Meinrad Lienert
Der doppelte Matthias und seine Töchter / 1
Meinrad Lienert

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

2

Das Nachtessen war vorüber, doch ging in der niedern Stube des Ruchegghauses noch der Wohlgeruch der geschwellten Erdäpfel um, die man nach einer knollenreichen Mehlbrüh, im Verein mit einem zähen Magerkäse, aus dem man hätte Hosenträger machen können, glücklich unter Dach gebracht hatte.

Irgendwo aus der Nacht herauf kam noch ein windverwehtes Läuten. Der Mahnruf zum Abbeten des englischen Grußes. Aber der war in der Rucheggstube gleich nach dem Essen und dem Abräumen des Geschirrs gebetet worden. Und nun hockte der alternde Matthatias Stump vor dem Ofen und mischte die Karten, hin und wieder einen Blick auf das Beckelein tuend, das noch allein auf dem Tisch zurückgeblieben war, und das nach einem starken Schnapskaffee roch.

Der kleine Hirte schien ziemlich gutgelaunt. Der große, rundstirnige Kopf, mit dem etwas unordentlichen, angegrauten Haarwulst und den lebhaften, ewig unruhigen Augen, war wie immer gradauf und gutwettergläubig. Und nun übernahm es den Stump, daß er zu singen anhob, denn er hatte Feierabend, soweit das ein Bauer mit einem rechten Viehstand etwa haben kann. Also sang er mit starker, ja dröhnender, aber nichts weniger als wohlklingender Stimme, das Lied, das er alleweil wieder sang, wenn er besonders gut im Strumpf war, und das auch das einzige war, das er konnte: »O Mutter, die Finken sind tot! Hättet ihr denen Finken zu fressen gegeben, so wären die Finken grad jetzt noch am Leben. O Mutter, die Finken sind tot!«

Zum Abschluß aber tat er ein kurzes Aufjauchzen, lachte laut eins heraus, schlug die Faust auf den Tisch und rief aus: »Alleweil noch der Stump! Manns genug und keinem was schuldig landauf, landab und weitum, außer unserm lieben Herrgott Dank und Ehre. Ja, wo sind denn aber diese Hagelsröcke heute abend so lang? Maitli!« rief er vernehmlicher, »Wahrlichgott, man könnte vergehen, wenn man ein Schneemann wäre bis die zu einem feierabendlichen Kartenspiel in die Stube hineinmögen. Salami!« lärmte er gegen die Küchentüre, »fleiß dich und komm!«

Aus der offenen Küche, in der es im Geschirr klirrte, kam's ziemlich rauhpautzig zurück: »Ich komme ja, sobald ich mit Abwaschen fertig bin. Ihr werdet wohl warten mögen; andernfalls könnt Ihr ja meinetwegen davonlaufen.«

Und zu schlug die Türe.

»Immer das gleiche Maul,« brummte der Alte. »Wenn die einem einmal ein Wort unverzollt und ungestraft durchläßt, ist's dann Matthäi am letzten mit ihr. Aber,« er bekreuzte sich, »auch sie kommt von mir, so gehört sie mir. Und schaffen, ja, das kann sie. Gott mit ihr! Röllchen,« setzte er bei, auf seine Jüngste schauend, die eben auf die alte Kommode zu trat, an deren Beschlägen zwei Messingringe fehlten, »was meinst, willst du mit mir unterdessen bis die andern kommen, einen Handjaß wagen?«

Es war das Röllchen mit dem Bauer allein in der Stube. Eben hatte das umtunliche Mädchen das Weihwasserkesselchen neben der Türe mit Dreikönigwasser nachgefüllt, denn der Stump wollte weder Ostertauf noch sonstiges geweihtes Wasser, er wollte durchaus gesegnetes Wasser vom Dreikönigstag her an der Türe haben. Und jetzt nahm sie ein Öllämpchen vom Ofen, es auf das rote Überzüglein der Kommode, mit einem schadhaften Teller als Unterlage, stellend. Sie gedachte dieses Öllichtlein bereitzumachen. Es war ja Sonnabend. So konnte man's gleich anzünden, wenn man zu Bett ging, auf daß es zum Trost der armen Seelen wie landesüblich die Nacht durchleuchte.

»Ja, Vater,« antwortete das Röllchen, »Ihr wißt ja, daß ich nicht gern Karten spiele. Gleichwohl möchte ich's Euch nicht ab sein, obschon ich's ja auch nicht gut kann; doch kommen die Schwestern bald in die Stube. Sie werden mich ablösen. Ihr ärgert Euch ja doch immer, wenn ich mich beim Spielen ungeschickt anstelle und es dann trotzdem gewinne. Also wartet, Gottsnamen, noch ein Zeitchen. Die Schwester in der Küche, Ihr habt's ja gehört, hat nicht lange mehr zu tun und die Mager, die noch in der Elternkammer umgeht, wird wohl auch bald hinterm Ofen herunterkommen. Daß es der Reb auch ums Feierabendmachen ist, könnt Ihr hören. Sie schafft ja die schweren Körbe voll Kleinholz, das sie heute aus den zähen, steinpickelharten Torfwurzeln gescheitet hat, wie gehext in den Schopf. Hört Ihr's? Eben läßt sie wieder einen Korb voll zu Haufen rumpeln. Und eh' man's denkt wird auch die Judith anrücken. Sie läßt sich ja gern Zeit, es ist wahr, aber sie hat auch einen ziemlich langen Weg mit der Milchtanse in die Genossensennhütte hinab.«

