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Drittes Kapitel

»Ja, siehst du, Bera,« sagte Frau Forland, sie saßen zusammen im Wohnzimmer und plauderten, – »es ist mir immer, als würde ich in eine ganz andere Welt versetzt, wenn ich dich und die jungen Mädchen reden höre. Ich bin ja zu einer Zeit geboren, wo alles niet- und nagelfest war. Der Vater war der Vater, und die Mutter war die Mutter, und die Wände waren Wände, und da mußte der Spiegel hängen und da die Bilder, – und wenn zweie erst einmal verlobt waren, so war es ein Familienskandal, wenn die Sache wieder auseinanderging, machten sie sich auch gegenseitig so unglücklich wie nur möglich. – – Und wenn ein junges Mädchen sich nicht verheiratete, so wurde sie Tante und strickte Strümpfe, einen Ausweg gab es da nicht. – – –

Und wenn sie dann obendrein die Frau eines Pastors wurde, so wie ich, – einen braven, prächtigen Mann bekam, liebe Bera, so wurde der Kasten sozusagen nach allen Seiten hin luftdicht gemacht. Man dachte ja nicht daran, seinen Gedanken Flügel zu verleihen, nein. – – Aber sonderbar ist es, du, – obwohl ich jetzt, wo ich darauf zurücksehe, sagen muß, daß es ist, als habe ein Erdbeben eine ganze Umwälzung in allen Verhältnissen hervorgebracht, – so hat mich das doch eigentlich nicht überrascht oder ist mir als etwas Absurdes erschienen. – – Es ist vielmehr, als sei ein Schleier von Ahnungen und Gedanken fortgezogen, die ich schon lange in meinem Innern mit mir herumgetragen haben muß. Darum ziehe ich bei den Streitigkeiten mit Euch auch allemal den Kürzeren,« – lächelte sie. »Ich beginne gewohnheitsgemäß mit dem Althergebrachten, und Ihr zieht mich dann zu Euch hinüber. – – Und ich weiß ja auch, daß du recht hast, und daß ich dir einzig und allein aus alter Gewohnheit sagte, daß es mir eine solche Erleichterung sein würde, wenn Faste sich bemühen wollte, eine Staatsanstellung zu erhalten, wenn sie auch noch so klein wäre!« – fügte sie nach einer Weile mit einem tiefen Seufzer hinzu.

»Liebe, liebe Frau Forland, glauben Sie, daß das so sicher sein würde? – sicherer als wenn er seine eigenen Flügel gebrauchte; – er, der so wenig für ihre düsteren Regeln paßt.«

»Ach, du hast ja so recht, Bera! Ich meinte nur, – seine Ideen sollen ihm eine Stellung verleihen, ja, – Ach, – ich bin manchmal wirklich ganz verwirrt.« Sie griff sich an den Kopf. – »Es tut so gut, daß du ihn verteidigst, Bera, daß du an ihn glaubst. Du hast ja auch gesehen, wie verkehrt es mit diesem ganzen Perpetuum war.«

Bera sah aus, als wisse sie nicht so recht, was sie antworten solle: »Er ist zuweilen so sonderbar,« begann sie endlich, – »man weiß wirklich nicht, was alles auftauchen kann.«

Frau Forland sah sie plötzlich an:

»Du bist nicht sicher vor einer Seeschlange oder dergleichen, – einer häßlichen Seeschlange, vor der du dich fürchten würdest, – ja, ich verstehe dich. Ich, die ich sein Gemüt kenne, bin auch bange gewesen – – die Widerwärtigkeiten, – die Widerwärtigkeiten, du, – die erträgt er nicht, die dämmen seinen Willen gleichsam wilder und wilder auf, – so daß er ganz rücksichtslos werden kann, – boshaft. – – Und deswegen, – ach, wüßte ich ihn nur sicher in einer friedlichen Anstellung, wenn sie auch noch so klein wäre!« – schloß sie abermals.

»Ach nein, nein, Frau Forland! Er ist nicht boshaft. Er scheucht nur die Phantasie auf und malt es sich aus. Aber, liebe Frau Forland,« unterbrach sie sich heiter, – »Da sitzen wir hier und dichten Faste Seeschlangen und Gespenster an!«

»Ich muß immer mit dir über ihn reden, Bera, – das kommt, weil ihn niemand so versteht wie du.«

»Das kommt, weil ich an etwas bei ihm glaube, das nur seinen rechten Platz nicht gefunden hat oder noch nicht zum Vorschein gekommen ist,« erklärte Bera.

