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Zweites Kapitel

Staubwolken auf den Wegen und immer lauter werdende Klagen über Wassermangel. – – Erdrückend schwüle Hundstage. –

Schattenlos wie das kleine hölzerne Haus der Witwe Forland dort hart an der Landstraße lag, nur mit ein paar Ebereschen zu beiden Seiten der Treppe, brodelte die Sonnenglut förmlich in den alten, längst ausgetrockneten Astlöchern der Holzwände. – Fenster und Türen waren der Hitze wegen geöffnet, die jetzt Tag für Tag ihr einförmiges Schweigen über die Stadt lagerte, ihren Nebel immer dichter um den Abhang spann und die Masten und Rahen unten im Hafen immer undurchsichtiger in ihren grauen Schleier hüllte.

Die Tochter des Hauses, Sölvi, ein schöngewachsenes Madchen von zwei- bis dreiundzwanzig Jahren, kam auf die Treppe hinaus. Sie hatte einen Hut auf und stellte den Sonnenschirm hin, um die Handschuhe zuzuknöpfen.

Plötzlich lauschte sie und vergaß das Knöpfen.

Unten vom Wege herauf ertönte das einförmige Gerassel eines leichten Fuhrwerks, das in schnellem Trab daherkam.

Es blieb ihr gerade noch Zeit, einen hastigen Blick auf ihre Kleidung zu werfen und den Hut ein wenig zurecht zu rücken, ehe der neue Arzt des Städtchens, Doktor Falkenberg, in seinem Kariol dahergerollt kam, ganz eingehüllt in die Staubwolke, die die Räder aufwirbelten.

Er hielt vor der Treppe an, grüßte mit dem Strohhut und wischte den Staub von der Brille, während er verstohlen durch die Gläser zu ihr aufsah.

»Nun, wie geht es Ihrer Frau Mutter, Fräulein; – hat mein kleiner Rat ihr geholfen?«

»Danke, Herr Doktor! Mutter ist so glücklich darüber. Sie hat den Rheumatismus fast gar nicht mehr gefühlt, seit sie angefangen hat, Ihren Rat zu befolgen.«

»Es war übrigens nur ein einfaches Altweibermittel, auf Apothekerlatein übersetzt. Es hilft unfehlbar, wenn man nur daran glaubt,« – lachte er. »Im übrigen ist dies trockene, heiße Sommerwetter wohl das beste Heilmittel. Aber ich halte Sie auf, Fräulein Sölvi, ich sehe, Sie wollen ausgehen. – –«

»Ja, in die Stadt hinab, – auf das Kontor; – aber ich habe Zeit genug.«

»Hm, – ich hätte mich fast erkühnt zu fragen, was wollen Sie dort? – sitzen und rechnen und Assekuranztabellen ausfüllen! Ich will wetten, mein Fräulein, Sie gehen immer über den Markt, wenn Sie aufs Kontor wollen?«

»Ja, das war nun gerade nicht schwer zu erraten! – woher sollten sie sonst daheim ihr Mittagessen bekommen?«

»Ach, seien Sie einmal aufrichtig, – Sie hatten es sich niemals träumen lassen, daß das Märchen Ihres Lebens Sie die Kontorlaufbahn führen würde, mit Tinte an den Fingern!«

Sie blickte vor sich hin auf die Treppe.

»Gestehen Sie es mir. Sie würden tausendmal lieber daheim bleiben und für die Mutter und den Garten und die Hühner und die Enten sorgen und den Haushalt führen und hin und wieder einmal ein kleines Tanzvergnügen hier oben bei den befreundeten Familien mitmachen, als Mitglied des »Kontoristenvereins« zu sein!«

Sie brach in ein helltönendes Gelächter aus. Gleich darauf aber folgte ein leidenschaftlich qualvolles – »Ach ja!«

Der Doktor hakte den Spritzlederriemen los, um auf die Treppe hinüberzuspringen, als Faste plötzlich in Hemdsärmeln aus der Gartentür trat, ein paar Meßinstrumente in der Hand.

