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Sechzehntes Kapitel.

Die Ueberreste des Barons waren bereits mit allen Ehren in der Familiengruft zur Ruhe bestattet worden, als die Söhne in dem Vaterhause anlangten, in dessen verödeten Räumen die tief gebeugte Helene sie empfing. Acht Tage später trafen der Doctor und Cornelie ein, und zum ersten Male nach so langen Jahren fanden die vier Geschwister sich wieder hier zusammen. Ihr ernstes Wiedersehen, ihr gerührtes Erinnern feierte und ehrte die geschiedenen Eltern, ihre gegenseitige Liebe verband sie, und doch fühlten fast Alle sich unruhig und gedrückt in diesem Hause, das ihnen einst eine so werthe und sichere Heimath gewesen war.

Cornelie konnte des Schmerzes nicht Herr werden, der sie beim Eintritt in dasselbe umfangen hatte. Sie konnte das Gefühl der Pein nicht bemeistern, mit dem sie sich, ihren Mann und ihr Kind in den Zimmern ihres Vaters erblickte, die wiederzusehen er ihr nie verstattet hatte, und dies Empfinden steigerte sich, als die Eröffnung des letzten Willens ihr bewies, daß der Vater unversöhnt mit ihr gestorben sei. Noch wenige Tage vor seinem Ende hatte er über ihr Erbtheil, das er dem zweiten Sohne Erich's zuerkannt, in anderer Weise verfügt, um Helenen den Nießbrauch desselben zu übermachen, nach deren Tode es seinem zweiten Enkel anheimfallen sollte. Cornelien war nur ihr Pflichttheil zugewiesen, das ihr zu entziehen, nicht in seiner Macht gestanden hatte.

Konnte sie nun bei des Doctors eigenem Vermögen und bei ihrer Thätigkeit dieses Erbes wohl entrathen, so blieb das Gefühl, gegen des Vaters Willen in seinem Hause zu sein, ihr doch folternd. Da der Doctor, mit freudiger Anerkennung in seinem alten Wirkungskreise aufgenommen, künftig in seiner Vaterstadt zu leben beschlossen hatte, ging sie augenblicklich daran, für sich und die Ihren eine neue, feste Stätte zu begründen, um am eigenen Herde, in der eigenen Familie das Recht ihrer Selbständigkeit, und das Glück zu empfinden, das ihr in Mann und Kind, das ihr in der eigenen Familie geworden war. Mit unermüdlichem Eifer betrieb sie ihre Einrichtung. Sie sehnte sich, die Räume zu verlassen, die sie jetzt bewohnte. Je länger sie darin verweilte, desto unheimlicher trat ihr die Zeit ihrer Verirrungen, ihrer inneren Kämpfe entgegen. Die Bilder der Gräfin, des Predigers und Plessens, zu denen sie träumend in ihrer damaligen Herzensnoth so oft emporgesehen, schauten sie spukhaft an. Sie fühlte sich in ihrem Denken, in ihrem ganzen Sein gehemmt, denn dem gesunden Geiste widerstrebt die Rückerinnerung an seine Irrthümer und Leiden.

So war sie fast Tag über außerhalb des Hauses beschäftigt, und auch die Männer fanden sich mannigfach in Anspruch genommen. Erich schien die Anwesenheit seiner Frau und seines Kindes erwartet zu haben, indeß Sidonie behauptete, durch ein Unwohlsein ihrer Mutter auf dem Schlosse festgehalten zu werden. Auch hatte ihr Gemahl kaum den Muth, sie herbeizuwünschen. Ihm bangte vor ihrer Unduldsamkeit, vor der Härte, mit welcher sie seinen Schwestern stets entgegengetreten war. Der Abscheu, mit dem sie sich brieflich über die Revolution aussprach, ließ ihn außerdem empfinden, wie unmöglich es in diesem Augenblicke sein würde, Sidoniens Gesinnungen mit den seinigen und mit den Ansichten seiner Geschwister zu vereinen.

