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Zweites Kapitel.

Friedrich war von seiner Begegnung mit Plessen sehr ergriffen worden. Er hatte vorgehabt, schon am folgenden Tage Cornelie zu benachrichtigen, daß und wie er ihren früheren Verlobten wiedergesehen habe. Indeß als er ihr schreiben wollte, bis zu welcher vernichtenden Selbstentäußerung der Unglückliche gekommen sei, hatten seine Gedanken sich auf Helene und auf ihre ihm gemeldete Hinneigung zur römischen Kirche gewendet, und statt Cornelien hatte er der Gräfin geschrieben. Mit Wärme hatte er ihr das Begegniß erzählt, und mit inniger Freude auf der Schilderung seines Aufenthaltes in der Bergeseinsamkeit verweilt.

Es war ihm ein Genuß, ihr, die Italien liebte und sich nach dem Süden sehnte, die gleiche Vorliebe, die tiefe Befriedigung auszusprechen, deren er sich im Genusse seines italischen Lebens erfreute. In dem Bestreben, die Entfernte Theil nehmen zu lassen an dem Großen und Schönen, das ihn umgab, ihr die Gedanken und Empfindungen auszusprechen, welche es in ihm erzeugte, ward er selbst sich der Eindrücke um so deutlicher bewußt, prägten sich seine Erinnerungen ihm um so fester ein, und bald ward es ihm zur Gewohnheit, zum Bedürfniß, für Helene seine täglichen Erlebnisse aufzuzeichnen.

So entstand ein geistiger Verkehr zwischen Friedrich und der Gräfin, der ihn mehr und mehr beschäftigte und erfüllte. Während er zum ersten Male sich mit Ruhe in die Tiefen des eigenen Wesens versenkte und dort Schätze und Kräfte gewahr ward, die er früher in sich nicht gekannt hatte, glaubte er, es sei Helene, welche in ihm die dichterische Fähigkeit erzeuge. Ihr meinte er danken zu müssen, was er doch selbst besaß und mit hingebender Freude für sie verwendete. Alles, was er in diesen Zeiten schrieb, seine Tagebücher, seine Briefe, waren bald Dithyramben, bald Elegien, alle priesen sein Glück, priesen Helene, beklagten ihre Trennung und trugen alle unverkennbar den Stempel des dichterischen Genius.

Sich einer Kraft bewußt zu werden, ist das eigentliche Glück. Friedrich genoß es mit jugendlicher Freude. Vor den Meisterwerken griechischer Kunst, vor den blühenden Schöpfungen Titian's und Rafael's lernte er empfinden, daß er selbst ein Künstler sei, ward der Gelehrte plötzlich zum Dichter. Aber gerade die antike Kunst erschloß ihm die Weisheit griechischen Lebens, das Verständniß jener einfachen, auf das Sichtbare, auf das Diesseitige gerichteten Weltanschauung.

Getheilt zwischen archäologischen Studien und eigenem Schaffen, im Umgange mit Feldheim und Richard, die seinen Sinn für das Schöne und das Praktische entwickeln halfen, im Genusse einer südlichen Natur, im Verkehr mit einem Volke, in welchem er noch so viel antike heidnische Elemente gesunder Kraft und lebendigen Schönheitssinnes mit Freuden wiederfand, flossen Friedrich's Tage in steigender Lust dahin. Er lebte nur für sich und für die entfernte Freundin. Seine Briefe an Auguste wurden seltener. Was ihn bewegte, was ihn beglückte, durfte er ihr nicht sagen. Scheute er sich doch selbst vor Erich davon zu reden.

Die Antworten, welche er auf seine spärlicheren Mittheilungen aus der Heimath erhielt, bewiesen aber dennoch, daß seine veränderte Stimmung, seine neue Lebenslust, den Zurückgebliebenen bemerklich geworden waren. Ihre Ermahnungen, der Heimath zu gedenken, in der Poesie des Südens nicht der nothwendigen Lebensprosa und der ernsteren Lebensverhältnisse des Nordens zu vergessen, verstimmten ihn mehr und mehr. Jede solche Ermahnung trübte ihm Tage, deren kurze Dauer er nur zu gut berechnen konnte. Während Auguste ihn mit den Schilderungen der winterlichen Stille ihres Dorfes und ihres mannigfachen häuslichen Treibens an die Heimath zu fesseln glaubte, während sie ihm zu diesem Ende selbst die alltäglichsten Vorkommnisse und Verdrießlichkeiten ihrer Existenz mit ausführlicher Wichtigkeit schilderte, steigerte sie seinen Widerwillen gegen dieselben, seine Scheu vor der Beengung seines früheren Lebens. Und der Enthusiasmus, mit dem er sich der jetzigen Einsamkeit, der Freiheit und Helenen hingab, wurde noch erhöht durch den Gedanken, wie bald er vielleicht dies Alles für ewig aufzugeben habe.

