Meinrad Lienert
Der doppelte Matthias und seine Töchter / 1
Meinrad Lienert

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3

Zu Kilchaltdorf war der große Herbstviehmarkt mit Kirchweih, bald nach der Abfahrt ab den Hochalpen.

Weitum vertat er sich auf den Amrainmatten beim Dorf. Es war für ein landwirtschaftliches Gemüt eine wohlbekömmliche Augenweide, das viele rassige Braunvieh, die gesetzten, krausköpfigen Stiere, die saubern, gerechten und wahrhaft schönen Kühe und die hoffnungsvolle Jungwar' der Rinder allerart und alles so gut in der Farbe, vor sich zu haben. Hie und da meckerte auch ein Ziegenbock dazwischen oder gar veranstaltete eine Riesenbute voll Ferkel ein weithin tönendes Morgenkonzert.

Zwischen dem unvernünftigen Vieh aber war der große Umtrieb vernünftigen Volks, das wußte was es wollte. Es ward gefeilscht und gehandelt, laut und halblaut, aber alles in den singenden Mundarten des Berglandes und in den einfärbigern Tönen der tiefern Talschaften.

»Viel und zu guten Preisen wird heut wieder einmal gehandelt, und das Geschäft läuft,« raunte der Spielaumichel dem kleinen Hirten ab der Ruchegg, dem Matthatias Stump, zu. »Bargeld wie Heu. Greif zu, Stump, solang er dich überzahlen will! Wie kannst du nur so hinhaltend und querköpfig sein! Schau' dich um, horch' hin wo du willst, andere tun nicht halb so ungeschickt wie du. Fünfundsechzig Dublonen für deine immerhin etwas eckige Brüni, die dazu noch den Bauch und den rückwärtigen Schlittenrain voll Blumen hat und eine Schaukel im Rücken. So ein Geld, Stump, für ein mißfärbiges Haupt Vieh, mit dem du nie auch nur die 3. Klasse an der Ausstellung bekämest. Was, gut in der Milch, sagst du? Ja, das glaubt dir nicht einmal der alte Erlenstalder Sigrist, der doch alles glaubt, was ihm sein junges Weib angibt und was aber weder sie selber noch sonst ein Mensch glaubt. Gib die Kuh, Stump, gib sie! So ein Haufen Geld, fünfundsechzig lauterlötige Dublonen! Mach', mach', bevor's den Baschitoni reut. Ich seh's ihm an, es macht mit ihm, von dir wegzugehen und dich mit deiner Ratzmaus stehen zu lassen. Was sagst, nicht pressieren tut's dir? Ja, Herrgottabeinander, so gibt's ewig keinen Handel und du kannst deine Brüni mit ihrem übelfeilen Gangwerk wieder mitheimzu über den Prügelweg auf die Ruchegg hinaufschleppen. Die Viehhändler wollen heut sowieso nicht recht anbeißen. Sie trauen eben euren Brocken nicht und fürchten wie die Fische die Angeln. Was hab' ich vorhin gesagt, es werde viel und gut gehandelt? O ich verbrannter Tabaksäckel! Jawohl, das habe ich geredet, dazu stehe ich, aber eben nur um wirkliche Nutzware. Deiner grauen Fladenmacherin da sieht man's aber schon von weitem an den Milchzeichen an, daß . . .«

»Red' nur laut, Michel,« sagte jetzt der Stump zum Dolmetscher von Stagelrain, der aber mehr nur ein Marktläufer, Gelegenheitsmacher und Saufaus war, »ich bin kein Beichtstuhl und sowieso nehme ich noch lange nicht alles für Gold was du redest, nicht einmal für Messing, du magst es herausputzen wie du willst, aber,« setzte er zögernd bei, »grad alles kann ich dir auch nicht durchtun, dies und das muß ich dir doch gelten lassen und fünfundsechzig Dublonen sind Geld und . . .«

»Nein,« machte jetzt des Alten Tochter, die weißhäutige Judith, ihr buntfärbiges Halstuch von den üppigen Schultern nehmend und es der mausgrauen Kuh vor ihr überhängend, »nein, Vater, das sprengt nicht halb so sehr mit diesem Handel. Fünfundsechzig Dublonen sind zu wenig, das sage ich, denn soviel, das wißt Ihr, verstehe ich auch vom Vieh. Zu niedrig ist dieses Angebot für unsere guttuende Brüni. Um das geben wir sie nicht. Aber wenn Ihr noch vier und eine halbe Dublone dazutut, Baschitoni, so könnt Ihr die Kuh mit heimnehmen; feil ist sie ja.«

Sie drängte in aller Gemächlichkeit den vertrunkenen Spielaumichel beiseite, sich hart zu Häupten ihrer Kuh aufstellend und dem Viehhändler Baschitoni von Hochsiten, einem stattlichen Mann, der ihr gegenüberstand, aus gescheiten, grauen Augen ins Gesicht sehend.

