Meinrad Lienert
Der doppelte Matthias und seine Töchter / 1
Meinrad Lienert

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5

»Ein Himmel, spiegellauter und föhnheiter wie Schnaps,« sagte der Spielaumichel, als er, gleichwohl einen schweren Regenschirm unterm Arm, mit ein paar Bauern aus Stagelrain auf den festlich aufgerüsteten Weiler Erlenstalden zurückte. Nein, an diesem Sonntag, an dem der »Schützenbund am Bärlauistock« sein alljährliches Wettschießen abhielt, durfte er nicht fehlen. Es wäre den Leuten nicht wohl, dachte er, wenn sie mich nicht zu Gesicht bekämen, denn sie müßten sich sagen, es sei nicht ganz alles in Ordnung, dem Fest mangle einfach etwas. Aha, der Aumichel, der Dolmetscher, ist nicht herum! würden sie endlich ausrufen. Er war ja noch an jeder Kirchweih, an jedem Markt, Fest und Festchen, geistlichen und weltlichen, landauf und -ab dabeigewesen. Er gehörte dazu wie die Uhr, die Tag und Nacht keine Ruhe hat, in die Stube. Das Tüpflein schien erst auf dem i zu sein, wenn er dabei war. Er half die Feststimmung machen. Deswegen war er bei allen Wirten gern gelitten und kam zu manchem Glas und Gläslein, weil er den Leuten, sozusagen wie eine Fahne, ins Wirtshaus vorausging. Freilich, viel hielt niemand auf ihn, denn hinterrücks und etwa auch mitten ins Gesicht, nannten sie ihn einen Lumpen, Säufer und faulen Hund. Aber das hatte ihn noch nie stark geplagt. Das Verschimpftwerden ging ja vorüber wie das Gelobtwerden und machte einen weder jünger noch älter. So wenig berührte ihn das wie ein Wetterwechsel. Er pfiff auf die üblen Nachreden; ein durchgehender Nagel im Schuh konnte einen mehr plagen als sie alle.

»Was,« redete er zu dem zitterigen Alten aus der Torlaui, der unter ihnen mitging, »nicht will's dir bessern, sagst? Kein Doktor kann dir helfen, obwohl du schon ein halbes Jahr lang dokterst und keiner recht weiß wo's dir fehlt? Ja, mein lieber Torlauichäpp, ich will dir schon sagen, wo's dir fehlt, dir fehlt's im Kopf, unter der Kappe, denn wenn du Verstand hättest, würdest du's machen wie unsereiner. Meinst du, ich habe keine Last am Buckel? Allundein Morgen erwache ich im Elend und es ist mir wie einem räudigen Hund am Verenden und zitteriger bin ich als ein getretener Webstuhl. Und wenn ich die Augen aufmache, ist meine ganze Welt eine zügige, morsche Gadenwand, an der ich mir den Schädel am liebsten einschlagen möchte, wenn ich's mir getraute. Aber alsdann, mein lieber, guter Hirte ab der wettergestrählten Torlaui, schleppe ich mich mit meinem Jammer ans Wandgänterlein und nehme aus der grünen Krausle einen herzhaften Schluck Erdäpfelgeist. Ein Wässerlein, ein Tropfen so lauter wie ein Kinderäuglein und so bissig wie ein alter Tümpel voll Blutegel. Und da läuft's durch mich hindurch wie brennheiße Brunnen und im Hui ist's mir wieder vögleinwohl. Die feuchten, kalten Gadenwände tun sich nach allen Himmelsrichtungen auf und juhu, schön ist die Welt! Also siehst du, so ein Morgenschnäpslein ist bekömmlicher als eine ganze Apotheke kostspieliger Mixturen. Was mich anlangt, ich hab' dem Doktor noch wenig zu verdienen gegeben; keinen roten Rappen hat er von mir gelöst.«

»Ja,« meinte ein zahnluckiges Weiblein, das, einen Korb voll gelber Rüben auf dem Rücken, in der Schar nachhumpelte, »deine Apotheke ist das Wirtshaus, Spielaumichel. Dort bekommst du aber die Flaschen und Fläschchen auch nicht alleweil umsonst, denn andernfalls müßte dein Weib nicht wie ein Schatten an der Wand sich im Land herumschleppen und sich mit ihrem halb Dutzend durchsichtiger Kinder um Gottes willen an allen Türen um einen Mundvoll Futter umschauen.«

»Was, du altes, hartgebeiztes Geäder,« rief der Spielaumichel, sich umwendend, »du kommst mir den Weg?!« Aber gleich lachte er dreckig, hohnträchtig auf. »Aha, du bist's bloß, du alte Gurre! Das sagst du ja nur, weil ich dich einst nicht gewollt habe, als du noch ein Mensch warst und etwas gleich gesehen hast. Jetzt aber, meine liebe Nebelhexe aus dem obern Zingel, jetzt wo du nichts mehr als eine dürre Dornhecke bist, fällt's mir nicht ein, nochmals hinter dich zu geraten wie ich hinter dich geraten bin, zu einer Zeit als du mich mehr als wohl leiden mochtest. Sowieso, blas' mir!«

Aber als er doch, tückisch grinsend, einen Stein aufgriff und ihn auf das alte Weib werfen wollte, ward er ihm von einem Stagelrainer Kleinbauern aus der Hand geschlagen. »Wohl,« machte das geringe, entrüstete Hühnerbäuerlein zu ihm, »du brauchst noch mit Steinen um dich zu werfen, wenn man dich ein wenig in den Spiegel schauen läßt, du Lumpenhund! Sei du mir still! Es ist ja hundertmal wahr, daß die armen Tröpfe, die das Unglück hatten, an dich zu kommen, es schlecht genug haben, ja zuzeiten hungern müssen, ja hungern, während du dir, wenn immer möglich, nichts abgehen lassest und an alle Winkelfestchen läufst und bei allen Saufereien bist. Es nimmt mich nur Wunder, daß es noch Leute gibt, wie etwa den Metzger Balz Schwitter zu Kilchaltdorf und den Viehhändler Tritsch von Hochsiten, die dich zeitweilig noch mitgehen lassen und brauchen wollen, denn du bist doch mehr ein Schoppenquetscher als ein Dolmetscher. Aber man kennt dich immer noch zu wenig und weiß nichts davon, wie die Deinen zu Haus hinter Gotterbarm sind.«

»Guggußjoggeli,« gab der Spielaumichel lachend zurück, »du bist ein Huhn, nur daß du trotz deinem dummen Gegacker keine Eier legen kannst. Es wird ja schon sein, daß ich ein Lump bin, ich glaube fast und gar selber, aber weißt du denn nicht, daß man die Lumpen zu gar vielem brauchen kann und nicht nur zum Aufwaschen manchem schmutzigen Stubenbodens und manches staubigen Heiligenscheines.«

Das Trüpplein der Stagelrainer hörte nicht mehr auf den Dolmetscher. Sie waren ins Dörflein Erlenstalden eingetreten. Und nun machten sie sich durch das viele Volk am beflaggten Schulhaus und am bekränzten Wirtshaus zum Hirschen vorbei gegen den Schießplatz hinaus, denn dort knallte und trompete es tapfer drauflos.