»Guten Tag, Herr Doktor! Nun, ich kann Ihnen sagen, daß Sie gestern abend unten im Klub gehörig vorgenommen wurden. Oder vielmehr der Plan, draußen im Westen von der Stadt eine Seebadeanstalt anzulegen, – und man vermutete, daß Sie die treibende Kraft des Unternehmens seien. Versteht sich, wir diskutierten die Sache ausschließlich von der ökonomischen Seite, – in bezug auf die Rentabilität. – –«

Der Doktor schob die Brille ein wenig in die Höhe und sah in die Luft hinaus:

»Ja, Herr Forland. Es will mir nur scheinen, als wenn derselbe Salzstoff sich in allen Küstenstädten des Landes finden müßte, wo die See den Kloaken nicht zu nahe liegt. – Jedenfalls kann man mal drauf anstoßen.«

»Man fangt an, Witze zu machen, Herr Doktor! – Aber da zählten wir auf Sie, – daß Sie, der Sie schon so schön in den Krankenhausverhältnissen aufgeräumt haben, auch der erste sein würden, der dem Plan und der Aktienzeichnung seine Unterstützung angedeihen ließe. Das, worauf wir hinaus wollen, ist nichts Geringeres als der Ankauf der ganzen Landzungen und ihre Verwandlung in einen Kurort mitsamt dem Vorstrande. Und dann, wenn der Gedanke lebensfähig ist, was ich glaube, – allmählich Hotels auf der ganzen Westseite und diese Gegend der Stadt in ein modernes nordisches Bad verwandelt.«

Der Doktor lachte.

»Es geht jungen Architekten wohl ebenso wie frischgebackenen Doktoren. Ganz ähnliche Ideen schwirrten auch mir durch den Kopf, als ich in die Stadt kam. Sie können mir glauben, in einsamen Stunden in einem Kariol wird viel phantasiert, – ja, dann adieu, Fräulein!« unterbrach er sich.

»Vor der Sonne sind Sie auch nicht bange.– – Stehen da in der Gluthitze und lassen den Sonnenschirm auf der Bank liegen!«

»Ach, mit einem breitrandigen Hut –«

»Sie haben einen heißen Weg zur Stadt hinab! – – Und hüten Sie sich, daß Sie keinen Sand und Staub in die Augen bekommen«, schallte es ihr nach, während das Kariol weiter bergan rollte.

Mit einer gewissen bleichen Empörung blieb Sölvi Forland auf der Treppe stehen, dann eilte sie ins Haus.

In der Einsamkeit des Schlafzimmers saß Frau Forland und las einen eben angekommenen Brief von ihrer jüngsten Tochter Agnete, die bei Pastor Fejer in Sogn Gouvernante war.

Sie hatte den Krückstock an die Stuhllehne gestellt, während ihre gichtgekrümmte Gestalt sich darüber lehnte.

Sölvi erschien in der Tür:

»Dann also adieu, Mutter. – – Ja, – glaub' mir nur, sie hat sich zu dem Pastor entschlossen!«

»Pfui, pfui, Kind, wie kannst du nur so etwas denken, – ein älterer Mann!«

»Ich höre es ja aus dem ganzen Brief heraus, Mutter, sie nennt ihn fortwährend »Fejer« und nicht mehr den Pastor. Und dann die Bemerkung, daß der Pfarrhof jetzt einen so günstigen Kontrakt mit der Molkerei abgeschlossen hat!«

»Ach, das ist häßlich von dir, Sölvi, – sie sollte den Alten nehmen –«

Sölvi lachte so eigenartig.

»Ich meine nun gerade um so lieber, weil er so alt ist! Gott behüte uns, einen Mann zu nehmen, ohne etwas dabei zu empfinden, wenn er obendrein noch jung ist, – und hübsch und schwärmen will. Stell' dir doch nur vor, wie entsetzlich Agnete dann lügen müßte!«

»Ich liebe es nicht, dergleichen Gedanken zu verfolgen, Sölvi. Du bist in der letzten Zeit so verbittert geworden. Ich weiß wirklich nicht, was du hast.«

