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Dreizehntes Kapitel

Es war ein ganz anderes Gesicht mit dem ihm Lüders heute entgegenkam, als das, was Faste bis dahin gewohnt und bekannt war.

Lüders hatte ziemlich unzeremoniell nach ihm geschickt und ihn zu einer Privatunterredung auf sein Kontor bestellt aus Anlaß des Umstandes, daß Faste an eine Generalversammlung der Aktionäre appellieren wollte – –

»Es nützt nicht, die Sache zu verschleiern oder die Lage färben und aufblasen zu wollen, Herr Forland! Die Tatsache ist, daß die Banken jetzt schon lange keinen Heller auf unsere Badeaktien haben leihen wollen, – daß Böckmanns Bank sie, wie es heißt, nur noch hält, um selber ihre eigenen vielen loszuwerden. Kurz und gut, – die Aktien, die jetzt rings umher in den Taschen der Leute stecken, – und hier sind meine achtzehn!« er schlug auf den Haufen, – »sind nicht einmal das Papier wert, auf dem sie gedruckt sind. – – Ein Schwindel sondergleichen, Herr Forland! – Mit einem Leichtsinn ohne Grenzen haben Sie Ihre Mitbürger in ein Unternehmen hineingelockt, das ein vielfach größeres Vorschußkapital erforderte, als es unsere kleinen Verhältnisse irgendwie zu beschaffen imstande sein konnten, – eine reine Millionenspekulation, über die ein Heer von betrogenen Menschen jetzt die Hände ringt, – und die außerdem im günstigsten Falle auch noch Zeit erfordert – eine lange Reihe von Jahren, – um sich herauszuwachsen.«

»Wenn Sie nach mir geschickt haben, Herr Konsul, um mir diese verlockende Aussicht zu zeigen, so kann ich Sie nur auf die Generalversammlung verweisen. Dort werden Sie Antwort erhalten!«

»Generalversammlung, – Generalversammlung? – Sie sind doch wohl nicht von Sinnen, Mensch? – – Das Elend öffentlich ausposaunen, – den Aktien den letzten Gnadenstoß geben –?«

»Das Unternehmen muß aufrechterhalten werden, –« erklärte Faste. »Wollen die Großen ihm nicht über die Krisis hinweghelfen, so versuche ich es bei den Kleinen!«

Der Konsul sah Faste plötzlich fest in die Augen:

»Ich will Ihnen etwas sagen. Keiner von den leitenden Geschäftsleuten der Stadt würde sich mit Ihnen eingelassen haben, wenn man nicht Grund zu der Annahme gehabt hätte, daß Sie in gewisser Weise Ihren Onkel Joel im Rücken hätten, – jedenfalls einmal Geld von ihm erben würden. – – Nun, darüber will ich nicht weiter philosophieren, – wenn ich nur das meine bekomme! Aber das will ich haben,« zischte er plötzlich mit zusammengebissenen Zähnen und hielt Faste die geballte Faust vors Gesicht. »Ihr Onkel, der Ihnen so prächtig mit dem Kredit genützt hat, der soll mir die achtzehn Aktien bezahlen. – –

Generalversammlung?« fuhr der Konsul höhnisch fort – – »Ja, Sie können mir glauben, da ist mancher, der Sie jetzt gern gehörig vermöbelte, – alle die armen Leute, denen Sie dies alles so lustig ausgemalt und geschildert haben, daß sie ihr Geld dazu herausrückten. – – Sie können mir glauben, wenn die in einer Generalversammlung einen Anhalt bekämen, auf Grund dessen sie gegen Sie vorgehen könnten,– zum Beispiel gewisse Eröffnungen die Ihnen Anwartschaft auf einen Ort verschafften, wo Sie Zeit und Muße hätten, über die Sache nachzudenken, – sie würden nicht stimmen, sie würden brüllen!