Ein Gehüt barfüßiger Kinder beinelte vor ihnen her. An ihrer Spitze marschierte wichtigtuerisch ein Büblein im Hirtenhemd, das aus allen seinen Kräften sein Mundorgelchen blies.

Als die Kleinhäusler von Stagelrain auf den Festplatz unweit der Kirche hinauskamen, erblickten sie auch die Feldmusik von Stagelrain, die heute in Erlenstalden Festmusik sein durfte. Sie war unermüdlich. Seit der Eröffnung des Wettschießens nach dem feierlichen Gottesdienst, spielte sie nun den vereinigten Schützengesellschaften von Erlenstalden, Stagelrain und Hochsiten drauflos, daß die Hunde heulten und die Bergechos heiser wurden.

Eine Festhütte gab's nicht. Die Schützen schossen hemdärmlig unter Gottes freiem Himmel. Doch war immerhin ein Bierfuhrmann da, mit ausgiebiger Tranksame. Auf einer Tristenstange flatterten einträchtig die drei Schützenfahnen des Schützenbundes am Bärlauistock.

Um den Schießstand lagerte und trieb sich das Volk der Hirten. Darunter gab's aber auch Leute aus dem großen Dorf Kilchaltdorf. Geschäftsleute, die ihrer ländlichen Kundschaft sich aufmerksam und erkenntlich zeigen und sie für neue Bestellungen empfänglicher machen wollten. Auch gewohnheitsmäßige Festgänger, die weder die eigenen, noch die Festanlässe der Nachbarschaften jemals versäumten, auf daß sie, zum einen, die Langweile für ein paar Stunden von sich abbrächten und zum andern, von den ihnen möglichen Annehmlichkeiten des Lebens ja nichts verlören.

Mitten im Festbetrieb drin vertat sich der kleine Hirte von der Ruchegg, der alte Stump.

Unter immerwährendem Gelächter begrüßte er sich mit seiner Verwandtschaft und Bekanntschaft. Und also fuchtelte und werkte der Stump mit den Armen und seiner ganzen Person drauflos, daß ihm sein gewaltiger Hut schon weit ob die furchige, ansehnliche Stirne zu sitzen gekommen war, und also hatte er ein lautes Getue, daß auch das entferntere Volk immer etwa wieder nach ihm und seiner Gruppe hinschaute. Weithin konnte man seine Stimme hören und es sah aus, als ob seine zappligen Arme mit allem was er sagte, mit jedwedem Wort, ballspielten. Ja, es war als predigte er. Aber wer ihm näher stand, bekam nur alltägliche, bäuerliche Nachbargespräche über das Wetter, über Kauf und Lauf und Viehhandel, jedoch auch Spruchhaftes aus dem Alten Testament, verbunden mit einer kräftigen Schimpferei über die abgezogene Viehseuche und über die Regierungen des engern und weitern Landes, zu hören, die so wenig gegen das große Übel getan hätten und die sich freilich ganz anders dafür ins Zeug legen würden, die Herren, wenn sie die Kälber selber aufziehen, statt bloß essen müßten.

Als der Stump auf jene Halunken im eigenen Land zu reden kam, von denen man sagte, sie hatten aus Neid und Bosheit die Seuche absichtlich in dunkler Nacht zu diesem und jenem Stall vertragen, man könne es ihnen nur leider nicht beweisen, da drückte sich der Spielaumichel, der auch in Stumps Nähe stand. Aber der Alte redete fort. Nach und nach kam er ein wenig ins Prahlen, denn er erzählte den Leuten, wie er mit seiner Jungmannschaft die Seuche von der Ruchegg abgehalten habe und obwohl diese Jungen alle Weiberröcke angehabt hätten, wäre von ihm und ihnen doch das ganze Kilchaltdorfer Bezirksgericht, samt Waibel und Fürsprechern, gezwungen worden, die Schuhe abzuziehen und in den Strümpfen über ihre frischgedüngten Matten und Weiden zu gehen. Und nun begann er in den höchsten Tönen seine Töchter zu rühmen, wofür ihn das immerwährende Knattern aus dem Schützenstand nebenan noch anzufeuern schien. Gar wenn die Feldmusik von Stagelrain einsetzte, stieg er wie ein Gaul vor der Kriegstrompete.

Seine Töchter hatten sich unterdessen ein wenig über den Festplatz gemacht, wobei sie mit ihrer alten wohlbeleibten Base Anneseba aus der Stolzern von Hochsiten und mit ihrer Schwester Judith zusammentrafen, die mit Judiths Mann, dem Viehhändler Baschitoni Tritsch, auf dem Gatterwägelchen ans Schützenfest hatten fahren können.

Und nun standen sie beisammen und hielten eine kleine Landsgemeinde ab.

Die Judith war eher noch hübscher, auch ein wenig umfänglicher, jedenfalls fraulicher und auch noch zutraulicher in ihrer lächelnden Gelassenheit geworden. Es schien ihr im heiligen Ehestand wohlzuergehen. Sah sie vorher aus wie ein übersegneter, fast zu fruchtbarer Bauerngarten, so glich sie jetzt alleweil noch einem solchen, aber es war als sei in all seiner Triebfreudigkeit noch ein stilles Wasser, ein Weiherchen, hineingekommen, das jedes Keimlein und Würzlein drin mit Fruchtbarkeit durchtränkte. Sie stand denn auch nur so da, und wenn die lebhafte Base Anneseba aus der Stolzern ihre Späße machte, lachte sie ihr fröhliches, nicht zu lautes Lachen und blühte und reifte.

»Warum habt ihr denn die Mager nicht bei euch?« fragte sie aber jetzt die Schwestern.

»Ja, das wundert mich auch,« meinte die alte Base Anneseba, »ihr seid doch nicht vollständig, wenn die Lange fehlt. Ich weiß freilich, daß sie grad nicht viel um diese bäuerlichen Feste gibt und daß ihr überhaupt nicht soviel am Weltlichen liegt, wie euch andern . . .«

»Ja die,« warf der Salami fast unwirsch ein, »die geht grad so gern unter die Leute wie wir. Sie hat's auch gern lustig. Sie spielt nur die Eigene. Nein, hat sie gesagt, ich komme nicht mit euch; heute muß jemand zu Haus bleiben, denn seit wir diese Stromer in der Stube gehabt haben, sind wir auf der Ruchegg nicht mehr völlig sicher. Es ist sowieso ein Leichtsinn von uns gewesen, früher Haus und Hof Sonntags so oft allein zu lassen und wenn's auch nur für ein paar Stunden war. Kurz, zu Haus hat die Lange hocken bleiben wollen. Sie vergönne uns diese Schützenfestkurzweil nicht, meinte sie, sie habe sowieso nichts verloren im Tal. Auch wenn sie nicht zu Erlenstalden herumstehe und Maulaffen feilhalten helfe, so werde es ja jetzt dort auch ohne sie Fahnenstangen sonst genug geben . . .«

Das polternde Gelächter der Reb fuhr dazwischen.