Dennoch sah er selber sich genöthigt, auf das Gut hinauszueilen. Der Zusammentritt des Landtages in Berlin forderte seine baldige Entfernung von der Heimath, und er mochte nicht gehen, ohne Weib und Kind, ohne das Gut und die Menschen seines Kreises wiedergesehen zu haben, die er auf dem Landtage vertrat. So übernahm es Georg, die letztwilligen Bestimmungen des Vaters auszuführen, und wie diese Pflichterfüllung ihm zu thun gab, war der Doctor seiner Seits bald eben so sehr mit seiner ärztlichen Praxis, als mit Vorbereitungen für die Wahlen beschäftigt, welche nach seiner Ueberzeugung der beschwichtigenden Berufung des ständischen Landtages folgen mußten.

In solcher Weise fanden Alle sich in Thätigkeit gesetzt, Alle hatten einen Zweck, ein bestimmtes Ziel im Auge, eine Notwendigkeit, die sie zum Handeln antrieb, nur Helene nicht. Da Georg, vermögend wie er war, zu Gunsten seiner beiden Schwestern auf sein Erbe verzichtete, sah die Gräfin sich der Sorge um ihre äußere Lage enthoben, aber grade diese Sorgenfreiheit erhöhte in ihr das Gefühl der Abspannung, das sich ihrer bemächtigt hatte. Jenes Bangen, das uns an der Stätte überfällt, an der wir das Hingehen einer Generation erlebten, jenes Erschrecken, mit dem wir gewahren, daß wir diejenigen sind, deren Untergang bevorsteht nach dem unerbittlichen Gesetze der Natur, jene Wehmuth über unsere Vergänglichkeit, wurden Helenen zu einer dauernden Stimmung, zu einem schmerzlichen Genuß.

Mit einer Art von melancholischer Freude fand sie sich mehr und mehr allein, als Erich die Stadt verlassen, und Cornelie ihre neue Wohnung bezogen hatte. Sie freute sich an der Zufriedenheit der Schwester, sie hörte Georg theilnehmend von seinen Planen für die Colonisation der Armen sprechen, die ihn ausschließlich beschäftigten, seit er auf eigenes Glück verzichtet hatte, und die er mit dem Vortheil seines Handlungshauses vereinen zu können meinte; aber sie fragte sich nicht, was aus ihr selber werden, was sie selbst beginnen würde.

Gleich nach dem Tode ihres Mannes und ihres Vaters hatte Friedrich ihr geschrieben. Indeß sein Brief hatte, sich in enge Schranken bannend, Nichts von seiner Erschütterung verrathen, Nichts von den Hoffnungen, welche für ihn aus den Gräbern erblühten. Alle die Ihrigen hatten Helenens Zustand genugsam begriffen, ihr nicht von neuem Leben zu sprechen, in einem Augenblicke, in dem sie noch wie betäubt vor dem plötzlichen Zusammenbrechen ihrer Vergangenheit da stand, und so oft Cornelie auch daran gedacht, die Schwester mit dem Hinweis auf Friedrich's Liebe aufzurichten, immer hatte der Doctor ihr gewehrt, und Ruhe für Helene als Bedingung ihrer inneren Genesung gefordert.

So war der März zu Ende gegangen, der Anfang des Aprils verstrichen, und Helene saß einsam in dem Zimmer, welches sie als Mädchen bewohnt. Die Frühlingssonne hatte das junge Grün ungewöhnlich zeitig hervorgelockt, der Duft der Veilchenbeete unter ihrem Fenster stieg in die Luft. Langsam bewegten sich die rothseidenen, verblichenen Gardinen unter dem Hauch des Abendwindes, und unablässig sich wiegend, schaukelte sich in seinem Ringe der graue Papagei, den Helene einst an ihrem zehnten Geburtstage von der Mutter zum Geschenk erhalten, und der gar bald gelernt hatte, den Liebling der ganzen Familie mit Liebeswort zu rufen. Es war der Vorabend ihres Geburtstages. Eine lange Reihe von Jahren zog an ihrem Geiste vorüber. Die schuldlose Freude, mit der sie der Wiederkehr dieses Tages in ihrer Kindheit und Jugend entgegengesehen, die bangen Zweifel, mit denen sie ihn erwartet in der Zeit ihrer ersten Liebe, das Entzücken bei den kleinen Versen, welche Friedrich ihr damals gegeben, die glänzenden Feste, mit denen sie später oft herzzerrissen diesen Tag hatte feiern lassen müssen, waren ihr in ihrer Vergänglichkeit mit wundersamer Klarheit gegenwärtig. Das Alles war gewesen, war vergangen. Die Kindheit und die Elternliebe, die Jugend und die Liebeshoffnung, die Lebenslust und das Unglück ihrer Ehe, und immer noch standen die alten Bäume vor dem Fenster, immer noch hingen diese Vorhänge, diese Bilder an der alten Stelle, immer noch wiegte der Vogel sich in seinem Ringe und rief sein schnarrendes »Glück auf, Helene!« durch das stille Gemach.