»Ich für meinen Teil würde mit Vergnügen in so einen Pfarrhof einziehen, – ich meine zu so einem bemoosten Pastor, – so einem recht stümperigen Alten, – bei dem ich leben könnte wie in einer alten, ehrwürdigen Kirche, – und ihm den Weg ebnen – und das Geleit bis ans Grab geben. Ich würde ihn in keinem Punkt betrügen. Ich hatte ja vor einigen Jahren ohnehin schon die Absicht, als Krankenpflegerin fortzugehen. Und dann, wenn ein Mädchen einige zwanzig Jahre alt ist und eine gute Anstellung hat, sei es nun als Gouvernante oder als Kassiererin auf einem Kontor, so ist sie über die Romangrillen hinaus; dergleichen ist ganz einfach weit unter ihrer Würde. Hat sie irgendwelche Illusionen gehabt, so ist es damit auf alle Fälle vorbei. – Das einzige, was mich stören würde, sind diese ewigen Milchspeisen, die man auf so einem Pfarrhof bekommt!«

»Pfui, Kind, dein Scherzen hört sich häßlich an –«

»Dann adieu, liebste, beste Mutter! Setze dich auch nicht ans offene Fenster – –«

Sölvi eilte zu ihr hinüber und küßte sie heftig auf die Wange, ehe sie aus der Tür verschwand.

Frau Forland saß still da mit großen Augen und einem schwachen Lächeln, als wolle sie den Eindruck nicht zu stark auf sich wirken lassen. Sie griff nach dem Photographiealbum auf der Kommode. – –

Agnete, die zarte Erscheinung, als sie klein war, – vor fünf Jahren. Und, als sie zwölf Jahre alt war – und als sie sechzehn zählte und konfirmiert in dem schwarzseidenen Kleide dastand, das ihr die Frau Großhändler Mörck geschenkt hatte, – munter und natürlich, leicht wie eine Sylphide – und sie sich sterblich in Peter Kjelsberg verliebte, der Steuermann geworden war und mit einem flatternden Schlips einherstolzierte, – und, als sie fünfundzwanzig alt war und ihre schlanke Gestalt und ihre Haarfrisur ein wenig bewußter trug – – –

Und ebenso ihre kräftig gewachsene, kernfrische Sölvi mit dem strotzenden Leben in Antlitz und Haltung, – so eine echte, lachende, halb trotzige Rosenknospe auf allen Kinder- und Jugendbildern, – bis auf das letzte unvorteilhafte Bild vom vorigen Jahr, wo sie so ernsthaft dastand, die Hand in der Hüfte, wie ein Engel der Anklage, der vor seinem Gott und Schöpfer aufmarschiert ist – –

»Die Zeiten sind anders geworden. Faste,« – lief sie aus, als der Sohn schweißtriefend und von der Sonne rotgebrannt eintrat – – »sie sind heutzutage ungeduldig, die kleinen Mädchen, und so bereit zur Empörung.«

»Daß die Zeiten anders geworden sind, – ja, möchtest du das doch einmal in deinen lieben Kopf hinein bekommen, Mutter! Aber so weit wirst du niemals kommen. – – Ja, du, ich irre mich nicht. Der Strom vor deinem Garten zeigt beim niedrigsten Wasserstand, – und dies muß der niedrigste Wasserstand sein, – ein Gefälle von einundvierzig Zentimetern, das bedeutet ungefähr einen und einen drittel Fuß. Da waren ja auch noch einige Überreste von einer Wassermühle oder einem Stromrad aus alten Zeiten.«

»Ja, dann muß es wohl irgendeinen Grund gehabt haben, weswegen es abgebrochen wurde.«

»Unwissenheit, – Mangel an mechanischem Verständnis; es war ja vor zehn oder fünfzehn Jahren noch die reine Bauernwirtschaft hier oben. Es genügt, Mutter, daß du die Hälfte eines kleinen Stromfalles hier am Flußufer zwischen deinen beiden Gartenzäunen besitzt. Das kann mathematisch nachgewiesen werden!«

»Könnten wir das Geringste dafür bekommen, du, wäre es auch nur eine Kleinigkeit gewesen, so hätten sie mich das Haus nicht behalten lassen!«

»Ja, Mutter, – das kommt ganz auf die Augen an, mit denen man es sieht. Wenn du alle die Taxatoren der Stadt im Kreise darum herumsetztest, so würden sie alle wie ein Mann den Kopf schütteln und sagen: Nicht die Bohne! – Aber ich, siehst du, ich sage etwas anderes. Und zu dir, dir ganz allein, – nur zu dir, weil ich dir eine Freude machen muß – sage ich es gleich, daß ich einen Goldklumpen unten am Ende des Gartens gefunden habe.«

