Bernt Lie
In Knut Arnebergs Haus
Bernt Lie

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XIV.

Karen Ragnhild schritt langsam bergan durch den Wald. Es war eine förmliche Befreiung, hinauszukommen!

Heute noch wollte sie an den Vater schreiben und ihm sagen, daß das Verhältnis zwischen Knut und Bergliot ein unglückliches sei. Daß sie bisher nur blind und zu unerfahren gewesen war, um das zu sehen. Sie wollte ganz genau alles beschreiben, was sie selber beobachtet hatte von Anfang an bis auf den heutigen Tag – ohne alle eigene Färbung. Vielleicht verstand der Vater dann selber, worüber sie nicht mehr nachzugrübeln vermochte: Was zwischen den beiden nicht so war, wie es sollte.

Alles das, was sie als Sicherheit und Ruhe bewundert hatte, war ja nur Kälte. Ja, man konnte sich kaum vorstellen, daß zwei Menschen kühler und ferner voneinander leben konnten als Knut und Bergliot! Und das quälte sie beide. Nicht nur Bergliot, wie sie anfangs geglaubt hatte, sondern auch Knut.

Und dann war da ein Gedanke, den sie nicht denken wollte, ja vor dem sie am liebsten bis ans Ende der Welt gelaufen wäre. – – – Thomas Hageman! Aber er kam immer wieder, und jedesmal mit einer neuen Erinnerung, mit einem neuen Glück!

Aber Bergliot mit so etwas in Verbindung zu setzen, Bergliot, – Vaters Bergliot, ihre eigene schöne, wunderbare Bergliot! Sie hatte ein Gefühl, als müsse sie Gott bitten, dies abzuwenden! Etwas Böses, Finsteres streckte die langen, starken Finger nach ihr aus, – sie mochte nicht hinsehen – – – und doch konnte sie die Augen nicht dagegen verschließen. Dies war eine Erkenntnis, zu der man unumgänglich kommen mußte, wenn man die Kinderschuhe ausgezogen hatte!

Ob sie der Sache die Stirn bieten, ihr mutig begegnen sollte? Vielleicht konnte sie etwas Gutes damit ausrichten! Zum Beispiel geradeswegs zu Bergliot gehen und ihr sagen, sie solle doch lieb und gut sein und an Vater denken – und an Knut und an sich selber – – –! Sie war gewiß im Innersten ihrer Seele feige, daß sie vor den Pflichten, die ihr oblagen, Reißaus nahm!

Aber nein, nein! Hierzu war sie nicht im stande. Es war am richtigsten, alles an Vater zu schreiben und ihm die Entscheidung zu überlassen.

Der arme, arme Vater! Wie er trauern würde!


»Hallo! schön Jungfräulein! Länger mochte ich wirklich nicht warten!« Nils Börge kam ihr auf dem Waldpfad entgegen. Er trug ein Manuskript in der einen Hand, und unter dem andern Arm guckte ein goldkapseliger Flaschenkork hervor.

»Sie hatten nur versprochen, um drei Uhr zu kommen, – und jetzt ist die Uhr über halb vier! Und dann sehen Sie so betrübt aus! – Sehen Sie die nur an!« Er hielt die Flasche in die Höhe und lachte, daß es durch den Wald schallte. »Und hier, – und hier!« Aus jeder Tasche zog er ein Champagnerglas. – »Hier komme ich als Priester des Tempels, zum Opfer gerüstet! – Kommen Sie jetzt, schön Jungfräulein, – ich weiß auch, wo der Tempel liegt! Warten Sie nur, dann wollen wir die Laune schon aufkratzen! Sie können mir glauben, es ist famos! Ich machte die Schlußfanfare in einem Ritt, – in einem Rausch, in einem Sturm – hui! Sehen Sie, es war wie ein Messerstich, als ich schließen mußte.« – – –

Er führte sie abseits vom Pfade ein ganzes Ende in den dichten Wald hinein und zu einer kleinen Lichtung mit Haidehügeln zwischen Tannen und gelblichen Birken.