»Ja, die Judith,« machte der Stump, »die läßt sich Zeit, da wird nichts überhudelt, da heißt's eher: Komm' ich heut nicht, so komm' ich morgen. Sie ist aber doch auch ein Stumpenmaitli und was für eins! Ist sie mit dem Fuß etwas gar bedächtig, so ist sie's dafür auch mit dem Kopf. Was das wert ist weiß der Geißbock, der drauflosfährt und überall den Schädel anschlägt. Für die Judith gibt's keine Ecken, denn sie weiß sie behutsam zu nehmen. Ein gescheites Stück Weibervolk und doch gut um die Waden und fest auf dem Damm. Die macht mir keinen Kummer, aber die andern auch nicht. Und die Reb,« er lachte auf, »ja, die Reb, das ist eine! Die schon gar nicht. Wenn sie jetzt nur einmal kommen wollte, die Weltshex!«

Er nahm das vor ihm stehende Beckelein voll schwarzer Tranksame an beiden Ohren und tat einen herzhaften Schluck. Alsdann griff er wieder zu den Karten, fing ein Kartenhaus zu bauen an und sang dazu: »O Mutter, die Finken sind tot! Hättet ihr denen . . .«

Da war ein Schleichen, ein schlechtverhehltes Treten und Trampen auf dem Stiegenbrücklein und gleich darauf im Hausflur.

Der kleine Hirte horchte auf und auch das Röllchen machte fast verwunderte Augen.

Jetzt ging die Türe erst bescheidentlich. Ein verwilderter Kopf mit einem verwitterten Filz schaute herein. Und nun aber tat sie sich völlig auf und über die Schwelle kamen Mannsleute: Ein ziemlich verwahrloster Alter, ein bestandener, lumpiger Rotkopf und ein junger, auch schon arg mitgenommen aussehender Bursche. Kurzum, drei waschechte Stromer, wie man sie und gar auf der Ruchegg, nicht alle Tage zu sehen bekam.

Der Stump und seine Jüngste mußten nur so Augen machen.

»Guten Abend, miteinander!« wünschten die drei späten, wenig vertraulich aussehenden Gesellen.

»Oha, oha,« machte der Bauer, »da kommen ja die Finken. Auch guten Abend, wohl! Ihr kommt ein wenig spät da über die Ruchegg.«

»Ja, wir mögen etwas zur Unzeit sein,« sagte der alte Landfahrer, sein rotäugiges Schnapsergesicht mit einem graufetzigen Bart, der wie halbweggeschwemmt aussah, vorstreckend, »wir haben eben im Tal zu Erlenstalden noch zu tun gehabt . . .«

»Das glaube ich,« unterbrach ihn, kurz auflachend, der Hirte, »bis ihr um alle Türen habt umschauen mögen.«

»Bauer,« warf knurrig der Rotkopf ein, »das geht dich allweg nichts an. Grob mußt du uns nicht kommen; für das kommen wir dir nicht in deine wackelige Behausung. Gib uns lieber etwas an die Gabel, bevor wir uns auf deine Heudiele legen.«

Der Stump schaute fast verwundert, aber allmählich rot werdend, auf die Stromer, und zwar von einem zum andern.

Aber der Jüngste von ihnen, der völlig barhäuptig war, wollte wieder, angesichts des hübschen Mädchens, das große, ja erschrockene Augen auf sie alle drei machte, für besseres Wetter sorgen, also sprach er: »Nichts für ungut, Meister, aber wir sind, beim Eid, müd wie eine alte Ziehkuh und viel haben wir drunten bei den Erlenstaldern nicht zu fressen bekommen. Fast froh haben wir sein müssen, daß sie uns nicht gefressen haben, denn freundliche Gesichter haben sie uns nicht gezeigt.«

»Ja, das glaube ich,« sagte der Hirte, der den Vaganten, den Kopf stellend, geradeswegs und furchtlos in die Augen sah.

Nicht ohne eine gewisse Unruhe schauten sie, fast überrascht, auf den Stump, der hinter dem Tische vor dem Ofen hockend, mit seinem angegrauten struben Haupt, seinen breiten Schultern und seinen Falkenaugen, den Eindruck eines riesenhaften Mannes machte.

Aber jetzt nahm der seine Kaffeekachel giltmirgleich an den Ohren und, nachdem er einen Schluck draus getan hatte, wischte er sich den Mund mit dem Hirthemdärmel ab und sagte ruhig: »Das könnte ich ja nicht sagen, ihr Herren von der Landstraße, daß ihr euch just höflich bei mir zu Tisch geladen habt. Aber wir sind gleichwohl auch Christenmenschen hier oben abseits auf der Ruchegg. So laßt euch denn zu, in Gottesnamen! Röllchen!« er schaute auf seine Tochter, die eben ihr Lämpchen für die armen Seelen mit etwas zittrigen Fingern angezündet hatte, »geh, hol' den späten Gästen da ein rechtes Becken voll Geißmilch. Einen Bissen Käse wird's auch noch haben. Sie sollen nicht, ohne gegessen zu haben, aufs Heu.«

»Jaha, Vater.«

Sie kam nicht ab Fleck, denn zu ihrem Schrecken rief jetzt der Rotkopf aus: »Bauer, es ist uns nicht um Milch. Brot und Käse, Maitli,« er wandte sich der Stumpentochter zu, »magst du auftischen, hingegen mit einem durchsichtigen Milchgewäsch, durch das man die armen Seelen wandeln sieht, mußt uns nicht kommen. Tätest ja doch den Rahm zuerst abfeimen. Wirst wohl selber abgefeimt genug sein, an den Augen an. Schnaps wollen wir haben! Einen Schwarzen, einen pechhöllheißen Schwarzen mußt du uns in die Pfanne übertun, so wollen wir dir Vergeltsgott sagen.«

»So,« machte, die breiten Schultern wiegend, der Alte vor dem Ofen, »sonst fehlt euch nichts, ihr lieben, guten Mannen, sonst werdet ihr gesund sein? Das muß man sagen, daß ihr durch kein Sieb hindurch redet und daß ihr eure Wünsche splitternackt wie junge Krähen vor uns auftischt.«