Interessiert ließen sich die zunächststehenden Bauern und Verkäufer und Kauflustige um die strittige Kuh, die mitten auf dem ausgedehnten Marktplatz stand. Und mit Verwunderung und Wohlgefallen sowieso sahen sie auf die breitschulterige und hellscheinige Jungfer, die nun den Kuhhandel mit vorbildlicher Bedachtsamkeit, mit taubensanften Augen und einer Redeweise, die fast leis wie ein Schlitten auf Glatteis dahinglitt, weiterführte und zu einem guten, einträglichen Ende zu bringen suchte. Was die scharf zuhörenden und hinsehenden Bauern dabei am meisten verwunderte, war die Wahrnehmung, daß diese Stumpentochter ab der Ruchegg das Vieh durch und durch zu kennen schien. Und es freute sie alle bis in die Zehennägel hinunter, wie geschickt sie dem gewichsten Viehhändler die Kuh gefällig und im besondern wie sie ihm ihre Laster unsichtig zu machen trachtete.

Ein Weltsmaitli! sagte sich innerhalb auch der Viehhändler und wohlhabende Bauersmann von Hochsiten, der Baschitoni Tritsch.

Immer näher rückte er der Judith und immer mehr gelang es ihr, seine Blicke von der Kuh weg und auf sich überzuleiten, wo sie wahrhaftig bald an ihrem weißlachten, etwas vollmondigen Gesicht, dann wieder an den kleinen, fast listig gleißenden Ringen ihrer roten Ohrenläppchen hängen blieben. Und nicht lange dauerte es, so klebten sie gar an ihrem Hals, so daß sie wie die Fliegen auf dem leimigen Papier nur mehr so herumkriechen und einfach nicht mehr loskommen konnten.

Nun hatte die Stumpentochter mit den gescheiten Augen und dem bedächtigen, küßlichen Mund gut reden.

Wer aber eine ganz unbändige Freude an diesem Kuhhandel, der sich so gut anließ und damit erst recht an seiner ältesten Tochter hatte, das war ihr Vater, der erhobenen Hauptes dabeistand und völlig zapplig geworden, die Rede der Judith unwillkürlich mit Armen und Beinen begleitete. Jaso, da mochten sie jetzt wieder einmal sehen, was es mit dem doppelten Matthias war, den sie hinterrücks etwa gar lächerlich zu machen suchten. Wo war nun ein Bauer im Berggebiet und drüber hinaus, der eine solche Viehkennerin, die dazu ein Maitli zum Ausstellen war, ein erstklassiges Maitli, an den Kilchaltdorfer Viehmärkten aufführen konnte? Aha, der Matthatias Stump!

Immer zappliger, wohlgelaunter ward er, um so mehr als seine Tochter nun merkbar einem gutanschlagenden Austrag des Handels zusteuerte, denn je sichtiger dem Baschitoni Tritsch von Hochsiten die Vorzüge der Stumpentochter wurden, desto rascher nahmen die Mängel der geduldig dastehenden Kuh Brüni ab.

Und als nun der Marktläufer, der Dolmetscher Spielaumichel sah, wie das Geschäft, das er nicht zuweg gebracht hatte, sich anließ und wie der Viehhändler Tritsch der Stumpentochter den Kaufpreis schon nachgebessert hatte, wobei der verblendete Hochsiter um mindestens vier Goldvögel überfordert war, giftete ihn das heillos. Also begann er sich wieder an den Viehhändler zu machen, zu warnen und zu wehren und seine ausgelaufene, halbheisere Stimme in den Endgang des Handels hineinzuhängen.

Aber er richtete wenig, ja nichts aus. Zum ersten überhörte ihn der Viehhändler mit Willen, da er auf die Stimme der nun ganz nahe bei ihm stehenden Judith hören wollte und zum andern gingen seine Augen nun also um die bäumige, aber weichlinige Stumpentochter, daß es den Zuschauern schier vorkam, er schätze das Mädchen ab der Ruchegg ab und der Handel gehe nun um des doppelten Matthiasen Judith und nicht um die Brüni.