Hier setzte er sich bequem hin, einen Baumstamm als Rücklehne benutzend, die Flasche und die Gläser auf dem Hügel neben sich und Karen Ragnhild sich gerade gegenüber. Vorsichtig öffnete er das dicke Manuskript.

»Sehen Sie, da haben wir es! Alles, von der ersten Seite an. Ich nahm auch das alte mit her zum Fest; es wäre ja ein Unrecht, wenn es zu Hause im Schubfach liegen sollte, während wir andern feierten. Hier, Jungfräulein, – hier ist es. Jetzt sollen Sie hören!«

Er fing an, mit gedämpfter Stimme zu lesen; mit immer mehr Nachdruck, schließlich ganz eindringlich, – stets aber mit gedämpfter Stimme.

Karen Ragnhild bemühte sich, alle störenden Gedanken gewaltsam zurückzudrängen. Und allmählich war sie ganz mit fortgerissen, – strahlend saß sie da und lauschte.

Als er endlich fertig war, saßen sie beide eine Weile ganz still da. Dann legte er das Manuskript hin und machte sich langsam daran, die Flasche zu öffnen.

Als der Kork knallte, klang es in der stille des Waldes wie ein Kanonenschuß. Er füllte beide Gläser und reichte ihr das eine.

»Nun?« fragte er mit erhobenem Glas.

»Es ist wunderschön!« flüsterte sie. Ihre Augen schimmerten feucht.

»Prost, schön Jungfräulein!«

Sie stießen miteinander an.

Sie tranken und blieben schweigend sitzen. Es war, als wollte keins von Beiden den Klang des Gelesenen verscheuchen, der noch über ihnen lag, – in den Tannenkronen über ihnen sauste.

Endlich nahm er das Manuskript auf und ordnete es.

»Ja,« sagte er leise. »Da hätten wir es also! Das Werk. Unser Buch, Jungfräulein, Ihres und das meine!«

»Ach ja! Das meine auch! Ich liebe es!«

»Und Ihr Geist schwebt darüber, Jungfräulein. Auf unser Buch! Er kam zu ihr hinüber, lagerte sich zu Füßen ihres Hügels und reichte das Glas in die Höhe!«

»Danke,« sagte sie und stieß mit ihm an.

»Ich habe zu danken, Jungfräulein! Habe für das Gold zu danken, das Sie in meine Arbeit hineingesponnen haben. Sie haben Gold über meine Seele gestreut, Glanz über meine Gedanken gelegt, – Glut über meine Phantasie! Und hier in unserm stillen Tempel, wo niemand außer uns und unserm Heiligtum lebt, – – – hierher habe ich mich im Innersten meiner Seele so tief und heiß gesehnt, – – – nach dem festlichen Tempeldienst. – – –

Er rückte an sie heran. Er hatte den Arm um ihre Taille gelegt. Er zog sie an sich und sah sie mit brennenden Augen an.

Sie begegnete seinem Blick in errötender Verwirrung, halb ihn abwehrend, halb beschämt über sich selber, – entschuldigend, – mit einem Lächeln, das zugleich ängstlich war.


Er betrachtete sie eine Weile, ihr Lächeln und ihr Erröten, fühlte in seinen Armen noch ihr unbestimmtes Sträuben. Dann zog er sie mit aller Gewalt an sich, drückte sie auf seinen Schoß nieder und küßte sie zwei-, drei-, viermal leidenschaftlich heiß und mit einer Pause zwischen jedem Mal, mit ihr ringend. – – –


Im nächsten Augenblick war Karen Ragnhild in wildem Lauf auf dem Waldpfad bergab. Sie dachte nicht, begriff nichts, fühlte nur, daß sie brannte, brannte, – und jagte hinunter, um sich in Bergliots Arme zu stürzen, um sich zu verbergen, zu verbergen – – – –


Und so erreichte sie das Haus. Der Hut hing ihr im Nacken, das Haar darunter war halb aufgelöst.

In der Atelierthür blieb sie wie angewurzelt stehen. Dort auf dem Boden lag Knut auf den Knieen vor Bergliot, seinen großen Kopf in ihrem Schoß. Sie hielt ihn umschlungen, und ihre Wange ruhte an seinem Nacken. Sie sprachen nicht; sie hörten sie nicht.