Aber der Salami redete weiter: »Ja, wenn es um ein geistliches Fest zu Kilchaltdorf ginge, da täten sie die Schuhsohlen weniger reuen, hat die Mager gesagt. Und so hat sie sich eben mit ihrem Heiligenlegendenbuch vor den Ofen gehockt und ist daheim geblieben. Wir wissen zwar schon, daß sie herzlich gern zu Tal ginge und unter die Leute, denn die Geißen mit den langen Hälsen sind nicht weniger näschig als die andern. Und mit den Heiligen in ihrem Buch, so schön sie über und über gemalt sind, ist sie auch nicht ganz zufrieden. Aber eben, wenn sie nur einen, auch nur halbwegs annehmbaren Dörfler, etwa einen Kilchaltdorfer, bekommen könnte, liefe sie mit ihm was gibst, was hast, ab der Ruchegg davon. Und was gilt's, sie nähme alles eher und auch ihr Handspieglein, mit, das sie einem Hausierer letzthin hinterrücks mit einem Kuß bezahlt hat, ich hab's schon gesehen, als die gemalten Heiligen. Ja, in ein großes Dorf möchte unsere Mager, davon träumt sie . . .«

»Und freilich auch in die Nähe einer großen, schönen Kirche,« redete das Röllchen drein, das die Hand voll Steinlilien hatte, »nein, denn das ist wahr, ihre größte Freude ist das Singen und auf dem Vorkirchlein da zu Erlenstalden kommt sie doch nicht recht, spottwenig kommt sie dazu. Ich singe ja auch mit und alleweil wieder höre ich wie unser Lehrer, den wir seit einem Jahr haben, Freude an ihrer Stimme hat, denn, sagt er, sie habe einen vollen Alt . . .«

Die Reb ließ ihre Lachsame wieder strömen. »Ja, was heißt denn das: einen vollen Alt?« fragte sie lärmend, »tags meines Lebens habe ich das noch nie gehört, aber gesehen habe ich einen vollen Alten noch an jedem Markttag, fragt nur den Stump.«

»Reb, Reb, wie kannst du so reden von deinem Vater!« machte verweisend die Base Anneseba aus der Stolzern.

»Heja, ich sag's ja nicht im Bösen, Base,« lachte die Reb kurz auf, »es ist ja jedesmal lustig, wenn der Vater ein Räuschlein hat, denn dann rückt er erst recht aus wie einer, der niemand und nichts fürchtet, der alles darf und der einen Schritt hat wie der Riese Goliath an der Kirchendecke zu Flugiberg. Aber das ist einmal wahr, was der Salami sagt: Wenn die Mager einen Dörfler bekäme, sie nähme ihn allweg, wenn er's ihr gut zu geben vermöchte, daß sie dann Zeit hätte, viel in die Kirche zu laufen und zu singen, denn fürs Singen nimmt sie kein Gold. Der Schönste und der Jüngste müßte ihr Freier gar nicht sein, denn der Mager ist's ums Mannsvolk, um diese Tabakler, im Grund genommen so pfeifengleich wie mir.«

»Reb, tu nicht zu wüst,« sagte lächelnd die Base. »Das meinst du jetzt vielleicht so, aber es kann sich ändern. Schau', wie glücklich sieht die Judith aus, völlig wie ein Festtag sieht sie aus, der mit lauter weißroten Schweizerfahnen überhängt ist, wahr oder nicht?«

Die Judith kicherte froh, anheimelnd wie ein Feldbach im üppigen Grünzeug.

»Ah pah,« redete mit ihrer kratzbürstigen Stimme der Salami, »wenn's drauf und dran kommt, nimmt eine jede gern einen und du, Reb, so gern als andere, obwohl es einer bei dir nicht leicht hat, falls er dich nicht zu zähmen vermag, denn du bist ja ein halber Staudenteufel. Aber ich lasse mich von einem auch nicht wie ein dreitägiges splitternacktes Zicklein in die Pfanne legen.«

»Jaha,« lachte die Reb auf, »wenn mir an den Mannskerlen etwas läge, hätte ich an allen Fingern einen, aber ich brauche keinen. Was sollte ich denn mit so einem anfangen? Ja, wenn ich allenfalls einen fände, der dem Stump, dem Vater, gleicht, einen, vor dem das Gericht die Schuhe ausziehen muß, wenn's ihm gefällt, jaha, einen, der mich auf die Knie zu zwingen vermöchte. Aber so einer begegnet mir heute und morgen noch nicht, da hab' ich keine Angst.«

Die Judith ließ ihr Kichern rieseln: »Ja, Reb, Reb, verschwör' dich nicht. Ich bin auch nicht von Stroh, aber das kann ich dir sagen, so hart du dich machst, was ein ganzer Mann ist, der wird . . .«

»Aha, oho,« fuhr's der Reb heraus, »liegst du schon auf dem Rücken, völlig auf dem Rücken; der Viehhändler Baschitoni hat da flink obenaufgeschwungen. Aber Judithlein, Schwesterchen, bist du da von gutem Tannenholz, so bin ich eichig, ja dornenhölzig, wenn's drauf ankommt und mit mir, glaubt's nur, nimmt's keiner auf.«

Die Base Anneseba aus der Stolzern lächelte immerzu und das Röllchen über den Blondkopf streichelnd, sagte sie: »Gelt, nur, Röllchen, wir zwei, du und ich, nehmen das nicht für ein Evangeli, was unsere liebe, angriffige Reb da behauptet und du, Kind, bist gewiß nicht halb so widerständig und machst dich zum Holzstock oder gar zum Dornstrauch, wenn eines Tags einer kommt, dich wohlmag und liebhaben will.«

»Allweg nicht, Base.«

»Aber, freilich, bei dir ist das ja noch im weiten Feld, Röllchen, bist ja noch nicht gar lange aus der Christenlehre. Oder solltest etwa gar auf dem Schulweg oder während der Christenlehre dir schon einen gemerkt und ihn im Kopf behalten haben?«

Das Röllchen antwortete nichts; es schaute schalkigschen lächelnd, aus großen, blauen Augen erst forschend die alte Base an und dann aber ließ es seine Blicke seitwärts wandern, dorthin, wo eben des Geißbäuerleins und Flickschusters Junge, der Tschuppmoos Bändichtli, das Schießgewehr am Rücken, sich durchs Volk nach dem Schützenstand machte. Und da er sich eifrig umsah, begegneten sich ihre Augen und des Mägdleins heller Schopf kam unmerklich ins Nicken.