»Mach' doch nicht so eine Brühe,« redete der grauweiße, völlig verwüstet aussehende Stromer, »jetzt sind wir einmal da und das, wie du ja siehst, drei Mann hoch. Ein ganzes Heerlager sind wir und fühlen uns hier schon völlig und ganz zu Haus. Da sehe ich nicht ein, weswegen wir nicht auch Schnaps haben sollten wie du. Du bist ja gewiß auch kein Abstinent, obwohl du hier oben der Waldbruder bist. Und sowieso, sie haben uns im Tal unten den Schuh gegeben, so hab' nun du Verstand mit uns! Und wenn du uns aufnehmen willst da in deiner Stube, so nimm uns ganz auf und lasse uns auch einen Schluck Gebranntes zu deinem Käsebissen zukommen.«

»Maitli,« machte dumpf, den Kopf etwas senkend, aber nicht demütig, eher wie ein Stier, der ans Ausrücken denkt, der Hirte, »geh, bring den Imbiß und nimm danach die Schnapskrausle aus dem Speisegänterlein! Die Herren Gäste da sollen nicht sagen, ich hätte es zum Nachtessen viel besser gehabt als sie. Sie sollen ihr Gläslein Gebranntes haben. Und wenn ihr nur Landfahrer und das nicht auf frischgehaberten Rossen seid,« rief er, den Kopf wieder stellend und alle gradaus ansehend, aus, »so will ich doch auch euch die Stube offen halten und euch so gut bewirten als ich's kann und wie ihr's aber,« er schlug die Faust auf den Tisch, »nicht verdient!«

Die drei Stromer lachten. Sie hielten den Alten für schon völlig eingeschüchtert, trotzdem er so handsam auf den Tisch geklopft hatte.

Also ließ sich der alte, verlauste Landstreicher ohne weiteres auf eine Stabelle am Tisch fallen, seinen zerknitterten Filz in einen Winkel werfend. Auch der Rote hockte sich mit unguten, ja unheimlichen Augen, während der Jungbursche mit langen, gleißend werdenden Blicken, mitten in der Stube stehend, dem Röllchen zusah, wie es sich am Büfett zu schaffen machte und nun die Schnapskrausle mit zwei verstaubten Gläsern und einem Kaffeebeckelein auf den Tisch hinstellte. Dabei gewahrte er auch die Handorgel, die neben dem zinnernen Gießfäßlein lag.

»Wir haben bloß zwei Gläser,« sagte das Mädchen, »aber es kann ja einer von euch den Schnaps aus dem Beckelein trinken.«

»Ja, das will ich gern tun,« rief der junge Stromer aus, »was gilt's, es wird mir doch tanzig in den Beinen, auch wenn du mir die Tranksame nicht aus einem silbernen Becher servierst. Und sag' Maitli, Schatz Gottes, wer spielt denn hier die Handorgel? Doch gewiß dein Alter? Nicht gesund ab Fleck kommen will ich, wenn ich ungetanzt aus dieser Stube gehe. Ewig lang ist's her, will's mich dünken, seit ich mit einem so appetitlichen Maitli wie du's bist, zum Tanz gekommen bin. Aber heute nacht will ich nun Jahre voraustanzen, hau's oder stech's! Du kannst dich ja freuen, hast heute auf einmal drei Tänzer, wo sonst keine und wenn auch die beiden da hierfür grad nicht viel zu rechnen sind, so tu' ich's doch für ihrer sieben. Paß auf, Schatz, jetzt soll deine Stube da einmal stieben!«

Keck umfaßte er das aufschreiende Röllchen.

»O Mutter, die Finken sind tot!« fuhr's dem Stump heraus. Aber dann sauste seine Faust auf den Tisch nieder, daß seine Kaffeekachel samt der Schnapskrausle aufsprangen. Und jetzt schnellte er auf und lärmte: »Willst du wohl das Maitli in Ruhe lassen, Lump!«

Ein tolles Gelächter ging um, denn mit Erstaunen und tiefer Befriedigung sahen die Stromer, daß der Hirte, der ihnen, solange er hinter dem Tisch hockte, so gewaltig vorgekommen war, bei seinem Aufstehen fast um nichts wuchs.

Aber das Lachen verging ihnen rasch.

Der kleine Stump hatte sich mit überraschender Geschwindigkeit auf den Burschen geworfen, aus dessen Armen die Jüngste sich mutig herauszuzappeln trachtete. Und da flog er schon an die Wand hin, also, daß die Wanduhr ihre Gewichte unzeitig ins Holzgehäuse herabrasseln ließ und daß gar die Tafel mit der buntfarbigen Stadt Basel auf den Boden fiel.

Doch der junge Landfahrer wollte sich das nicht gefallen lassen. Er stürzte sich zornglühend auf den Stump und jetzt sprangen auch die andern zwei Gesellen auf. Schon hatten sie den Alten in den Fäusten, der sich verzweifelt wehrte, und um sich schlug wie ein ganzer Mann.

Jetzt ächzte die Küchentüre. Eine Rauchwolke fuhr in die Stube und in ihr die große, dicke Stumpentochter, der Salami. Einen Augenblick nur stutzte sie, dann stürzte sie sich mit dem nassen Aufwaschlappen, den sie in den Händen hatte, in den Kampf und ließ ihn umgehen wie einen Besenblitz, so daß es nur so klatschte.

Aber die ergrimmten Stromer, die überrascht auf das ziemlich große, runde, etwas schlampige Weibsbild geglotzt hatten, als es hereinbrach, gaben nicht nach und machten dem immer schwerer bedrängten Hirten und seinen Töchtern arg zu schaffen, bis auf der Diele ob ihnen ein Poltern anhob und auf einmal eine neue Jungfer, die Mager, hinterm Ofen in die Stube herabrumpelte.

