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Elftes Kapitel

Es ging wie ein Verstummen über die Stadt an diesem Morgen, – wie ein lähmendes Schweigen mitten in all dem geschäftigen Frühlingsverkehr.

Es war nicht wahr, – konnte unmöglich wahr sein, – selbst der alte, steinreiche, solide Waggesen auf Wold hatte seine Zahlungen eingestellt! – –

Es herrschte eine Stille, in der jeder am liebsten nach Hause ging, um mit sich selber Abrechnung zu halten, ehe man anfing mitzureden oder dem Geschwätz zu lauschen.

Es war genau so wie an jenem Morgen, als das Gerücht auftauchte, daß Mörchs Dreimaster »Regina« in der Nacht dicht vor den Schären mit Mann und Maus untergegangen sei. – Man mußte ja glauben, daß so etwas unmöglich wäre. –

Der alte, sichere, steinreiche Waggesen – seine Zahlungen eingestellt? – Unsinn! – –

Als Faste am Vormittag aus dem Kontor kam, fingen die Leute an, sich zu zweien und dreien in Gruppen zusammenzufinden, – eigentümlich still mit düsteren, zergrübelten Gesichtern.

Auf der Rathaustreppe gingen die Gerichtspersonen auf und nieder und redeten eifrig miteinander. – –

Und da stand John Berg und spie Kautabak von sich und bezweifelte aufs höchste die Tatsache! – – Nach den Weissagungen sollten doch einige Zeichen an der Sonne und am Mond vorausgehen, ehe die Welt zusammenstürzt. – –

Hie und da lugte ein Frauengesicht zum Fenster hinaus und spähte die Straße hinab. – –

Die Aufmerksamkeit steigerte sich, als der Gerichtsvollzieher mit Disponent Ek die Straße entlang gefahren kam. – –

Ja, sie wollten nach Wold! – –

Und jetzt kam jemand, und erzählte, der Amtsrichter sei schon da draußen und nähme Protokoll auf.

Der Inkassator Ulriksen wollte in fliegender Fahrt vorüber. Er hielt das Pferd ein ganz klein wenig an, als er Faste gewahrte, den die Sache ja gewissermaßen anging; knallte aber gleich wieder mit der Peitsche, – sah sich nur noch ein paarmal um.

Hinter ihm drein fuhr Rechtsanwalt Messelt in scharfem Trab auf die Landstraße zu.

Es lag etwas ansteckend Bedrückendes in der Luft, – ein Gefühl, als habe ein Erdrutsch oder dergleichen stattgefunden.

Der alte Klüver räusperte sich und blieb vor Faste stehen, während der Zollinspektor sich zögernd näherte. – –

»Ein furchtbarer Stoß! Ein furchtbarer Stoß!« rief Klüver mit dunkelrotem Kopf aus. »Ich bin noch ganz verwirrt und kann noch keinen Gedanken wieder fassen. – – Alle Arbeiten in Waggesens Villen an der ganzen Bucht entlang sind niedergelegt, – das wird eine förmliche Wand vor dem Badeort.«

»Glücklicherweise im ersten Jahr, Herr Konsul!« antwortete Faste unerschrocken. Er empfand die Notwendigkeit, der öffentlichen Meinung einige Sätze einzuprägen. – »Man kann ja nicht darauf rechnen, gleich sofort mehr als das Hotel selber und die kleinen Häuser am Strande zu vermieten.«

»Aber wenn nun alle Aktien Waggesens auf einmal auf den Markt geschleudert werden?« fragte der Zollinspektor nervös.

»Pah, – in einigen Monaten fangen die Gäste an zu kommen, und da wirft sicher niemand sein gutes Geld ins Meer!« – sagte Faste überlegen. »Nicht wahr, Konsul Klüver, wenn man die Kuh den ganzen Winter gefüttert hat, gibt man sie nicht auf, wenn das Gras kommt.«

»Sie, – Sie, – Sie, Mirakelmacher!« – Klüver stach, offenbar erleichtert, mit dem Stock nach ihm.

»Ja, aber wer garantiert!« fuhr der Zollinspektor fort.

»Ich denke, Waggesens Konkursmasse wird jetzt, wo wir eben daran sind, die Sahne abzunehmen, einen guten Überschuß aus den Aktien erzielen. – – Die Leute sind doch nicht verrückt!« fügte Faste mit Nachdruck hinzu, als sich Lüders und der junge Böckmann zu der Gruppe gesellten.

»Es berührt weder die Zellulose noch die Konserven,« fiel ihm Böckmann in die Rede, – »in keiner Weise – – der Makler nannte es einen Bauernbankrott, der die Geschäftswelt eigentlich gar nichts angehe – –«

– – Als Faste die Straße hinabging, glaubte er oben von der Ecke her Tryggesen die Worte »Schwindler – Schwindler« mit seiner belegten, heiseren Stimme hinter ihm drein rufen zu hören.

Er eilte weiter.

Die Verhandlungen schienen sich mehr und mehr auf die Gegend zwischen dem Posthause und der Zollbude konzentriert zu haben.

»Unglaublich, – unglaublich!« hieß es dort.

Weiter war man noch nicht gekommen. – –

»Schwindel – – Schwindel – –« klang es Faste in den Ohren, als er den Weg nach Hause einschlug, – er war nicht imstande, heute noch aufs Kontor zu gehen.

»Schwindel!« wiederholte er plötzlich ganz empört:

Der Kerl meint wohl, wenn ich tausend Kronen oder zehntausend Kronen oder hunderttausend gewinnen könnte, – oder vielleicht auch nur zwei Prozent, wie sie sagen, – so würde ich mit Vergnügen alle diese Steuerleute und Bootsleute und die kleinen Leute mit ihren Familien, die Viertel- oder Achtelaktien genommen oder zusammen eine ganze gekauft haben, – in Not und Elend stürzen. Ich könnte ruhigen Blutes zusehen, wie sie geröstet und gefoltert würden, wenn ich nur fünfzig Kronen dabei gewönne!