»Du meinst, daß die Schöpfungstage des lieben Gottes für ihn noch nicht zu Ende sind,« – lachte Frau Forland. »Es tut so gut, was du sagst. Du hast einen weiteren Verstand, als wir andern, Bera. Ich sehe das, ich sehe das.«

»Ja, Gott weiß, was ich damit anfangen soll,« – entfuhr es Bera. – – »Das stammt aus der Zeit, als er den Sommer bei uns wohnte. – – Wenn er über alle seine Angelegenheiten sprach und über alles, was er dachte, so war es mir immer, als schaue ich in eine neue und größere Welt hinein. Und als dann das Perpetuum kam, war es für mich nur das Rad, das dagestanden und gewartet hatte, und daß nun das Ganze vorwärts rollen wollte! Er hatte mir ausgemalt, wie es nach jeder Richtung hin in der Welt werden würde, wenn nur erst die Kraft käme.«

»Nur daß er das Rad nicht zustande brachte, ja,« – murmelte Frau Forland.

»Aber diese Welt mit all dem neuen Menschenglück will mir nie wieder aus dem Sinn!« rief Bera aus, indem sie sich plötzlich erhob – – »Und auf diese Weise kann er bei vielen eine Welt in elektrischer Beleuchtung hinterlassen, er –«

Die letzten Worte verklangen so eigenartig leise in der Luft, daß Frau Forland sie unwillkürlich ansehen mußte.

»Und jetzt darf ich mir wohl eine Schale voll Kirschen unten im Garten pflücken, während ich auf Sölvi warte,« – brach sie schnell ab, indem sie sich erhob.

»Ja, tu du das, mein liebes Kind –«

Frau Forlands Augen nahmen mehr und mehr einen in sich gekehrten Ausdruck an, während sie Beras Gestalt folgten, wie sie aus der Tür verschwand.

*

Unten bei den Kirschbäumen begrüßte Bera Ditlev, der ganz davon in Anspruch genommen war, die Kirschen vor der Starenfamilie zu bewachen, zu der er in einem eigenen, intimen Verhältnis stand, seit sie im Frühling ihr Nest in den Weiden an der Wiese bauten, und er ihnen half, Reisig und Lehm miteinander zu verflechten. Er klatschte von Zeit zu Zeit in die Hände und rief: »Husch – husch, – Kusch – kusch!« – redete und schwatzte. – –

Bera sah nach dem offenen Mansardenfenster hinauf. An dem Seitenhaken hing eine silberne Uhr, deren Schnur herabbaumelte, – die kannte sie so gut! – Faste mußte sie vergessen haben, als er heute Morgen zur Stadt ging –

Plötzlich vernahm sie unten auf dem Wege Schritte, und eine überraschte Stimme rief:

»Nein, – bist du da, Bera!«

Faste hatte sie durch das Gitterwerk entdeckt und näherte sich jetzt mit Gebärden und Bewegungen, die den Makler nachahmten:

»Siehst du wohl diese mollige, geldgierige Katze, Bera? Die Augen sprühen förmlich Funken vor lauter Elektrizität.«

»Du hast doch wohl nicht gar deinen Beruf als Schauspieler verfehlt, Faste!«

»Wie beliebt?«

»Ja, denn dies ist wirklich der Makler wie er leibt und lebt.«

»Wie töricht du redest, Bera! Einfaches Nachahmen reicht nie weiter, als daß es uns die Affenseite bei dem Menschen zeigt. Aber ein Schauspieler, siehst du, – ein wirklicher Schauspieler, der an die wahre Kunst hinanreicht, der ist inwendiger Seher, der krempelt die Seele und das Herz um und um. Die große Kunst besteht darin, das abzuspielen, was hinter dem Hemd und der Haut lebt und atmet. – – Die besteht darin, daß man hier und da auf der Straße eine Figur auffängt und dann gleich auf die Bretter mit seiner Seele! – – Aber übrigens, Bera, weißt du, ich glaube, ich habe auf meine Weise auch eine Seele gefangen, – den Makler, du! Zu Anfang war er entsetzlich schwerfällig und widerspenstig. Aber jetzt hört er auf mich, und ich glaube, er fängt an zu wittern, daß hier etwas zu machen ist, – wirkliche Bedingungen für ein Badehotel in europäischem Sinn, wenn du willst. Und nun heißt es: St! – st! Verschwiegen wie das Grab, bis wir uns – für den Fall – die wertlosen Grundstücke unten am Strande für ein Butterbrot gesichert haben! – Ich danke meinem Schöpfer, daß ich nicht nötig habe, die Besitzer persönlich übers Ohr zu hauen, sondern es durch Vermittlung des Maklers tun kann.«

»Nein, das begreife ich, daß der Makler der Ansicht ist, daß er die Seite der Sache selber besorgen muß,« meinte Bera.