»Sagt was ihr wollt,« schnörzte der Salami, ihre wohlbewehrte Brust von den Tannennadeln säubernd, die ihr während des Abstiegs durch die Wälder draufgefallen waren, »ich meinerseits, ich will einen. Eine alte Jungfer gebe ich nicht und auch keine Klosterfrau, denn ich will nicht vereinsamen. Ich muß jemand haben, mit dem ich reden, mit dem man eine Sache und was etwa tagein und -aus geht, gründlich durchnehmen und entkernen kann. Ich will wissen, was in der Welt geht und eine Meinung darüber haben und aber auch hören, was andere Leute dazu sagen. Das Singen auf der Vorkirche täte es mir nicht, gar nicht. Und ich begreife es nicht,« setzte sie verdrossen bei, »daß dieser Schulmeister auf seiner Vorsängerin und Fahrgeiß soviel hat. Da wollte ich ihm eine ganz andere Stimme zeigen, auch wenn ich damit nicht singen kann. Übrigens glaube ich nicht, wie ich die Mannsleute kenne, daß ihnen die Stimme das erste ist, denn die können sie ja weder verküssen noch in die Arme nehmen, und . . . ah pah, ich pfeif' euch drauf.«

Sie verstummte. Ihr Schwager, der Viehhändler und Senntenbauer Baschitoni Tritsch, trampte gemächlich mit dem jungen, kraftstrotzenden Metzger Balz Schwitter von Kilchaltdorf daher, den sie alle kannten, da er sich mit dem Spielaumichel einmal um etwas Feistes, Schlachtreifes auf der Ruchegg umgesehen hatte. Mit diesen Zweien ging der schon etwas angegraute, aber gutaussehende Bäckermeister Burket, der gleich seinen Brotwagen vom Kilchaltdorfer Unterdorf her mitgebracht hatte. Er und der Metzger Schwitter versorgten ja heute die Festwirtschaft mit Brot und Fleischwaren.

Die Rucheggtöchter und ihr Anhang begrüßten sich mit den zwei Kilchaltdorfern mit Gelächter und gleich waren sie in einer lebhaften Rednerei drin, aus der man aber das kreischende Stimmwerk des Salami vor allem und immerwährend hören konnte.

Es dauerte gar nicht lange, so entzog sich der junge Metzger dem überströmenden, schon schimpfenden Salami. Fast unbemerkt machte er sich an die Reb heran, die ihm wohlgefiel und die nun bolzgrad, aber mit heiterm, fast gelächerigem Gesicht, vor ihm stand, wie eine starke Bachwuhr, die das Hochwasser erwartet. Und da waren sie auch schon gehörig aneinander und der rotlachte, frische Metzger hatte seine helle Freude an der hagelfluhkörnigen Art, an den halbabweisenden und aber immer mannhaft schreitenden, ja angriffigen Antworten der Reb. Das war ja ein Mädchen wie aus Holz geschnitzt, aber aus weißtannigem, ewiglebendigem Holz. Sie konnte es ihm alleweil besser. Und laut und lachend trieben sie's zusammen. Je stachliger sie sich anließ, desto weniger schien er von ihr loszukommen.

Der alternde Bäcker aber war zuerst mit dem Viehhändler und der gutaufgelegten Stolzernbase ins Gespräch geraten. Und wie er sich nun aufgeräumt, angelegentlich an Judith wandte, da ihm die breitschulterige, weichlinige Älteste ab der Ruchegg mit ihrem muntern, aber nie zu laut werdenden Tudichum, immer besonders gefallen hatte, sah er unversehens ein wohlgewachsenes Mägdlein, mit knisterndblauen Augen neben ihr stehen.

Lang, fast verwundert schaute er's an. Das mußte ja wohl des Stumpen Jüngste sein, das Röllchen, von dem ihm der Bäckergeselle berichtet hatte, was sie für ein umtunliches Geschöpf sei und wie sie ihn immer wieder mit irgendeiner Neckerei ein wenig zu plagen trachte, wenn er mit dem Brot auf die Ruchegg komme; wie sie ihm bald den Korb verstecke. Jüngsthin habe sie ihm gar ein Nest voll junger Krähen hineingetan.

Je länger er nach ihren blauen Augen sah, desto stiller ward der Bäcker, also daß er am Gespräch der andern nicht mehr soviel Anteil nahm wie vorher. Immer wieder mußte er das Röllchen anschauen, das ihn jedoch nicht recht zu beachten schien. Es blickte allweil ins Volk hinein, als suche es dort jemand. Ja, bei Gott, das war ein donnersnettes, um und um wohlgeratenes Geschöpf. Nein, neben dem konnte die Judith, die sich doch auch und wie! sehen lassen durfte, nicht bestehen. Diese letzte Stumpentochter war ja freilich nicht so gewichtig wie die Judith und ihre andern Schwestern oder gar so ewiglang wie die Mager, die in der Stube auf der Ruchegg immer gebückt umhergehen mußte, aber wenn sie auch keineswegs klein oder gar ein schmales Geißlein war, so sah sie doch leichter, behender und feinfädiger aus als ihre Schwestern. Das konnte man merken, obwohl sie sich jetzt kaum regte. Und was sie für ein Paar blaue Erzschalkenaugen hatte! Nein, wahrhaftig, ein verflixt hübsches, anmächeliges Weltskrötlein!

Und nun ermahnte sich der Bäcker, indem er rasch, heimlich seine grauen Haare an den Schläfen etwas mehr unter den Hut nahm und sich mit dem zutunlichsten Lächeln, das er konnte, ans Röllchen wandte.

Und siehe, er bekam auf seine Reden freundlichen, hellstimmigen Bescheid. Die hübsche Jüngste ab der Ruchegg zeigte sich ihm als ein witziges, liebenswürdiges Ding, wie er's im Tal, zu Erlenstalden und der Enden nicht gesucht hätte. Respekt vor dem alten Stump! dachte er. Der hatte ja wahrhaftig eine ganze Landesausstellung ansehnlicher, kräftiger und durch und durch bodenechter Töchter auf die Welt gestellt. Ein Herrgottsdonner war er doch, dieser doppelte Matthias, dieser kleine, zapplige und lärmende Hirte. Nun, da hatte er ja wohl, völlig unerwarteterweise, etwas entdeckt, was ganz sein Fall sein konnte. Etwas Wohlgewachsenes, Erdengutes, ein eigenschönes Landkind, das man noch haben und zurechtkneten konnte wie man's haben wollte und das sich bald ins Unterdorf des großen Dorfes eingewöhnen würde. Ja, Potzdonner, diesem Jüngferlein müßte seinem Bäckerladen und ihm erst recht, gut anstehen und wohlbekömmlich sein. Er war ja Witwer und hatte also freie Weide. Nein, so ein Fündlein! Ein Schleck war's!