Und sehen Sie, Herr Architekt,« kam es verbissen heraus, – »gerade allerlei dazu geeigneten Stoff könnte man Ihnen auf einer solchen Ge–ne–ralversammlung an die Hand geben. Ich habe mir erlaubt, die Papiers und Quittungen da unten in der Badeanstalt zu studieren, und mein geringstes Vorhaben geht darauf hinaus, das Publikum darüber aufzuklären, daß Sie nachweislich einmal über das anders auf eigene Hand über die Mittel der Badeanstalt verfügt haben, und zwar weit über Ihre Befugnis hinaus und zu ganz anderen Zwecken, als wozu Ihnen das Geld bewilligt war.«

»Es ist ganz selbstverständlich,« sagte Faste kühl, – »daß ich so handeln mußte, wie ich es den Umständen nach im Interesse der Badeanstalt für das richtigste hielt. Das Ganze mußte selbstredend in erster Linie aufrechterhalten werden. Es wird mir ein Vergnügen sein, Ihnen zu antworten, notabene an der rechten Stelle, und das ist in meinen Augen die Generalversammlung, Herr Konsul – und nicht Ihr Privatkontor.«

– Faste griff nach seinem Hut.

»He, he, – dann reden wir auch an derselben Stelle darüber, wie es zuging, daß Sie, Herr Forland, den Leuten Sand in die Augen streuten, sodaß das berühmte Hotelfest gefeiert werden konnte, – indem man in aller Eile die Kasse der Badeanstalt um elftausend erleichterte!«

»Drohungen? – gegen mich? –« stürzte Faste plötzlich ins Zimmer zurück – – »Nein, ehe mich die bewegen sollten, – eher spazierte ich freiwillig ins Zuchthaus, worauf Sie ja vorhin höflicherweise anzuspielen beliebten. Im übrigen will ich Ihnen herzliche Freude von der Generalversammlung versprechen,« – er grüßte und ging. – –

Ja, nun befand er sich wieder auf der Kehrseite der guten Stadt! – –

Eine solche kleine Stadt am Rande einer Panik hatte etwas von der gefährlichen Zügellosigkeit eines durchgehenden Pferdes an sich, – es galt, es mit kräftigem Griff in die Zügel wieder auf den rechten Weg zu lenken! Er sammelte, weiß Gott, Erfahrungen, was es heißt, eine Sache aufrecht zu halten, wenn die öffentliche Meinung darüber herstürzt –

Sie dachten wohl, daß er das Schiff verlassen würde wie eine Ratte!

Vor allen Dingen würde es notwendig sein, die eigene Familie zu stählen, und deshalb bog er nach dem Hause des Doktors ab.

»Nun? – Ihr meint wohl auch, daß es schlimm aussieht?« sagte er, als er zu Sölvi in die Stube trat. »Die Leute gebärden sich ja wirklich ganz wie toll.«

»Ach ja, Faste, wir müssen unser Päckchen tragen, wenn du nur damit durchkommst,« antwortete Sölvi freundlich. Es lag etwas niedergeschlagen Nachsichtiges in ihrem Ton, was Faste verletzte.

»Ihr seid natürlich besorgt um euer Geld!« rief er aus.

»Um unsere beiden Aktien? – Ach nein, Falkenberg und ich sind beide der Ansicht, daß wir die in den Schornstein schreiben müssen, – wenn es auch nicht so ganz leicht für uns ist.«

»Bedaure sehr, nicht in der Lage zu sein, sie euch gerade jetzt einzulösen; sonst würde ich euch sofort von der Last befreit haben, –« sagte er bitter.

»Du mußt uns nicht Unrecht tun, Faste, – an die Aktien denken wir gar nicht so viel.«

»Aber verloren müssen sie absolut sein? – Dieser Gedanke scheint augenblicklich über die ganze Stadt hinzuwehen! – Als ob das Unternehmen nicht genau so gut und haltbar ist, wenn auch eine Reihe von Menschen plötzlich auf den Einfall kommen, aus Angst vor einer kleinen Krisis den Kopf zu verlieren.«

»Mißverstehe uns nicht, Faste. – Ein Doktor soll ja nur von seiner Praxis leben. Wenn er dann aber plötzlich als Hauptperson eines Unternehmens dasteht, von dem wenigstens die meisten Menschen glauben, daß es Not und Elend über die ganze Stadt bringen wird, so wird man ja dadurch in eine etwas schiefe Stellung gebracht, – man wird unpopulär.«

»Ja, so sieht es aus, – augenblicklich!« unterbrach Faste sie. – – Aber um dies alles soll auf der Generalversammlung gekämpft werden! – Die Leute heulen über den Badeort, ehe dieser noch Gelegenheit gehabt hat, Einnahmen von sich zu geben. – – Aber ich werde sie durch ein kleines Panorama ermuntern, – werde ihnen zeigen, wie öde und tot es hier wieder werden wird, wenn das große Fenster, das wir nach der Welt hinaus eingesetzt haben, wieder zugenagelt wird!