»So – o –«

»Nicht daß ich daran zweifle, daß du es könntest. Faste; dir traue ich viel zu, du wärest nur nicht imstande, es hinterher durchzuführen.«

»Ich bin und bleibe, so denkst du, verteufelt unpraktisch, eins von diesen überkultivierten Gewissen, die so hinter Fensterglas in einem »alten gebildeten Hause« getrieben sind! – Aber Männer, die handeln wollen, – siehst du – die müssen Eroberungsnaturen sein, – sie müssen, um zum Ziele zu gelangen, ein Ei zerschlagen und einem Kücken den Hals umdrehen können.«

»Ja, aber es gibt Menschen, die hinterher nie wieder ein Kücken piepsen hören können, du.«

»Ach, ich weiß wohl, was dir fehlt!« rief er ganz empört aus. »Wer dir doch einen neuen Glauben in die Herzenswurzel hineinpfropfen könnte für den, den du bei dem Perpetuum verloren hast! Nun ja – –«

Er reckte sich in die Höhe und bog ein paar Zweige herab – »Ich muß die Kirschen erreichen – – da lasse ich sie auf dich herabregnen, – nimm sie, nimm sie! – Sie sind rot, und du bist bleich, Bera! – so wie ich! Nimm sie, nimm sie. – – Wenn du ahntest, wie unangefochten und stolz ich da unten in der Straße umhergehe. Mit meinem vertragenen Schlips und meiner schmierigen Jacke ist es mir ein förmlicher Genuß, es mit den english-fashions Gecken der Stadt aufzunehmen, mit denen ich einmal auf der Schulbank gesessen habe – – Geschäftsmann vom Scheitel bis zur Sohle siehst du.«

»Nein, ich verstehe es nicht, wie es dir ein solcher Genuß sein kann, dich lächerlich zu machen, als wenn du nicht schon ohnedem sonderlich und eigenartig genug wärest,« rief Bera aus. »Und immer hast du jemand, den du mit Wonne unter die Füße treten möchtest.«

»Ach nein, du, ach nein, du. – – Das, worunter ich gelitten habe und noch leide, ist viel mehr ein Bedürfnis, sie zu verstehen. Wie oft hab' ich mich nicht darüber gewundert und bin neugierig gewesen und habe danach geforscht, was eigentlich hinter allen diesen zurückhaltenden, feierlichen Schafkopfgesichtern stecken könne, diesen schweigsam lenkenden Göttern der Stadt, die die Macht hatten, einen mit ihrem Lächeln zu töten, und vor denen mich noch ein Gefühl meiner Knabenangst überkommen kann, – Angst vor der erwachsenen Welt und all ihrer mystischen Unzugänglichkeit.«

»Es ist noch so viel von dem bei dir zurückgeblieben, Faste, was man als Kind empfindet, und das ist ja nicht zu deinem Nachteil.«

»Aber das, was mich in diesen Tagen beschäftigt hat, Bera, ist wirklich nicht so sehr die Spekulationsangelegenheit wie die Freude darüber, daß ich nun endlich ein klein wenig in das Vertrauen des Maklers eingedrungen bin und damit auch hinter die Kulissen der Stadt. Diese Tatsache bedeutet für mich ein ganzes inneres Erlebnis, – daß ich es nämlich jetzt alles mit dem knochentrockenen Blick des Maklers verfolgen kann. Weißt du, es ist, als sei die ganze Illusionsgardine vor meinen Augen heruntergerissen.«

»Aber, – ich hätte beinahe gesagt, – was willst du unter allen diesen –»Erwachsenen,« – wie du sie nennst!« rief sie aus.

