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Sechstes Kapitel

Bera Gylling, – Bera Gylling – –« hörte Bera plötzlich hinter sich, als sie von den Schwestern Evensen im Kirchenpfad herauskam, – »laß dich doch nicht so ganz davon in Anspruch nehmen, womit du dich kleiden sollst – – Ich sage dir, heute wird der erste Schuß gelöst, der die neue Zeit in deiner Vaterstadt verkündet. Es ist, als hätte ich eine Hagelladung in ein altes Krähennest hinaufgesandt, – jetzt flattern sie auf – – Nun ja, –« er zog die Zeitung aus der Tasche und las:

»Es ist in diesen Tagen auf Anregung von Herrn Forland ein Komitee zusammengetreten – im wesentlichen aus Grundbesitzern am Vorstrande und auf der Landzunge bestehend, – um die praktische Möglichkeit der Anlage eines Badeortes in größerem Stil in Erwägung zu ziehen. Es ist dies ein Plan, über dessen Ausführbarkeit sicherlich verschiedene Meinungen herrschen werden, der aber auf alle Fälle jetzt soweit gefördert ist, daß er eine Diskussion verträgt. Und wahrscheinlich wird seine allseitige Darlegung in der Versammlung, die morgen abend im Klublokal der Stadt berufen ist, durch Herrn Forland stattfinden.«

– »Kapitäne und Steuerleute, die auf See gewesen sind, wissen nicht Bescheid, weißt du, deswegen muß die Sache von Grund auf behandelt werden. Und langweilen darf ich auch nicht, Und auf die Entgegnung von Einwänden muß ich auch vorbereitet sein. – –

So da zu stehen! alle Köpfe vor und unter sich! – Ich machte vor etwa vierzehn Tagen den Versuch unten im Schulhaus auf der Landzunge vor den kleinen Leuten dort, – es war so eine Art Rausch, in dem alle Fähigkeiten so eigenartig lebendig wurden. – – So da zu stehen und den Gedanken hinauszuschleudern und das Wort singen zu lassen wie den Ton auf einer Bogensaite! – – Ich habe über Nacht mehrere Stunden wach gelegen und die Rede gehalten, um die sich alles gruppieren soll. – – Und werde wahrscheinlich diese Nacht weiter predigen müssen. – –

Aber eigenartig ist es zu spüren, daß hier so etwas wie Stimmung und Wind in die Segel gekommen ist –

Und, weißt du, jetzt grüßen sie mich, – Böckmann, Anton Rist und Simonsen, – tief aus ihren Röcken und Halstüchern heraus. Ja, selbst der alte Salvesen winkt mir väterlich freundlich mit der Hand und gratuliert mir heute mit der Zeitung! Und dann kommt gleich darauf die interessant neugierige Frage: Noch nichts von dem Alten gehört? – Von Onkel Joel? – Und dann so recht bekümmert: Es war die höchste Zeit, daß ihn der Doktor nach dem Süden schickte, dieser bösen Bronchitis wegen – – Und Ihre Frau Mutter hat auch nichts gehört? – –

Es ist und bleibt nun doch das Merkwürdigste, ob Onkel Joel mehr oder weniger gespieen hat. Hatte ich nur den Spucknapf mitten auf den Marktplatz stellen können, ja dann!«

Vera lachte.

»Und Johannes Böckmann, mein alter spezieller Feind, war gefühlvoll, du! – er vertraute mir an, daß sich förmlich ein leerer Raum in der Stadt fühlbar mache, jetzt, wo der alte Joel fort sei, man sei so daran gewöhnt, ihn in dem langen blauen Rock und der flachen Mütze über die Straße humpeln zu sehen. – – Der Umstand, daß Mutter Onkel Joels Stiefschwester ist – – Sie sehen uns im Geist schon halb als Erben. Was für mich eine ganz nützliche Annahme sein kann – – Derselbe Gedanke gärt im Grunde bei ihnen allen: Er sollte doch wohl, hol' mich der Teufel, nicht über Aussichten verfügen, mit denen er die Sachen betreiben könnte? – –

Ja, so steht es jetzt.

Aber dies ist nur die Vorbereitung, der erste vorbereitende Schuß –

Und dann wird bald ein zweiter donnern in Gestalt einer ordnungsmäßigen Aufforderung zur Aktienzeichnung.