»Einen Goldklumpen? – Gott erhalte dir deinen Verstand!«

»Den Strom, meine ich natürlich.«

»Das ist ja nur Wasser, – nichts als Wasser. Gib um Gottes willen die Gedanken auf, mein Junge, – nur Wasser –«

»Siehst du, Mutter, du kannst dir ja doch einen kleinen Faden vorstellen, wenn es auch nicht gerade ein Zwirnsfaden ist. – – Wenn du nun mittels eines solchen nacheinander die Kraft aller der Stromfälle, all' der kleinen Stromfälle im ganzen Tal miteinander verbinden könntest, so würde das schließlich wie ein großer, vereinigter mächtiger Wasserfall wirken, der alles treiben könnte, was diese Stadt nötig hat, elektrische Beleuchtung und – nun, meine Pläne behalte ich, bis die Zeit da ist, für mich. Wenn ich plauderte, so würden die Bauern über uns auch gar bald begreifen, daß sie Goldklumpen im Strom haben. Aber ich bin nun, einmal dafür, daß der Erfinder, – und das bin ich – auch die Prämie bekommt! – Ich mußte dir nur eine Freude machen, indem ich dir ein wenig Hoffnung und Aussicht auf leichtere Zeiten für uns alle mitteilte. – – Du sollst noch einmal in einer der großen Villen wohnen, Mutter, und wenn du willst, auch noch ein steinernes Haus unten in der Stadt haben.«

»Aber du legst doch wohl das Geld vom Onkel Joel nicht hierin an?« rief sie besorgt aus.

»Kümmere du dich nicht darum, kümmere du dich nicht darum. Der Makler ist ein geriebener Kunde, – klug – vorsichtig. – – Daß ein so verteufelter Kopf unter einer solchen halbvertragenen kleinstädtischen Perücke stecken kann! Er hatte gleich Verständnis für die Badeanstalt und sah ein, daß gewisse Sachen fertig abgeschlossen sein müssen, ehe wir sie öffentlich auf dem Markt ausbieten.«

Pfeifend schlenderte er hinaus.

– Tief über die Krücke gebeugt tastete Frau Forland sich Schritt für Schritt nach der Stubentür hin. Sie hatte heiße Flecken in den Schläfen von allem, was Faste ihr mit einer so felsenfesten Überzeugung vorgeredet und auseinandergesetzt hatte. Er konnte einen wirklich, wie Sölvi sagte, geradezu in sein Land hinüberversetzen, wenn man sich nicht in acht nahm. – – Wie gut, daß sie gerade auf das Kontor gegangen war, als Faste kam und dies alles vortrug. Sölvis scharfe Zunge seinen Ideen gegenüber würde nur zu erregendem Wortgefecht führen – –

Sie stand in der offenen Schlafstubentür und sah sich prüfend in der durch die Decke gedrückten, niedrigen Wohnstube um. Die lebhaften Augen suchten in diesem Augenblick nach einem anderen Platz für das mit Noten überladene tafelförmige Klavier – – –

Es war nur ein flüchtiger Gedanke, der infolge Fastes Vorspiegelungen in ihr aufgestiegen war, – – den sie aber doch ausprobieren mußte, ehe sie sich Ruhe gönnte, um Agnetens Brief zum zweitenmal gründlich durchzulesen, – nur eine Idee für den Fall, daß doch etwas von alledem, womit sich Faste herumtrug, wirklich Geld einbringen würde, – nämlich die Idee, die beiden altmodischen Fenster auf irgendeine Weise zu einem einzigen großen zu vereinigen; und dies müßte dann von einer reichen Gardine umrahmt werden, die an einem vergoldeten Spieß mit ebensolchen Ringen und breiten Gardinenhaltern befestigt war. – – –

– – Und vielleicht auch – natürlich nur, wenn sich wirklich Einnahmequellen ergeben, – ein Kachelofen mit Messingtüren statt des alten, häßlichen eisernen Ofens, der jetzt noch ganz mit Birkenlaub vom St. Johannistage her verhüllt war. – –

Die kleine gebeugte Frau mit den leuchtenden Augen und dem von Schmerz abgezehrten, mageren, großgeschnittenen Gesicht vertiefte sich immer eifriger in die Möglichkeit, die diese beiden Fenster bieten könnten. Sie hielt den Krückstock quer vor sich hin, um die Breite abzumessen, und während sie sich so bewegte, streiften die Sonnenstrahlen hin und wieder einen bräunlich-grauen Haarwuchs, der ihr in Wellen in die Stirn fiel.