»Was, – was? – – du begreifst doch wohl, daß du mich beleidigst, Bera. Du hältst mich ihnen doch in keiner Weise unterlegen?«

»Nein, Faste, aber du wirst niemals deinen Posten dort behaupten, während diese Leute es immer tun, selbst wenn sie schlafen! Du hast deine eigene Gedanken- und Gefühlswelt, die Gott weiß wo liegt –; jedenfalls aber weit ab von der ihren. Ich glaube, du hättest Gelehrter oder dergleichen werden sollen.«

»Nur nicht das, was ich bin!« brauste er auf. »Ja, nicht wahr, so einer von diesen gelehrten, zerstreuten Sonderlingen, die sie in einen Stall mit Büchern einsperren und halb geblendet durch das Tageslicht am Zügel wieder herausziehen. Ja, das wäre so etwas für mich, der nur nicht die Grenze für alles das finden kann, das zu erschaffen und das von all der Herrlichkeit dieser Welt allein zu genießen ihn verlangt. Ich bin eine weltliche Kraft, Vera, – weltlich von Natur wie von Prinzip! Ich bin über diesen Schwindel mit der »idealen Welt« hinaus. Sie ist vom nüchternen Standpunkt aus gesehen nichts wie eitel Dunst, durch den man um das Reelle betrogen wird. Und deswegen, du, will ich mein Leben dafür einsetzen, etwas zu gründen, was der Menschheit nützt und mir, – dem Erfinder, – sowohl Reichtum als Macht und Ansehen und alles das verleiht, was sie für verkehrt erklären. Es heißt, es soll so gefährlich sein, Millionär zu sein. Und wenn man Millionär ist, soll es wieder so gefährlich sein, die Millionen dazu zu gebrauchen, daß man in einem vergoldeten Glaswagen mit vielen Pferden davor fährt oder die Erde mit seiner eigenen Lustjacht umsegelt – –«

»Wenn du so nur eine kleine Weile mit dem Makler redest, so wirst du schon sehen –«

»Ja – a; aber so dumm ist Faste Forland auch nicht, du! – Aber das muß ich sagen, du verstehst es, mich aus meinen Gedanken – ganz herauszureißen, Bera! – eine kühle Art und Weise – – Wir passen in gewisser Weise zu einander wie Feuer und Wasser.«

»– – Ich meine nur, es wird dir niemals gelingen, dir ein Geldherz in die Brust hineinzusetzen, Faste! Und das gehört dazu, wenn man ein Geldmensch werden will. Dir bleiben deine Ideen und Gedanken immer das erste, – so gewiß wie das für die anderen der Schilling ist!«

»So! Nach deiner Ansicht also sollte niemand, der Geist in seinem Schilde führt, sich mit der Wirklichkeit befassen! Während in Wirklichkeit jede tiefere Begabung bebend und zitternd danach verlangt zu revoltieren, zu organisieren – – Du bist so schwer von Begriffen geworden, Bera, und der Honig der Aufrichtigkeit fließt beständig von deinen Lippen, seit –«

»Wenn ich mich auf deine Art und Weise ausdrücken wollte, Faste, so würde ich sagen, daß ein Kronenstück in der Phantasie des Maklers so groß erscheint wie der Vollmond, während die Idee gar nicht zu sehen ist. Bei dir hingegen ist der Gedanke, die Idee, alles, und die Kronenstücke, – ja die würdest du sack- und tonnenweise ins Meer schütten!«

»Ach, wie ich dich jetzt wiedererkenne, Bera, ganz die alte, – wie soll ich sagen, – die großherzige, über alles Kleinliche erhabene Bera! – in dieser plötzlichen Beleuchtung – – Worüber lächelst du, – ja, du lachtest – –«

»Du hast ein Talent, von dem abzuschweifen, worüber wir reden, Faste. Weshalb hast du dich nun nicht mit dem Disponenten Ek in Verbindung gesetzt, der ein so zuverlässiger Mann ist und so viel Interesse für das Wohl der Stadt hat, statt mit diesem hinterlistigen Makler?«

»Weshalb – –?«

»Ja, weshalb! – Da ist irgend etwas, was du dir vielleicht selber nicht so klar machst –«

»Etwas, was ich sehe, meinst du. – Es wäre ja nichts besonderes an der Sache, wenn ich darin nicht etwas Besseres sähe als andere. Der Stern, weißt du – –

»Nun aber dieser Makler ist doch auf alle Fälle kein Stern, wenigstens kein glänzender. Während Ek – Vater sagt, er sei so durchsichtig, als wenn man durch Glasfenster in ihn hineinsehen könne.«