Du ahnst nicht, Sölvi, was es heißt, sich nach einem frischen, fröhlichen Kampf zu sehnen, wo man seine Kräfte brauchen und vor der Öffentlichkeit mit alledem kämpfen kann, was einem zu Gebote steht, statt immerwährend privatim in den Rücken gestochen zu werden.«

»Ob ich es ahne, Faste –«

Diese sanfte Miene und diese ewigen Wiederholungen von seiten Sölvis konnte er nicht leiden, da waren ihm doch die beißendscharfen Antworten, an die er früher gewöhnt gewesen war, weit lieber.

Er ging im Zimmer auf und nieder und pfiff leise vor sich hin. – – Die Seinen fingen scheinbar an, demütigen Herzens zu werden, – sie meinten wohl, daß das Meer abermals das Haus umbrause! – –

»Willst du den Jungen denn gar nicht einmal ansehen?« fragte Sölvi beruhigend.

»Den Jungen? – Ich hätte beinahe gesagt, hast du einen Jungen? Es ist so lange her, seit ich an so etwas gedacht habe, du, –« sagte er zerstreut, indem er ihr ins Schlafzimmer folgte. – – –

*

»Ein Prophet muß natürlich den Glauben so lange wie möglich aufrechthalten,« hörte er hinter sich sagen, als er auf dem Rückwege um die Ecke des Kirchenpfades bog.

Es war Tryggesens Stimme, – eine Anspielung auf seine unverzagte Art und Weise zu gehen.

Und Faste fühlte selber, daß er einem aufgezäumten Pferd glich, wenn er durch die Geschäftsstraßen mußte. – –

Er hatte das Vergnügen, schon von weitem den alten Konsul Klüver zu sehen, der es auch jetzt für gut befand, still zu stehen und ihn anzusehen; aber freilich mit einem ganz anderen Griff um den Stock als dazumal, als er ihn den »Mirakelmacher der Stadt« titulierte. – – Und als Konsul Wulff vorüber wollte, blitzte es wie Spott in seiner Miene auf, als er ein wenig demonstrativ grüßte. –

Verteufelt angenehme Straße, diese Hafenstraße, – es war, als wimmele es von Menschen, die alle das jüngste Gericht in den Mienen mit sich herumtrugen. – Der Zollinspektor hatte sich ein kupferrotes Gesicht zugelegt und starrte ihn förmlich wild an. –

Und da kam Fräulein Laura Groth quer über die Straße zu ihm herüber. Sie glich einem jener größeren schwerfällig flatternden Schmetterlinge, und man sah ihren Flügeln an, daß auch sie von der allgemeinen Angst ergriffen war.

»Sagen Sie mir doch, ist jemand gestorben? – Heimgegangen?« kam ihr Faste entgegen. »Sie sehen so wehmütig teilnahmsvoll aus, – das Gesicht so fromm in Falten gelegt.«

Sie schüttelte den Kopf und sah ihn verletzt an. – –

»Lassen Sie mich Ihnen sagen, daß ich nicht umhin kann, den Mann zu bewundern, der mit so stolz erhobenem Kopf und mit so unerschrockenen Augen mitten durch das empörte Meer der Verleumdungen schreitet. – – Ach, Forland, – wäre es doch in einer Komödie oder Tragödie gewesen.«

»Ja, da sagen Sie ein wahres Wort, Fräulein Groth!«

»Weit, weit entfernt von dieser groben Wirklichkeit! – – –

Und für mich Ärmste ist nun gleichsam alles wieder erloschen. – – Ich sinke in mein altes Dasein zurück, muß den Tee und den Kaffee der Tante machen. – Aber ich wollte es Ihnen doch noch sagen und Ihnen dafür danken, – daß dies stets den Glanzpunkt meines Lebens bilden wird! – einen Zauberkreis, der mich mit Leib und Seele umfangen gehalten hat. – –

Und der Dolch, der schöne Dolch, den ich mir gekauft hatte, um ihn mir in die Brust zu stoßen!

