Bernt Lie
In Knut Arnebergs Haus
Bernt Lie

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VI.

Doktor Prytz vertrat während der Sommermonate Direktor Bernholdt. Es gab nicht viel zu thun, da Bernholdts seine Patienten in Badeorten oder auf Reisen waren. Aber es war eine gute Empfehlung für den jungen Arzt, und außerdem hatte er die Verfügung über das Pferd, die Equipage und den Kutscher des Direktors.

Und an dem warmen Augustnachmittag hielten diese drei eleganten Gegenstände vor Frau Rebergs Haus am Parkwege.

Der alte Madsen auf dem Kutscherbock zog seine Uhr aus dem engzugeknöpften Livreerock. Jetzt hatte er dreiviertel Stunden gewartet. Das Aufblitzen der guten Laune, das Doktor Prytz klugerweise durch eine unverblümte Andeutung auf extra Verpflegung und ein gutes Trinkgeld hervorgerufen hatte, machte mehr und mehr den dunklen Betrachtungen Platz, die den alten Madsen beschäftigt hatten, seit er gestern Abend den Befehl erhielt, den Doktor und Frau Falck heute nach Holmenkollen zu fahren.

Mußte dies nicht von Rechts wegen dem Direktor berichtet werden als Übergriff von seiten des jungen Vertreters, daß er Pferd und Wagen und Madsen obendrein zu dergleichen benutzte! Noch dazu ohne jeglichen Vorwand. Also nur eine reine, unverhohlene Vergnügungsfahrt!

Auf Krankenbesuchen zu warten, daran war der alte Madsen gewöhnt. Nicht aber auf Damentoiletten! Und dies war denn doch zu arg. Bald war die Stunde um – –

Endlich that sich die Thür auf, und der alte Madsen erhielt einen so strahlenden Gruß von der Dame, während sie einstieg, daß er seine finstere Miene erhellen mußte, – obwohl ein solcher Gruß ja im Grunde kaum herrschaftlich genannt werden konnte!

Doktor Prytz rief lustig:

»Also zu dem nächsten Patienten, Madsen!« Er stieg ein, schlug seinen Frühlingspaletot ein wenig zurück und unter dem schützenden Halstuch schimmerte ein weißer Shlips über dem Manschettenhemd. Auch Lotte Falck öffnete ihren weiten Mantel bei der Hitze und es schimmerte darunter von Seide und entblößtem Busen.

»Herrlich, in einem solchen Wagen zu fahren!«

»Ja, so ist es, wenn man Direktor Bernholdt ist! Sitzen Sie gut, gnädige Frau?«

»Entzückend!« Lotte Falck lehnte sich zurück.

Der Doktor unterhielt sie lebhaft, erzählte von dem Direktor, sprach flüsternd über den alten Madsen, – war aber ziemlich nervös!

Und Lotte Falck schwelgte in seiner Nervosität. Sie wiegte ihre Sinne darin, wie sie ihren eleganten kleinen Körper in dem federnden Wagen wiegte. Sie kam ihm in der Unterhaltung nicht zur Hilfe, saß bequem mit einem leisen Lächeln da und genoß. – –Sie hörte eigentlich gar nicht, was er sagte. Der warme Sommerwind streichelte ihre erhitzten Wangen, wehte leicht durch den schützenden Mantel. Grüne Gärten, menschenleere Alltagsstraßen, Laternenpfähle, Straßenecken, – sie ließ alles mit dem ihr eigenen, leicht überlegenen halben Interesse flüchtig an sich vorübergleiten, – – und einen Augenblick dachte sie an das kleine schwungvolle Billet, das sie Langberg heute geschickt hatte, – mit dem winzigkleinen Hochmutsschnörkel am Ende, einem feinen, neckischen, triumphglitzernden Schimmer über dem Stil, – – das sie Langberg lesen, – wittern – ahnen sah, während er das seine dabei dachte!