»Aber ich habe nun einmal etwas anderes nötig, als eine viereckige Verständigkeit, die mit ihrem Fuder mitten auf der Straße fährt und es, wenn Gefahr droht, nicht in eine Seitengasse hineinretten kann.«

»Ja, aber ein genialer Kopf mit vielen Auswegen, du –«

»Jetzt spielst du auf mich an,« entgegnete er zitternd vor Erregung, – »du hältst mich für so ein fensterloses Haus mit allerhand zweifelhaften Geschichten auf dem dunklen Bodenraum. Aber zwischen rechtschaffen und rechtschaffen ist nun zufälligerweise ein Unterschied. – Man trägt eine Spießbürgerrechtschaffenheit zur Schau – oder man ist rechtschaffen im Verhältnis zu seiner Idee! Und da besteht die Rechtschaffenheit im Ausharren, bis den anderen die Augen dafür aufgegangen sind: im übrigen, meine liebe Bera, wüßte ich nicht, daß ich etwas Unehrliches mit mir herumtrüge. Und wenn du ahntest, für was für einen gräßlichen Spießbürger du dich jetzt ereiferst! Dieser Ek ist die klarste und talentvollste und größte – Mittelmäßigkeit, nicht nur in dieser Stadt, sondern vielleicht im ganzen Lande! Deswegen ist er auch schon jetzt mit kaum dreißig Jahren Wortführer der Stadt und Vertreter all ihrer Mittelmäßigkeit. Ich sehe sehr wohl, daß er mein Gegner werden wird – – Ich sehe es, – ja, ich sehe es! – Seine eminente Klarheit wird bald ausfindig machen, daß an mir alles Tand und Trödel ist – – Aber dann soll er auch der erste sein, dessen Nacken ich – – Überhaupt, Bera, du mußt dich recht bald entscheiden, wohin dein Vertrauen neigen wird, – nach seiner Seite oder nach der meinen, – wenn unsere Freundschaft nicht zum Teufel gehen soll! – – Also du – also du« – er sandte ihr einen wütenden Blick zu, – »du sagst, dein Vater bewundert ihn?«

»Ja, – und ich muß dir sagen, ich auch. Ich finde sogar, daß er ein sehr liebenswürdiger Mensch ist. Man hat bei ihm ein so wohltuendes Gefühl, daß alles offen in der Sonne daliegt – – «

»Der? – der Mann im Glashaus! der – – Ich schwöre dir, ich will ihm alle Fensterscheiben zertrümmern, so daß du den »Liebenswürdigen« vor lauter Glassplittern nicht mehr sehen kannst! Und sage mir jetzt, gestehe jetzt – bist du heute hierher gekommen, um mit Mutter oder Sölvi zu reden, oder war es nicht im Grunde, um mich von dem Makler abzuwenden und zu diesem garantierten Sicherheitsschloß von Menschen hinüber zu bugsieren?«

»Lieber Faste, bedenke doch, du bist nicht schlau, höchstens aus Versehen einmal,« neckte sie. »Aber der Makler ist es.«

»Du hältst es für unerläßlich, daß mir einer die Angelhaken durch die Nase zieht, wie? Ich danke bestens, ich werde meine Schneeschuhe schon allein den Berg hinab dirigieren! Hast du den Mut, mit hinten drauf zu stehen und den Sprung zu wagen, Vera?« – kam es plötzlich glühend heraus. »Du hast deinen Hut so eigenartig mutig aufgesetzt, – es ist ein Flug, eine Fahrt –«

»Eben noch sollte unsere Freundschaft zum Teufel gehen, und nun –«

»Huh! diese spöttische Art und Weise – – als läge etwas von diesem verdammt stillen Marcellas unten aus der Stadt hinter allem, was du sagst! – – Ach nein, du – – ach nein, – du – – sei ruhig und gib nicht immer und ewig acht auf diese »Grenze.« Wenn ich dich zu etwas Großem auffordere, so wird es absolut sofort zu stande kommen – ach nein. Ach nein, du – es gibt eine weit höhere, berauschendere Freude für hoch angelegte Geister – – Wer sich mit einer Idee herumträgt, dem brennt etwas anderes in den Adern als Verliebtheit und Liebesgeschwätz und Damenklatsch. Dachte etwa Napoleon oder einer von den großen Männern an dergleichen, – ehe sie fertig waren und die Tür zum Ballsaal öffnen und sagen konnten: – ›Meine schönen Damen, darf ich bitten!‹ Als ob einem solchen Manne in der Stunde der Entscheidung Herz und Sinn an ein paar Haarflechten hängen bleiben könnten!«