Und als der Spielaumichel gar keine Ruhe geben wollte und sein Maul wie die Holzschnattern in der Karwoche auf dem Kilchaltdorfer Kirchturm gehen ließ und es gar den Handelnden unter die Nasen hielt, schnauzte ihn der alte Stump an: »Was ist's denn mit dir, du Dörrling! Was brauchst du denn deinen wüstroten, übelrüchigen Apfel alleweil zuvorderst zu haben?! Verdolmetsch' du zuerst deinen Affen, bist ja besoffen!«

Schier erschrocken verstummte der rotäugige, durchtriebene Geschäftleinmacher. Aber dann begann es in ihm zu kochen und da er nichts Gescheiteres wußte und auch nichts anderes anzustellen vermocht hätte, so begann er, zum Vergnügen der Umstehenden, von denen es allein der Viehhändler von Hochsiten nicht beachtete, den kleinen, immer zappligen Stump, der ihm den Rücken zukehrte, in allem nachzumachen, mit Armen, Beinen und Gesicht, also daß die Marktleute ringsum nur mit Mühe das Lachen hintanhalten konnten.

Die Judith aber, obwohl sie den Aumichel auch halbwegs hinter sich hatte, merkte das alles wohl. Seine Faxen und Grimassen gingen ihr keineswegs verloren. Doch sie tat, als hätte sie keine Ahnung davon, blieb völlig ruhig und brachte, unter dem Beifall der gutaufgelegten Runde, den Handel um die gutgealpnete mausgraue Kuh zu einem für die Rucheggleute gedeihlichen Ende. Nicht einen roten Rappen hatte sie von ihrer Forderung nachlassen müssen.

Und da es nun gegen Mittag ging, machten sich die Marktbesucher mit ihrem Vieh von den Amrainmatten weg ins Dorf hinein. Unter ihnen auch der Stump ab der Ruchegg mit der Judith und mit dem Viehhändler Baschitoni Tritsch.

Da hockten sie nun in der Wirtschaft zum schwarzen Bären unter den Landsgenossen und auswärtigen Bauern und Viehkäufern aus den tiefen Tälern am See und der Enden. Und zwar hatten sie sich um einen runden Tisch gemacht und lebten bei einer schönfärbigen Tranksame und allerlei Fleischlichem nach bestem Vermögen und auch etwa drüber.

Und als es dem Abend zuging, stieg die Tanzmusik auf die Geigenbank, zuhinterst in der Wirtsstube, denn es war ja Kirchweih und begann den ersten lüpfigen Ländler zu ziehen. Und der Tanzschenker tanzte mit einem seiner bestellten Tanzschenkermägdlein, die in schlohweißen, steifen Kleidern unterhalb der Musik, etwas nebenan der Wand nach, auf einer Bank saßen, den landesüblichen Gäuerler also lebendig, daß der Zottel seiner samtenen, um und um geblümten Kappe aufhüpfte wie ein Vogel, der das Fliegen lernt.

So ging's denn bald hoch her, denn die Jungmannschaft rückte mit dem Weibervolk zum Tanzen aus. Aber Judith, des Stumpen Älteste, ließ sich nicht auf den wohleingeseiften Tanzboden hinausführen, so oft sie auch hiefür angesprochen ward. Zuerst, sagte sie, müsse das Geschäftliche abgetan sein.

Also zog der Baschitoni Tritsch von Hochsiten seinen gewichtigen Geldbeutel und legte vor den Augen des freudig hinschauenden und dazu eifrig seine Zunge kauenden Stump ein Goldstück guter Schweizerwährung nach dem andern in Reih und Glied auf den Tisch, bis die Zahl, die sich die Judith ausbedungen hatte, voll war. Und alsdann schlug er mit der Faust noch einen Fünffränkler dazu, als ein Trinkgeld für die Stumpentochter, wie er laut sagte, die das Vieh kenne wie keine zweite landum und die es einem angeben könne, daß man's ihr durch sieben Wände hindurch glauben müßte.

Ruhig, mit munterm Auflachen, schaute das üppige Mädchen auf die schönen, in der Abendsonne blitzenden Goldmünzen. Und als jetzt der kleine Hirte ab der Ruchegg eine nach der andern zuhanden nahm, beschaute und umständlich in seinen Geldsäckel versorgte, behielt seine Tochter den Fünffränkler zurück und brachte ihn ebenfalls irgendwie unter, dem Viehhändler freundlich dankend.