»Glück auf!« hatte er gerufen, als die Mutter vor langen Jahren dem jubelnden Kinde die Thüre des Zimmers öffnete, in dem die Geburtstagsbescheerung seiner wartete. »Glück auf, Helene!« hatte er gerufen, als sie, das Vaterhaus verlassend, Abschied genommen von dem Lieblingsvogel. Jahre lang hatte die Hand des alten Hauswarts ihn gepflegt, und mitten in ihrer Trauer rief der Vogel auch jetzt noch sein »Glück auf!« mit demselben Tone, mit derselben Unermüdlichkeit.

Es klang ihr wie ein Spott in diesem Hause und in dieser Stunde. Die Thränen traten ihr in die Augen. Sie blickte in den Garten hinab. Die Sonne vergoldete ihn mit dem Roth des Sonnenunterganges wie in alten Zeiten. Wo aber waren die frohen Jünglinge und Mädchen, wo die zufriedenen Eltern hin, wo die Gäste, die ihn und das Haus in jener Zeit belebten? Stunden, Tage vergingen, ohne daß ein Mensch ihr nahte, ohne daß die Thüre dieses Zimmers sich öffnete. Sie hätte in diesem Augenblicke ihr halbes Leben darum geben mögen für den liebenden Zuspruch eines Menschen.

Da klopfte es an ihr Gemach. Helene athmete tief auf. Die Schwester hatte versprochen, am Abende zu ihr zu kommen. Es war ihr wie eine Erlösung. Sie eilte nach der Thüre, selbst zu öffnen und – – Friedrich stand vor ihr.

Ihr erster Blick erkannte ihn wieder.

» Sie hier?« rief sie mit dem Tone, dessen Wohllaut ewig unvergessen in seiner Seele lebte. » Sie hier!« wiederholte sie leise, indem sie sich niedersetzte, denn die Kraft versagte ihr. Im nächsten Augenblicke lag er zu ihren Füßen.

Die Gräfin hatte sich abgewendet, das Haupt auf den Arm gestützt. Sie weinte. Friedrich hielt ihre Rechte in der seinen. Er erhob sich und setzte sich zu ihr. Auch seine Augen schwammen in Thränen.

Der Anblick der bleichen Frau in ihrer Trauerkleidung, ihr stilles, schmerzliches Weinen schnitten ihm durch die Brust. So verändert, so gebeugt, hatte er sie nie gedacht. Das war nicht mehr die strahlende Helene – und doch fühlte er sie seinem Herzen näher, doch liebte er sie tiefer als je zuvor.

»Helene!« sagte er leise, »wenden Sie Ihr Haupt nicht von mir. Ich habe Ihr Auge so lange nicht gesehen!«

Sie richtete sich empor, ihre Blicke trafen sich, und wortlos zog er sie in seine Arme, sie festzuhalten an seinem Herzen. Still in seliger Ruhe, wie der Versinkende, der sich unerwartet gerettet fühlt, lag sie an seiner Brust.

Ein unaussprechliches Mitleid, ein Verlangen zu trösten, zu heilen, herzustellen, bewegten Friedrich. Seine Leidenschaft schwieg vor seiner Liebe. Er umgab sie mit seiner Sorge, er behütete und leitete sie, wie man ein krankes Kind die ersten Schritte führt, die es auf dem Wege des neugewonnenen Lebens gehen soll.