Seine Blicke wollten nicht mehr vom Röllchen loskommen, während das jedoch, offen und verstohlen, bei aller Freundlichkeit und lächelnden Anmut, immer wieder von ihm wegsah. Und schon mit einem gewissen Mißvergnügen meinte er zu bemerken, daß ihre blauen Augen auf der unablässigen Suche nach irgend jemand zu sein schienen. Freilich konnte er sich ja täuschen. Sie blickten ja jetzt so kindlich, ländlich-einfältig um sich. Es war wohl nur bergländische Scheue, die ihm freilich bei den Stumpentöchtern etwas Neues, Ungewohntes war. Aber wie ungleich können doch die Hühner, ja sogar ihre Eier, geschweige die Leute sein.

Doch der Bäcker hatte einstweilen keine Zeit mehr, am Röllchen herumzudenken und zu werweisen, denn nun kam der alte Stump, den Kopf hoch und gradaus, mit beiden Armen rudernd, als müßte er den Landvogt Geßler über den wildgewordenen Bergsee führen, dahergegangen. Bei ihm waren der Präsident des Schützenbundes am Bärlauistock, der Kari Fuchs aus dem Obereigen, ein noch junger Bergler, der aber schon Gemeinderat, ja sogar Kantonsrat war. Obwohl der innerhalb durchaus Kirchweihstimmung hatte, ja Galopp tanzen ließ, meinte er doch, seiner Würden bewußt, ein ernsthaftes, vielbedeutendes Gesicht und Gehaben zeigen zu müssen. Auch der Lehrer von Erlenstalden schritt oder vielmehr er schob sich linkisch neben dem Stump her. Es war, als wüßte dieser Lehrer nicht, was er mit seinen Armen anfangen sollte, als suche er immer nach einem Nagel, an den er sie aufhängen und also losbekommen könnte. Auch hielt er den Kopf fast ängstlich geduckt, als ob er ihn hinterm hochgezogenen Rücken verbergen wollte.

Hinter diesen drein schlenderte, giltmirgleich das verwitterte, schmale und vertrunkene Gesicht, aus dem eine zerlutschte, lange Zigarre hing, vorwegend, der Spielaumichel. Er mochte wohl den Metzger suchen, dem er vielleicht etwas zuzuhalten, mit dem er ja auch immer etwas zu geschäften trachtete.

»Aha, jaso, den Weg!« rief der alte Stump herankommend aus, »da ist ja die ganze Stumpenfamilie und gar noch Bekannte aus dem großen Dorf, der Bäcker Burket und der Metzger Balz Schwitter, beieinander. Ja was, potz Strahlhagel, und die Base Anneseba aus der Stolzern ist gar auch da?! Jetzt ist's gut, das freut mich; heute wollen wir einmal eine Zeitlang zusammenhocken und wohlleben, Stolzernbase. Unsereiner kommt selten genug ab der Ruchegg und gar zum Festen. Aber dann, wenn's einmal an dem ist, dann wird zünftig gelebt, das sag' ich dir. Hingegen,« er wandte sich an seine Töchter, »ist mir da der Kari, des Martschen Fuchsen aus dem Obereigen, man soll ihm ja jetzt Kantonsrat sagen, zugelaufen. Er sucht euch, ihr Jungfern. Schade, daß er schon eine hat, sonst könnte er unter euch auslesen,« der Alte lachte kurz auf, »ich habe da ja einen ganzen Markt voll feil, aber freilich, die Judith könnte er nicht mehr bekommen.«

»Und mich auch nicht,« machte grob die Reb.

Der Metzger Balz Schwitter ließ ein Gelächter herausrollen.

Der Festpräsident des Schützenbundes am Bärlauistock und Kantonsrat von Erlenstalden, Hochsiten und Stagelrain, lachte auch ein wenig und sagte ruhig: »Das ist dumm, denn dich, Reb, hätte ich nicht zuletzt genommen. Wenn ich im Gemeinderat etwas mit dem Kopf nicht durchgesetzt hätte, würde ich dich geschickt haben. Ich wette was man will, daß du's von Hand gemacht hättest. Aber heute, nichts für ungut! könnte ich dich nicht brauchen. Ich und der Lehrer da suchen die Ruchegg Sulamith, denn sie hat noch alleweil während der letzten Jahre mitgetan, wenn wir ein Freischießen hatten. Und da wir Erlenstalder wissen, wie gut sie trifft, so wär's uns lieb,« er wandte sich an den aufmerksam gewordenen Salami, die wie ein doppelter, voller Mehlsack dastand, »wenn du heut auch mitmachtest. Ist ja kein offizielles Wettschießen, ist ein Freundschaftswettschießen. Da kannst du auch mittun und uns wie auch schon, zu Ehren helfen. Was meinst?«

»Allweg tu' ich mit,« antwortete der Salami, »da bin ich immer dabei, wenn's das Schießen betrifft. Und falls mir der Lehrer da bei dem ungewohnten Standschießen etwas an die Hand gehen wollte . . .«

Der angesprochene Schullehrer Beda Aloser begann sich unter den Sperberaugen des Salami und angesichts aller zu wenden und zu winden wie ein Wurm, dem man auf den Anfang oder aufs Ende getreten ist. Sein Gesicht, das aussah wie eine nasse Windel am Gartenhag, bekam den blassen Anflug eines martinisömmerlichen Sonnenlächelns. Und jetzt hob er die etwas verschwommenen, wasserblauen Augen schüchtern zum Salami auf und sagte mit molliger, stillgängiger Stimme: »Ja, Sulamith, ich tu's gern, wenn ich dir etwas helfen kann.«

»Ja, das glaub' ich,« machte die Reb.

Alle lachten und der Schulmeister ward auch um ein Fenster hellscheiniger.