Der aber ward immer aufgeräumter, je länger er die Judith ansehen konnte und je süffiger ihn der Seewein dünkte, den er über den Tisch zahlte. Und als sein plumper Schuh, drin aber immerhin ein ganzer und noch ziemlich junger Fuß steckte, sich ein wenig auf Entdeckungsreisen oder überseeisch machte, wie der Erlenstalder Sigrist zu sagen pflegte, und also auf dem auch nicht zu kleinen Fuß der Stumpentochter landete, ward er völlig bodenwohlauf. Die Judith, nämlich, rückte ihren Schuh nicht um Haaresbreite weg und ließ den Baschitoni Tritsch sich mit allen fünf Zehen drauf festsetzen. Und selbst als sie der Schuh, und es war nicht ihr eigener, etwas zu drücken anfing, begann sie deswegen nicht zu jammern, denn sie hatte keine Elsternaugen. Sondern im Gegenteil, sie lachte frohgemut auf und ließ ihre Augen oben und den Fuß unten wirken wie eine elektrische Leitung. Und als der Viehhändler jetzt auch noch ihre Hand über den Tisch nahm und ein Zeitchen in der seinen behielt, so fand sie, nun dürfte alles wohl eingeschaltet sein, also daß es dem Baschitoni ab Hochsiten an Hitzen nicht fehlen könne, die ihn dann nach und nach auch völlig zum Schmelzen brachten.

Richtig ließ der Viehhändler einen frischen Liter und vor der Judith braune süßduftende Kräpflein und knusperige, goldgelbe Knieplätzchen aufmarschieren. So lebte sie herrlich und in Freuden.

Das plagte aber den Spielaumichel, den abgeknöpften Dolmetscher, immer mehr, obwohl ihn der Baschitoni Tritsch am Weinkauf teilnehmen ließ und sein Glas nie lang leer stand. Es plagte ihn, daß ihn eine Stumpentochter, ein junges Weibervolk gar, hatte so unnütz werden lassen. Noch mehr wurmte es ihn, daß er mit fuchsfeiner Witterung zu spüren meinte, wie aus dem ersten Handel sich allenfalls noch ein zweiter heranlassen könnte, der dieser verflucht gescheiten, ruhigen und über und über anmächeligen Judith noch einen so wohlgestellten, feißten Holofernes von Hochsiten einbringen könnte und das ohne einen Schwertstreich.

O verflucht doch auch! In einen solchen heimlichen Ingrimm hinein brachte dieser Gedanke den Dolmetscher und alles was ihm heute wider den Strich gegangen war, daß er wieder anfing, den alten Stump auszulachen und nachzumachen, der im Bewußtsein des Geldes, das er im Sack hatte, erst recht aufging, redreich ward und die Arme verwarf wie eine Windmühle.

Ja, so gut im Strumpf war jetzt dieser Berghirte und voll des fleißig mit Zuckerstückchen gesüßten Weins, daß er gewohnterweise ins Prahlen kam. Immer mehr stieg seine Stimme an, immer weiter zurück rutschte sein umfänglicher, verwitterter Filzhut. Er prahlte erst so im allgemeinen mit allem möglichen und alsdann aber im besonderen mit seiner gegenwärtigen Tochter. Und wie die ein gelassenes schönes Tudichum habe und dabei doch heimlicherweise eine sei wie ein Tannadelhaufen im Wald, in dem es von Ameisen nur so wimmle. Und wie die ihm, mit all ihren Schwestern, Freude mache und wie ihr im Melken keine zumöge landauf und landab. So glimpfig melke sie und doch so handlich, daß alle Tannen auf der Ruchegg grün seien vor Neid und weckleingelb, daß sie bloß Harz und keine Milch haben und also ihre Zapfen von der Judith nicht melken lassen können. Immer lauter und beherrschender ging seine Stimme um und nur die Klarinette und das Gestampf der Tanzenden vermochten sie einigermaßen zu überhöhen.

Und als jetzt der Viehhändler Baschitoni Tritsch mit der sich willig einstellenden Stumpentochter auch auf die Tanzdiele ausrückte, vermochte der Berghirte schon gar nicht mehr ruhig zu hocken und fast ging er in einem fort wie ein Glockenschwengel am heiligen Tag. Ja, der Hochmut übernahm ihn völlig.

