Bernt Lie
In Knut Arnebergs Haus
Bernt Lie

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XVII.

Der Fjord lag schimmernd blau zwischen den schneeweißen Ufern. Die Konturen der Berge hoben sich wellenförmig ineinander fließend, hie und da von einer steilen Zinne unterbrochen, klar und kalt von dem Winterhimmel ab. Die niedrigstehende Sonne glühte in den Fensterscheiben und entzündete einen goldigen Märchenglanz in den Gärten und Gehölzen, wo der Schnee dicht und schwer über den Zweigen und Kronen herabhing, so daß sie sich fast zu den hohen Schneewehen auf den Feldern herabbeugten.

Der Dampfer glitt in den Fjord hinein. Das Geräusch der hastigen, kleinen Maschine klang in der Stille wie ein Herzklopfen in das Bild hinein.

Knut stand mit Bergliot vorn am Bug des Schiffes. Sie hatte ihren Arm in den seinen geschoben und schmiegte sich fest an ihn. Die Thränen hingen schimmernd in ihren langen Wimpern, während sie hinausblickte, zu der niedrigen Landzunge hinüber, auf der die Kirche lag und wo das Dach der Landdrostei jetzt hinter dem winterlich weißen Garten auftauchte.

Knut hielt ihre Hand in der seinen unter dem Mantel; er stand sinnend da und sprach gedämpft auf sie ein.

»Hier ist es herrlich! Wie in einer großen, weißen Kirche. Wenn ich an alles denke, was wir erlebt haben, Bergliot, und an alle Orte, wo wir gewesen sind, – in Italien und den Ländern da draußen, an das Haus daheim und die Hauptstadt mit allen Menschen – obwohl ich hier ja nicht zu Hause bin wie du, so habe ich doch ein Gefühl, als kehrte ich heim. Heim in das Innerste, in die Kindheit, zu dem, was stille in uns bleibt, wie sehr man auch herumgetrieben werden mag, still und tief wie die Erinnerung an das Auge der Mutter. Es ist herrlich, hierherzukommen, Bergliot. Mit allem, was uns beiden gemeinsam eigen ist, – uns beiden, seit wir von hier wegreisten. Meine kleine Bergliot! Du hast mir so viele reiche Gaben geschenkt. Auch dies ist eine Gabe von dir an mich. Mein größter Schatz auf Erden! Ich liebe dich – – –«

Langberg ging in seinem schweren Pelz auf der kleinen Kommandobrücke auf und nieder; in schnellen, kurzen Wendungen stampfte er da herum; er hüstelte und räusperte sich und sandte von Zeit zu Zeit einen hastigen, fast scheuen Blick nach der Landzunge hinüber, wo, wie ihn: der Steuermann soeben gesagt hatte, die Landdrostei lag. Er konnte nicht umhin, sich ein klein wenig über die beiden da unten zu ärgern, – die ihn hier allein gehen ließen! Er hatte das Bedürfnis nach Gesellschaft – oder vielmehr, er mochte nicht allein sein – – –

Schon aus weiter Ferne sah er den Drost und Karen Ragnhild auf der Brücke. Er stand da und sah sie an, solange er glaubte, daß sie ihn nicht sähen. Sie wußten ja nicht, daß er mit kam, da fiel es ihnen nicht ein, nach der Kommandobrücke hinaufzusehen. – –

Er sah, wie sie Knut und Bergliot zuwinkten.

Er zog sich hinter die Brüstung zurück; jetzt waren sie ganz nahe, und er betrachtete Karen Ragnhild.

Sie war merkwürdig groß geworden. Und ganz blaß stand sie da mit ihrem Lächeln, – ihrem wärmsten Lächeln! Und doch lag etwas Fremdes, Ernsthaftes in ihren Zügen, etwas Müdes! Vielleicht war es das dunkle, eng anschließende Kostüm mit der Pelzjacke, das sie so groß und so erwachsen machte – – –

Sie stießen gegen die Landungsbrücke, und Langberg war nahe daran, die Kajütentreppe hinabzustürzen, als Bergliot hinter ihm herkam und ihn rief.

In hilfloser Verzweiflung wandte er sich um. Bergliot war aber schon weiter gelaufen. Er sah sie jetzt in den Armen des Drosten auf der Brücke. Knut stand daneben. Auch Karen Ragnhild hielt die Schwester umschlungen.

An ihn dachte niemand! Und doch mußte er sich ja nähern! Er machte sich eifrig mit dem Koffer zu schaffen – –

»Aber Langberg! Wo bleibst du nur eigentlich!« rief Knut mit seiner alles übertäubenden Stentorstimme.

Und dann stand er da und ließ sich die Hand herzlich von dem Drosten schütteln.

»Es ist mir eine große Freude, Herr Stipendiat, – sein Sie herzlich willkommen! Ja, dem Namen nach kenne ich Sie! Durch Bergliot und durch das Kind hier –« Der Drost gab Langbergs Hand frei und wandte sich an Karen Ragnhild.

Sie stand da, weiß wie der Schnee. Jetzt ergriff sie Langbergs Hand und lächelte, leichenblaß.