Es wollte den verblüfften Gesellen, die sie nur flüchtig betrachten konnten, vorkommen, es komme die schmale Jungfer völlig zweistöckig hinterm Ofen hervor, so lang war sie. Aber sie konnten sich hierüber nicht viel Gedanken machen, denn die Lange hieb ihnen ihres Vaters rauhes Kopfkissen um die Ohren, daß ihnen Hören und Sehen verging.

So wurden sie nun naß und trocken abgeklopft.

Das machte sie nur wütender. Sie griffen erst recht zu und bekamen immer mehr Oberwasser, denn das Röllchen lag schon jammernd am Boden und den Stump hatten sie in die Knie gezwungen, während sie der Salami in einem fort anfauchte wie ein Baum voll Katzen. Bös hätte es endigen können, wenn nicht in diesen Nöten die Judith, die Milchtanse lässig am Rücken, in die Stube getreten wäre, die nun zu einer regelrechten Rumpelkammer geworden war.

»Ja, herrgottabeinander, was geht denn da?!« rief die breitschulterige, umfängliche Tochter aus, »ist denn Krieg im Land?«

Doch ihr gescheites Auge sah gleich, was da los war. Und da sie aber ein ruhiges, gar bedächtiges Wesen hatte, so stellte sie die Tanse erst in eine Ecke, alsdann stülpte sie ihre Hemdärmel völlig zurück. Und da griff sie auch schon zu, und zwar so handsam, daß sie den alten, schmutziggrauen Stromer gleich außer Gefecht setzte, indem sie ihn am Schopf von Röllchen wegriß und mit der Faust unter den Tisch schlug, wo er liegen blieb. Und nun machte sie sich, immer bedachtsam, in den Knäuel und suchte den Roten, der ein Mann in den besten Jahren war und ein Erzteufel, vom Vater wegzubringen, um dem Luft zu verschaffen, denn ihre Schwestern, der Salami und die Mager, hatten mit dem feurigen, jungen Gesellen, der tat wie ein verrücktes Roß und der auch so wieherte, da ihn der Salami fürchterlich zerkratzte, haufens genug zu tun.

Aber der Rote drückte den Stump eben völlig zu Boden und jetzt begann er mit der stämmigen, weitumgehenden Judith einen Hosenlupf. Ein tolles Schwingen ward es. Und immerhin mochte es gut sein, daß der Rotkopf sich doch schon ziemlich verbraucht hatte, denn die älteste Stumpentochter hatte, trotz ihrer weißen Schwingerarme, Mühe, sich aufrecht zu halten und dem verwilderten Mann, der ihr recht ungeniert kam, zu wehren, daß er sie nicht warf.

Nein, es sah nicht gut aus. Der kleine Hirte blutete und es schien, als sei er betäubt, denn er lag wie ein achttägiges Zicklein in der Pfanne, zusammengekugelt auf dem Boden. Das Fluchen der Stromer übergellte das wütige Gekreisch des Salami, während ihre Schwester, die Mager, die Zähne aufeinanderbiß und keinen Laut gab, obwohl sie der Junge an ihrer aufgegangenen Haarflut hin und her riß.

Jetzt flog aber das befreite Röllchen in Todesängsten an ein Fensterchen und das Scheiblein zurückstoßend, schrie sie in die Nacht hinaus: »Reb, Reb, der Tausendgottswillen, wo bist du?! Komm, komm rasch! Vaganten im Haus! Hörst du denn nichts, bist du taub! Mordjo, fürjo, mordjo!«

Kaum aber hatte sich das Röllchen vom Fenster weg auf ihren Vater geworfen, um ihm womöglich aufzuhelfen, flog die Stubentüre auf und da stand mit aufgerissenen Augen, einen vielästigen Knebel in der Faust, die Reb auf der Schwelle. »Herrgott, Herrgott,« rief sie aus, »ja, geht's da den Weg! Nun haben sie da in der Stube so eine Kirchweih und keine Ahnung hab' ich davon, nicht ein Mückslein habe ich zu hören bekommen.« Aufjauchzte sie. Und wie das heilige Donnerwetter fuhr sie in den Kampf hinein.

Mit glasigen, roten Augen glotzte der alte Stromer, der's wieder auf alle viere gebracht hatte, unter dem Tisch hervor, auf die frisch eingreifende Amazone. »Ja, Himmelherrgott!« rief er mit vertrunkener Stimme aus, »wo sind wir denn, in drei Teufels Namen, hingeraten?! Da tollen ja diese rabiaten Jungfern zu allen Türen herein, wie Lawinen. Gebt's auf, gebt's auf, wir haben verspielt! Ja, beim Eid sterb' ich, weitverspielt. Die Mordshexen!«

Und ja, sie gaben es auf, denn im Hui hatte die Reb den Roten aus den Armen der Judith herausgeklopft und jetzt warf sie den Knebel weg und begann ihrerseits mit ihm zu schwingen. Und da lag er schon, so lang er war, auf dem Boden und machte ingrimmig: »'s Teufels doch auch, das ist noch die verflüchteste!«

Und alsdann begann auch der alte Stump sich wieder, von Röllchen gestützt, aufzustellen, während die Reb sich mit Judith, dem alleweil weiterkreischenden Salami und der arg verrupften und verzupften Mager, zu Hilfe machten. Bald gelang es ihnen, auch den Jüngsten und Zähesten unter sich zu bringen, also, daß er unter all den handlichen Jungfern nach Luft schnappte, wie eine hundertjährige Urgroßmutter.

Nicht lange dauerte es, so lagen die drei Stromer in schöner Eintracht neben dem Haus im Saugaden eingeschlossen, denn die Stumpentöchter hatten den Zapfen an der Türe mit Stricken festgemacht.