Aber der ausgetrocknete Geschäftleinmacher, der Spielaumichel, ließ jetzt seiner Bosheit freien Lauf. Er machte den alten Stump, ihm fast ins Gesicht, nach, ohne daß es dieser merkte oder auch nur ahnte, während man um die Tische die liebe Not hatte, das Lachen zu unterdrücken, obwohl sonst der liederliche Kirchweihläufer nirgends wohlgelitten war. Der schien sich jetzt nicht einmal vor der großen Tochter des kleinen Älplers zu scheuen, denn er hielt sich gar nicht mehr zurück und spielte den Affen ihres Vaters fast vor ihren Augen.

Nach einem tollen Gautanz, von dem die Tanzdiele rauchte und stob, hatte sich die Judith wieder ruhig neben den Stump gesetzt. Mit stillem Lächeln und halbem Ohr hörte sie seinen Prahlereien zu und sah dabei ihrem Tänzer, dem Baschitoni Tritsch von Hochsiten, dessen Kopf immer röter ward, mit undurchsichtiger Heiterkeit in die angriffiger, übermütiger werdenden Augen, die's einfach nicht mehr von ihr losbrachten. Dabei biß sie mit ihren blinkenden Zähnen hin und wieder in ein Stück der vor ihr im Teller liegenden knusperigen Kirchweihsüßigkeiten und nur einmal sah sie blitzgeschwind nach dem Spielaumichel, der sein Theater immer frecher weiterspielte.

Unversehens, auf einmal aber griff sie zum Glas, stieß mit dem Viehhändler an und alsdann trank sie's flätig aus. Und jetzt stand sie auf und hieb dem Spielaumichel über den Tisch hin eine Ohrfeige herunter, daß er in einer Sekunde den feurigen Schwefelregen von Sodom und Gomorrha und dazu auch noch die drei Jünglinge im Feuerofen sah und wie ein geschlagenes Kalb auf die Bank zurückplatschte, aus der er sich eben, Faxen machend, erhoben hatte.

Gewaltig ging das Beifallsgelächter durch die Wirtsstube. Als ihr aber der fuchsteufelswilde Dolmetscher, aufschießend, mit beiden Händen wie mit Krallen ins flachsfarbige Haar fuhr und sie zu sich herüberzureißen trachtete, schüttelte sie ihn ab und alsdann aber zerrte sie den langen, schmalen Kerl nun ihrerseits über den Tisch zu sich herüber. Und wie sie ihn drüben hatte, packte sie ihn rundum, hob ihn hoch und trug ihn über den Tanzplatz und mit einem Fußtritt die Türe aufstoßend, warf sie ihn übers Vortrepplein hinunter in einen Regentümpel hinein.

Unter dem jauchzenden Auflachen der ganzen Stube machte sie sich ruhig, den etwas mitgenommenen Kopf angriffig vorwegend, an den Tisch neben ihren Vater zurück, der sie mit Handschlag und überbordendem Wortschwall bewillkommnete, wie eine große Siegerin. Auch der Viehhändler Baschitoni Tritsch und danach alle rundum, wollten mit ihr anstoßen.

»Hab' ich's nicht gesagt?!« lärmte der angetrunkene Hirte von der Ruchegg, »der Matthathias Stump lebt auch noch und sein Same ist haushoch aufgegangen und bewährt sich. Ganz nach der Schrift, ihr Mannen, ganz nach der Schrift. Ja, ja, die Judith.« Schmunzelnd erlabte er sich am Anblick seiner Ältesten. Dann setzte er bei: »Aber nun solltet ihr erst mit meiner Reb bachspringen oder Scheiter beigen müssen. Ihr läget dann bald genug alle in einem nassen Seitengraben. Judith!« rief er aus, »trink mir Bescheid! Ich weiß nicht, was du mit dem Spielaumichel auszukernen gehabt hast, aber sei's was es wolle, ich weiß, daß du wohl weißt was du machst und nichts machst bevor du drüber ausgiebig nachgedacht hast. Der Unflat da, dieser Spielaumichel, wird dich irgendwie ins Geschrei haben bringen wollen. Sowieso, und hätte er's heute nicht verdient, so . . .«

Jetzt erschien der Wirt am Tisch und man wunderte sich nicht zu sehr, daß er mit der Stumpentochter zu schimpfen begann und es sich ein für allemal verbat, daß man mit seinen Gästen so rauh umgehe und sie einfach aus der Stube werfe. Wenn er so etwas allenfalls für notwendig erachte, könne er's selber besorgen. Er lasse sich das von Leuten, die man sonst jahraus, jahrein fast nie in der Wirtschaft zu sehen bekomme, erst recht nicht gefallen.