Von Zeit zu Zeit drehte sie sich mit einem Ja oder Nein zu Doktor Prytz herum, während sie ihn dabei ansah, – kehrte aber sogleich wieder zu ihrem leisen Lächeln und ihrem Schwelgen zurück. Dies schwache Vibrieren in seiner sonst so ruhigen Stimme, die Anstrengung, die Unterhaltung während ihres wortkargen Lächelns im Gange zu halten, – – sie wiegte sich in Stolz und Wohlgefallen! Hier saß sie mit dem schönen, übermütigen Mann, den nach ihrer Pfeife tanzen zu lassen sie plötzlich an jenem Abend auf Knut Arnebergs Fest eine so unbezwingbare Lust erfaßt hatte. – – Diese ihre alte, fröhliche Lust, die nach all den bösen Jahren wiedergekehrt war, und zwar mit einem ausgelassenen Trotz, einem berauschenden Bedürfnis sich selbst zu vergewissern, daß sie ihr Rößlein noch mit ungeschwächter Meisterschaft ritt, – jung, verführerisch, siegreich! Ihn, ja gerade ihn! Einer der ersten von denen, die den Stab über sie gebrochen hatten, – ihn wollte sie fangen, blenden, blind machen, nach ihrer Pfeife tanzen lassen, – in die Kniee zwingen.

Und dann war es ganz allmählich dahin gekommen, daß sie mitten in ihrem stolzen Parforceritt doch anfing, sich weniger sicher in ihrem Sattel zu fühlen!

Eine Art gefährlichen Schwindels. – –

Wie hatte sie über Langberg hohngelacht, als er eines Abends gravitätisch erklärte:

»Sie sind in den Mann verliebt, Frau Falck.«

Und dann wußte sie im selben Augenblick, daß es wahr war.

Anfänglich war sie erschrocken und dann eine Zeitlang angsterfüllt. Nervös eifrig hatte sie Langberg aufgesucht und mit ihm Knut, hatte mit ihnen in deren Luft, in ihrer eigenen Luft gesessen, um sich klar und gesund zu erhalten, um ihre Erinnerungen frisch, ihre Wunden offen und die Angst vor neuen Qualen wach zu halten, um ihre schneidende, frische Kritik über ihn und alles, was ihn anbetraf, zu hören – – Allmählich in einem steten, versteckten Kampf mit Langberg – um ihn, mit jedem Tage sicherer werdend, mit jedem Tage unsicherer, denn bei der scharfen Beobachtung sah sie ihre Liebe wachsen, – sie lernte den schönen, übermütigen Mann kennen, sah seine Liebe zu ihr glimmen und zuweilen zu unbeherrschten Flammen aufzüngeln, halb widerstrebend im Kampf mit sich selbst, halb fast kindlich ehrerbietig, ungeübt, ungewandt. – –

Und nun saß sie hier im Wagen mit ihm, auf dem Wege zu diesem Diner auf Holmenkollen, das er, wie sie wußte, lange geplant aber nicht gewagt hatte – –! Und dieser schöne, übermütige Mann saß neben ihr, mit einem leisen Zittern in seiner ruhigen, selbstbewußten Stimme, und suchte nervös nach Worten, nach Worten, Worten, die ihm als letzte Decke seiner eigenen Ohnmacht dienen sollten, – denn es mußte ja kommen, – es würde geschehen sein, wenn sie in Direktor Bernholdts Wagen saßen und wieder nach Hause fuhren – – der Sieg – – der Jubel!

Sie wiegte sich, wiegte sich! – – –

»Aber Sie hören ja gar nicht, wonach ich Sie frage, gnädige Frau,« sagte Doktor Prytz endlich ganz gekränkt.

»Ich? Ja, – ich, – ach nein, – ich bin nur ganz bezaubert, wie schön es hier ist! Und sie wandte sich ihm lächelnd mit ihren strahlenden Augen zu, – »sehen Sie nur, wie wunderbar schön heute alles ist!« – –

Oben im Restaurant in einem kleinen Kabinett mit Balkon und Aussicht auf den Fjord stand der Tisch schon gedeckt.

