Bernt Lie
In Knut Arnebergs Haus
Bernt Lie

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XIII.

Bergliot saß auf Knuts Schoß, ihr Kopf ruhte an seiner Brust, von seiner großen Hand beschattet, als vorsichtig an den Pfosten der Ateliertür gepocht wurde, Sie hörten es beide nicht. Es pochte von neuem und nochmals, lauter.

Da fuhren sie in die Höhe, auseinander.

Doktor Fritz stand in der Tür und sah ganz unglücklich aus. er kam indes herein, ohne dass ihn jemand gebeten hatte näher zu treten.

»Verzeihung, gnädige Frau! Verzeihung, Herr Arneberg! ich bin aufdringlich. Aber ich, – ich kann nicht anders. Guten Tag, gnädige Frau! Guten Tag, Herr Arneberg!«

Sie reichten ihm beide die Hand. er redete weiter, ehe sie zu Worte kommen konnten:

»Ich komme, um Sie zu fragen, ob Frau Falck zu Hause ist? Sie wohnt doch hier?«

»Ja,« sagte Knut. »Frau Falck ist auf einige Tage unser Gast.«

»Ist sie zu Hause?«

»Ja,« sagte Bergliot.

»Ich weiß, Herr Arneberg, daß Sie neulich abends meine Einladung auf Frau Falcks Wunsch ablehnten. Weil sie mich ungern treffen wollte. Ja, ich bin mir ziemlich klar darüber, daß Frau Falck hier hinausgezogen ist, um mir besser aus dem Wege gehen zu können. Und nun bitte ich Sie und Ihre Frau, lassen Sie mich Frau Falck hier bei Ihnen sprechen. Es mag Ihnen sonderbar erscheinen, und ich kann Ihnen keine andere Erklärung geben, als daß es ganz notwendig für mich ist, mit Frau Falck zu sprechen. Ich habe gethan, was ich konnte, – und auch was ich nicht konnte, – um dies zu erreichen. In wenigen Tagen gehe ich von hier fort. Vorher aber habe ich Frau Falck etwas zu sagen, was sie anhören muß, – um ihrer selbst willen. Ich kann Sie nur auf mein Wort als Gentleman versichern, daß ich um Frau Falcks willen hier in Ihr Haus einbreche. Um meiner selbst willen hätte ich es nicht gethan. Darf ich Frau Falck dort aufsuchen, wo sie ist?«

»Wo ist Lotte denn?« fragte Knut.

»Sie sitzt in ihrem Zimmer,« sagte Bergliot.

»Wollen Sie mir sagen, wo ich ihr Zimmer finde? Und wollen Sie mich allein hinaufgehen lassen? Die Sachen liegen nämlich so, daß ich nicht wage, mich melden zu lassen. – – Ich bitte Sie hierum, – Herr Arneberg – als – verzweifelter Mann, – der kein Mittel scheut –«

»Ja, lieber Herr Doktor –« sagte Knut zögernd.

Bergliot aber trat einen Schritt vor und sagte:

»Sie gehen die Treppe hinauf, durch die Thür da oben, durch das erste Zimmer und auf den Gang dahinter. Die Thür, die geradezu liegt, führt in Lotte Falcks Zimmer.

Doktor Prytz ergriff Bergliots Hand, hielt sie einen Augenblick in der seinen, bemühte sich etwas zu sagen, ließ es aber bei einem dankbaren Blick bewenden. Dann ging er die Treppe hinauf. Er fand sich oben zurecht und klopfte an Lotte Falcks Thür.

»Herein!« klang ihm eine Stimme hell und munter entgegen. Und als er eintrat, sah sie lächelnd von ihrer Arbeit auf.

Im nächsten Augenblick aber stand sie aufrecht da, so weiß wie die Leinwand, an der sie nähte. »Guten Tag, Frau Falck!«

»Wie können Sie, – wie wagen Sie es nur!«

»Ich muß mit Ihnen reden.«

»Sie haben mir nichts zu sagen, – ich will nichts hören.«

Sie ging schnell auf die Thür am entgegengesetzten Ende des Zimmers zu.

Doktor Prytz trat einen Schritt vor.

»Frau Falck!« rief er.

Sie stand still und wandte sich um.

»Das müssen Sie nicht thun, sagte er flehend und ruhig. – Sie müssen doch einsehen, daß, wenn ich auf alle mögliche und unmögliche Weise gekämpft habe, um Ihnen zu begegnen, – und nun schließlich hier, in diesem fremden Hause stehe, da sehen Sie, gnädige Frau, da werden Sie doch wohl begreifen, daß Sie nicht zur Thür hinausgehen dürfen! In zwei bis drei Tagen verlasse ich die Stadt; und dies soll das letzte Mal sein, daß ich Sie mit meiner Person belästige. Aber dies eine Mal müssen Sie mich anhören!«

Sie stand mitten im Zimmer und wurde abwechselnd rot und blaß. Doktor Prytz stand mit stehender Gebärde an der Thür.