Die Geschwister und der Doctor standen ihm zur Seite. Sie hatten um seine Ankunft gewußt, aber sie war der Gräfin verschwiegen worden, weil man ihr die Ueberraschung heilsam geglaubt hatte. Niemand sprach mit ihr von ihrem Verhältnisse zu dem Geliebten ihrer Jugend, Alle nahmen ihre künftige Ehe mit Friedrich als ein feststehendes Ereigniß an, und dieser selbst behandelte die Gräfin mit der Sicherheit des Anrechtes, das er an sie fühlte. Wie zu ihrem Erretter blickte sie zu ihm empor. Die Mutter hatte sie zu seinem Ideale weihen wollen, Friedrich und die einfache Reinheit seiner Natur waren das Ideal geworden, das Helene vor dem Untergange bewahrt, an das sie sich angeklammert hatte, sich zu erheben von ihrem Falle.

Die ernste, beschützende Treue, mit der er ihr begegnete, die Wärme, mit der er die Sache der Freiheit vertrat, die feste Ueberzeugung, welche aus jedem seiner Worte sprach, steigerten die Liebe, die sie einst für ihn gehegt, zu jener Verehrung, in der allein das höchste Glück des Weibes ruht. Hatte sie sonst verlangt, ausschließlich zu besitzen, was sie liebte, hatte sie Eifersucht gefühlt gegen Alles, was den Geliebten von ihr abzog, so ängstigte es sie jetzt, wenn sie ihn seinen Arbeiten, seinen Bestrebungen zu entziehen glaubte. Sie hatte einsehen gelernt, daß die Liebe allein des Mannes Wesen nicht erfüllen kann, aber sie pries das Loos des Weibes, das ihm vergönnt, sich ganz dem Leben und Bedürfen eines geliebten Mannes hinzugeben, sie genoß mit tiefer Dankbarkeit des Friedens, der Liebe, die sie umgaben, sie lebte neu auf in der Einfachheit der Empfindungen, in der Wahrheit der Verhältnisse, in denen sie sich bewegte.

Erich's Rückkehr von der Hauptstadt und vom Landtage unterbrach die gleichförmige Ruhe, deren man sich erfreute. Der Landtag war geschlossen, die Wahlen für die Nationalversammlung in Berlin, für die Reichsversammlung in Frankfurt, standen nahe bevor. Erich ging schon nach wenig Tagen auf das Gut hinaus in seinen Wahlbezirk, der alte Schöne und der Schullehrer waren selber in die Stadt gekommen, Friedrich zu sehen, und ihm zu sagen, daß man ihn wählen wolle, wenn er geneigt sei, die Wahl anzunehmen. Er hatte diesen Beweis des Zutrauens erwartet, und in Begleitung der beiden Männer folgte er dem Freunde auf das Gut.

Man empfing ihn mit Achtung und Liebe. Selbst diejenigen Gemeindeglieder, welche einst seine Gegner gewesen waren, erkannten den Nutzen, den seine praktische Thätigkeit dem Dorfe gestiftet, und die Erregung, die der Revolution gefolgt war, der Aufschwung, den die Geister genommen, hatte in diesem Augenblicke die Parteien duldsam gemacht, da jede Partei die Aussicht hatte, ihre Meinungen vertreten zu können.

Nur die Baronin beharrte in ihrer Abgeschlossenheit. Sie und Erich gingen ohne innere Gemeinschaft nebeneinander her. Eine Thätigkeit, deren Bedeutung Friedrich Anfangs nicht zu enträthseln vermochte, nahm den größten Theil von Sidoniens Tagen hin. Sie schrieb und empfing Briefe aus den entferntesten Gegenden der Monarchie, und als Friedrich den Freund um das Treiben seiner Frau befragte, sagte dieser: »Es ist eine phantastische Grille, die sich ihrer bemächtigt hat. Bei der eisernen Unbeweglichkeit ihrer Natur beängstigt die Revolution sie in demselben Grade, in dem sie ihr verhaßt ist. Sie verlangt nach Bestehendem, sie möchte es schaffen, und so ist sie auf den Einfall gekommen, ihre Freundinnen und Freunde zum Festhalten an dem Alten, zum Festhalten an alter Zucht und Sitte, an altem Glauben und an altem Rechte zu ermahnen.«

»Welch wundersames Thun!« meinte Friedrich mißbilligend.