In aller Eile wurde das Gepäck besorgt, und man wanderte hinauf. Bergliot lief in ausgelassener Freude umher, hing bald an Knuts, bald an des Drosten Arm, oder sie preßte Karen Ragnhild an sich. Alle lachten und riefen und umarmten sich und trockneten sich die Augen – – Langberg hielt sich ein wenig zurück.

Plötzlich, eine kleine Strecke vor dem Hause rief Bergliot Knut ausgelassen zu:

»Wer kommt zuerst an, Knut!« Sie schlug ihn auf den Arm und eilte voraus. Knut war sein schwerer Pelz hinderlich. – – –

Der Drost wandte sich lachend nach Langberg um und setzte den Weg zwischen ihm und Karen Ragnhild langsam fort.

»Ja, – ich hoffe, der Herr Drost nehmen es mir nicht übel – daß ich – hm –«

»Nein, im Gegenteil! Und für Karen Ragnhild ist es ja eine große Freude – das weiß ich ja, – nicht wahr, Karen Ragnhild?«

Er sah sie von neuem an. Jetzt war sie dunkelrot. Dann sah er Langberg von der Seite an. Der ging und schwitzte, seine Lippen zuckten, und er bemühte sich, verbindlich zu lächeln.

Der Drost zwinkerte ein wenig mit den Augen. Dann blieb er plötzlich stehen und klopfte sich auf die Brusttasche:

»Da habe ich wahrhaftig vergessen, meinen Brief zu expedieren, – verzeihen Sie, Herr Stipendiat – es ist eine dringende Sache, – ich bin gleich wieder da!« Und damit eilte er den Weg wieder hinab.

Sie standen vor dem Gartenthor. Karen Ragnhild wollte gleich weiter gehen. Er aber blieb stehen.

»Sagen Sie mir, Fräulein Karen Ragnhild, – sind Sie mir böse, weil ich gekommen bin?«

Sie sah hastig mit großen Augen zu ihm auf, vermochte nicht zu antworten, schüttelte nur den Kopf.

»Ich, – ich will Ihnen nur schnell sagen, warum ich bat, mitreisen zu dürfen. Ich erhielt Ihren Brief. Haben Sie Dank, Fräulein Karen Ragnhild, – es ist der glücklichste Brief, den ich je im Leben bekommen habe.«

Sie sah abermals zu ihm auf und errötete.

»Und dann bin ich zu ihm gegangen. Und habe das Ganze erfahren. Ja, Fräulein Karen Ragnhild, – ich weiß alles.« – –

Jetzt wandte sie sich ab, den Kopf gesenkt, die Hände vor dem Gesicht. Er legte seine Hand leicht auf ihren Arm und sagte gedämpft, mit bebender Stimme:

»Ich weiß alles. Noch besser, denn je zuvor, weiß ich jetzt, – daß Sie das entzückendste Geschöpf – von allen Menschen sind, die mir vorgekommen, – das feinste und stolzeste Menschenkind! Und ich mußte hierher, um Ihnen das zu sagen, – um Sie wieder zu sehen, – das schönste, was ich sehen kann – das sind Sie für mich – –«

Sie sank im Schnee auf die Kniee, zusammengekauert in heftigem Schluchzen.

Langberg stand da und schluckte und rang mit den Thränen. Endlich gewann er die Herrschaft über sich:

»Sie haben mir früher gesagt, Sie glaubten, was ich sagte. Und da glauben Sie mir jetzt wohl auch. Und ich wollte so gern, daß Sie dies jetzt hören sollten, wo Knut und Ihre Schwester herkamen – – damit Sie wieder froh und glücklich sein könnten, wie Sie es immer sein sollen. Und nun – ja, nun könnte ich ja nur gleich wieder gehen –«

Plötzlich schlang sie die beiden Arme um seine Kniee und preßte den Kopf an ihn, während sie schluchzte.

»Aber wo bleibt Ihr nur?« rief Bergliot vom Hause her.

Karen Ragnhild erhob sich und rang ein Taschentuch in den Händen. Dann faßte sie ihn am Rockärmel und ging schnell mit ihm zusammen dem Hause zu.

Knut und Bergliot standen schon ohne Hut und Mantel auf der Diele, als sie kamen. Sie hielt ihn noch immer am Ärmel.

»Wo ist – Vater?« fragte Bergliot. – –

Aber Karen Ragnhild und Langberg eilten an ihr vorüber, die Treppe hinauf – –

»Als sei ihnen der Teufel auf den Fersen,« meinte Knut.

Bald darauf kam der Drost und fand Knut und Bergliot unten im Zimmer.

»Aber – wo sind denn Karen Ragnhild und der Stipendiat geblieben?«

»Die, – ja, die stürzten die Treppe hinan, – da war wohl etwas mit Karen Ragnhild nicht ganz in Ordnung, die Ärmste, – sie – sie weinte – – –«

»Du weißt, Langberg war ihr väterlicher Freund,« erklärte Knut, »und – –«

Der Drost ging mehrmals sinnend durch das Zimmer. Dann wandte er sich kurz um und ging hinaus. Sie hörten ihn die Treppe hinaufsteigen. Oben klappte eine Thür – –

Kaum eine Minute später war er wieder unten. Er stand wie aus den Wolken gefallen mitten im Zimmer.

»War – war der es?« sagte er und sah bald Bergliot, bald Knut an.


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