Bernt Lie
In Knut Arnebergs Haus
Bernt Lie

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XVI.

Als Langberg um zehn Uhr abends zum fünften Mal im Laufe des Tages an Nils Börges Thür den Bescheid erhielt, daß dieser nicht zu Hause sei, ließ er sich in sein Zimmer führen, um auf ihn zu warten. Das Mädchen zündete die Lampe an, und er schlenderte eine geschlagene Stunde in dem Zimmer auf und nieder.

Endlich kam Nils Börge.

»Guten Abend! Sie hier, Langberg!«

»Guten Abend! – Danke, ich will mich nicht setzen. Ich habe Ihnen sehr viel zu sagen.«

Er wartete, bis sich Nils Börge seines Überrockes entledigt hatte.

»Nun?« fragte Nils Börge endlich munter und wandte sich nach ihm um.

»Ich komme, um Ihnen, Herr Nils Börge, zu sagen, daß Sie ein niederträchtiger Schurke sind, den ich, wenn Sie nicht so ein Rindsvieh wären, wie Sie es sind, mit diesen meinen Fäusten durchprügeln würde, verstehen Sie – bis keine Stelle an Ihrem Körper mehr heil wäre –«

Nils Börge trat einen Schritt näher. Seine schwere, schwarze Gestalt wurde noch schwerer, noch schwärzer, er richtete sich auf und runzelte die Brauen.

»Ich hab' doch, hol' mich der Teufel – »Ja, giebt es einen Teufel und giebt es eine Höllenqual, dann ist Ihnen beides sicher. Denn Sie sind ein Verbrecher vor Gott und den Menschen.«

»Was nehmen Sie sich heraus, mir hier zu sagen –«

»Was haben Sie sich herausgenommen, mit Fräulein Karen Ragnhild Finne anzufangen!« schrie Langberg. Schiefschulterig und lang, die Brille in der Hand, mit funkelnden Augen stand er da.

Nils Börge errötete, aber ruhig und mit höhnischer Stimme erwiderte er:

»Was geht das denn Sie an, Herr Stipendiat?«

»Was das mich angeht! Es geht mich genau so viel an, wie es jeden ehrlichen Menschen angeht, Ihnen zu sagen, welch ein Lump, welch ein brutaler Verbrecher Sie sind. Sie haben es gewagt, Ihre freche Hand an ein feines, und entzückendes junges Mädchen zu legen, an eine wunderbare Schöpfung Gottes, die Sie in Ihrer grenzenlosen Roheit an sich gelockt haben. Sie – Herr Dichter Nils Börge, Sie haben die Ehre, ohne alle Ahnung zu sein, welchen Eindruck das reine, unschuldige kleine Wesen auf alle machte, die nicht wie Sie ohne jede Ritterlichkeit, ohne das leiseste Verständnis für Liebreiz und Heiligkeit waren. Sie haben nicht geahnt, daß Sie in tiefer Beschämung von ihr hätten gehen sollen, schamrot, daß Sie jemals daran hatten denken können, ihr ein Leid zuzufügen.«

»Sie reden wie ein Buch, Herr Stipendiat. Aber ich sehe mich trotzdem genötigt, Sie aus meinem Hause zu werfen. Was zum Teufel giebt Ihnen das Recht, mit Ihrem wahnsinnigen Blödsinn bei mir einzubrechen?«

»Recht! Wohl habe ich ein Recht, Herr Nils Börge. Ich habe das große und warme Recht – daß ich diese junge Dame liebe. Hören Sie es, ich liebe sie, so gewiß wie ich sie bewundere und hoch und heilig halte. Und ich habe zugleich auch das Recht, daß sie mir einen Brief geschrieben hat, in dem sie mir erzählt, daß Sie ihr ein Leid zugefügt haben!«