»Es ist nicht so wundersam,« bedeutete Erich, »wenn Du bedenkst, daß ihre Eltern dem Tugendbunde angehörten, und daß die Bedeutung, welche Frau von Werdeck in ihrem Kreise genießt, aus jener Zeit datirt. Das hat Sidonie offenbar verlockt. Sie möchte auch Etwas schaffen, etwas Selbständiges darstellen, die Stifterin von etwas Dauerndem, Bleibendem werden!«

»Aber der Bund, den sie begründen will, steht Deinen Ansichten entgegen!« wendete Friedrich ein.

»Nicht so ganz!« antwortete der Baron. »Du weißt es selbst, daß das gänzliche Brechen mit der Vergangenheit gegen meine Natur, wie gegen meine Ueberzeugung ist. Erhält man uns im Volke, im Adel ein festes Fundament, auf dem wir fortbauend die Entwicklung fördern können, so ist das wohl zu achten und zu nutzen. Und dann,« sagte er nach kurzer Pause, »ich selbst fühle, wie sehr ich meiner Thätigkeit, meiner Interessen für das Allgemeine nöthig habe, mich über die Einsamkeit in meinem Hause zu trösten.« Er unterbrach sich wieder und fügte dann bewegt hinzu: »Auch Sidoniens Leben ist auf Entsagung angewiesen. Sie ist nicht glücklicher als ich. Mir fehlt der Muth, mir fehlt die Härte, ihr den Rettungsanker zu rauben, an den sie sich klammert.«

Friedrich hatte ihm ruhig zugehört, und schwieg, als jener geendet hatte. Der Freund verstand dies Schweigen und die Mißbilligung, die es enthielt. »Ueberzeugung gegen Ueberzeugung!« sagte er, »und zuletzt folgen wir ja Alle den Bedingungen unserer Natur. Ihr Alle, Du, der Doctor, meine Geschwister, Ihr seid mehr oder weniger zur Gewalttat, zum Extrem, zur scharfen Entscheidung geneigt. Mir widerstrebt sie. Ich hasse die Gewalt, wo ich Vermittlung möglich glaube; ich scheue mich, vorschnell einzugreifen, wo ausharren und sich in verständiger Geduld bescheiden, irgend noch Erfolg verspricht. Vermittelung wird uns Noth thun in jeder Art und Weise! Ihr müßt Eure Straße gehen, ich die meine. Der Punkt ist vielleicht nicht fern, wo unsere Wege aufeinanderstoßen, wo Ihr froh sein werdet, mir zu begegnen und ich Euch!«

Friedrich war betroffen. Er fühlte den Einfluß, den Sidonie bereits wieder über ihren Gemahl gewonnen hatte, aber er versuchte nicht, ihn zu brechen, denn er selbst war nur zu sehr durchdrungen von des Freundes Ueberzeugung, daß Jeder den Bedingungen seiner Natur zu folgen habe, daß jedes Ueberspringen der ihm naturgemäßen Grenzen sich an dem Menschen rächt, der es zu leisten unternimmt.

Sidonie empfing ihn höflich aber kalt. So oft Erich mit dem Freunde über seine künftige Ehe mit Helenen sprach, und Friedrich Plane machte, in der Heimath irgend einen kleinen Landbesitz zu erwerben, um neben seinen dichterischen Arbeiten eine praktische Thätigkeit, neben geistigem Schaffen den frischen, anregenden Zusammenhang mit der Natur und mit den Menschen nicht zu entbehren, wendete Sidonie sich von der Unterhaltung ab. Nur einmal sprach sie es gegen Friedrich aus, sie halte es für unmöglich, daß die Gräfin sich in ländlicher Zurückgezogenheit behagen könne, und als Erich ihr den Vorschlag machte, ihn, nachdem die Wahlen beendet waren, in die Stadt zu begleiten, lehnte sie es ab.