Und dann will ich ihnen einen Prospekt machen, darauf kannst du dich verlassen! – Einen Zukunftsspiegel, so daß sie fast mit den Händen danach greifen können! Sie sollen ihre eigenen Werder und Schären da draußen so verlockend liegen sehen, als seien es die »Inseln der Seligen« – mit Villen und Lustjachten aus aller Herren Ländern. – Der Makler besorgt die geschäftsmäßige, nüchterne Grundmalerei in dem solid-zuverlässigen, vorsichtigen Stil und den knappsten Ausdrücken gehalten. – –

Ich sehe es dir an, Vera, daß du meinst, dies alles sei Humbug, – Schwindel. – – Da will ich dir aber doch antworten, daß ich es so, wie ich es beschreibe, auch sehe, – nicht eine Farbe ist übertrieben! Ich habe ja nicht einmal gewagt, meinem innersten Glauben an die Zukunft der Sache einen so starken und warmen Ausdruck zu verleihen, wie ich wohl möchte.«

»Wärest du nur der alleinige Urheber des Planes gewesen, Faste! dann könnten die Leute ja deinen Glauben teilen oder es unterlassen. Das wäre eine reinliche, ehrliche Sache gewesen. Aber dieser schmierige Makler!«

»Immer dieser schreckliche Makler! Wer über den Schmutz hinüber will, muß sich darein finden, daß er sich die Schuhe besudelt.«

»Du sagst selber Schmutz, Faste!«

»Glaubst du, daß irgend jemand, der etwas in der Welt vor sich gebracht hat, sich daran gekehrt hat, ob seine Stiefel ein wenig angespritzt wurden?«

»Ja, ich dachte nun im Grunde nicht an den Schmutz, der an die Stiefel anspritzt.«

»Nein, natürlich an das Gewissen, natürlich. – Willst du aber wissen, was mein Gewissen sagt, du, – ja, was das anbelangt, so sagt es nicht nein, es schreit, daß, wenn ich das aufgeben würde, was ich jetzt so klar und deutlich vor mir sehe, ich mich selber meines Amtes entsetzte, – nämlich Faste Forland zu sein.«

Vera stand da und sah vor sich hin.

»Lieber Faste, – ich kenne dich ja so genau, – jetzt bist du mit deiner ganzen Seele und deinem glühenden Interesse in diese Badeanstalt hineingeplumpst. Nein, nein, das ist nichts für dich! – es paßt nicht, – – dich da als Bade-Intendant oder so einen Vater der Badeanstalt herumgehen und lauter kleine praktische Fragen behandeln und bereden zu sehen, in Bezug auf die alle die andern klüger sind als du. – Ich versichere dich, Faste, du gehst dabei unter, – deine Natur leidet Schaden dabei! – Sollst du vielleicht das Servieren und die Berechnungen bei der Table d'hote auch kontrollieren und die Aufsicht über die Kellner führen? – Und dann an Festtagen Reden halten! – Wirf es von dir, wirf es von dir, Faste, sage ich dir! – Ach, ich wollte, du fielest morgen abend durch, – ich würde so glücklich, so glücklich sein –!« rief sie ganz außer sich.

»Jetzt weiß ich also, wie ich mit dir dran bin, Bera! – Wenn ich morgen durchfalle, mußt du dir alle meine Fiaskos ganz genau berichten lassen, – am liebsten von diesem Ek. – Und wie ich schließlich bleich und ängstlich und stumm da stand, – und mich dann aus dem Staube machte – – Ich sehe dich schon glücklich, so glücklich, wie du sagst. Oder auch, dir wird vielleicht der Kummer beschieden sein, das Gegenteil zu hören, – daß dieser Faste Forland so brillante Karten von Beweisgründen in der Hand hielt und so spielte, daß er der Sieger blieb! – –

Eins aber,« flüsterte er ihr ins Ohr, als er an den Hut griff und sie verließ, – »einen Namen wirst du in der Tiefe meiner Seele führen, – die Verräterin, die ihren Freund im Stich ließ! – – –«

*

– – Sie saßen am Abend bei einander, Frau Forland, Sölvi, Agnete – –

Sie flüsterten fast nur, und in langen Zwischenräumen wurde es ganz still. – –

Eine Hand- oder Häkelarbeit ward von Zeit zu Zeit in dem Lichtring der mit rosarotem Florschirm behangenen Lampe sichtbar. – –

Die Stimmung wurde jetzt, wo die Uhr auf elf ging, immer gedrückter.