In verschiedenen Absätzen, je nachdem ihr etwas Neues einfiel, war sie schließlich auf die andere Seite der Stube hinübergerückt, ganz erfüllt von einem anderen Zimmer, – das sie jetzt selber umgebaut und anders eingerichtet hatte. – –

Draußen auf dem Hofplatz ging Faste umher und beobachtete mit einer gewissen Neugier seinen älteren Bruder Ditlev, den Idioten. – – –

Mit großen, feierlichen Bewegungen und irgendeinem tierisch grunzenden Kehllaut dirigierte dieser ein eingebildetes Orchester zum Prasseln des Bratens, das aus dem Küchenfenster herausdrang, vor den zwei bis drei Hühnern, die fortwährend glaubten, daß er ihnen Korn hinstreue und vor ein Paar watschelnden Enten, deren Geschnatter er jedesmal mit der liebenswürdigsten sich verneigenden Dankbarkeit entgegennahm.

»Auch in ihm ein Stück elementaren Chaos! Eine Art Melodie in dem, was er brüllt, – er bekam nur kein Gehirn, um es zu lenken,« murmelte Faste. Ihm lag heute ein wunderliches Gefühl im Blut, etwas so Gewaltsames, daß es ihn erschlaffte und ihn wie in einer Betäubung umherwandern ließ – –

– – Das einzige, woran man glauben konnte, war man ja natürlich selber! Der Fehler lag nur darin, daß das Individuum dieses »man selber« von der Autorität fortblasen ließ. Das waren die wenigen, die die Welt vorwärts trieben – –

In seinem Kopf sang es unaufhörlich: durch seine Messungen und Pläne der Stromverhältnisse hielt er jetzt das Mittel, den allstarken Torhammer in der Hand, mit dem er die Kobolde besiegen wollte! –

Er strandete endlich auf der zerbrochenen Steinbank im Schatten der Laube ganz unten im Garten.

Ein Rückenkissen aus dem Schaukelstuhl im Wohnzimmer unterm Kopf lag er da und starrte schläfrig den Strom an – –

Diese ewige, eintönige Hummel summte durch das Blätterwerk der Laube aus und ein, – – brummte ganz in der Nähe und weckte ihn – – klang wieder ferner und ferner durch den Traum – –

Er war gewissermaßen selber die Hummel mit dem weichen, braunen Pelz, die schwarzgefleckt und geschwellt von Lebensfülle tönend durch den Sommertag dahinflog und genoß und schwelgte – – – Hier war eine nicht zu bewältigende Auswahl! – –

– – Wenn man es nur alles erreichen könnte – – das blanke gelbe – – zwischen den feuchten Huflattigblättern am Stromufer, die reine schimmernde Sonnenscheinbutter! – – Die Nelken und die Levkojen und die Rosen und die feuerroten Geranien und die Aurikeln, – jede auf ihre Weise bezaubernd bis zur Betäubung – –

Es handelte sich nur darum, daß man sich bei der einen zunächstliegenden Ruhe ließ und Augen und Gedanken nicht auf die nächste und übernächste richtete, – daß man sich nur noch eifriger abmühte und es nicht aufgab, – von Blume zu Blume, – von dem Rausch des Hollunders und Faulbaums hinauf zu den fetten, süßen Lindenblättern – –

Er mußte es schließlich ganz aufgeben, konnte und konnte nicht mehr in dieser Fülle des Daseins – –

Nein, er konnte nicht mehr! – –

Nach einer Weile überkam ihn eine unsagbare Angst, – er summte in einem leeren Raum herum – –

Auf der Steinbank in der Laube saß ein Mann. Sein Vater war es wohl eigentlich nicht, – es war der alte Oberlehrer Johannesen.