Lotte Falck enthüllte ihre große Toilette. Doktor Prytz zog weiße Handschuhe an und führte sie zu Tische. Ein anständiges, im voraus bezahltes Trinkgeld bewirkte, daß die Bedienung tadellos, angenehm diskret und das Diner vorzüglich war.

»Ja, Sie mögen nun sagen, was Sie wollen, meine gnädige Frau, aber so schönes Eis würden Sie in Valders niemals bekommen haben!«

»Auch keinen Roederer! Davon bin ich fest überzeugt.«

»Wir haben ja freilich weder Herrn Abels Ästhetik noch die Genialität der jungen Herrn Maler – –«

»Ich gebe der Ästhetik des Champagners vor der des Herrn Abel den Vorzug!«

»Und ich dieser Genialität vor der aller Maler!« Doktor Prytz zeigte mit einer Handbewegung auf Lotte Falck und ihre Toilette. »Wir wollen auf unsere beiderseitige Zufriedenheit trinken, gnädige Frau! Sie haben den Champagner, und ich habe Sie! Und auf die in Valders pfeifen wir!«

Lotte Falck stieß ihr Glas gegen das seine.

»Und denken Sie nur, wie sie sich abgemüht haben, um da hinauf zu kommen! Und wir in des Direktors Wagen, – und mit Madsen!«

»Auf Madsens Wohl! Er ißt Braten und trinkt Bier in der Kutscherstube. Madsen ist nämlich Temperenzler. Er verdient, daß wir unser Glas auf sein Wohl leeren!«

Doktor Prytz hatte sein Glas schon sehr oft geleert. Er that es jedesmal mit einer sonderbaren Ungewandtheit, forciert, nervös.– – –

»Und Sie bereuen doch nicht, daß Sie diesen Sommer in der Stadt geblieben sind, gnädige Frau?« Es war das dritte oder vierte Mal, daß er diese Frage stellte.

»Nein, wie können Sie das nur denken! Außerdem wäre ja Mama nie so herrlich gesund geworden! Denken Sie nur, wie elend sie war!«

Der Diener servierte den Kaffee auf einem Tisch in der Balkonthür und rückte niedrige Sessel heran. Doktor Prytz zündete Lotte Falcks Cigarette und sich selber eine Cigarre an, nahm dem Diener die Benediktinerflasche aus der Hand und schenkte selber ein. Er leerte hastig ein Glas des gelben Liqueurs, und sagte endlich, als der Diener die Thür hinter sich geschlossen hatte, lustig lachend, aber mit hörbar bebender Stimme:

»Ich habe Ihnen noch ein kleines Bekenntnis zu machen, gnädige Frau!«

»Ein Bekenntnis! Das ist ja pikant!«

»Ja, – so beim Kaffee, wissen Sie,« –

»Da kommt einem das Bedürfnis, Bekenntnisse abzulegen – ?«

»Ja. Das heißt, wenn man sich in der richtigen Gesellschaft befindet.«

»Und ich bin die richtige Gesellschaft?«

»Ja, gnädige Frau! Sie gehören zu denen, denen man gern sein Herz ausschüttet. Mehr als die meisten Ihres Geschlechts.«

»So?«

»Sie, – Sie sind ja überhaupt eine Ausnahme, gnädige Frau.«

»Das haben Sie herausgefunden?«

»Ja! Sie sind so herrlich vorurteilsfrei – ja, überhaupt frei!«

»Ja, Gottlob. Frei bin ich. Diese Freiheit habe ich nur selber genommen. Und darauf legen Sie wirklich Wert?«

»Kolossal, gnädige Frau!«

»Ein großer Fortschritt! Auf Ihr Wohl, Herr Doktor!«

Sie stieß mit einem eigentümlichen Blick an.

