Bernt Lie
In Knut Arnebergs Haus
Bernt Lie

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XI.

Am nächsten Vormittag überraschten Lotte Falck und Karen Ragnhild Bergliot mit einer Einladung auf Schokolade im Atelier. Sie kamen beide äußerst geschäftig in weißen Schürzen, hatten die Schokolade selber gekocht, Kuchen dazu gebacken und nun drinnen bei Knut gedeckt.

Knut hatte sein Bild signiert, und nun stand es dort groß und prächtig mitten im Atelier. Der festliche Tisch war davor gedeckt.

Lotte Falck hielt eine Rede auf Knut und das Bild – mit erhobener Tasse, und Knut antwortete gravitätisch. Er war angeregt und heiter, und Lotte Falck klatschte einmal über das andere vor Freude in die Hände:

»Ach Gott, wie gemütlich ist es hier doch bei euch!«

Karen Ragnhild schwatzte und lachte – ohne den forschenden Blick von Bergliot zu verwenden, die bleich und wie versteinert dasaß.

Während der Unterhaltung wurde ein Billet für Bergliot gebracht. Sie errötete und öffnete es.

»Nun? Was giebt's?«

»Ach, Thomas Hageman meldet sich nur zu heute Nachmittag um fünf Uhr an,« entgegnete Bergliot ruhig.

»Wie komisch!« sagte Karen Ragnhild. »Sich so förmlich anzumelden!« Sie sah Knut lachend an. Knut verfärbte sich, und Karen Ragnhild lachte nicht mehr.

»Das thut er wohl, um uns sicher zu Hause zu treffen,« meinte Bergliot. »Es ist ja ein langer Weg, – wenn man ihn vergebens macht.«

Aber die Stimmung war gestört. Bergliot saß nervös-unruhig da. Knuts Heiterkeit machte einen krampfhaften Eindruck. – – –

Als der Kaffee nach Tische getrunken war, ging Lotte Falck nach oben. Sie habe etwas zu nähen, was sich nicht für die eleganteren Gemächer des Hauses eigne.

Über Karen Ragnhild war eine sonderbare Unruhe gekommen. Sie war nicht im stande, Bergliot anzusehen, – die leichenblaß und schweigend mit brennenden, qualerfüllten Augen auf dem Sofa saß. Endlich setzte sie den Hut auf.

»Wo willst du hin?«

»Zu Nils Börge. Ich versprach ihm zu kommen.«

»So früh? Willst du nicht noch eine Weile hier bleiben? Dann könnten wir beide noch ein wenig zusammen plaudern.«

Es lag etwas flehendes in Bergliots Stimme. Karen Ragnhild konnte aber nicht bleiben. Sie ängstigte sich vor etwas, – was es war, wußte sie nicht! Sie konnte jetzt nicht mit Bergliot sprechen, – vielleicht wollte die ihr Herz ausschütten. – –

»Nein, du, ich muß gehen. Er erwartet mich.«

Und damit ging sie.

Bergliot begleitete sie ins Atelier hinaus. Dort stand Knut und ordnete den Pastellkasten. Bergliot setzte sich in eine Ecke.

Endlich war Knut fertig, er trat an den Riegel und nahm den Sommerrock herunter und setzte den Hut auf:

Bergliot sprang auf; aber sie besann sich und sagte einigermaßen ruhig:

»Du willst doch nicht gehen?«

»Ja. Natürlich will ich gehen.«

»Jetzt?«

»Ich will in die Stadt hinunter. Überrascht dich das?«

»Wir erwarten ja Thomas.«

»Wir?«

»Ja, ich sagte dir doch, – –«

»Daß er sich bei dir zu um fünf Uhr angemeldet habe, – ja! Ich erwarte ihn nicht.«

»Aber lieber Knut, das würde ja ganz wunderlich aussehen, – so demonstrativ – –«

Er wandte sich nach ihr um und sagte:

»Es würde viel demonstrativer aussehen, wenn ich bliebe. Und ich bin nicht für Demonstrationen. Adieu!«

»Aber Knut!« rief sie ihm ängstlich nach.

Er wandte sich nochmals um und sah sie kühl fragend an.

Da ergoß sich eine tiefe Röte über ihr Antlitz.

»Ja, geh' nur; geh' nur, Knut! Geh' du nur!« rief sie.

Er zuckte die Achseln und schritt durch die weitgeöffnete Thür.