»Sieh selber nach,« bemerkte der Oberlehrer, als habe er dort schon längere Zeit gesessen und geredet und über die Sache gegrübelt, – »dann wirst du finden, daß ein wenig von dir an jedem Stengel da oben hängen bleibt; und da kannst du begreifen, wieviel von dir nachbleibt, um damit in die höhere Welt hineinzusummen.«

War das nicht genau dasselbe, was Faste empfunden hatte! – und was ihn so mit Angst erfüllte, – daß etwas von ihm abhanden gekommen war – –

Ärgerlich aber war es, daß der pedantische Oberlehrer mit der stillen überlegenen Miene dasaß und sich breit machte; und er empfand eine gewisse Neigung, über die Sache zu diskutieren. – – Man konnte zum Beispiel von der Natur einer Hummel ausgehen – –

Aber dann würde er ja keine Hummel sein. Es nützte nicht, sich damit bei Bera zu melden – – –

»Ich möchte mich bestens bei dir bedanken. Faste!«

Er erwachte zur Wirklichkeit und sah seine Schwester Sölvi, die aus der Stadt heimgekehrt war, offenbar in starker Gemütserregung vor sich stehen.

»Hab' Dank – du –«

Er richtete sich hastig auf der Bank auf.

»– daß du mir das Leben so erfreulich machst, – ja –«

»Ich?« ertönte es verzweifelt.

»Ist es etwa nicht genug,« platzte sie leidenschaftlich heraus, – »daß ich Ditlev mit mir herumschleppen muß – und für Mutter einzustehen habe, – soll ich dich denn nun auch noch lang und schwer quer über meiner Zukunft liegen haben. Ich hätte die größeste Lust, das Ganze im Stich zu lassen, wenn Mutter nicht wäre, –«

»Ich –?«

»Und dann fragt er noch! –« Sie lachte höhnisch. »Als ob ich nicht meine ganze Jugendzeit hindurch »die Schwester des Perpetuums« gewesen wäre. – Und du meinst wohl, es sei nur eine Laune, daß Agnete nicht länger zu Hause bleiben wollte? Glaub nur, sie ist dir sehr dankbar, daß du sie so fromm und gefügig gemacht hast, daß sie nun vielleicht gar den Pastor da oben nimmt – – Und nun kehrst du wieder heim, den ganzen Sack voll von andern unfaßbar-großartigen Ideen und Verrücktheiten, deren Schwester ich auch sein soll – – Er hörte dir eine Weile zu, der Doktor, – und das geschah nicht einmal deinetwegen, – und dann schlug er das Pferd mit der Peitsche. Der hält nie wieder vor unserer Tür –«

Tränen stürzten ihr aus den Augen. Sie setzte sich platt ins Gras nieder und wiegte verzweifelt den Kopf über den Händen im Schoß.

»Aber liebe, liebe Sölvi, – du weißt ja, wie lieb ich dich immer gehabt habe.«

»Lieb gehabt? Du hast dich selber lieb gehabt, das hast du, – und niemand weiter als dich selber, – niemals. Man hat denjenigen nicht lieb, dem man das Leben und das Glück raubt. Ich wenigstens tue das nicht.«

»Aber liebe, liebe Sölvi, – Schwester Sölvi, – so höre doch. Ich sehe ja ein, daß ich heute ungeschickt gewesen bin und dir wehe getan habe. Wenn ich aber jemals an etwas anderes gedacht habe, als was uns alle wieder glücklich machen könnte, so –«

»Und wozu wir andern als Schwester paradieren könnten, ja! – Laß mich in Ruhe, laß mich in Ruhe, – laß mich nur das einzige begraben, was noch von Leben in mir war, – hier, wo ich sitze – –«

Sie wiegte laut weinend und unzugänglich für jegliches Zureden den Kopf über dem Schoß hin und her.

»Ach was!« rief er aus. Er kannte diese unbeherrschbare Leidenschaftlichkeit und stürzte von dannen.

»Ich esse heute nicht zu Hause!« – rief er ihr von oben aus dem Garten zu, nachdem er ganz flüchtig im Zimmer gewesen war, um seinen Rock anzuziehen, und dann sauste er hinab nach der Stadt.


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