»Ja, denn aus dem Komödiespielen wird nun wohl nichts mehr?« fragte sie plötzlich.

»Eins will ich Ihnen versprechen, Laura Groth, – wenn ich lebe, so soll es eine gründliche Komödie werden!« Damit grüßte er und ging.

Er steuerte wieder in diesen grauen Nebelschleier der Angst hinein, der über der ganzen Stadt lag. Es war, als wenn die Frühlingssonne mit ihrem scharfen, grellen Licht ganz unmotiviert am Himmel stehe und blende – – –

Er hatte den Nachmittag an seinem Pult auf dem Kontor verbracht, – hatte wieder und wieder Rechnungen abgewiesen mit der Vertröstung auf die Generalversammlung, – hatte Auswegs ersonnen und zurechtphantasiert – man mußte unter den einfachen Grundstoffen suchen! – er hatte eine Jodfabrik gebaut mit Benutzung des Tangs und der Algen an der ganzen Küste, – hatte eine Zentralteerbrennerei errichtet, die die Millionen Tannenwurzeln des weitgestreckten, abgeholzten Distrikts versorgten. Und schließlich eine Szene mit Risting durchgemacht, der sein Geld wieder haben wollte.

Müde und erschöpft kehrte er jetzt, spät am Abend, von dem allen heim. Seine Mienen hatten etwas Erschlafftes, als schlafe der Trotz darin, während die Bilder des Tages nur halbklar und traumhaft vorüberzogen. – –

Komödie, ja! – zuckte er plötzlich zusammen. – – – Wenn ich lebe, so soll es eine gründliche Komödie werden, wie ich Laura Groth versprochen habe. –

Übrigens ganz sonderbar, – war es nicht, als nehme sie einen ganz gerührten, feierlichen Abschied von mir. Sie hat natürlich etwas von dem aufgeschnappt, was die Leute über die Gesetzmäßigkeit meines Tuns und Treibens zischeln und tuscheln und hat ihren bewunderten Freund natürlich schon bei fleißiger Arbeit im Zuchthaus sitzen sehen. – – So ein Abgrund zwischen uns! – meinte, sie könnte mich in Zukunft nicht mehr kennen; – aber gerührt war sie doch, – – die Menschen sind wunderliche Wesen. – –

»Wie geht es dir denn, mein Junge?« fragte Frau Forland, als er in das Zimmer trat.

»Wie es mir geht? – Es geht mir wie jemand, der auf einer glatten Planke mit der rollenden See unter sich kämpft. –

»Aber es ist sonderbar, Mutter,« – brach er ab. – »So ein Wuchereigeist kann sehr wohl ein wirklicher Ehrenmann sein, – ein wirklicher sage ich dir, der auf alle Weise das Rechte will. Es ist nur das üble dabei, daß er das Recht am zweitliebsten will. – – Bei der Wahl zwischen Gott und Mammon ist es leider allemal der Mammon, der am schwersten in die Wagschale fällt und ihn geistig zugrunde zieht. –

Ach, mach mir doch Licht an, Agnete. – – Ich habe eine Szene in dem »Geizhals,« die sich gewaschen hat. – – Gute Nacht, Mutter!« –

»Es tut so weh, Agnete,« rief Frau Forland aus, als seine Schritte oben auf der Treppe hörbar wurden, – »ihn so Abend für Abend gleichsam mit einer ersterbenden Glut in den Augen heimkehren zu sehen, – den ganzen Tag mißhandelt und arg mitgenommen zu werden. – Und dann zu wissen, daß sie mit ihm nicht fertig werden, ehe das Auge tot und der Wille gebrochen ist. – – Er ist so geschaffen, du!« seufzte sie. – »Er muß sein Schicksal vollziehen – – «


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