Karen Ragnhild drehte sich um. Einer plötzlichen Eingebung folgend, lief sie um das Haus herum, durch die Hausthür, die Treppe hinauf, zu Lotte hinein.

Als sie die Thür öffnete, ertönte ein leiser Schrei. Zwei Menschen fuhren auseinander. Und Lotte Falck und Doktor Prytz standen sich verwirrt und selig lächelnd gegenüber.

Karen Ragnhild fuhr zurück und stürzte ohne ein Wort zu sagen hinaus. Sie taumelte die Treppe hinab, hörte Lotte da oben rufen, ging aber ruhig weiter.

Erst auf dem Hofplatz machte sie Halt. Mechanisch begann sie, ihr Haar zu ordnen und den Hut wieder aufzusetzen. Und ehe sie sich selber klar darüber war, befand sie sich auf dem Wege zur Stadt, in fieberhafter Eile, beinahe laufend.

Sie wollte Langberg aufsuchen. Einen Menschen! Einen Menschen! Sie mußte jemanden haben, mit dem sie sprechen konnte, dem sie alles erzählen, bei dem sie sich ausweinen konnte – –! Die Thränen rannen ihr unablässig von den Wangen herab, und sie rannte, rannte.

In halb verwirrter Verzweiflung sah sie die beiden Scenen vor sich – im Atelier und oben im Schlafzimmer. Und es durchzuckte sie mit tiefer Wehmut der Gedanke, wie glücklich doch die andern waren, – wie falsch sie sie beurteilt, wie häßliche Gedanken sie sich über sie gemacht hatte, – und nun war sie selber die Elendste, Erbärmlichste von ihnen allen – –! Sie dachte wieder an das Vorgefallene und wurde glühend heiß. Sie mußte an Langbergs Worte denken, daß so etwas niemals ohne eine gewisse Gegenseitigkeit vorkommen konnte. Und sie hatte selber, wenn sie mit Nils Börge zusammensaß, sehr, sehr oft etwas Ähnliches empfunden, – so ein bedrückendes, schaukelndes Gefühl – – Pfui! Pfui!

Sie war aus dem Walde herausgetreten und ging jetzt zwischen den Feldern dahin. Die Dämmerung senkte sich herab. Auf dem ganzen Wege war kein Mensch zu erblicken, kein Laut zu vernehmen. Sie hörte nur ihre eigenen, hastigen Schritte, ihren eigenen Atem, während sie unaufhaltsam weiterlief.

Sie hatte ein Gefühl, als könne sie nicht anhalten, bis sie ihn gefunden, bis sie das Entsetzliche von sich abgewälzt hatte. – – – –


Plötzlich stand sie wie erstarrt still. Das Blut stieg ihr in die Wangen. Sie starrte vor sich nieder.

Sie konnte nicht zu Langberg gehen!

Und ihm dies erzählen, – dies! Es war vollständig unmöglich! Eine Gluthitze jagte durch ihre Adern. Sie wußte selber nicht, weshalb. Aber es erschien ihr plötzlich so unmöglich, zu Langberg zu gehen – wie zum Mond hinaufzustiegen.

Eine Stimme flüsterte in ihr, in ihrem tiefsten, geheimsten Innern: Du liebst Langberg!

Und dann das, was geschehen war!

Sie setzte sich auf einen Stein am Wegesrande und schluchzte laut, müde, überwältigt. Und dort saß sie, während die Dunkelheit sich über die Felder herabsenkte, und schließlich nur noch der Weg, an dem sie saß, grauweiß schimmerte.

Es war völlig finster, als sie langsam und ruhig nach Hause ging.

Sie wollte nach Hause zum Vater. Nach Hause auf die Landdrostei. Dahin gehörte sie, von dort hätte sie niemals wegreisen sollen. Da hatte sie angefangen, das Gute in sich zu pflegen. Hier – ach Gott, ach Gott! Hier gehörte sie nirgends hin als allein auf die Landstraße. Befleckt und unrein –?


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