Droben im Ruchegghaus aber stand der kleine Berghirte, der Stump, mitten in der Stube. »Laß mich,« sagte er zum Röllchen, das ihm das Blut von der Stirne wegtupfte. »Es tut mir nichts; wohl tut's mir, Röllchen. Was habe ich gesagt?« rief er in seine herumsitzenden und sich zurechtmachenden Töchter. »Bin ich der Matthatias Stump oder bin ich's nicht? Und jetzt soll mir einer kommen und sagen, meine Abstammung sei nicht vornehmer als die des erstklassigsten Prämienstieres. Ein Stocksteinblinder hat's heute sehen können und auch hören, denn,« er lachte kurz auf, »es hat geknallt wie an einem eidgenössischen Schützenfest. Wir haben die Lumpenkerle gebodigt, daß es eine Freude war. Und zu leicht hat man's uns nicht werden lassen, denn zwei von den Landstreichern sind Weltsburschen und von markigem Holz. Aber, oha, wir haben sie bestanden. O Mutter, die Finken sind tot!« Er lachte wieder auf: »Und die Reb, die Reb! 's Donnersabeinander, wenn sie dich gehabt hätten zu Sempach, Reb, da hätte es keinen Winkelried gebraucht. Was gilt's, du hättest den Sackerloten ihre langen Spieße mit deinem Knebel schon aus den eisernen Tatzen geklopft.«

Und nun begann er sich zu recken und zu strecken und zu vertun. Es sah ganz aus, als ob er Haus und Welt ausweiten wollte. »So,« redete er, »aber jetzt zu Bett und auf den Laubsack, Maitli! Respekt vor uns! Wir sind alleweil noch des Stumpen auf der Ruchegg. Und nun schlaft gesund! Wir wollen dann schauen, was wir mit den drei Jünglingen im Saugaden morgen anfangen. Ich meine, ein wenig sollen sie uns doch an den Schaden gehen, obwohl sie uns zu einem frohen Wochenausgang verholfen haben. Aber die schöne Ansicht von der Stadt Basel und die ausgeleerte Schnapskrausle sollen sie uns abverdienen müssen.«

Aufrechten Ganges, den Kopf hoch, schritt der kleine Hirte durch die Stube und hinterm Ofen hinauf in die Elternkammer.

»Ja,« machte die Reb, auf seine vergehenden Schritte horchend, »es fuchst mich nur, daß ich so spät zu diesem Hau gekommen bin.«

»Ach was,« schimpfte der feuerkrebsrote Salami, »der jüngste unter ihnen, der Bursche da mit seinen Feuerteufelaugen, ist flinker gewesen als ein Affe. Er ist über uns dar wie besessen. Aber ich hab' ihn mit meinen Fingernägeln gehörig gezeichnet. Er muß morgen aussehen wie eine Landkarte!«

»Mir hat der Luchs fast den Kopf aus dem Zapfen gezerrt,« meinte die Mager, »denn er hatte mich fest am Schopf, aber,« setzte sie trocken mit ihrer tiefen Stimme bei, »ich hab' ihm mit Vaters Kopfkissen auch all den Staub, der seit Jahren auf allen Landstraßen herum über ihn gekommen ist, gründlich ausgeklopft.«

»Ja,« lachte munter die Judith, ihr zerfetztes Hemd über dem blendendweißen üppigen Busen zusammennehmend so gut es ging, »es wölkt jetzt noch davon ringsum wie nach einem Unwetter.«

Bald machten sich die Töchter aus der Stube.

Als letzte das Röllchen, denn als es das ausgegangene Lichtlein ihres Wachsrodels für die armen Seelen wieder angezündet und gar aufs Fenstergesims gestellt hatte, griff es die Handorgel vom Büfett und hockte sich vor den Ofen. »Eigentlich,« redete sie halblaut, »wenn die wüsten andern Tag- und Nachtlumpen nicht gewesen wären, dem Jungen hätte ich schon ein paar Tänze aufgespielt. Ein so Leider war der nicht und weiß Gott wie der so einer geworden ist.«

Ihre Augen schon etwas traumbefangen in der Stube umgehen lassend, fing sie einen lüpfigen Walzer zu spielen an, der aber, bei all seinen tollen Sprüngen, ein heimweherisches Herz hatte.

Aber am andern Morgen stand die Judith auf dem Stiegenbrücklein des Ruchegghauses und schaute durch den halbmondförmigen Ausguck seiner Vorwand mit lachenden Augen auf das Dreigespann der gezähmten Stromer, die, in langen Stricken hängend, eine ansehnliche Benne voll dampfenden Kuhmistes vom Stall weg auf die Weiden hinauszogen.

Neben der Fuhre schritt, die Mistgabel im Arm und unbeweglichen Angesichts, die Reb. Sie schaute wahrhaft hochgetragen auf ihr ungewöhnliches Gespann und pfiff mit der Spottdrossel, die sich irgendwo im nahen Hochwald herumtrieb, um die Wette.

Weidlich folgte ihr der Bauer, der Matthatias Stump, die Hirtenhemdkapuze lässig auf dem Kopf, seine Mistgabel geschultert wie eine Hambarte und mit den kurzen Beinen gewaltig ausschreitend. Es war immer, als wollten sich die Beine trennen und das eine rechts und das andere links in die Welt auswandern.