»Ja, ja,« unterbrach ihn Bera, – »kurz und gut, ich will nicht hinten auf deinen Schneeschuhen stehen. Ich gehe jetzt hinein und warte auf Sölvi.«

»Ach, Bera – so geh' doch nicht fort, geh' nicht fort, hörst du – – Aber was ist denn das? Du hast doch nicht etwa Tränen in den Augen? Was soll das bedeuten? Habe ich etwas Dummes gesagt? Habe ich dich verletzt, dich, die allerletzte in der Welt, die ich betrüben wollte! – du begreifst doch wohl, daß ich zu dir qua Geist und nicht qua Weib mit allen meinen Angelegenheiten geflüchtet bin?«

»Qua, – qua? – – Qua was für was, du –«

»Ich versichere dich, Bera, –« brauste er auf, – »Du hast Augenblicke, wo du die Schönste in der ganzen Stadt bist, fast so schön wie Mutter, wenn sie so recht ergriffen ist!«

»Danke, Faste, das Kompliment wird mich wohl nicht eitel machen, deine Mutter ist nun bald sechzig Jahre alt.«

»Ich sage dir, es ist das, was von innen herausleuchtet, was mich so anzieht bei dir. Ich glaube wirklich, für mich würde nichts Reiz haben, – zum Teufel auch! – wenn du nicht wärest. – – Im übrigen weißt du, das, was man im allgemeinen unter Frauenschönheit versteht –«

»Sölvi, Sölvi!« rief Bera plötzlich durch das Gartengitter hinaus. »Nun hab' ich hier wenigstens eine halbe Stunde gestanden und Kirschen gegessen und auf dich gewartet. Ich wollte fragen, ob du heute abend zu uns kommen möchtest? Konsul Rosenquist und Franziska haben sich angemeldet, dann hat Vater seine Whistpartie –«

»Und du bist bange, daß dir Franziska ihre alte Liebesgeschichte zum fünftenmal anvertrauen könnte,« lachte Sölvi.

»Übrigens sind nur noch Valborg und Dina Breder da und –«

»Und Doktor Falkenberg und einige andere junge Leute,« ergänzte Faste.

Sölvi verschwand wie ein Blitz durch die Haustür.

Bera sah ihn ganz verdutzt und verständnislos an.

»Liebe Bera, du mußt Doktor Falkenberg einladen. Ich bitte dich herzlich darum!«

Bera sah aus, als suche sie den Mond: »Ja, was du nun vorhast, Faste –«

»Ach du, wenn du ahntest, wie lieb ich Schwester Sölvi habe, wie es mich betrüben würde, wenn sie um das Märchen ihres Lebens betrogen werden sollte – – Sie hat einen solchen Glauben an die Menschheit gehabt, war so voller Vertrauen, so voller Vertrauen! Und jetzt – – Ich habe sie blutige Tränen weinen sehen! – Das verstand ich Esel erst hinterher. Aber, wem Gehör fehlt, der kann ein ganzes Konzert aus dem Takt bringen.«

»– – Ich glaube, Faste, du hast recht mit deiner Vermutung, daß Falkenberg auch kommt,« – flüsterte Bera. »Also dann erwarte ich dich heute abend, Sölvi!« rief sie zum Fenster hinauf und verschwand durch die Gartenpforte.

*

Während der Nachmittag dahinschlich, saß Faste in Hemdsärmeln oben auf der heißen Mansardenkammer, machte Entwürfe und rechnete. Von Zeit zu Zeit, wenn er etwas abgeschlossen hatte, trat er in das kleine geöffnete Fenster und schmetterte ein paar Takte einer Melodie so plötzlich vor sich hin, daß der Star vom Dache herunterflog – –

Die Schatten erstreckten sich länger und länger über die Erde, und gegen fünf oder sechs Uhr fing es an, ein wenig zu wehen und ganz erfrischend abzukühlen. – –

Da kam Sölvi, zur Gesellschaft geschmückt, in hellem Sommerkleide.