Nein, man wunderte sich über des Wirtes Entrüstung nicht, denn der Spielaumichel war ein guter Gast im schwarzen Bären und ein Zutreiber von Gästen.

Aber als der alte Stump auffahren wollte, zog ihn seine Tochter mit starker Hand auf die Stabelle zurück und ihn am Kittel mit einer Faust festhaltend, wandte sie sich giltmirgleich, fast lachend, dem aufgebrachten Wirt zu und sagte: »Ja, es ist wahr, Wirt, was du antönst, du hättest den Spielaumichel, diesen Windhund, schon lange selber zum Haus hinauswerfen sollen. Es wäre dies nichts als deine Pflicht und Schuldigkeit gewesen, statt es zu dulden und ruhig zuzuschauen, ja, noch die helle Freude dran zu haben, wie der elende Dörrling, der Dolmetscher, dem ich nicht einmal eine Katze zum Verkaufen überließe, meinen Vater nachgemacht und ausgespielt hat. Und da du's nicht getan hast, so hab' ich's besorgt. Und wenn du nun so an dem gefehlten Krauthund hängst, so kann ich dich ja ihm nachwerfen. Ich tät's nicht ungern.«

Nein, war das eine Freude und ein Hallo an allen Tischen! »Jaha so, so, so, fest am Stecken, Stumpenmaitli!« rief's und noch allerlei Aufmunterndes von allen Seiten. Aber auch mehr als ein schadenfreudiger, föppelnder Zustupf kam an den Bärenwirt.

So geschah's, daß der Wirt, wie man sagt, das Milchlein bedeutend herabließ, ja, daß er allmählich völlig zusammenging, klein ward und verschwand.

Der Stump aber wußte sich vor Hochgetragenheit nun erst recht nicht mehr zu fassen. Gewaltig stellte er den Kopf und seine allzeit weitausladenden Arme konnten keinen Augenblick mehr ruhig bleiben. Er rühmte seine Töchter in allen Farben des Regenbogens und stellte erst die Judith und dann eine um die andere gleichsam an den Hag zur Ausstellung und Prämiierung. Aber es hätte nur eine erstklassige sein dürfen. Und es zeigte sich, daß er bei seiner Rühmerei immer gehobener, ja bodenwohlauf ward, denn die Tranksame fiel bei ihm auf einen gutwilligen Boden. Sie brachte auch den verborgensten und verlorensten Keim seiner frohen Veranlagung ins Treiben, ja ins volle Blühen, also daß die wahrhaft festliche Stimmung des kleinen Bergbauern von seinem großen, überhängenden Hut auf die ganze Gesellschaft in der rauchigen Wirtsstube überzuquellen schien. Die Judith ließ ihn prahlen und lärmen. Der Viehhändler Baschitoni Tritsch hatte sich ihrer wieder mit Hand und Fuß angenommen. Munter, glänzenden Angesichts, das sie ja, wie schicklich, vor dem Gang zu Markt und Kirchweih, gehörig mit frischer Butter eingefettet hatte, hörte sie seiner immer gedämpfter werdenden Rede zu. Und nun kam das, was sie schon eine Zeitlang mit ihren gescheiten Augen und der guten Witterung des Weibervolks hatte kommen sehen und dem sie mit allen Sinnen, leise wie auf Spinnenbeinen, so hinterhältig und heimlich als möglich entgegengegangen war: Der wohlhabende Viehhändler raunte ihr auf einmal zu, nun beide Schuhe auf ihre Füße stellend: »Judith, wir haben heute morgen zusammen einen Kuhhandel gemacht, bei dem du, beim Eid, schau', nicht schlecht abgeschnitten hast. Du hast mir eure Kuh, die Brüni, blutteuer angehängt. Aber nun wollen wir noch einen Handel miteinander machen, einen Tauschhandel dasmal, bei dem aber ich sicher und heilig der Gewinner bin. Und dazu braucht's, gottlob, keinen Dolmetscher. Schau', Judith, du hast mir's schon lange gut gekonnt, denn ich habe dich schon als angehenden Knopf bei deinem Vater auf den Viehmärkten herumstehen sehen. Aber heute ist mir ein Licht aufgegangen darüber, was einer an dir haben müßte, der dich ins Haus und in den Stall, ja in den Stall, sag' ich, bekommt. Besser als du können auch unsere gerühmtesten Preisrichter im ganzen Kanton herum das Vieh nicht kennen, selbst wenn sie Bärte hätten bis auf den Boden hinunter und auch noch mit den Elsteraugen durch die Schuhe hindurch zu sehen vermöchten. Zudem, Maitli, wer dich ansieht und er ist nicht stocksteinblind, muß Freude an dir und deiner ganzen Postur haben. Da ist einmal noch etwas da, etwas Ergiebiges in die Arme und dazu auch Nachgiebiges, nicht daß man an beiden Händen Spließen bekommt, wie bei einem Scheitstrunk, wenn man's herzhaft umfaßt und an sich nimmt. Kurzum, ich sehe dich gern, Judith und wenn's dir recht ist, so will ich anfangen, dir auf die Ruchegg zu Licht zu kommen. Du mußt mir's aber versprechen, daß du mich einlassest und mich nicht mit deinen Schwestern durch den Jauchekasten ziehst. Unsereiner darf sich ja auch sehen lassen. Daß ich's habe und wie ich's habe, weiß dein Vater, der doppelte Matthias und du selber bist mir zu weitsichtig, daß du das nicht auch erspäht haben solltest. Ich darf mich aber auch sonst noch zeigen. Bin gegen Ende der dreißiger Jahre und jedenfalls kein Torenbub mehr. Und wenn du mich dennoch in allen Stücken verkaufen tätest, schwingen, Maitli, würde ich dann schon mit dir. Also red', was meinst, gilt's? Bekomme ich dich auch noch zur Brüni, oder?«

