Hochrain und außerdem bin ich eine Stumpentochter,« pflegte sie zu ihrem fast verzagt aufhorchenden Gatten zu sagen.

So tat sie sich denn in ihrer Art unternehmend um. Bald war sie überall im Land und voran im Weiler Erlenstalden sehr wohlbekannt mit den Leuten und im besondern auf freundnachbarlichem Fuß mit der Hebamme, die nahe beim Schulhaus ein Warenlädlein hielt und mit der Pfarrsköchin hingegen und mit dieser oder jener, auch eigenwilligen Bäuerin, erzverfeindet. Aber sie wußte sich zu halten, wich niemand und wollte vorwärtskommen.

Als daher ihre Wohnung oben im Schulhaus für ein neues geräumiges Schulzimmer und eine Kammer für die Lehrschwester, die der Gemeinderat neu eingestellt hatte, gebraucht wurden, kaufte sie ein bescheidenes Landgütlein mit einem Gadenhaus auf der Allmeind nahe bei Kirche und Schuldhaus. Ihr Vater hatte ihr das Bargeld für die Anzahlung vorgeschossen. Ihr Mann aber, der Beda Aloser, hatte nur seine Unterschrift hiefür zu geben. Nicht einmal zu nicken brauchte er, denn um seine Einwilligung zum Ankauf war ja niemand angekommen.

Doch er half, was immer er vermochte, mit den größern Schülern, seiner handlichen, kuraschierten Frau ins neue Heim hinüberziehen. Er brauchte es wahrhaftig nicht zu bereuen, daß sie so selbstverständlich unternahm, was er selber nie gewagt hätte.

Nun er auf einmal soviel Raum und sattgrüne Matten um sich sah, war ihm, er habe noch einen dritten Lungenflügel bekommen und fast hielt er sich für einen Hirtenkönig. Mit höchster Bewunderung sah er auf seine Sulamith. Ja, er schien sich in ihrer Gegenwart allseitig herabzulassen und zusammenzugehen, obwohl er sich auch sonst schon geduckt genug hielt. Immer kleiner ward er vor ihr, aber glücklich bei den Brosamen ihrer Liebe, so gut er hierin allzeit bei Appetit war. Nein, nun wollte er nicht mehr mucksen, denn mit Erstaunen mußte er nach und nach gewahren, daß ihre Umtunlichkeit mehr ins Haus brachte als sein freilich bescheidener Quartalzapfen.

Nämlich, zuerst hatte sie einen Seidenwebstuhl in die Stube angeschafft, den sie, sooft sie dazukam, ja bisweilen bis in die tiefe Nacht hinein, trat, um das auf der Bauernsame so rare Bargeld reichlicher ins Haus zu bringen. Alsdann führte ihr der alte Stump ein paar guttuende Geißen zu, die sich auf dem ansehnlichen Umschwung Rasenboden des Gadenhäuschens, um das jetzt ein Gehüt Hühner gackerten, allmählich vermehrten. Zu alledem machte sie einem Rudel Schweine im Stall Quartier, die sie auf jede Weise zu ernähren, ja zu mästen verstand, wobei ihr die vielen zwerghaften Erdäpfel und die angesteckten, fleckigen, die sie im Herbst von den großen ausschied, stark mithalfen. Sie hatte ihres Mannes Acker von der allgemeinen Bürgergenossame also rundum bepflanzt, daß sie nicht nur Erdäpfel für ihren eigenen Haushalt genug bekam, sie konnte deren auch noch ganze Säcke voll nach Kilchaltdorf verkaufen. So hatte sie allmählich ein allerlei einbringendes Geschäft eingerichtet. Im Frühling verhausierte sie ins große Dorf ihre achttägigen bis dreiwöchigen Zicklein und im Herbst verkaufte sie ihre fälligen, martinigerechten Säue dem Metzger Balz Schwitter, der sie, bei dem großen Wohlgefallen, das er an ihrer Schwester, an der Reb, hatte, ein wenig besser zahlte als andere.