Sie wählte und suchte in einem Rosenbeet, wohl um eine Blüte zu finden – so eine recht auserwählt schöne, die sie in den Gürtel stecken wollte. – – –

Faste stand mit dem Opernglas am Fenster und sah über die zerstreuten Dächer der Stadt hinab und über den mit Fahrzeugen gefüllten Hafen. – – –

Das war die Stadt, die er erobern wollte. – – –

*

– Der Abend senkte seinen bleichen Schein herab und es dämmerte mehr und mehr. – – Bei Sonnenuntergang war die Flagge unten an der Zollbude verschwunden und hie und da eine im Hafen gestrichen. Die Arbeiter kehrten von der Schiffswerft oder der Reiferbahn mit Bündeln und Blecheimern in der Hand heim. Das unablässige Gesumme des Stadtlärms in der Luft verstummte, so daß oben von Lökken her hin und wieder ein Ruf oder ein Schrei vernehmbar ward.

Es wurde spät. – – Ein ausgeschlossener Hund heulte in Gregersens Garten. In weiter Ferne zwischen den Werdern schimmerte ein farbiges Licht, und ein Dampfer pfiff und lärmte. Ganz hinten von Großhändler Mörcks Landhaus sah man hin und wieder einen Schimmer von einem Feuerwerk.

Frau Forland war ein paarmal ans Fenster getreten, sie lag noch wach und wartete auf Sölvis Heimkehr.

Jetzt hörte sie sie die Haustür öffnen und wieder schließen. Sie schien in fliegender Eile zu sein, blieb aber einen Augenblick vor der Schlafstubentür stehen, ehe sie vorsichtig den Drücker herumdrehte.

Sie kam so eigenartig ruhig herein, stürzte dann aber plötzlich am Bett der Mutter nieder und schlang die Arme um ihren Hals:

»Ich bin so glücklich, Mutter, – ach so glücklich!«

»Aber Kind, – ah, – du drückst mich; sei vorsichtig.«

»Ja, aber ich bin so glücklich, Mutter, – ich bin noch nie im Leben so glücklich gewesen, – ich kann nicht einmal weinen

– – Ach, Mutter, Mutter, – Mutter, dir ist heute eine Tochter geboren, – ein Mensch mit dem Willen zu leben, – der nie gewußt hat, daß es so herrlich sei zu leben – – heute morgen hätte ich ins Wasser gehen können, und jetzt, jetzt – –«

»Nun, nun, du starkes Mädchen, – wann bist du jemals so außer dir gewesen.«

»Ich bin nicht außer mir, Mutter, ich bin nur so gar nicht daran gewöhnt, glücklich zu sein. Alles dreht sich vor mir herum –«

Sie lag da und lächelte über etwas, das ihr wieder einfiel: »Er hatte schon eine Karte genommen, als er mich durch das Fenster draußen auf der Treppe erblickte. – – Nein, er wollte nicht Whist spielen – – Ja, weißt du, er kam, als wir alle im Garten waren und –«

»Beruhige dich nur erst ein wenig, Kind; ich fühle ja, wie du zitterst.«

»Liebe Mutter, hier ist ein erwachsener Mensch, der weder heult noch weint, – ich bin nur so bange, daß es mir über Nacht im Traum entwischen könnte. Ich weiß, ich werde die ganze Nacht wach liegen und acht darauf geben.«

»Er – das ist wohl Doktor Falkenberg, wie?«

»Ja, ja, ja, Mutter! – Und nun sollst du das Ganze hören, von Anfang an:

Bera hatte gestreiften Wollmusselin an, so ein häusliches, wirtinnenmäßiges Kleid. Du weißt, sie vergißt nie ihre Würde als einzige Tochter, die in Gyllings Hause repräsentieren muß.

– Und die alte gute Franziska trat in roter Seide auf mit Kreuzbänderschuhen, ganz wie ein kleines Mädchen, und dazu ein langes, steifes Schildpattlorgnett, das ihr bis in den Schoß hinabhing. Valborg und Dina Breder waren schwesterlich gekleidet wie immer – zwei Brote feinster Raffinade, sagt Böckmann.

Und darüber kann kein Zweifel herrschen, daß der Disponent Ek bis über die Ohren in Bera verliebt ist. Er benimmt sich ja freilich so fein und korrekt dabei; aber es stimmt nun doch alles – – Und – und, – ja, Hanna war da –, und Tona –

Ach nein, Mutter, ich kann wirklich nicht, denn, siehst du, als er die Karte hinlegte, fing er an, wie das so seine Gewohnheit ist, die Brille zu putzen und sie gegen das Licht zu halten, – so schief, weißt du, so daß man schärfer durch die Gläser sieht. Ich merkte denn ja auch sofort, daß er mich auf der Treppe auf diese Weise betrachtete, genau so, als wenn ich ihm zum Porträtieren sitzen sollte.