Aus einem Stubenfenster guckte kichernd das Röllchen und oben im offenen Fenster der Stubenkammer lehnte die lange, schmale Mager und rief tiefstimmig: »Herrschaft, sind das faule Rosse! Jetzt sind es doch ihrer drei und sie bringen's nicht einmal so geschwind vorwärts mit diesen Führlein Mist wie unsere Ziehkuh.«

»Ja, schämt euch nur, ihr Landverstänker!« schrie dem Gespann mit kreischender Stimme der Salami nach, die eben von der Küche her neben die Judith aufs Stiegenbrücklein getreten war. »Nun habe ich die drei gefräßigen Gäule heute morgen so gut gehabert und also überfüttert, daß man sozusagen jeden Hosenknopf an ihnen hat feißen sehen. Und ich hab's getan in der Meinung, sie werden danach wie die Donnerwetter in den Hundstagen ausrücken, und nun schleichen sie nur so dahin, grad wie Schnecken, nur daß ihnen noch die Hörner fehlen. Hü, hü, hü, ihr faulen Hunde! Ihr sollt uns jetzt die blauen Flecke, die ihr uns an die Köpfe geschlagen und in die Arme gekniffen habt, mit Schwielen an Hand und Fuß abverdienen!«

»Lärm' doch nicht so!« verwies ihr halblaut, gelassen die Judith. »Ich meine, wir sollten froh sein, wenn wir die drei Kerle wieder mit Glimpf ab der Ruchegg wegbringen, denn sie sind keine heimelige Gesellschaft. Sie wären imstande, uns Haus und Gaden anzuzünden. Gar der Rotkopf. Ich kann den Vater nicht begreifen und dich und die Reb schon gar nicht. Jetzt haben sich die Landstreicher zwar noch geduldig, ein wenig knurrend und die falschen Augen verkehrend, einspannen lassen, denn sie haben sich wieder einmal recht satt essen können. Wird's ihnen aber zu langweilig oder gar zu streng, Rößlein zu spielen und kommen sie dann aus den Strängen . . .«

»So sind wir jetzt wachbar und mit der großen Pfanne will ich den gefehlten Hageln die Strubelköpfe zurechttrommeln!« rief der Salami aus.

Sie konnte nicht weiterreden, denn draußen begann die Reb also zu jodeln, daß es von allen Bergen und aus allen Wäldern Echo gab.

Und da war die ganze Fuhre hinter einem Grüpplein Bergahorne verschwunden.

»So,« schnörzte der Salami, »nun will ich in die Küche, die Erdäpfel holen und sie da draußen am Brunnen waschen, so hör' ich am ehesten, was etwa mit den Stromern läuft. Sie sollen nur nicht glauben, wir passen nicht mehr auf sie auf und es sei nun alles, wie's vom Dornröschen im Märleinbuch geschrieben steht, im Ruchegghaus eingeschlafen. Mager!« rief sie an ein Fenster hinauf, »siehst du die Fuhre noch?«

Oben, in der Stubenkammer, ging ein nicht übel mit ungewohnt tiefer Stimme gesungenes Marienlied um.

»Mager!«

Der Gesang brach ab und die lange Hagar stand mit ernstem, etwas braunem Gesicht im Fenster: »Was willst? Ob ich die Mistfuhre noch sehe, willst wissen. Nein, zu sehen vermag ich sie auch da oben nicht mehr, aber ich höre sie. Hab' nur keinen Kummer, ich bin so wach wie du. Der Rote und der junge Strolch haben mich gestern abend an meinem Schopf herumgeläutet, daß ich heute sogar noch mehr höre als man kann.«

Und damit legte sie eine schwere Bettdecke übers Fenstergesims, um sie zu sonnen. Sie hing fast bis aufs Stiegenbrücklein herab.

Die Judith aber hatte sich in ihrer ganzen Stattlichkeit ein paarmal gereckt und gestreckt, um die letzten Traumnebelchen, die ihr noch in den Augen und allüberall anzuhängen schienen, von sich abzutun. »Salami!« rief sie in die Stube hinein, ihrer in die Küche abgezogenen Schwester nach, »komm hilf mir melken. Allein kann ich's jetzt nicht mehr machen, sonst kommt die Milch zu spät in die Hütte.«

»Wohl, fällt mir nicht ein,« kam's scharfgeschliffen durch die Stube von der Küche her, »ich habe genug damit zu tun, euch und den drei fremden Laushunden das Mittagessen zu rüsten und außerdem muß ich noch die jungen Katzen ersäufen. Unsere heillose Bringlerin hat schon wieder ein halbes Dutzend Junge. Alle können wir nicht behalten. Nichts als jüngeln kann die! Also, Judith, melk' du selber. Kannst dir ja Zeit lassen. Bist's gewohnt und hast's in der Hand wie keine von uns. Gleichwohl kann dir unser Rolli, dieses Fegnest, melken helfen. Sie weiß ja so den lieben langen Tag hindurch nichts was anfangen, obschon es wahrlich überall genug zu tun gibt, wenn sie's sehen wollte. Ich muß der Mager ohnedies die Stube nochmals fegen helfen. Man müsse sich ja bald schämen, hat gestern der Vater geschimpft, daß die Stube nicht sauberer aussehe, wo doch so viele Weibsleute im Haus seien. Dabei hat er freilich vergessen, was mit ihm und mit dir, die ihr alleweil im und um den Stall seid, alles am Gewand und gar am Schuhwerk, auch an den Barfüßen, in Stube und Küche hereingebracht wird.«

Die Judith hörte sie nicht mehr. Sie schritt bedächtigen Ganges auf die Scheune zu, einen Eimer in der Faust. Und hurtig, mit lachenden Augen folgte ihr das Röllchen, ebenfalls einen Eimer am Arm tragend.

Aber am Brunnen, zwischen Haus und Stall, hielten sie an, um ihre Eimer gehörig auszuspülen. Und sie taten es also gründlich, daß der Trog auf allen Seiten überfloß.