Der alte Stump aber klopfte ihm auf die Achsel und rief aus: »Also, Schullehrer, Respekt vor dir! Du willst nicht bloß den Schulkindern, sondern auch dieser törichten Jungfrau da für Öl in die Lampe sorgen, denn wenn diese Jungfer Sulamith ab der Ruchegg nicht eine Törin wäre, würde sie nicht mit den Mannsleuten wettschießen, da das Männervolk einen festen Stand hat. Es ist freilich nicht das erstemal, daß du schießest,« redete er zu seiner Tochter, »aber, Maitli, grad viel hast du bis jetzt noch nicht herausgeschossen und wegen dem Dutzend gediegener Würste, die du im letzten Herbst vom Gerümpelschießen zu Hochsiten heimgebracht hast, brauchst du dich noch lange nicht für den Wilhelm Tell zu halten. Aber schieß meinetwegen, schieß! Denn das muß ich sagen, weder Fuchs noch Hase möchte ich auf der Ruchegg sein, wenn's dir einfällt mit deiner alten Jagdflinte im Wald umzugehen. Schieß, Salami! Nicht nachlassen gewinnt und am End' bist du auch eine Stumpentochter, und was das Redwerk anbelangt, muß dir auf ein paar Tage Umschwung keine kommen. Wer weiß, vielleicht hast du's dasmal, wenn auch nicht in der Hand, so doch in den Augen, denn für deine Augen gibt's weder Nebel noch Mauern.«

Die andern lachten, aber der Salami ließ sich das nicht stark anfechten. »Lacht ihr,« sagte sie, »es ist ja heute das Wetter dazu; jedes halbvolle Regengümplein macht ein gelächeriges Gesicht in der Sonne. Komm, Lehrer, wir wollen abfahren! Es ist jetzt grad schön windstill. Aber bevor ich mich ans Feuern mache, will ich noch einen Schluck Bier haben; das stählt mich. Schau', da drüben beim Stand gibt's einen ganzen Wagen voll.«

»Freilich,« warf der Spielaumichel ein, »jetzt hast du wieder recht, das weiß ich auch, denn wenn ich am Morgen früh hin- und herfackle wie eine lange Föhre im kalten Wind, wie ich ein oder zwei Gläschen Schnaps im Leib habe, stehe ich dir so stramm da wie ein Heiligenstöcklein am Bergweg.«

»Ja, ein sauberes Heiligenstöcklein,« rief die Base aus der Stolzern unwirsch aus. »Du bist schon mehr ein Marterbildnis vor Gott und Welt.«

Man lachte ein wenig.

»Brauchst aber auch nicht vor mir abzuknien, Bäuerin,« gab grinsend der Dolmetscher herum.

Die Reb und der Metzger ließen ihr Gelächter herauskollern.

Doch der Stump herrschte den schon etwas unsicher dastehenden Spielaumichel an: »Halt's Maul, du Heustöffel, du Landausspringer! Wohl, das fehlte jetzt noch, daß du deinen wüsten Schnapskennel in rechter Leute Unterhaltung hineinhängst.« Und ihm den Rücken kehrend, sagte er: »Schaut, da gehen sie nun mitsammen, der Schützenpräsident, des Martschen Fuchsen Kari, unser Schullehrer und mein Maitli. Mit Glück!« rief er den Abziehenden nach. »Und wenn du durchaus Löcher machen willst, Maitli, so schieß sie in die Scheibe und nicht in die Luft. Es brauchen ihrer ja nicht soviel zu sein wie die Herren vom Gericht in ihren Strümpfen gehabt haben, damals, beim Übergang über die Ruchegg. Sowieso hör' und merk' dir's: Beim Schießen heißt's die Augen auf und das Maul zu und nicht umgekehrt, verstanden!«

Der Salami wandte sich ein wenig und zeigte die Zunge, als sie gewahrte, daß ihr der Vater nicht mehr nachsah. Dann schritt sie entschlossen fürbaß, zur Seite des Festpräsidenten und gefolgt vom Schullehrer, der sich ihr sozusagen nachwand.

Der Bäcker Burket aber sah mit Verwunderung und großem Unbehagen, daß auch das Röllchen verschwunden war. Wie vom Erdboden verschluckt war's. Es mußte sich irgendwie gedrückt haben. Vielleicht war's ins Wirthaus zum Hirschen hinüber, um dort etwas zu essen, es ging ja um Mittag. Wahrscheinlich hatte es die Alte aus der Stolzern, die da wie eine umfängliche Laubkröte unter den Stumpen herumkroch, hingeschickt, ein Mittagessen für alle zu bestellen. Kurzum, als die Judith sich wegmachte, um den Viehhändler Tritsch, ihren Mann, der sich ebenfalls wieder verzogen hatte, zu suchen und der alte Stump lärmend mit der Base gegen das Wirtshaus hinaufbrach, schloß auch er sich ihnen an, hinter sich, in gutem Abstand, die Reb mit dem Balz Schwitter. Der Metzger redete lebhaft auf sie ein, aber sie verzog kein Gesicht, doch unversehens rollte immer wieder beider Gelächter im Tal herum.

Ihnen steckelte der Spielaumichel nach, in schweigendem, stillem Vorgenuß eines kostenlosen Gläschens Tresterschnapses oder gar eines Glases dickroten Welschweins. Immerhin grübelte er für alle Fälle seine letzten paar Batzen aus der Westentasche heraus, sie im Gehen auf der flachen Hand hin und herschiebend und schier andächtig zählend.

Als nun der Schützenpräsident und der Salami mit dem Schulmeister im Schießstand ankamen, erblickte die Stumpentochter zu ihrer Verwunderung ihre Schwester, das Röllchen, das fast zuhinterst, halb verborgen, beim Tschuppmoosbattisten Bändichtli stand. Er schien ihr das Gewehr, wohl sein Soldatengewehr, zu erklären und auch zu laden.

Aber der Salami erholte sich sogleich von ihrer Überraschung. »Aha, der Fratz, also auch schon,« machte sie in sich hinein. Da ward's ihr jetzt auf einmal klar, weswegen dieses Bürschlein, dieser Tschuppmoosjunge, so oft über die Ruchegg mußte, mit seiner Traggabel und woher der Durst kam, der ihn dann immer wieder an den Brunnen zwischen Haus und Stall zwang und weshalb alsdann die Jüngste so nach der Wassergelte zu ihr in die Küche und danach zum Brunnen hastete: »Schau', schau', dieses Röllchen hat sich auch schon einen gemerkt. Ja, meinetwegen. Mir kann's ja Wurst sein oder Salami. Sie soll mir nicht zuvorkommen, den meinigen hab' ich so gut als im Sack. Und eines Hühnerbäuerleins Buben, wie ihn sich dieser Rolli seltsamerweise ausgelesen hat, nähme ich sowieso nicht.«

Nämlich, das hatte der Salami schon eine Zeitlang heraus, daß der Lehrer ein Auge auf sie hatte, daß er sich ihr zu nähern suchte, wo immer es anging. Sie meinte zuerst, der scheue, wahrhaft erschrocken dreinblickende Mensch bleibe an der langen Mager, an ihrer Schwester, hangen, die doch auf der Vorkirche seine singende Fahrgeiß war, deren Stimme er hoch rühmte. Aber dann war sie an der letzten Fastnacht innegeworden, daß er nur alleweil sie anglotzte und daß ihm die Augen fast übergingen und schleimig zu werden schienen, wie eine Schnecke, die den Deckel abtut, wenn sie ihm einen guten Blick gab. Erst hatte sie über ihn lachen müssen, außerhalb und innerhalb erst recht, aber dann überlegte sie sich, daß dieser Schullehrer ihr folgen würde wie ihr Schatten, daß er sich in der Ehe von ihr bis zur silbernen Hochzeit völlig, wie ein Mundtuch bei den Herrenleuten, aufwellen und durch einen Ring stecken ließe. Wie er ihr damals im Wirtshaus gegenüber gekauert war, hatte er ja ausgesehen, wie einer, der sich immer aus einem Dornhag hinauslösen möchte und es nicht kann. Ganz dem Schaf glich er da, das die Stolzernbase auf einer Tafel an der Wand hatte und welches der Erzvater Abraham für seinen Sohn Isaak opfern mußte.