So kehrten die Männer denn allein zurück. Erich war für Berlin, der Doctor und Friedrich für Frankfurt gewählt worden, ihre Abreise stand nahe bevor. Auch Georg hatte die Geschäfte für die Seinigen abgeschlossen und rüstete sich, nach England zurückzugehen.

Cornelie hatte erst daran gedacht, ihren Gatten zu begleiten, aber die Rücksicht auf Helene hielt sie zurück, und man beschloß, daß die beiden Frauen erst im Laufe des Sommers nach Frankfurt gehen, und der Doctor dort die Vorbereitungen für ihre Ankunft treffen sollte.

Helene hatte sich augenscheinlich erholt. Die Entfernung von Friedrich hatte ihr Zeit gegeben, sich an das Licht zu gewöhnen, das nach langer Dunkelheit ihr aus der Zukunft entgegenstrahlte. Alle ersehnten es für sie, selbst Auguste sprach es aus, daß ihr Mann und sie Nichts aufrichtiger verlangten, als dies Verhältniß, das so vielen Kummer verursacht, so vielen Anstoß gegeben habe, nun endlich zu einem versöhnenden Abschlusse kommen zu sehen.

Auguste bewegte sich, nachdem die erste Erschütterung vorüber war, in welche das Wiedersehen Friedrich's sie versetzt hatte, mit unerwarteter Unbefangenheit ihm gegenüber, und daß sie einst sich von Georg gekränkt gefühlt, schien sie selbst nicht mehr zu wissen. Die Neigung und das Ansehen ihres Mannes, dessen gute Umgangsformen und dessen Bildung ihn den Anderen selbst bei der Verschiedenheit ihrer Meinungen nie störend werden ließen, gaben Augusten eine feste, ruhige Haltung, und als man am Abende vor der Abreise der Männer in des Doctors Hause noch einmal zusammen kam, die letzten Stunden gemeinschaftlich zu verleben, konnte Auguste den Scheidenden mit Zuversicht versprechen, daß sie und ihr Mann Cornelien und Helenen nicht fehlen würden, sollten sie ihrer in irgend einer Art bedürfen.

Als der Superintendent und seine Frau sich dann entfernt hatten, blieben die Freunde noch zurück, und die Aussicht auf ihren neuen Wirkungskreis beschäftigte Erich's, des Doctors und Friedrich's Seelen lebhaft. Freudige Hoffnung belebte sie Alle, dem muthigen Blicke in die Zukunft einte sich ernste Rückerinnerung, und wie gemeinsames Streben sie fortan vereinen sollte, so hatte ein langes, vergangenes Leben sie durch wechselnde Verhältnisse unauflöslich verbunden.

»Denkt Ihr noch des Tages,« sagte der Doctor, »es werden bald achtzehn Jahre sein, an dem wir die ersten Nachrichten von der französischen Revolution erhielten? Damals glaubten wir Alle, Jeder mehr oder minder fertig, mehr oder minder gefestet in seinen Ansichten zu sein, und Keiner von uns Allen ist geblieben, was er war. Die Zeit hat Jeden von uns umgewandelt, was sich schroff entgegenstand in unseren Ansichten, hat sich ausgeglichen – –«

»Ausgeglichen?« fragte Erich zweifelnd.

»Wer kann denn an eine vollständige Ausgleichung denken? Sie wäre ja der Tod der Fortentwicklung!« rief Georg.

»Gewiß!« entgegnete Friedrich, »aber was wir durch die Wandlungen gewonnen haben, die wir erlitten, das ist eben die Einsicht von der nothwendigen Verschiedenheit der Menschen, die Duldsamkeit gegen jede Individualität und ihre ehrliche Ueberzeugung, und –«

»Den Glauben an die rechte, wahre Liebe!« sagte Cornelie, indem sie den Nacken ihres Mannes umschlang und seine Stirne küßte.

»Ja! Du treues Weib!« rief der Doctor. »So laßt uns denn auch muthig vorwärts gehen, Jeder auf seine Weise seinen rechten Weg zu suchen, und nicht verzagen, wenn der Wechsel der Stunde uns Böses und Gutes, wenn er uns neue Wandlungen bringt!«

 

Ende.


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