»Hat der neue Schullehrer da unten zu Erlenstalden nicht letzthin zur Mager, die ihm die schmale Fahrgeiß auf der Vorkirche beim Singen machen muß, gesagt, du seist eine wie ein Bauerngarten voll Bubenrosen und Jungfern im Busch und die gefüllten roten und weißen Nelken lampen allseitig nur so von dir herab, Schwester,« rief das Röllchen munter, hellstimmig aus, »da kann's wohl nicht schaden, wenn man dich in diesen trockenen Tagen ein wenig wässert.«

Schwubs, kam der halbvolle Eimer wie ein Bergbach über die weitumblühende Judith.

Aber die älteste Stumpentochter tat nicht einmal einen Aufschrei. Sie hob ihren Eimer, dafür aber plattvoll, aus dem Trog und ruhig ausrufend: »Und hat nicht der Pfarrer letzthin gesagt, du seiest eigentlich noch wie ein Erdäpfelsamen, bei dem die Augen freilich schon auf Stielen stünden, So will ich dich etwas beschütten, damit du recht wüchsig wirst.«

Jedoch so gewaltig sie ihren Eimer schwang, das Wasser verfehlte das wachsame Röllchen völlig. Und jetzt ließ sie den Eimer gar in den Trog fallend denn aus der Weid herab kam auf einmal die aufgeregte Stimme des alten Stump und wütendes Aufschreien der Reb.

Da ließen die zwei Jungfern Eimer Eimer sein. Die Judith machte sich, ungewöhnlich rasch für sie, zur nahen Scheune und schon schritt sie, den Dengelhammer in der Faust, gegen die Ahorne hinauf, hinter denen es gar lebhaft zuging. Aber vor ihr her hastete schon das Röllchen, ohne Wehr und Waffen.

Nun fuhr auch der Salami, das Küchenmesser zwischen den Zähnen und die Ofenkrücke stoßfertig in den Fäusten, aus dem Haus und ihr nach polterte die Mager, den Birchbesen auf der Schulter, das Stiegenbrücklein herab.

»Wir kommen, wir kommen, wehrt euch!« kreischte der Salami, »haarus, haarus!«

Als aber das behende Röllchen den Ahornbestand hinter sich hatte und als erste, mit ängstlichen blauen Augen, um sich wunderte, sah es eben noch, wie ihr Vater lärmend den davonlaufenden Stromern, dem schmutziggrauen Alten und dem Rotkopf, Steine nachschleuderte und wie der jüngste, flinkeste der Gesellen der Reb die Mistgabel aus den Fäusten riß, sie weit weg warf und wie sie jetzt einander anpackten.

»Vater, Vater, helft!« schrie das Röllchen.

Doch der Alte konnte nichts machen, der jugendkräftige Bursche und die Reb fuhrwerkten einander also auf dem Acker herum, daß es schwarz aufstob und man nicht mehr hätte wissen können, wo anfassen. In heller Aufregung konnten sie dem Kampf nur zuschauen.

Aber als nun der Salami mit mordsüchtigen Augen und gefällter Ofenkrücke unter den Ahornen hervorrannte, gefolgt von der Judith und der Mager, da hob die Reb den jungen Feger eben mit Mannskraft und da, wohl, da lag er auf dem Rücken, wie ein gereisteter Baum. Und bevor er sich von seiner augenblicklichen Betäubung zu erholen vermochte, war der alte Stump auf ihm und nun gar mit dem ganzen Geläuf seiner Töchter, die ihn alle miteinander am Aufkommen nachdrucksamst verhinderten, denn als er sich Luft machen und aufspringen wollte, hagelte es Fäuste auf ihn. Also fand er's für besser, sich zu ergeben.

Das Röllchen aber mühte sich, die über und über leuchtende, sieghafte Reb, die ziemlich zerrissen und beschmutzt aussah, einigermaßen in Ordnung zu bringen. »So,« sagte die Reb, noch lebhaft Atem holend und die blutigen Schrammen an ihrem Arm eifrig ableckend, »dasmal putzt die Stumpentochter völlig und ganz und der Bauer bleibt Trumpf. Das hingegen, muß ich sagen, ein flinker Sackerlot ist dieser fahrende Mannskerl da; er ist noch weit besser um die Waden als der Rotkopf. Grad leicht hat er's mir nicht gemacht, ihn zu bodigen. Salami!« rief sie der Schwester zu, die den eben aufstehenden Stromer zornig anfuhr, »brauchst den nötigen Landstöffel nicht so anzuhauchen! Hättest du ihn am Morgen nicht so gut gehabert, so hätte er auch nicht so gottlos ausschlagen mögen.«

Ihr polterndes Auflachen ging über Berg und Tal.

»Ja,« meinte das Röllchen, die blauen Feuerchen ihrer Augen unwillig aufgehen lassend, »tu doch nicht wie eine Holzfräse, Salami! Am End' ist er ein armer Teufel und fürs Murren hat er nun. Vater,« setzte sie bei, »laßt ihn doch laufen!«

»Nein,« beschied der kleine Hirten seine Mistgabel wieder zu Handen nehmend und schulternd, »nein, Röllchen, jetzt lasse ich den Jagdhund da noch nicht fort. Er soll nicht sagen, wir hätten ihn aus Angst vor ihm und seinen Mitlumpen laufen lassen. Mist zu ziehen braucht er zwar nicht mehr, denn zum Arbeiten ist so ein geeichter Faulenzer, so jung und stark er ist, doch nichts wert und nur ein Held am Tisch und unter den Weibern. Aber ins Loch muß er bis morgen früh, in den Saugaden muß er wieder, wenn's ihm doch dort besser gefällt als auf der freien, schönen Weid ein Zeitchen das Roß zu spielen. Ja,« herrschte er den finster blickenden Vaganten an, »da oben auf der Ruchegg mache ich halt den Landammann und das Gericht selber, da oben, in diesen Rauhenen, ist der Stump König. Das wirst du dir jetzt gemerkt haben, Bursche. Und wenn du zu Tal kommst, kannst es den andern Landausschmökern und Türenabsuchern gleich ofenwarm weitergeben, daß sie da oben zwar nicht umgebracht werden, auch wenn sie haushohe Halunken seien, daß man auch für sie einen Schluck Milch und allenfalls etwas für die Zähne habe und eine Heuruhe, aber daß es geraten sei, bei uns Stumpenleuten erst anzuklopfen, bevor man eintritt, wenigstens abends nach Betenläuten, und uns sowieso höflich zu kommen. Verstehst du jetzt das, he?!«