»Und nun das Bekenntnis!«

»Ja. Ja, – sehen Sie, – Ihre Frau Mutter ist, – ist eigentlich gar nicht so sehr krank gewesen – –«

»Nein, aber sie bedurfte doch der täglichen Behandlung – –«

»Ja, sehen Sie, gnädige Frau, – ich glaube, offen gestanden, Ihre Frau Mutter hätte auch ohnedem fertig werden können.«

»Aber Sie sagten doch selber –«

»Ja, – das ist ja gerade mein Bekenntnis!« Doktor Prytz sah sie unsicher, mit einem nervösen, beinahe hektischen Lächeln an. »Daß ich Ihnen sagte, es sei erforderlich, daß sie, als Tochter, zu Hause blieben, und daß ich, als Arzt, jeden Tag käme. Es war nämlich durchaus nicht erforderlich. Ganz und gar nicht. Weder das eine noch das andere.«

Lotte Falcks Augen strahlten, während sie sich mit strenger Miene in ihrem Stuhl aufrichtete: »Sie haben also geradezu gelogen?«

,,Ja. Ich habe gelogen, gnädige Frau!«

»Und weshalb?«

»Weil mir der Gedanke so schrecklich war, den ganzen Sommer hier in der Stadt bleiben zu müssen, ohne auch nur einen Schimmer von Ihnen zu erhaschen – – –«

»Ich bin also das Opfer eines schändlichen Betrugs gewesen, wie man zu sagen pflegt?«

»Ja. Aber Sie bereuen es ja nicht, gnädige Frau!« – –

»Aber als Arzt – Sie selber! Sie haben Mama Tag aus, Tag ein Komödie vorgespielt! Das ist ja ganz unerhört!«

Lotte Falck lehnte sich in den Stuhl zurück und hob die Augen gen Himmel, hinter ihrer entsetzten Miene zitterte ein Lächeln, und der Glanz ihrer Augen zitterte, – ihr ganzes Wesen zitterte!

»Und denken Sie nur,« fuhr sie fort, – »jeden Tag ein ärztlicher Besuch, – was das kostet! Ein grenzenloser Betrug –!« Sie lehnte sich noch weiter zurück und sah zur Decke empor.

Doktor Prytz war aufgestanden, dunkelrot, mit flammenden Augen stand er da.

»Das kostet,« sagte er mit schwerer Zunge – »das kostet – – –« Er beugte sich über sie, faßte sie um den Nacken und die Taille und küßte sie auf den Hals, – wild, begehrlich saugend, während er ihren Busen gegen seine Brust preßte.

Lotte Falck schrie laut auf. Sie riß sich von ihm los, taumelte zurück, gegen die Wand, wo sie zitternd stehen blieb und ihn mit tiefem Schmerz über dem ganzen Gesicht, mit dem Schmerz eines zu Tode getroffenen Tieres, anstarrte. Dann setzte sie sich auf einen Stuhl an der Wand und barg den Kopf in den Händen.

Doktor Prytz stand ganz betroffen da. Er war erbleicht. Endlich näherte er sich ihr:

»Liebe Frau Falck – – –«

»Kommen Sie mir nicht zu nahe!«

Er richtete sich auf, warf den Kopf in den Nacken und sagte höhnisch:

»Sind Sie denn noch nie geküßt worden – meine gnädige Frau?«

»Gehen Sie, – gehen Sie, – holen Sie meinen Mantel!«

Brutal erwiderte er:

»Ich habe mit Fritz Brun zusammen studiert, meine gnädige Frau!«

Sie sprang vom Stuhl auf und sah ihn mit funkelnden Augen an; schwer rang sie mit sich, es gelang ihr, sich zu beherrschen, und leise, in gedämpftem Ton, sagte sie endlich:

»Da ist ein Unterschied, Herr Doktor, – Fritz Brun habe ich geliebt!«

Er zuckte zusammen, sah sie fragend an, – stand eine Weile regungslos da und wurde plötzlich dunkelrot. Sein Blick senkte sich, und ohne sie wieder anzusehen, verließ er das Zimmer.

Nach einer Weile kam der Diener und brachte ihr Hut und Mantel. Er meldete, daß angespannt sei.

Der Diener geleitete sie hinaus, Madsen hielt vor der Thür. Der Diener half ihr in den Wagen, schlug die Thür zu, und Madsen knallte mit der Peitsche.

Doktor Prytz war nicht zu erblicken.


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