Sie blieb stehen und preßte die Hände gegen den Kopf. Das war ihre einzige Rettung gewesen: nicht mit Thomas allein zu bleiben. Sie dachte einen Augenblick daran, selber fort zugehen. – – – Aber nein! Nein, und abermals nein. Dies mußte ein Ende haben. Sie wollte ihn sehen und er verdiente etwas besseres von ihr als eine feige Flucht! Ja, sie wollte ihn sehen! Und – – wie, – – das mußte der Augenblick entscheiden. Sie wollte es davon abhängen lassen. – – Jetzt hatte sie sich in Gedanken frei gemacht, – sie war frei in ihrer Wahl. Mit Knut hatte sie nichts mehr zu schaffen. Er war gegangen! Ihm schuldete sie nichts mehr. Jetzt wollte sie die Probe machen, wollte sich Thomas frei und offen gegenüberstellen und ihr Herz sprechen lassen, wie es fühlte. – – Ach, sie sehnte sich danach, sehnte sich, ihr Herz entscheiden zu lassen, – – einen Mann in Liebe entbrannt zu ihren Füßen zu sehen – – In Liebe! Sie fühlte sich so reich, so überströmend reich an Liebe! Ja, sie hatte unendlich viel zu geben, – es war nur in ihr zurückgestaut, so daß sie es vergessen, sich kalt und gefühllos geglaubt hatte – – aber sie war warm und reich, und sie brannte danach, sich hinzugeben – – – sie war heimwehkrank nach Liebkosungen, nachdem vollen, reichen Regen, der ihr verdorrtes Gemüt erquicken konnte. –

Sie brach plötzlich zusammen.

»Ach nein! Ach nein!« schluchzte sie laut wie ein Kind. Es verhielt sich ja alles so, nur daß es nie und nimmer Thomas Hageman gelten konnte, – – nie einem andern als Knut! Ihm gehörten alle ihre Erinnerungen, ihm verdankte sie die Fähigkeit zu lieben, für ihn entbrannte sie in Sehnsucht. Kein anderer als Knut konnte Leben in ihr erwecken – – in keines anderen Armen fand sie die Seligkeit!

Und Knut war kalt und verschlossen von ihr gegangen. Sein Herz war tot. Vielleicht hatte sie sein Herz nie ganz besessen, wenn er jetzt gleichgültig und höhnisch fortgehen konnte, wo er doch wußte, was –«

Entsetzt sprang sie auf und sah nach der kleinen Uhr auf dem Flügel:

Halb fünf!

Gott, mein Gott, jetzt kam er! Sie sollte ihm entgegengehen, – dies Schreckliche noch einmal wieder erleben, – ach, sie fühlte die Schande noch ebenso brennend, sie war auch nicht um eines Haares Breite davon entfernt. Die Schande! Die Schande! Und sie sollte ihr wieder von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen, – allein! Ganz allein! Gott im Himmel, wie war sie doch allein!

Sie stand still: Es war ihr, als höre sie ein Geräusch oben von der Galerie her – – Da fiel ihr ein, daß Lotte ja da war! Sie wollte Lotte herunterholen, sie anflehen, nicht von ihr zu gehen, – bei ihr zu bleiben!

Sie stürzte die Treppe hinauf.

Oben angelangt stieß sie einen wilden Schrei aus. Vor der Thür, gegen das Geländer gelehnt, lag Knut auf den Knieen.

Er erhob sich langsam. Es herrschte Halbdunkel dort oben; aber die Blässe seines Antlitzes leuchtete durch die Dämmerung hindurch.

Ein paar Sekunden standen sie einander gegenüber. Dann ging Knut an ihr vorüber die Treppe hinab. Sie folgte ihm langsam; an einer der untersten Stufen blieb sie stehen. Sie hielt sich krampfhaft am Geländer fest, während sie ihn anstarrte.

Knut war in die Mitte des Zimmers getreten. Dort stand er halb von ihr abgewandt. Sein ganzer riesenhafter Körper bebte. Er wandte sich ihr zu und wollte sprechen, vermochte es aber nicht. Er bohrte die beiden geballten Fäuste gegen die Augen und fing an zu gehen, blieb aber schon nach wenigen Schritten stehen. Die Brust wogte, und über das leichenblasse Gesicht ergoß sich eine tiefe Röte wie eine Flut. Die Adern in seiner Stirn schwollen an. Er rang gewaltsam mit sich, – versuchte nochmals sich ihr zuzuwenden und zu reden, aber seine Kraft war erschöpft.

Mit einem heisern Schrei brach er in Thränen aus. Er stand noch immer mitten im Zimmer, das Gesicht mit beiden Händen verdeckt; sein Körper erbebte unter krampfhaftem Schluchzen, während die Thränen unaufhaltsam flossen, – wunderliche Laute wie das Gebrüll eines verwundeten Tieres, unartikuliert und schrecklich, drangen an Bergliots Ohr.

Bergliot stieg die letzten Stufen hinab und näherte sich ihm, angstvoll starrend – – –

Aber mit einer Riesenanstrengung gewann er die Herrschaft über seine Thränen. Er sah ihr mit großen, weitgeöffneten Augen ins Gesicht und sagte – beinahe kindlich:

»Ich sterbe daran, Bergliot!«

»Knut! Ach, Knut!«

Sie breitete die Anne weit aus.


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