Bernt Lie
In Knut Arnebergs Haus
Bernt Lie

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XII.

Thomas Hageman schlenderte langsam den Weg entlang, er schwenkte den Stock hin und her, und alle seine Sinne waren den Reizen des strahlenden Herbsttages weit geöffnet. Tiefes Blau in der Luft, sattes Rot und Braun im Laubwalde, Schärfe und Klarheit in allen Linien und in allen Farben – – –

Es begegnete ihm niemand, denn es war Montag und noch früh am Nachmittage. Viel zu früh war es noch. Aber es war ihm unmöglich gewesen, zu Hause zu bleiben. Er mußte hinaus und den Weg zu ihr einschlagen, – zu Bergliot; selbst wenn er ganz langsam gehen mußte, um nicht zu früh zu kommen.

Er dachte an die unzähligen Male, die er diesen Weg zurückgelegt hatte, zu Bergliot hinaus. Und er trat leichter auf, atmete freier, sah klarer um sich, fühlte sich jünger, stärker denn je zuvor, weil er hier heute zum ersten Mal in voller Wahrhaftigkeit ging, sich selber klar bewußt, weshalb er hier ging.

Dann dachte er an seine gestrige Wanderung hierher. Da hatte er den andern, kürzeren Weg, den Alleroldsvej entlang, eingeschlagen. Und er erinnerte sich nicht der Herbststimmung, der Farben, der Luft von dieser Wanderung. Die Erinnerung, die ihm davon geblieben war, machte ihn erschauern, frieren, – er wollte nicht mehr daran denken.

Als er zu dem alten Wege unter dem Abhang angelangt war, sah er nach der Uhr. Es war erst vier. Und er ging noch langsamer. Da kam ihm ein Gedanke, – vielleicht war sie ihm entgegen gegangen! Und zwar auf dem andern Wege – –! Er fing beinahe an zu laufen!

Aber nein! Das sah Bergliot so gar nicht ähnlich. Er hemmte seine Schritte. Nein! Sie saß allein im Atelier und erwartete ihn. Ruhig und klar. Und sie würde ihn ohne Ausruf, ohne unkleidsame Aufregung empfangen. Entschlossen und stark, die ganze Seele gewaffnet und gepanzert, um allen Leiden und Kämpfen entgegenzugehen und darüber hinweg zu dem – Glück zu gelangen!

Und dann wollte er ihr seine große, flammende Idee mitteilen! Wollte sie von den schweren Gedanken des Leidens und der Unschönheit befreien, ihre Stirn glätten, ihre tiefen Augen in der Glut erstrahlen machen, die ihn schließlich berauscht hatte und es ihm klar gemacht – – –;

Daß sie ganz ruhig in drei Tagen mit ihm abreisen mußte, – sie sollte sich zu ihm in den Eilzug setzen und Tag und Nacht reisen, ohne anzuhalten oder sich umzusehen, bis sie in Troilly, dem kleinen Dorf in Süd-Frankreich, angelangt waren, wo sie unter Rosen erwachen würde!

Er fühlte, wie ihn die Kraft durchschwoll, die souveräne Manneskraft. Er wußte sich so stark in diesem Stolz, dieser Klarheit, daß er im Geiste sah, wie er sie in seinen Sattel hob und mit ihr über Länder und Meere und breite Flüsse dahinritt. Er sah sie den Kopf senken und ihren Willen unter die Macht des Lebens beugen, die ihr willensstark und befreiend entgegentrat!

Ja, er fühlte sich grenzenlos! Berauscht von seinem eigenen Leben, das endlich erwacht war, ihn endlich mit starken Armen ergriffen und ihn jung und frei gemacht hatte.

Aber er ging ja viel zu schnell! Es war jetzt erst halb fünf. Ruhig, ruhig! Und doch war es ja unmöglich einen solchen Jubel mit Ruhe zu tragen. Er stand still und sog die Luft in tiefen Atemzügen ein.

Er lächelte über sich selber. Noch gestern so ängstlich besorgt, sich in Entschlüssen zu berauschen, die das Mögliche überstiegen! So ängstlich besorgt, durch einen zu gewaltsamen Mut Zweifel in sich wach zu rufen! Diese drei Jahre – die Scheidung – der Urlaub!

»Der – Ur–laub!« sagte er laut vor sich hin und lachte. Eigentlich mußte Bergliot ihn ja auslachen mit seiner spießbürgerlichen Fürsorglichkeit!

Aber nein! Bergliot lachte nicht. Gerade das würde sie an ihm schätzen. Ja, – in Troilly, im Rosengarten bei Mère Gondrand, da konnten sie lachen!

Er sah sich im Walde um, – sah über die braunen Felder und auf die blaue See hinaus. Und er hielt Einkehr bei sich in einem tiefen, wunderbaren Gefühl des Glückes und der Dankbarkeit. Dies sollte er erleben, dies war ihm beschieden, – ihm, der so viele, viele Jahre daran gearbeitet hatte, es von sich auszuschließen, den freien, stolzen Rausch des Gebens aus seinem Sehnen auszuschließen! Aber er war ruhig bis in sein tiefstes Innere, denn er wußte, daß er in seiner Sehnsucht immer gelebt hatte, und daß sein ganzes Streben darin bestanden hatte, – nicht, es auszuschließen, sondern es hoch und stolz zu halten, bis es jetzt als das Höchste, Stolzeste an ihn herantrat: Bergliot!

Bergliot, so wie sie jetzt war. Nicht wie in alten Zeiten, als er sie auch geliebt hatte, – sie inniger geliebt hatte, als es ihm selber klar gewesen war. Jetzt wußte er, wie sehr er sie immer geliebt hatte! Aber welche Herrlichkeit hatte sie sich und ihm nicht gerade dadurch eingebracht, daß er sie in jenen Zeiten ausgeschlossen hatte!

Er ging weiter. Als er das Dach von Knut Arnebergs Haus erblickte, sah er wieder nach der Uhr. Es war gerade fünf, und er eilte vorwärts.

Es war leer und still. Schon aus der Ferne sah er die Atelierthür offen stehen.

Da drinnen saß sie! Er mußte sich Gewalt anthun, um ruhig zu gehen.

Vor der Thür blieb er stehen. Es herrschte Totenstille da drinnen. Vielleicht saß sie in ihrem Boudoir!

Er trat einen Schritt vor, stand in der Thüröffnung und sah hinein.

Unter dem großen Bilde von Bergliot saß Knut. Vor ihm auf dem Fußboden lag Bergliot auf den Knieen. Er beugte sich über sie, seine Stirn ruhte an ihrer Schulter. Und sie hatte sich an ihn geschmiegt und die Arme um seinen Nacken geschlungen.

Totenstille.


Thomas Hageman entfernte sich wieder.


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