Der kleine Hirte auf der Ruchegg, ihr Vater, ließ sich nie aus seiner Bergweid zu Tal, ohne daß er sich beim Salami umgesehen hätte, wobei der Schulmeister sich allemal glücklich pries, wenn er grad in der Schule sein konnte, denn er hatte vor dem kurzbeinigen Stump, der da auftrat wie ein starkes Kriegsheer, einen heillosen Respekt, ja Furcht. Um so mehr, als ihn der Alte jedesmal, wenn er ihn zu Gesicht bekam, anherrschte: »Ja, wie ist's denn, werde ich bald einmal Großvater? Was ist's denn mit dir, Schulmeister?« Konnte er sich dem Adlerblick des schwiegerväterlichen Hirten aber nicht entziehen oder holte ihn die Frau gar aus der Schule, so hielt er sich so gut im Schatten, als es sich immer machen ließ und lauschte mit Ehrfurcht und nicht ohne eine gewisse Unruhe den Anordnungen und Räten, die der Alte, der übrigens immer freundlich zu ihm war, dem Salami gab. Er wußte wohl, so barsch das alles gegeben ward und so verdrossen, ja schimpfend es seine Frau aufnahm, sie besorgte es danach bis ins kleinste, denn auch sie hatte eine hohe Meinung von ihrem Vater.

Der aber ließ seine Tochter nie im Stich. Er freute sich mächtig, daß sie sich allseitig so tatkräftig zeigte, sie, die zu Hause alleweil nur in der Küche hatte wirtschaften wollen, und daß sie aus einem geringen Lehrergehalt ein Kleinbauerngewerbe so flott auf- und auszubauen verstanden hatte. Er half ihr sogar beim Ringeln der Schweine, wenn's galt, ihnen das Beißen gründlich abzugewöhnen. Alsdann stand der Lehrer Beda Aloser dabei und das mörderliche Geschrei der Säue, denen man die Schnörren sozusagen mit einem Drahtgitter verriegelte, tat ihm in die Seele hinein weh, denn er fühlte irgendwie mit ihnen, da er sich auch für geringelt halten durfte.

Ja, so gut war er geringelt, daß er seiner Frauen allerhöchsten Befehl gemäß nicht nur die Wohnung im kleinen Gadenhaus, sondern auch die Schulstube und Gänge und Treppen im Schulhaus fegte, aufwusch, sandete und kurzum in jeder Hinsicht so sauber hielt, als es der hierin nicht zu genaue Salami etwa für notwendig erachtete. Ja, er half ihr waschen und niemals sah man jemand anders als ihn die Wäsche vor dem sonnigen Gadenhäuschen aufhängen. Und wer nachts den Fußweg beging, der dem schulmeisterlichen Gadenhäuschen nahe kam, konnte ihn unter dem Betenläuten das Geschirr abwaschen und sänftiglich singen hören. Soviel er ihr aber überall zur Hand sein mußte, von den Bejauchungsarbeiten und von der Mistgabel dispensierte sie ihn, da sie ihren Mann und seine Hosen in einem guten Geruch haben wollte.

Unterdessen hatte aber die Judith zu Hochsiten ein Büblein bekommen. Der Viehhändler Baschitoni Tritsch, ihr Mann, hatte hierüber eine gewaltige Freude. Ein Knabe, das war das große Los, der war die Zukunft, denn was sollte ein Bauer und gar ein Viehhändler mit Töchtern anfangen? Lieber nur einen einzigen Sohn als sieben solche Unterröcke und Jammerorgeln. Man hat nicht viel von ihnen.