So ließen sie denn die unabgeladene Mistfuhre im Stich und zogen, alle miteinander, den jungen Stromer sorglich eingekreist haltend, durch die Ahorne zum Ruchegghaus hinunter, wo sie den stillgewordenen Burschen wieder in den Saugaden hineinstießen, die Türe dasmal verrammelnd wie einen Tigerkäfig.

Aber am Nachmittag, als der Stump mit seinen Töchtern in der Weid hinter den Ahornen den Mist fachgemäß und mit gewohnter Umtunlichkeit allseitig verlegte, ließ das Röllchen, dem die Hauswacht aufgetragen war, seinen grauen Kittel, dran es in der Küche strickte, liegen. Alsdann ein großes Rundum Brot und eine gedörrte Schweinswurst zu Handen nehmend, schlich sie sich aus dem Haus und zum Saustall.

»Bursche,« redete sie halblaut durch eine Türspalte hinein, »wie steht's, möchtest du heraus?«

Im Saugaden blieb's still.

»Hörst du! Bist wohl eingeschlafen, möchtest du zu Tal?«

Jetzt aber ward es lebendig im Kofen. Es schien sich jemand aus einem ächzenden Korb zu erheben. Schritte gingen und nun kam's durch die Spalte, durch die das Röllchen hineinspähte: »Ja, Maitli, tu mir auf und laß mich fort. Ich sag' dir dafür gern Vergeltsgott.«

Sie ward zündrot und in ihren blauen Augen zitterte es wunderlich, wie die Luft gen Morgen zu an einem schönen Märztag.

»Ja,« gab sie zurück, »aber du mußt dich gleich davonmachen, denn wenn's der Vater und die Schwestern merken, so kannst du erst recht nicht weg, denn du hast dich hundsschlecht benommen und uns alle bös gemacht.«

»Ja, ja, tu nur auf. Gewiß will ich davon, so geschwind ich's kann. Ich hab' nun Saustall genug.«

So löste sie denn alle Stricke vom Zapfen. Und da trat der junge Stromer schon ins Licht der mittäglichen Sonne hinaus, und jetzt erst gewahrte das Röllchen so recht, daß der Bursche, abgesehen vom Schmutz, von dem er überzogen war, wie ein Krokodil von der Hornhaut, gar nicht so übel aussah.

Er ließ ihr aber wenig Zeit zu Betrachtungen, denn rasch griff er nach Brotkringel und Wurst, die sie ihm hinhielt. Alsdann schaute er sich blitzgeschwind weltum und jetzt packte er das Mädchen um den Kopf und küßte es auf den Mund, daß es schnalzte.

Und da lief er schon wie ein gehetzter Hirsch, am Brunnen vorbei, hinterm Hause hinunter und weidab. Kein Vaterunser lang dauerte es, so war er im Föhrenwäldchen unterhalb verschwunden.

Lautauf lachte das Röllchen. Und erst nach einer geraumen Atempause wischte es sich mit dem nackten Arm den Mund ein wenig ab. »Der Weltsbursche!« redete sie vor sich hin.

Dann machte sie sich langsam zum Brunnen und schaute, ihre meisterlos gewordenen Haare ordnend, in sein spiegellauteres Wasser hinein, aus dem sie der Himmel und ihre blauen Augen völlig wolkenlos anlachten.

Als aber der alte Stump mit seinen müdgewerkten Töchtern gegen Abend heimkam und die Botschaft vom Abzug des letzten aus dem liederlichen Kleeblatt vernahm, schaute er seine Jüngste eine Weile mit seinen offenen, gradauszielenden Augen an und dann sagte er, kurz auflachend: »Ja, ja, du Schalk, ich kann mir schon denken, wer dem fremden Fötzel fortgeholfen hat, denn er selber hätte den Zapfen von der Türe nicht aufgebracht. Nimm dich in acht, Röllchen! Es will mich bedünken, du seiest etwas gar zu weich geklopft und gehörest also zu jenen Weibern, die dem Männervolk, dem jungen zum voraus, nichts absein können.«

Aber danach trampte er, seinen Töchtern voran, vom Stall weg und ins Haus hinauf und nur der Salami rief dem Röllchen unwirsch zu: »Bist ein rechter Aff! Von mir aus hätte dieser lausige Faulenzer im Saugaden bleiben können bis zu Martinitag. Vielleicht hätte ich ihn dann gleich mit einer elf Vierling dicken, schlagreifen Sau einsalzen und ins Kamin hängen können.«

Mit einem rohen Gelächter machte sie sich den andern übers Stiegenbrücklein hinauf nach. Die Reb aber sagte kurzgebunden: »Das Röllchen hat's recht gemacht, denn der Bursche hat sich wacker gewehrt und es hat eine wie mich gebraucht, um ihn zu bodigen. Das soll er jetzt nur in den zahmen Tälern auskündigen. Vielleicht kommt dann eines Tags ein anderer in unsere Wildnis hinauf und will's mit mir aufnehmen. Aber,« sie lachte kurz auf wie ihr Vater »aber der liegt jedenfalls noch in der Wiege, der's mit mir probieren könnte. Heute und morgen muß der Reb Stump noch keiner kommen wollen.«


 << zurück weiter >>