»Ich soll ihr ein Leid zugefügt haben! davon weiß ich nichts!«

»Nein,« rief Langberg in höchster Verzweiflung. »Sie wissen nichts davon! Aber ich weiß es, denn ich kenne Sie, – ich kenne euch, wie ihr seid, ihr elenden Halunken, die ihr hier in eurer widerwärtigen Roheit einhergeht und eure eigene schmutzige Seele in reine und feine Frauen legt. Sie kennen so ein junges Mädchen blitzwenig, wenn Sie glauben, daß sie sich Ihnen aus demselben Triebe und demselben Verlangen hingiebt, wie Sie in ihrer schmutzigen Seele und Phantasie leben! Sie machen sie zum Gegenstand eines gemeinen, verbrecherischen Überfalls. Das thun Sie! Sie locken sie mit allerlei gemeiner List, von der sie in ihrer Unschuld keine Ahnung hat, an sich heran. Und wenn Sie dann die Luft um sie her hinreichend schwül gemacht haben, da können Sie sie überrumpeln, – denn dann ist sie wehrlos, weiblich und menschlich wehrlos, – und da glauben Sie in Ihrer tierischen Brutalität, daß sie – sich Ihnen hingiebt! Ja, daß sie erreicht hat, was sie ebenso heftig ersehnt hat wie Sie, – daß Sie ihr wohlgethan haben! Ja, Sie sind ein Lumpenkerl von Dichter, das ist die Sache, ein Lumpenkerl, der nicht das Recht hat, seine Feder und seine plumpe Phantasie auf Frauen anzuwenden, weil diese keine Ahnung davon haben! Ich weiß nämlich, daß Sie ihr ein Leid angethan haben. Ich habe einen Brief von dem unglücklichen kleinen Mädchen erhalten, sie schreit zu mir in ihrer Not und ihrem Leid. In Not und Leid haben Sie sie gebracht, Sie haben ihre reine Seele befleckt und Finsternis über ihr Leben verbreitet. Das ist die Wahrheit von dem Mädchen, das Sie verführt haben – –«

Nils Börge stand leichenblaß da. Jetzt trat er einen schritt vor und packte Langberg beim Arm.

»Halten Sie inne, Mensch!« sagte er in starkem, ernstem Ton. – »Sie irren!«

»Bei dem lebendigen Gott –«

»Halten Sie inne, sage ich! Sie erzählen mir, daß Sie Fräulein Finne lieben?«

»Ja. Und –«

»Und Sie glauben, daß ich sie verführt habe?«

»Glaube – –!«

»Ich habe es, das will ich nicht leugnen, einmal vielleicht gewollt. Ich kann Ihnen die erfreuliche Mitteilung machen, daß es niemals geschehen ist. Hat sie Sie etwas Ähnliches verstehen lassen, so ist das ihre aufgeschreckte Phantasie. Am letzten Tage, als Fräulein Finne hier war, habe ich sie gegen ihren Willen geküßt. Sie erschrak so sehr darüber, daß sie in wilder Flucht vor mir enteilte. Das ist das ganze. Hätte ich geahnt, daß diese kleine komische – und allerdings ziemlich peinliche Scene einen so überwältigenden Eindruck gemacht hatte –«

Langberg stand wie versteinert da.

»Ist – ist es wahr, was Sie sagen?«

»Freilich ist es wahr!« erwiderte Nils Börge mit einem Anflug von Lächeln. – »Sie haben mir ja allerdings die fürchterlichsten Namen gegeben. Vielleicht habe ich allerlei davon verdient. Aber ich habe Ihnen nichts vorgelogen.«

Langberg setzte die Brille auf und starrte ihn an. Plötzlich stampfte er auf den Fußboden und rief:

»Aber wie konnten Sie nur darauf verfallen, so etwas zu thun!«

Da lächelte Nils Börge.

»Weiter geht meine Pflicht, Rechenschaft abzulegen, nicht.«

»Hm, – nein, – nun ja, es ist auch schließlich einerlei. Adieu, Herr Börge. Es war ja ein großes Glück, daß ich Sie getroffen habe!«

»Adieu, Herr Stipendiat! Nils Börge streckte die Hand aus. Langberg besann sich einen Augenblick. Dann drückte er hastig die dargebotene Hand und ging.

Auf der Straße trieb er sich in dem dichten lautlosen Schneefall eine Weile ziellos umher.