Als er aber diese Anschauung auch in Gegenwart seiner bettlägerigen Frau vor dem Vetter Kari, des Martschenfuchsen aus dem Obereigen, wie ein Heuseil vertat, ward die etwas bleiche, aber gleichwohl rundum hübsche Wöchnerin, dunkelrot. Kaum war der Kantonsrat, der Kari Fuchs, weg, richtete sie sich im Bett auf und sagte mit ihrer ruhigen Stimme: »Und das, Baschitoni, redest du vor einer Stumpentochter. Sag', Mann Gottes, wer ist schuld, daß du den Viehstand in deinem Stall hast verdoppeln können? Wer hat dich vor manchem ungeschickten Kauf abgehalten, wenn du etwa den Großartigen hast spielen wollen oder gar ein Haupt Vieh nicht sicher hast abschätzen und überschauen können? Wer hat manchen verfahrenen Handel wieder ins Geleise bringen müssen? Ja, und wer hat die geratensten und gerechtesten Kühe und Rinder an unsern Krippen, aber auch eine musterhafte Rasse auf ganz Hochsiten, Herrenkühe durch und durch sind's jetzt, zuweg gebracht? Und das nicht zuletzt, weil ich den starken Willen hatte, den Raupi, diesen Stier von erstklassiger Abstammung, zu behalten. Wie hab' ich mich da gegen dich stellen müssen, daß ihn dir der protzige Großhans hinter den sieben Bergen nicht hat abschwatzen und aus dem Stall holen können. Sogar der Spielaumichel, dieser versoffene Überschläuling, hätte dich zu mehr als einer Dummheit verleiten können, wäre ich nicht gewesen. Ist's oder ist's nicht? Und nun hat dir unser Prämiestier den hohen Preis, den er damals gegolten hat und der dich fast verlockt hat, schon lange eingebracht und noch gar viel dazu und er hat dich erst recht Trumpf im Land gemacht. Das alles nur, weil so ein unnützer Weiberrock um dich war, Baschitoni. Und red', ist denn in letzter Zeit jemals eine Viehausstellung gewesen, bei der du nicht gut und besser als sonst weggekommen bist? Nicht ein Haupt Vieh, nicht ein Schwanz ist letzthin zu Kilchaltdorf am Hag zu Schau gekommen, den ich nicht unter Augs, ja in den Fingern hatte. Und der Jährling, für den ich mich auch so zäh hab' wehren müssen, den du auch wie den Stier, noch hart vor der Ausstellung, dem schöntuenden Welschen mit dem Maißrind, das mich heute noch reut, hast verkaufen wollen, ist er dann nicht der vorderste geworden am Hag zu Nidach unter den Erstklassigen? Und hingegen, was ward denn aus dem Kuhkalb, das du dem Hitz am Schönenberg abgenommen hast und von dem du gemeint hast, es werde eine Kuh draus, die man geradenwegs an die Krippe zu Bethlehem hinstellen dürfte? Baschitoni, ich will dir gewiß keine Vorwürfe machen, denn du kennst am End' das Vieh doch auch und dem Einsichtigsten kann's etwa da vergeraten, denn es ist keine leichte Sache und aus dem Schulbuch kann man's ewig nie lernen. Auch will ich mich sonst gewiß nicht rühmen, aber weil du uns Weiber, – diese Unterröcke! sagst du so nichtsachtend, – so gar wenig hast gelten lassen wollen, so hab' ich doch einmal ausrücken müssen, denn ich bin eine Stumpentochter und nehme kein Blatt vors Maul, wenn's mir auch nicht so kratzbürstig zu tönen braucht wie dem Salami oder gar so laut wie der Reb. Und nun, nichts für ungut, denn du weißt, ich hab' dich gern und tu dir sonst den Willen auch, wo ich's pflichtig zu sein glaube. Und es ist wahr, du hast mich immer in allem beraten und zugezogen, im Viehhandel und beim Bauern allweg. Du hast mich sogar vor einem halben Jahr, wie du bettlägerig warst und also nicht hast abkommen können, als Preisrichter, als deine Stellvertreterin, an die Viehausstellung nach Seewach abordnen wollen. Ich hab' dir damals natürlich nicht gefolgt, obwohl mich deine Mitpreisrichter wohl und mit Freuden hatten gelten lassen, denn sie kennen mich. Aber aus allem siehst du, mit den minderwertigen Unterröcken mußt du mir nicht mehr kommen. Des Stumpen sind des Stumpen, auch im Weiberrock. Und wenn nun des Tritschen Baschitonis Büblein, das uns da der Herrgott in die Wiege gelegt hat, noch mehr wird, um so besser.«

Von da an redete der Viehhändler Tritsch nie mehr ein Wort gegen das Weibervolk.