Sie hatte sich auch keineswegs getäuscht. Der noch ziemlich junge, wenn auch unscheinige Lehrer Beda Aloser war über alles Höhen- und unter allem Tiefenmaß in den Salami verliebt. Ein Stumpenmaitli hatte er sich als Ehefrau vorgenommen. An die Judith hätte er sich niemals hingetraut, die erschien ihm unerreichbar, zu blumig, zu ruhig-stolz. Die Mager, seine Vorsängerin mit den vielen prächtigen Haaren, die war wie eine nackte, schmale Föhre mit vollem, krausem Wipfel, ließ ihn auch nicht viel hoffen, denn sie redete immer von einem großen Dorf, in das sie am liebsten hineinheiraten würde. Freilich war ihm zuweilen, sie nähme ihn vielleicht doch nicht ungern. Jedoch als er sie daraufhin einläßlicher betrachtete, erfand er sie gar zu trocken, so daß es ihm schwante, er könnte mit ihr vierzig Jahre in der Wüste durchfasten müssen wie das auserwählte Volk Gottes. Aber die Reb, nein, vor der hatte er geradezu einen Schrecken, denn sie war ihm einmal, als er aus Versehen mit dem Schuh ihre Waden gestreift hatte, an der letzten Kirchweih im Schlüssel zu Stagelrain, also auf den Fuß und dessen zwei Elsternaugen getreten, daß er den siebenfarbigen Regenbogen jedesmal zwiefach nach allen Himmelsrichtungen hin aufscheinen sah, wenn er nur dran dachte. Behüte, nein diese Reb war auch gar zu hartschalig. Was aber das Röllchen anbelangte, so mußte er sich sagen, daß diese jüngste Hirtentochter ab der Ruchegg zu ihm noch ein Jahr lang vor nicht allzuferner Zeit in die Schule gegangen war, wo er sie nicht wie andere Leute Röllchen, sondern Rahel, ja sogar Rehlein genannt hatte. Nun, diese kam keinesfalls in Frage. Sie war noch gar zu jung. Zwar wußte er wohl, was für himmelblaue Schalkenaugen sie hatte, aber daneben war sie ihm doch noch zu wisplig und zu nichtsig, unscheinig. Er liebte im Grunde genommen das pralle, dralle Weibervolk, an dem alles mollig, wulstig wie verkühlte Lava, zu überlaufen, herabzufließen scheint. Also hatte er nun am Salami seine wohlbekömmliche Augenweide. Soweit auch die Sehnsucht ihm die Arme auftat, diese Stumpentochter vermöchte sie auszufüllen. Wie eine überhängende, sturzbereite Erdbreche kam sie ihm vor. Es kann sein, daß darunter bittere Kresse wächst, denn sie hat eine scharfgeschliffene Zunge. Doch was macht ihm das, er kann schweigen, was ja sowieso eines Landlehrers geschätzteste Tugend ist. Alsdann hat es ihm, neben den massenhaft vorhandenen Reizen der drittältesten Tochter des doppelten Matthias, auch noch ihr ausgesucht schöner Name Sulamith angetan. Das ist ihm wie alle Fenstergesimse voll schwerer Nelken und Geranienbüschel um ein breitausladendes Bauernhaus. Sowieso, die Ruchegg Sulamith oder keine.

Also hatte denn der Schulmeister Aloser, der für heute sogar als Festredner bestellt war, im Schießstand an seiner geliebten Stumpentochter eine schöne, ihn beseeligende Aufgabe zu lösen. Und da sie nun einmal, wie auch schon, nach alter Mütter Brauch, am freundschaftlichen Wettschießen mittun wollte, weil sie sich die paarmal, wo sie dabei war, als eine ziemlich sichere Schützin erwiesen hatte, war sie auch heute wieder willkommen. Ja, man war eigentlich froh um sie, denn die andern Vereine hatten ihre besten Schützen mitgebracht, während der Kranzschütze der Erlenstadler am letzten Frühling nach Amerika ausgewandert war.

Und der Lehrer tat was er konnte. Zum ersten besorgte er ihr ein paar Gläser Bier, die sie flätig herunterstürzte, denn sie war, wie noch gar viele, die vornehmlich in der Küche wirken, rasch durstig. Dabei hörte er still ihrem immerströmenden Redeschwall zu. Aber als er zu vermuten begann, daß ihr das angenehm sein könnte, half er ihr auf die Schießordnung, auf die Feldmusik von Stagelrain, auf die Zeiger, auf den Wind und was immer sie anredete, zu schimpfen, so weit er's, bei seinen nichts durchbohrenden Gefühlen, wagte. Wenn sie gar schoß, stellte er sich, von ihr aber etwa auch zur Seite gefaucht, stumm, andächtig wie eine Wachskerze, hinter sie und hielt den Atem an; ja, er betete um günstigen Wind und gutes Gelingen. Wenn dann aber die Zeigerkelle plötzlich auftauchte und Schüsse mitten ins Scheibenschwarze verkündigte, freute er sich mit ihr, ihre lärmende Freude jedoch bescheidenerweise mit lautlosem Schmunzeln begleitend, wobei sein Gesicht sich in Ringen auseinander zu lassen schien, wie ein stilles Wasser, in das ein Stein fällt.

Nach und nach machten sich auch andere, unter ihnen der Präsident des Schützenbunds, herbei. Also sahen sich der Salami und der Schulmeister bald von einer Schar Leute umgeben, die der drallen Stumpentochter mit vielem Interesse zuschauten und ihren Eifer und ihre Volltreffer lobten.

Während nun der Salami, sorglich betreut vom Schullehrer und begafft und begutachtet von einer Gruppe hemdärmliger guter Hirten, mit vielen Ausrufen und Reden ihre zwecksichern Schüsse abgab, mühte sich die blonde Rahel ganz zuhinterst im ungedeckten, offenen Umgang des Schützenstandes, unter der übereifrigen Beihilfe des Tschuppmoosjungen, wenigstens die Scheibe zu treffen. Aber nein, selbst das wollte ihr nicht immer gelingen. Ja, es gelang ihr sogar selten, denn des rothemdigen Zeigers unbestechliche Kelle winkte gar oft ab.