Ja, so denken sie. – –

Eigentlich so recht ein Kapitel für das Buch des Mammons, das ich in den »Geizhals« einfügen sollte. – –

Geradezu zwei verschiedene Auffassungen, zwei Arten von Seelen. – –

Der eine wäre nicht fähig, so etwas für Millionen und Abermilllonen auf sich zu laden, der andere läßt die ganze Welt mit voller Besatzung für zwei Prozent auf den Grund laufen. – –

Und dann sage noch jemand, daß der Mammon kein Gott ist! – – in dem ewigen Kampf zwischen Geist und dem Elementaren. –

Faste öffnete, wie das seine Gewohnheit war, die Wohnstubentür, um die Mutter zu begrüßen, ehe er sich nach oben auf sein Mansardenstübchen begab.

Er stutzte, als er Sölvi schon bei der Mutter und Agnete sah. – –

Es durchschauerte ihn, – ein Bild aus früheren Zeiten tauchte vor seiner Seele auf. – – Sölvi still, mit strammer Miene, – Agnete resigniert zu der Decke emporstarrend, als schnappe sie nach Luft, und die Mutter mit Fieber in den großen Augen, ganz gebeugt vor Kummer. – –

Anstatt mit der Nachricht von Waggesens Bankrott herauszuplatzen, schwenkte er plötzlich ab. – –

»Es wundert mich, daß ihr Ditlev in seine alte Manie zurückfallen und ihn sich so närrisch herausputzen laßt,« sagte er. »Da geht er mit einer Feder am Hut und blast auf einer Binsenflöte die ganze Wiese am Bach entlang. Er scheint die Absicht zu haben, den ganzen Pöbel um sich zu versammeln.«

»Ach mein, Junge, man kann nicht wissen, was er vor hat,« meinte Frau Forland. »Es soll mich nicht wundern, wenn er da dem Star, der gekommen ist, ein Konzert gibt – –«

»Nun, – und Waggesen? – – Ich sehe, ihr habt schon gehört –«

»Ja, Sölvi kam mit der Nachricht, du, – die Folgen kann wohl noch niemand überschauen,« sagte Frau Forland, indem sie ihn ängstlich ansah.

»Erwachsen dir dadurch Schwierigkeiten, Faste? – Und der Badeort?« forschte Agnete. – »Du bist also unruhig?«

»Ja, Mutter, – dies kam ja freilich so überraschend, als wenn der Mond vom Himmel gefallen wäre. Aber man darf den Kopf nicht verlieren! – Sie sind imstande, eine förmliche Panik in der Stadt zu verbreiten. – – Sie stehen auf den Straßen und schwatzen und kauen Tabak und speien und kommen schließlich zu der Überzeugung, daß die ganze Norwegische Bank in die Luft gesprengt ist, – – Waggesen hat seine Zahlungen eingestellt, das ist die einfache, nüchterne und höchst bedauerliche Tatsache!«

»Ja, Faste! – Ich kann dir freilich mehr erzählen,« sagte Sölvi voller Empörung. »Falkenberg kam heute früh um drei Uhr aus Wold zurück und hat mir das Ganze erzählt. Der Mann hat sich das Leben genommen!«

»Was sagst du, – was sagst –«

Faste stand wie vom Schrecken gelähmt da und starrte vor sich hin. – – Waggesens Gestalt stieg plötzlich vor ihm auf, immer deutlicher und deutlicher, wie er so da gestanden und gesagt hatte: Ich bin mit dabei! – Ich bin mit dabei! »Das brauche ich mir doch wohl nicht zur Last zu legen, Mutter!« schrie er beinahe; – er warf sich auf das Sofa und sprang wieder auf.

»Aber Faste! Faste!« jammerte Agnete und lief hinter ihm drein durchs Zimmer. – –

»Wir tasten alle im Blinden,« sagte Frau Forland leise. – – »Du hättest Waggesen sicher nicht in seinem unglückseligen Jagen nach Geld aufhalten können.«

»Nein, – aber, –« entgegnete Faste verzweifelt. – –

»Ach, ich bin verrückt!« sprang er auf. »Das Badeunternehmen würde ich getrost heute noch einmal angefangen haben, wenn dies nicht geschehen wäre!«

»Lieber Faste, – du siehst so viel weiter, als meine Brille und auch die Verstandesferngläser anderer reichen,« beruhigte Frau Forland. »Wenn du selber nur deiner Sache sicher bist – –«

»Aber es nützt wirklich nicht, die Sache nur vom idyllischen Standpunkt aufzufassen, Mutter,« sagte Sölvi. »Solange der grundfeste Waggesen als Besitzer des Hauptanteils der Aktien dastand, meinten die Leute, es könne kein Risiko sein. – – Falkenberg und ich haben ja den ganzen Morgen hierüber gesprochen. Und wäre nur die Doktorwohnung nicht mehr so weit zurückgewesen, so würden wir sofort eingezogen sein, – die meisten Möbel haben wir ja schon. – – Das würde gleichsam in aller Stille dein und unser unerschütterliches Zutrauen zu der Sache gezeigt haben – –«

»Ja, du, jetzt wollen wir ordentlich Klemm hinter die Sache setzen,« ging Faste eifrig auf den Gedanken ein. – – »Und ich denke, wenn sie in ein paar Monaten leibhaftige Badegäste vor Augen haben, so wird das am besten für die Sache sprechen.«


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