Er sah nach der Uhr. Es war zwölf. Dann wandte er sich um und schlug die Richtung nach Hedels' Hause ein. Da war ja Kindtaufe, und das hatte er ganz vergessen! Und das Papiermesser lag zu Hause auf seinem Tisch! –

Nach einer kleinen Weile befand er sich auf dem Wege zur Stadt hinaus, bergan zu Knut Arnebergs Haus. – – –


Als Knut und Bergliot die Straße hinangefahren kamen, ging eine schwarze Gestalt in dem Schnee stampfend vor der Atelierthür auf und nieder.

»Mein Gott, wer ist denn das?« flüsterte Bergliot ängstlich.

»Wer ist da?« rief Knut.

»Diebe und Räuber in deinem Haus, Knut Arneberg!«

»Aber Langberg!«

Sie waren beide mit einem Sprung aus dem Schlitten heraus, und bald saßen sie drinnen in dem warmen Atelier um die Lampe. Bergliot wärmte schnell Wasser aus dem Spiritusapparat, Whisky und Zucker wurden herbeigeschafft – und Langberg mischte sich einen großen, dampfenden Grog.

»Du kannst dir durch solchem Unverstand den Tod holen, Mensch!«

»Ja, sehen Sie, gnädige Frau, ich rechnete mir aus, daß Sie vor dem Zubettgehen noch eine Viertelstunde bei einander sitzen würden – und da – –«

»Jetzt müssen Sie keine weiteren Entschuldigungen machen, Langberg, sonst werde ich böse auf Sie! Dies ist ja das Gemütlichste, was man sich denken kann! Und ich bin nicht im geringsten müde! Sehen Sie nur!«

In ihrer prachtvollen Dinertoilette tanzte Bergliot ihm einige Menuettschritte vor.

»Ja, trinke nur so viel Heißes, wie du kannst!«

Ein wenig unruhig und nervös saß Langberg da; bald ungeheuer ernst, bald mit einem verschmitzten Lächeln. Knut und Bergliot drangen mit keinerlei Fragen in ihn, erzählten nur alles mögliche von der Kindtaufe. – – –

»Ja, und dann ist die Sache ja die,« sagte Langberg endlich, nachdem er sich kräftig geräuspert hatte, – »daß ich natürlich einen ganz besondern Grund zu meinem Auftreten auf diesem Schauplatz zu so später Stunde habe.«

»Nun? Du wolltest gewiß einen steifen Grog haben!«

»Ja. Ach ja! Aber ich hatte doch noch einen Nebenzweck – außer dem Grog, den ich ja allerdings etwas näher hätte haben können als hier oben im Walde. – – – Ja, siehst du, Knut – und Sie, Frau Bergliot – – ich wollte mich in aller Demut und mit einer aufrichtigen Entschuldigung wegen meiner aufdringlichen Dreistigkeit, bei Ihnen erkundigen, ob wohl die Möglichkeit vorhanden ist, daß ich mich Ihnen anschließen darf, wenn Sie an die Westküste reisen!«

»Das ist ja brillant! herrlich!« sagte Bergliot und klatschte in die Hände.

»Was zum Teufel – – willst du auch an die Westküste?«

»J – ja, – ja, sehen Sie, gnädige Frau, und du, Knut – ich wollte mich Ihnen eigentlich nicht nur anschließen, – ich wollte gern mit Ihnen reisen, – zu Ihrem Vater, Frau Bergliot!«

»Nach Hause, nach der Landdrostei, ja! Das habe ich natürlich auch so aufgefaßt. Vater wird entzückt sein! Und nun gar Karen Ragnhild!«

»Ja,« sagte Langberg ernsthaft, – »ich habe immer gewußt, daß es eine ungewöhnlich große Freude für mich sein würde, einmal die Bekanntschaft Ihres Herrn Vaters zu machen. Aber ich hätte doch wohl nicht gewagt – auf diese Weise darum zu bitten,«

Er sah Bergliot mit einem warmen, ernsthaften Blick an und fügte hinzu:

»Nein. Aber ich glaube, ich habe Ihrer Schwester etwas zu sagen – –«


 << zurück weiter >>