Aber als es nun dazukam, daß man in Hochsiten das Büblein der Judith taufen sollte und als ihm seine Patin Anneseba aus der Stolzern im Auftrag seines glücklichen Vaters den landesüblichen Namen Josef geben lassen wollte, widerstand dem sein Pate, der Matthatias Stump ab der Ruchegg. Er wollte durchaus einen andern Namen haben. Der Pfarrer mußte laut herauslachen, als der Alte ausrief, er wünsche einen Namen aus dem Alten Testament, denn der Josef sei eigentlich mehr aus dem Neuen und zudem heiße jeder zweite Gängelbub bergeshalben Josef, so daß man kaum recht wisse, wer gelte, wenn man diesem allzuverbreiteten Namen nicht einen Übernamen anhänge.

Aber als der Stump gar den Namen Laban vorschlug, weil das ein großer Bauer, ein Schafherdenbesitzer erster Güte, gewesen sei, wehrte sich die alte Base aus Leibeskräften dagegen. Nein, meinte sie, ein solcher Heiliger sei landauf und ab noch nie erhört worden und wenn er ihn durchaus durchstieren wolle, so kehre sie stehenden Fußes heimzu.

Also mußte der Alte, um so eher, da sich auch der Pfarrer der Base aus der Stolzern annahm, mit sich reden, ja markten lassen. Zuletzt brachte man ihn doch soweit, daß er sich zu Zacharias, der ja auch alttestamentlich und dabei landsbräuchlich sei, wenn auch ungern, bestimmen ließ.

Wie sie danach zu Hochsiten, im stattlichen, breitlaubigen Haus des Viehhändlers Baschitoni Tritsch beim Taufmahl beisammen hockten und lebten, aßen und tranken was gut war und nur bedauerten, daß die Wöchnerin, die Judith, bloß aus der offenen Nebenstube dem Festessen anwohnen konnte, trat unversehens das Röllchen, das neue Menschlein, den kleinen Zacharias, auf den Armen, von der Mutter weg in die Stube und ward mit Hallo begrüßt. Sie machte um den ganzen Tisch die Runde, auf daß man das Büblein der Judith in seinem ersten Gewand und Spitzenhäubchen ausgiebig bewundern sollte.

Das Röllchen sah besser als jemals aus. Es war nun aus einem Sträuchlein voll rosiger Knospen ein leuchtender Blustwirbel geworden. Schön lagen die Zöpfe um ihren ruhelosen Kopf, nicht so überreich, wulstig wie bei der Mager, aber sorgloser, hellscheiniger. Und so blau konnte sie einen anschauen, wie ein wolkenloser Märztag.

Und als diese jüngste, aber wohlgewachsene Stumpentochter ihren Umgang um den fröhlichen Tisch getan hatte, wobei die Stolzernbase dem Zacharisli das Kreuz auf das dunkelrote Köpfchen über und über machte, trug sie ihren Neffen wieder ihrer bettlägerigen Schwester in die Nebenkammer zu. Wie sie dann aber wieder in der raucherfüllten Stube erschien, hatte sie die Handorgel im Arm und sich mit ihr auf die Ofenbank hockend, ließ sie einen Gautanz los, der auch die verkrochensten Mücken und Würmer aus allen Köpfen heraustrieb und die Beine unter dem langen Tisch, die alten und die jungen erst recht, in ein einträchtiges Hüpfen und Stampfen brachte.

Jedoch man ließ sie nicht lange aufspielen. Sie müsse sich am Tisch unter ihren Leuten niederlassen, rief man ihr zu. Gar der alte Stump wollte es ganz und gar nicht dulden, daß eine Stumpentochter, obwohl er ihrem Spiel sonst gern zuhöre, ihnen heute den Tafelmusikanten machen sollte. Wenn sein Schwiegersohn niemand andern als eines aus den Eigenen hiefür gefunden habe, so könne man auch ungeorgelt wohlleben; das Röllchen sei ihm zu gut dazu.