Freilich, die Judith war bald und wie der Hochsiter Viehhändler mit größter Freude merkte, völlig einverstanden damit, daß er zu ihr auf die Ruchegg zu Licht komme. Er sei ihr und gewiß auch ihrem Vater und den Schwestern willkommen. Sie wolle auch willig bekennen, daß sie ganz gern von der unwirtlichen Rauhwelt ihres bergigen Waldlandes auf den frohscheinigen Hochsiter Rain, mit all seinen gutgründigen und wüchsigen Matten, hinabwechsle. Und wenn er's ehrlich mit ihr meine und immer recht mit ihr sei, so wolle sie dann schon alles dazutun, daß er die heutigen zwei Händel in keiner Weise reuig würde.

Sie stießen lebhaft, Auge in Auge und Fuß auf Fuß, mit ihren Gläsern an und waren ein Herz und eine Seele.

Aber auch der kleine Hirt ab der Ruchegg, der Stump, war guter Dinge, ja hochzeitlich gestimmt. Er hatte nur immer den Ruhm seines Hauses und das Lob seines Viehstandes im Munde und das Glas Rotwein in der Hand. Alles an seinem Tisch nahm er in den Bann seiner aufs höchste gesteigerten Beredsamkeit. Und eine ziemliche Weile dauerte es, bis er endlich merkte, daß er mit einem geringen Hühnerbäuerlein, das sich von ihm fleißig hatte einschenken lassen und das jetzt ihm gegenüber, Kopf und Kappenzottel hängen lassend, schlief, neben dem Viehhändler Tritsch und seiner Tochter noch allein am Tisch hockte. Es ward ihm aber erst gegenwärtig, als der nichtsige, betrunkene Genossenbauer zu schnarchen anhob wie eine Waldsäge und im Träumen gar sein Glas umstieß, daß es sich blutrot, wie das Türkenblut bei der Eroberung Jerusalems, durch alle Gassen und Seitenweglein des zerschrammten Tisches ergoß.

Es plagte ihn aber seine so spät innegewordene Einsamkeit gar nicht. Er fuhr fort zu reden und da er seine Tochter so stumm und verständnisinnig und gar Hand in Hand mit dem wohlbestellten Viehhändler und Senntenbauern Tritsch von Hochsiten nebenan sitzen sah, redete er erst recht an dem versunkenen Paar vorbei. Obwohl er ziemlich geladen war, merkte er doch, daß seine Älteste dran war, als eine bedachtsame Bergwaldspinne, eine wohlgenährte, dicke Hummel ins Netz zu bekommen. Weil er aber jetzt doch nicht ohne Gesellschaft sein konnte und seine Reden, die er mit Sprüchen aus dem Alten Testament durchsetzte, an irgend jemand richten wollte, so besprach er sein eigenes Bild, das ihm aus einem goldrahmigen Spiegel heraus lebhaft Bescheid zu geben schien, denn es redete wie er, mit Hut, Augen und Armen. Alle Augenblicke trank der immer voller werdende Stump seinem Spiegelbild zu. Als er gar aufstehen und mit ihm anstoßen gehen wollte, fiel er über die Stabelle. Hätte ihn seine Tochter nicht noch rasch erwischt, so würden sein Kopf und sein Hut nicht ohne Schaden davongekommen sein.