Und wenn ich mich auch so stellte, als wüßte ich es nicht, so fühlte ich doch, daß ich so verrückt dumm rot wurde und immer heißer um die Ohren, – bis ich endlich Hanna unterfassen konnte, die in den Garten hinabeilte, wo sie ›Eins, zwei drei, das letzte Paar herbei‹ spielten. Bera war gerade an der Reihe, sie und Böckmann, und dann kam Ek. Und ich lief um die Wette mit Rechtsanwalt Klein, so daß ich kaum mehr wußte, was ich tat. Ich weiß nur noch, daß, als wir stehen blieben, Falkenberg dicht vor mir stand und meinen Arm nahm und sich schnell abwandte und, – ich fühlte ordentlich, wie er mich zog – durch die Gartenwege ging, bis wir an der Ecklaube angelangt waren.

Zu Anfang konnte er beinahe kein Wort herausbringen. Aber mein Gott, wie schön er war, eine Frau kann nie so durch und durch schön sein! –

Ich stand da und hörte wie im Traum alles, was er sagte, – – etwas von einer frischen, klugen Aufsicht, so daß ein Mann darin reingewaschen werden könne, – und dann lachten wir beide über den unpassenden Ausdruck – –

Ja, er sagte so viel, Mutter. – – Schließlich fragte er mich leise und eindringlich, – es klingt mir noch in den Ohren: – ›diese warme, feste Hand, – wollen Sie mir die geben, Sölvi?‹

Ob ich wollte! – –

Ja, als wir dann zu den anderen zurückkehrten, waren wir wohl zu lange fortgewesen, fürchte ich. Wir hatten uns ja so unendlich viel zu sagen. –

Und noch vor Weihnachten soll ich Frau Sölvi Falkenberg heißen.«

Sie legte ihren Kopf auf das Kissen und wiederholte einmal über das andere still grübelnd:

»Mutter, Mutter, kannst du es begreifen?«

»Ja, und dann,« sprang sie plötzlich auf, – »kannst du denn das begreifen? Als ich fortging, schloß mich Bera unten am Gartenwege leidenschaftlich in die Arme und flüsterte:

›Ja, werde du wenigstens glücklich!‹ – Ich glaube, sie hatte Tranen in den Augen.« – – – – – – – – –

*

– Und späterhin am Abend stand Bera Gylling bei dem matten Sternenschein am Geländer auf der Veranda ihres Vaters und schaute mit fest geschlossenen Händen in die Ferne.

Es war eine feuchte Sommernacht, die den Duft von unsichtbaren Reseden und Rosen unten von den Beeten heraustrug. –

Ja, Sölvi war glücklich geworden! –

Und sie selber? – sie wußte, daß jedesmal, wenn Faste jubelnd vor Interesse für irgend etwas Neues zu ihr kam, – sie ein Gefühl hatte, als zöge sich eine kalte Mauer zwischen ihm und ihr, – sie fühlte, daß sie ihm Hunderte von Meilen entrückt wurde! – Sein Herz und seine Seele lagen dort gefesselt. – –

Er liebte die Idee. Eine Frau war für ihn nur die augenblickliche Mitfreude daran – – Jedesmal ward ihr das klarer, – sie fühlte, daß keine erotischen Empfindungen die Tiefen seiner Seele erfüllten, – danach stand ihm der Sinn nicht. Der Rausch seiner Natur bestand in der Eroberung neuer Reiche, Länder, Reichtümer, in der Durchführung von Gedanken. – – Eine Frau! – ja, so lange sie ihm Widerhall für dies alles gab! – –

Ach Gott, wie es ihr trotz alledem im Blute pochte. – –

Er aber hatte andere Ziele. Und zeigte sie ihm durch eine abweichende Auffassung die Wahrheit, so fühlte sie es gleich wie einen eisigen Frostschauer, wie sich das Band löste, und daß sie sich wieder in den Kreis seiner Aufmerksamkeit und Interessen hinein schmeicheln mußte.

Bleich kam sie zu dem Schluß: – er kann sich auf seinem Lebensweg nicht von einem Mädchen aufhalten lassen, – er gehört zu diesen unbändig ehrgeizigen Naturen, die sich berufen fühlen und im Innersten ihres Herzens nur ihre Ideale lieben. Seine wahre Geliebte wandelt hinter den Wolken. – –


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