Aber als es in der Nebenkammer, wo die Judith lag und alles mitanhörte, verdächtig hüstelte, sagte der Baschitoni Tritsch, ja, er habe da niemand auf den Schuh oder gar aufs Elsternauge treten wollen. Er hätte natürlich schon für jemand gesorgt, der ihnen ihr Taufmahl etwas mit Musik verkurzweilen könne. Die Handorgel, auf der das Röllchen spiele, sei ja auch gar nicht die ihrige, sondern sie gehöre seinem neueingestellten Handknechtlein, dem Jungen des Schuhmachers Battist auf dem Tschuppmoos. Sie werde sie eben von einer Kommode, wo sie bereit gelegen sei, weggenommen haben. Gewiß habe sie vor ihnen allen nur so ein wenig ihre Künste hören lassen wollen.

Und als nun das Röllchen, tiefrot, die Handorgel auf die Ofenbank hinlegte und sich an den Tisch zu den andern machte, ging leise die Küchentüre und der Tschuppmoos Bändichtli stand im neuen, schneeweißen Hirthemd, aber barfuß, auf der Schwelle und sah scheu, verlegen auf die Gäste. »Heda, Bursche, hock' vor den Ofen und spiel' uns etwas Lustiges auf!« rief ihm der Viehhändler zu. »Kannst jetzt das Röllchen ab der Ruchegg ablösen und zufrieden wollen wir mit dir sein, wenn du's nur halb so gut verstehst wie sie, denn sie hat's im Kopf und in Händen und Füßen.«

Alles lachte munter auf.

Der Bändichtli aber glitt zur Ofenbank. Und da hatte er die Handorgel schon auf den rauhen, lappengezierten Hosen und spielte, daß es die alte, umfängliche Base Anneseba aus der Stolzern immer mehr ins Wackeln brachte, ja, geradezu schaukelte und das beelendrische Kummergesicht des Sigristen völlig aufheiterte.

Während aber alle der Zauber seiner Musik gefangen nahm, flogen seine Blicke gradaus in Röllchens aufmerkende Augen und sie ließen sich den ganzen Abend nicht mehr, mochte da was immer um sie gelebt und getrieben werden.

Nun, endlich konnten sie sich, durch die gütige Vorsehung Judiths, wieder einmal, zwar keineswegs satt, aber doch gründlich anschauen.

Nämlich, als das argbedrängte Röllchen in ihren Nöten eines Tages nach Hochsiten zu ihrer Schwester Judith gekommen war und ihr gesagt hatte, sie getraue sich nicht recht den Tschuppmoosjungen auf die Ruchegg kommen zu lassen, da die Mager gewiß gemerkt habe, was zwischen ihnen sei und daher kaum mehr an seine Traggabel glaube, hatte sie ihren Mann bestimmen können, den flinken, wehrhaften Bändichtli bis auf weiteres als Hilfsknecht einzustellen. Sie tat es um so eher, als ihr das Röllchen gesagt hatte, es sei nicht sicher, daß die Mager dem Vater ihren Liebsten nicht verrate, da sie immer altjüngferlicher und hässiger werde, obwohl sie doch auch noch jung genug sei. Wie der Vater aber täte, wenn sie ihm nur mit eines Hühnerbäuerleins Sohn dahergestiegen käme, könne sie sich ja denken. Er sei schon verschnupft genug gewesen, daß der Salami nur einen Schullehrer genommen habe. Von ihr aber, als seiner jüngsten und unbäuerlichsten Tochter, erwarte er, daß sie den ältlichen Bäckermeister Burket oder sonst etwas derartig Herrisches aus den Tälern nehme, wodurch sie in ein großes Dorf komme. Und wenn sie ihm auch nie und nimmer hierin nach Wunsch zu heiraten im Sinn habe, so wage sie's doch einstweilen auch noch nicht, ihm das offen zu machen. Sie und der Bändichtli seien ja noch jung genug, um aufs Heiraten hin nicht pressieren zu müssen. Ihr wenigstens gefalle es auch so über allen Begriff, nur müsse man sich doch von Zeit zu Zeit zu sehen bekommen. Vielleicht, daß ihnen der Mut, sich vor dem Vater zu bekennen, doch nach und nach kommen werde.

Also war denn der Tschuppmoos Bändichtli von der hilfsbereiten, klugen Judith, welche die Leute noch weit besser kannte als das Vieh, auf Hochsiten in ihr Haus und Hof gezogen und eingestellt worden.


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