Zuweilen ließ Frau Forland das Strickzeug in den Schoß sinken und lauschte, oder Sölvi sprang auf und sah zum Fenster hinaus, nach der letzten Gaslaterne der Stadt hinab. – –

Hin und wieder eine einsame klingelnde Schlittenschelle unten auf dem Wege. – –

Jetzt plötzlich drei, vier Schlitten hintereinander, die in schneller Fahrt mit lauten Stimmen und Peitschengeknall den Abhang hinanfuhren. –

Das mußten Leute aus den großen Bauerngehöften da oben sein, die von der Klubversammlung nach Hause eilten. – – – – Abermals zwei Schlitten in langsamerer Fahrt. – –

Sölvi stürzte hastig in die Flurtür hinaus und lauschte. – –

Noch ein Schlitten mit einem laut singenden Mann darin. – –

Dann wurde es ganz still, – kein Laut von irgendwoher in dem weißen Mondschein – –

Sölvi kehrte wieder in das Zimmer zurück.

»Faste muß doch einmal kommen,« – sagte sie endlich, – »wir müssen wohl noch eine Weile warten, Mutter – –

– – Dann ist die ganze Stadt beleidigt und in Aufregung versetzt. Und darin soll Falkenberg dann wirken!« – entfuhr es ihr nach einer Weile verzweifelt als Schluß ihres Gedankenganges.

»Wenn wir doch in eine andere Stadt ziehen könnten, Mutter, – wenn uns doch dies Haus hier nicht so fest hielte!« murmelte Agnete.

»Der arme Junge, –« seufzte Frau Forland, – »es wird wohl eine neue Enttäuschung für ihn werden!« – –

Derselbe resignierte, sonnenlose Mißmut breitete sich mehr und mehr über die drei Gesichter aus.

Agnete zündete schon das Licht im Leuchter an, um die Mutter ins Schlafzimmer zu begleiten, als Sölvi aufsprang – –

Ein Paar Galoschen wurden draußen auf der Diele ausgezogen, und herein trat Doktor Falkenberg, der sich den Schweiß nach dem schnellen Gang von der Stirn trocknete.

Frau Forland vergaß, den Gruß zu beantworten, während ihre großen Augen zu ihm aufblickten.

»Du kommst aus der Versammlung?« fragte Sölvi atemlos.

»Ja, – die ist jetzt beendet – lassen Sie mich Ihnen gleich sagen, Frau Forland, daß Faste jedenfalls nicht totgeschlagen ist.« Es entstand eine tiefe Stille. Die Augen ruhten mit Sicherheit auf ihm und die Gesichter zogen sich gleichsam in die Finsternis zurück, bis Sölvi trotzig ausrief:

»Nein, ums Leben bringen konnten sie ihn ja auch eigentlich nicht gut!«

»Ich dachte mir, daß ihr noch aufsitzen und warten würdet, da machte ich einen kleinen Abstecher im Mondschein, um euch zu benachrichtigen. Faste wurde durch den Hafenmeister zurückgehalten, der mit ihm über den Molenbau sprach.«

»Durch den Hafenmeister?« rief Frau Forland aus, – »läßt der sich darauf ein –«

»Ja, so können Sie wohl fragen, Frau Forland; und ich kann Ihnen sagen, ich bin heute abend mehr als einmal in Verwunderung geraten, nicht zum mindesten über meinen Herrn Schwager. Ich hätte gesagt, Faste sei originell, eigenartig, vielleicht ein wenig konfus –«

»Sage nur sehr konfus,« fiel ihm Sölvi in die Rede.

»– Er fängt ja oft mit dem Ende an –«

»Jah – ah – der eine Gedanke verdrängt den anderen,« gab Frau Forland unglücklich zu, – »er hat zuviel in seinem Kopf. – –«

Sie machte ein Gesicht, als erwarte sie jetzt den Schlag, die eigentliche Nachricht.