»Wollen Sie sich nicht dort auf jenen Stuhl setzen, gnädige Frau! Daraus will ich ersehen daß Sie mich anhören wollen!«

Sie setzte sich mechanisch. Er trocknete den Schweiß von der Stirn.

»Haben Sie Dank, gnädige Frau,« sagte er. »Ich komme, um Ihnen zu sagen, daß ich mich unsagbar über mein Benehmen gegen Sie schäme. Von dem Augenblick an, als Sie mich verließen, hat in meinem Innern ein Feuer der Scham gebrannt. Das habe ich mir ehrlich und redlich selber geschaffen, folglich auch verdient. Es ist nicht meine Absicht, Hilfe dagegen zu suchen. Ich bitte Sie nicht um Verzeihung, denn Sie können mir nicht verzeihen. Aber ich bitte Sie um Erlaubnis, Ihnen sagen zu dürfen, daß mich dies zu einem besseren Menschen gemacht hat, daß Sie, Frau Falck, das Wesen sind, dem ich in meinem Leben am meisten verdanke. In erster Linie durch all das Schöne, das Sie mich im Verkehr mit Ihnen erleben ließen, – vor – ja, vor diesem Unglückstage. Mir ist nie im Leben etwas Ähnliches zu teil geworden, Und ich glaube, es hat mich förmlich berauscht. Denn ich war ja ein dummer, jämmerlicher Kerl! Ich begreife nur nicht, daß ich mich so lange habe zusammennehmen können, – denn ich liebte Sie ja, Frau Falck! Ich liebte sie ehrlich und aufrichtig. Ich weiß nicht, ob Sie sich der Geschichte von dem Spiegel des Teufels entsinnen? Mir war ein Splitter von dem Teufelswerk in das Auge geflogen. Und hätten Sie mich damals tot geschlagen, ich hätte mich nicht beherrschen können! Aber das hat seinen Grund in der schrecklichen Gemeinheit, die uns Männern in die Natur gelegt ist. Von Klein auf an. Und ein Mensch wie ich, der geht sorglos und selbstzufrieden umher und glaubt wunder, welch Prachtkerl er ist! Auf andere Gedanken bin ich gar nicht gekommen! Und dann traf ich Sie, – und verliebte mich so tödlich in Sie und fand Sie so strahlend und so eigenartig – – ja, ich bedurfte eines schärferen Fegefeuers! Und das ward mir zu teil. Die brennende Scham, meine ich. Denn etwas Ähnliches von Scham giebt es gar nicht wieder. Aber jetzt spricht noch etwas anderes aus mir zu Ihnen. Sonst wäre ich gar nicht gekommen. Ich hätte Ihnen ja auch schreiben können. Aber mich zwang ein gewisses Etwas, Ihnen vor die Augen zu treten. In mir lebt ein anderer Mann, feiner, edler, und den können Sie getrost anhören. Und den mußte ich Ihnen zeigen. Eigentlich hauptsächlich um Ihrer selbst willen. Damit Sie wissen sollten, daß der Mann, dem Sie so lange vertrauten, dem Sie schon Ihre Nähe zu teil werden ließen, wirklich noch eine bessere Seite hat, nicht ausschließlich die übertünchte Roheit war. Ich dachte, es müßte Ihnen lieb sein, das zu wissen. Und ich konnte Sie nicht davon überzeugen, ohne Sie persönlich zu sprechen. Vielleicht glauben Sie mir trotzdem nicht. Das würde unsagbar traurig für mich sein, aber ich muß mich natürlich darin finden. Ich habe beschlossen, die Stadt zu verlassen. Ich habe eine Praxis auf dem Lande übernommen, an der Westküste. Vielleicht ist Ihnen das ein Beweis, der für mich spricht. Sie wissen ja, wie gut ich hier vorwärts kam. Ich hatte die besten Aussichten auf eine Universitätscarriere. Aber es nützt nicht, daß ich mit all dem neuen, was ich gelernt habe, in dieser alten Umgebung weiter lebe. Ich werde jetzt förmlich krank, wenn ich all die Gemeinheit rings umher höre und sehe. Eine großartig angelegte Natur wäre vielleicht gerade hier geblieben und hätte es als Mission betrachtet. Aber dazu bin ich nicht geschaffen. Ich muß fortgehen und Mission an mir selber üben. Man kann daran oft genug zu thun haben. – –

Ja, gnädige Frau, nun gestatten Sie mir vielleicht, Ihnen zu danken, daß Sie mich gelehrt haben, dergleichen Dinge als einigermaßen anständiger Mensch anzusehen!« – – – –


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