Aber das schien weder das Röllchen, noch seinen Gehilfen stark zu plagen. Es war vielmehr, als ob des lebhaften Mädchens Augen ihrem Beistand als eine Art Glücksscheibe dienten, denn sie waren fast immer ihm zugewandt und er schoß in einem fort seine feurigen Blicke hinein. Merkwürdig war hier nur, daß er zwar auch alle diese Schüsse ins Himmelblaue hinein abgab und daß doch jeder Schuß ein Fünfer und Zweckschuß ward. Es sah ganz so aus, als könnte ihm hier ein Kranz oder ein Kränzlein, wenn auch kein lorbeerenes, kaum entgehen.

Aber nachdem das Röllchen einen besonders unmöglichen Fehlschuß hoch über den Scheibenstand, ja wohl gar über die Höhen hinweg getan hatte, sah sie sich blitzschnell um und siehe da, obwohl der Schießplatz ringsum jetzt eine volksreiche Gegend war, brachte sie's doch fertig, dem Battisten Bändichtli einen geschwinden, falterflügeligen, seidenlinden Kuß auf eine völlig bartlose Backe zu tupfen, wovon diese Backe aber, ärger als vom giftigsten Mückenstich, plötzlich rot ward.

Als jedoch der überraschte Tschuppmoosjunge, sich auch umschauend, aber nicht so gründlich, ihr den Kuß zurückgeben wollte, und zwar auf den Mund, der ihn zu einem richtigen Zweckschuß gewaltig reizte, gelang's ihr, ihn noch rasch davon abzuhalten, indem sie ihn ein wenig in die Seite stieß und ihm zuraunte: »Der Martschenfuchsen Kari, unser Schützenpräsident, schaut uns zu! Ich gewahre ihn erst jetzt; muß ihn übersehen haben. Es ist mir, an seinem gespäßigen Lächeln an, er könnte uns schon eine Weile beobachtet haben. Gib also acht, Bändichtli! Du weißt, wenn's der Vater erführe, was wir hier für ein Schießen abhalten. Er will allweg keinen Hühnerbauern auf die Ruchegg. Mach', mach'!« hastete sie heraus, »reich' mir die Munition! Wir wollen weiterschießen, der neugebackene Kantonsrat da, der Kari Fuchs, kommt auf uns zu.«

Also betätigten sie sich wieder in der Schützenkunst. Und wie nun der Präsident des Schützenbundes am Bärlauistock zu ihnen trat und sie fragte: »Heda, so, so ihr zwei Ledigen, wie steht's mit euch, trefft ihr brav?« antwortete der Bursche ab dem Tschuppmoos: »Heja, mir ist's noch ordentlich geraten, denn ich hab' schon geschossen, aber dem Röllchen da will's nicht recht.«

Die wohlgewachsene jüngste Stumpentochter aber lachte harmlos auf wie ein Kind, das mit Marmelkügelchen auf der Landstraße spielt und sagte: »Ja, grad am besten geht's mir nicht. Oft schieße ich gar noch neben die Scheibe, aber,« machte sie ladend, ihr rotes Mäulchen wichtig schürzend, »ich glaube alleweil, die Sonne sei schuld, sie blendet mich sackerlots.«

»Ja, das kann schon sein,« meinte der Schützenpräsident mit wunderlichem Gesicht, in dem ein schelmisches Lächeln sich nicht völlig verbergen konnte, »es will mich bedünken, Ruchegg Röllchen, du tätest drum am liebsten gegen diese lästige, hellscheinige Sonne gutschließende Fälladen nach allen vier Himmelsrichtungen um diesen Winkel im Schützenstand herunterlassen oder nicht?«

Damit rückte er das Gewehr an seiner Schulter und machte sich von dannen.

»Ach herjee,« sagte halblaut das Röllchen, »nun hat's der Schuh da wirklich gemerkt, was mit uns los ist. Wir tun auch zu unvorsichtig, du gar,« und da zupfte sie aber den Bändichtli schon wieder flugs an seinen Ohrringlein.

»He, zum Kuckuck, einmal müssen sie's doch merken oder nicht? Einmal soll's doch die ganze Welt wissen dürfen,« redete er ernsthaft.

»Ja, jaha, aber jetzt noch lange nicht, Närrchen. Das sprengt nicht so. Wenn's jetzt auskäme, so daß es der Vater vernähme, so könnte ich das Bündel packen und irgendwohin ausziehen. Entweder er täte mich zur Base Anneseba in die Stolzern schicken oder gar über den Berg an den See hinunter in den Dienst zu dem Bauern, von dem er etwa Vieh in die Sömmerung nimmt. Er versteht schon auch Spaß, aber hier allweg nicht. Wir und das ganze Land weiß es, wie er's hat: Entweder sagt der Stump nein oder er sagt ja. Was er aber sagt, bleibt stehen wie ein Zaunpfahl, der bis in die Hölle hinuntergeht. Und weil ich fast gewiß bin, daß er eines Geißbäuerleins und nötigen Flickschusters Buben . . .«

Sie schwieg, da sie den Tschuppmoosjungen dunkelrot werden sah.

»Sei nicht bös, Schatz,« redete sie rasch. »Wir wollen über all das nicht weiter werweißen. Ist mein Vater der Stump auf der Ruchegg, so bin ich auch seine Tochter, wenn ich auch nicht ein Dengelhammer oder gar eine Axt bin wie die Reb. Einstweilen, wenn's jetzt dieser Kari Fuchs aus dem Obereigen auch gemerkt hat, bringt uns das noch lange nicht auseinander. Er ist ja wohl der erste und herumreden tut's der nicht. Das ist ein Mann wie ein Opferstock so verschlossen. Auch meine Schwester, der Salami, so räß und ungemütlich sie etwa ist und so heillosgern sie redet, verrät mich nicht. Da bin ich ruhig. In solchem halten wir Schwestern zusammen. Heraus hat sie unsere Liebschaft. Ich hab's ihr schon angesehen vorhin, aber da auch sie einem nachzieht, so hat sie gegenwärtig mit dem zu tun und alles andere ist ihr daher einstweilen hundewurst. Still, sag' nichts und schau' dich nicht um! Unsere Judith kommt. Sie hat, wie's scheint, den Viehhändler, ihren Baschitoni, immer noch nicht gefunden und doch sucht auch er nach ihr. Ich hab's schon gesehen. Hoffentlich kommen sie vor dem jüngsten Tag doch noch zusammen.« Sie lachte hellauf.

»Wart' nur,« warf er fröhlich ein, »bis es zunachtet, da finden sie sich im Dunkeln.«

»Geh weg, tu, als ob du zuschautest,« flüsterte sie.

Und kaum hatte er ein dürftiges Schrittlein rückwärts gemacht, sandte sie wieder aus seinem Militärgewehr eine Kugel über die ruhig, aber vergeblich auf sie wartenden Scheiben hinweg, in die friedlichen Wälder am Butzistock hinauf.


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