»So, Vater, jetzt ist's aber hohe Zeit, daß wir uns heimzu machen,« redete ihm die Judith zu. »Wir hocken ja nur noch einzig und allein am Tisch. Es scheint, wir haben uns ein Zeitchen verplaudert. Kommt, macht, wir wollen heimzu. Bis wir auf die Ruchegg hinaufkommen, wird's dunkelkreidige Nacht.«

Der Viehhändler Baschitoni Tritsch redete nicht viel; er schmunzelte nur glücklich in sich hinein, denn ihn bedünkte, einen besseren Handel als er ihn heute getan hatte, könnte er zeitlebens nicht mehr abschließen. Die Ruchegg-Judith gefiel ihm jetzt bereits so gut, daß er am liebsten mit ihr schnurstracks heimgezogen wäre. Er anerbot sich ja auch hiefür, aber die Judith lachte herzlich eins heraus und ihm auf die Schultern klopfend, sagte sie: »So schnell wie beim Kuhhandel geht's denn da doch nicht. Schau', dessen sollst du dich freuen, denn je länger es dauert, daß du mich kennenlernen kannst und auch mußt, desto sicherer kommst du mir auf meine Mängel und danach mach' immer noch was du willst.«

»Ja, ja, Große! Das ist mit euch Weibern doch ein bißchen anders als mit der Brüni,« meinte er lachend, »denn noch vorgestern hörte ich den alten Geriwisel im Oberklein sagen, er wolle lieber die ganze Eidgenossenschaft voll Vieh einschätzen und am Hag stundenweit ihrer Preiswürdigkeit nach aufstellen, als ein einziges halbwüchsiges Maitli. Er habe jetzt mit seiner alten, übelfeilen Madlee vor acht Tagen die goldene Hochzeit feiern können und wenn ihn einer fragen täte, ob er sie nun kenne, so müßte er sagen: Jawohl, kenne ich sie, aber nur streckenweise. Und doch hat sie mich sicher und heilig schon einen Monat nach der ersten wirklich goldenen und nicht bloß goldscheinigen Hochzeit durchschaut wie ein spiegellauteres, mit Hirschleder geputztes Fensterscheiblein.«

Sie lachten beide froh auf. Aber dann folgten sie dem alten Hirten, der seinen langen Stock vom Uhrgehäus zu Handen genommen hatte und sich nun schon aus der Wirtsstube und übers Vortrepplein hinabmachte. »O Mutter, die Finken sind tot!« sang er grölend vor sich hin, »hättet ihr denen Finken zu fressen gegeben, so . . .«

»Vater, Vater, wartet doch, ich komme ja! Ihr werdet mich doch nicht allein heimgehen lassen. Ich muß da die Äpfel mitnehmen, die mir heute der Grempler im Taubenwinkelladen als Trinkgeld für den Butterstock, den ich ihm habe zutragen müssen, ins Bündel gewickelt. Wartet, wartet!«

Also stand der Stump still, ohne aber seinen Gesang abzustellen.

Jetzt kam die Judith auch schon, ein großes Bündel voll Äpfel auf der Traggabel am Rücken, das steinerne Vortrepplein herunter. Alsdann machten sie sich miteinander von der Bärenwirtschaft weg und über die Amrainmatten hinauf, heimzu.

Der Viehhändler Baschitoni Tritsch von Hochsiten sah ihnen, auf dem steinernen Vortrepplein des Wirtshauses stehend, nach. Es tat ihm wohl um und um zu sehen, wie diese Stumpentochter ihr gewichtiges Bündel voll Obst so ruhig und federleicht, wenn auch etwas breitbeinig und langschrittig, rainauf trug. Und es lächerte ihn aber innerhalb und freute ihn doch, wie er den kleinen graugewordenen Hirten, ihren Vater, an seinem langen Stecken, den ungeheuerlichen Hut fast im Genick, zwar etwas unsicher, aber aufrecht, gewaltig ausgreifend, bergan schreiten sah.


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