»Nein, Frau Forland, – das ist jetzt meine Ansicht nicht mehr, – nach den Vorgängen von heute abend. Der, der dort in der Versammlung stand und redete und seine Zeichnungen und Plane dem Hafenvogt, dem Staatskondukteur, den Konsuln der Stadt und der ganzen Reihe jüngerer Geschäftsleute erklärte, – war ein beredter, klarer, zielbewußter Herr. Er fing ja allerdings ein klein wenig linkisch und ungeschickt an, wurde dann aber gleichsam behender und fingerfertiger, bis es sich herausstellte, daß jedes Gegenargument unerbittlich geschlagen wurde. Er wuchs sozusagen die ganze Zeit hindurch, ich erinnere mich nie, eine solche Seelenmacht irgend einem Menschen aus den Augen leuchten gesehen zu haben! – – Wenn ich ihn morgen im alltäglichen Leben wiedersehe, so werde ich ihn, glaube ich, gar nicht wiedererkennen,« – scherzte der Doktor.

»Mir ist's, als hörte ich eine so schöne Hoffnung aus Ihrer Stimme herausklingen, Doktor!« rief Frau Forland mit strahlenden Augen aus.

»Ja, reden kann er,« murmelte Agnete.

»Ja, sonderbar, wie das Wetter des Schicksals das Aussehen einer Sache verändern kann,« – fuhr er fort. »Heute abend war man auf einmal gar nicht so ungläubig oder so abgeneigt, die Sache zu stützen.«

»Was sagst du? –« entfuhr es den drei Mündern auf einmal.

»Ja, und der erste Schritt wird nun wahrscheinlich der Versuch sein, die Sache zur Aktienzeichnung aufzulegen.«

» Wahrscheinlich! – – Ach, du weißt nur nicht, Falkenberg, wie höflich die Leute hier in dieser Stadt sind,« meinte Agnete. »Sie sagen einem so ungern direkt ins Gesicht nein.«

»Mein Haupteindruck ist jedenfalls der,« erklärte der Doktor, – »daß hier von der heutigen Versammlung an eine ganze Wendung in der öffentlichen Meinung eintreten wird. – –

Der alte Wortführer und Reifer Tryggesen stand da ja ganz empört im Interesse der Stadt und sagte, bis auf den heutigen Tag sei ihr Wohlstand auf dem vorsichtigen, gesunden Geschäftsgeist aufgebaut gewesen. Aber aus leeren Hoffnungen und Schwindel und dergleichen ließe sich nichts Reelles für die Zukunft zurechtspinnen, – wenigstens nicht auf seiner Reiferbahn!

Aber da erhob sich Waggestad aus Wold – – Merkwürdig,« grübelte der Doktor, – »es gibt gewisse zurückhaltende schweigsame Seelen, »die ein ganzes Leben lang im Distrikt ansässig gewesen sind und Geld zusammengespart haben, bis der Begriff von ihrem Vermögen das unbegrenzt Mystische erreicht hat. Wenn so ein stummer Bursche dann plötzlich explodiert und sagt: ›Ich bin mit dabei!‹ – dann empfindet man es im ganzen Saal wie einen feierlichen Druck, als sei eine neue Gewißheit geboren. Die Worte waren gleichsam das Siegel, der Stempel des Abends! – Und nun lagen sie mit den Köpfen über den Zeichnungen und baten sich einer nach dem andern Erklärungen aus – –«

»Aber dann können wir uns ja darüber freuen, daß Faste wirklich Anklang gefunden hat, – es ist also keine Niederlage!« rief Frau Forland.

»Ach, Mutter, diese ewigen Enttäuschungen!« eiferte Agnete. »Aber dir und mir hat er immer den Kopf verdrehen können. Es war nur das eine, daß wir immer, immer wieder sahen, daß niemand sonst an ihn glaubte.«

»Ja, ich habe auch nicht an Faste gezweifelt, Mutter, – hatten wir nur in einer anderen Welt gelebt,« verteidigte sich Sölvi.

»Und meine Stellung zur Sache,« lachte der Doktor, – »ist ja immer dieselbe geblieben. Ich habe nichts dagegen, Direktor einer großen Badeanstalt zu sein; sehr viel aber habe ich dagegen, in ein Unternehmen hineingezogen zu werden, das auf halbem Wege stehen bleiben könnte als unausgeführtes Projekt.« Es war ein eigenes Leben in das von dem roten Schein der Lampe dämmerig erleuchtete Zimmer gekommen. Das Ereignis des Abends war jedem einzelnen ms Blut gegangen. – –

Und nun verlangte der Doktor, daß Sölvi Hut und Mantel holen und einen Spaziergang mit ihm im Mondschein machen sollte. Es war, als gestalte sich auch für sie die Zukunft neu. – –


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