Er wollte es auskosten das Glück dieses italischen Lebens, und nicht daraus erweckt werden, ehe der unerbittliche Tag des Scheidens für ihn anbrach, ihn aus seinem Paradiese zu vertreiben. Der Egoismus der Selbsterhaltung war über ihn gekommen, dessen keines Künstler Natur entbehren kann. Die Nothwendigkeit sich und den Genius in sich zu erretten, brachte das Bedauern zum Schweigen, mit dem er Augustens und der verlassenen Heimath nur zu oft gedachte.

So abgeschlossen in sich selbst, allein auf sein Bedürfen gestellt, beglückt durch sein Verhältniß zu Helenen, hatte er mehrmals den Vorsatz gehabt, sich dem Doctor und Cornelien mitzutheilen, aber die keusche Scheu eines Werdenden hatte ihn davon abgehalten. Als jedoch der Doctor ihm in warmer Vaterfreude die Geburt seines ersten Kindes und Corneliens Genesung meldete, da erschloß sich vor dem Glück der alten vielbewährten Freunde die Seele Friedrich's, und mit erneuter Hingebung ward der lange zwischen ihnen unterbrochene Verkehr wieder aufgenommen.

Als Friedrich's Antwort den Freunden die erwünschte Kunde von seinem Leben und Ergehen brachte, ruhte Cornelie nach fleißiger Arbeit von ihrem Tagewerke aus. Zurückgekehrt in ihren Sessel, blickte sie mit seligem Frieden zu ihrem Töchterchen hinab, das in einem Korbe an ihrer Seite geschlummert hatte, und nun erwachend, in träumerischem Behagen die kleinen Glieder dehnte.

Der Doctor war noch nicht zu Hause. Sein Verlangen nach einer ihm gemäßen Thätigkeit, und die Ansprache kranker Landesleute hatten ihm auch in der Fremde bald wieder eine ärztliche Kundschaft gebildet, die einen großen Theil seiner Zeit ausfüllte. Daß sich die Flüchtlinge vorzugsweise gern an ihn wendeten, war durch seine Verhältnisse geboten, und wie er ihr Beistand war in aller Leibesnoth, so ward er auch hier der Berather, ja der Mittelpunkt seiner Gesinnungsgenossen.

Die Nachricht von den revolutionären Erhebungen in Krakau und in Galizien, die Vorgänge zwischen der dänischen Regierung und ihren deutschen Unterthanen hatten die Gemüther aufgeregt, die Verbannten und Unzufriedenen von allen Nationen zu neuen Hoffnungen, zu unruhigem Thatendurste angetrieben. Polen, Italiener, Deutsche, die im Exile lebten, französische Republikaner, welche sich unter der Herrschaft Louis Philipp's und unter ihrem entsittlichenden Einfluß in der Heimath nicht heimisch zu fühlen vermochten, sie Alle waren in Bewegung. Der schwere Druck, der auf ihnen gelastet hatte, machte ihre Pläne hochfliegend, und da sie die Kräfte und Wünsche der im Vaterlande Zurückgebliebenen nach dem eigenen Empfinden maßen, erwarteten sie mit Zuversicht, was ihre Sehnsucht erwünschte. Nur der Doctor vermochte diese Hoffnungen nicht zu theilen, und fast immer kehrte er sorgenschwer nach Hause zurück, wenn er mit den Häuptern der Emigration zusammen gewesen war.

Auch an jenem Tage wußte Cornelie ihn in einem Club beschäftigt, und vielleicht niemals hatte sie eifriger auf den fortrückenden Zeiger der Uhr gesehen, als heute, da sie ihm das Kind noch vor dem Einschlafen in aller seiner Lebensfrische zu zeigen wünschte. Sie hatte es von seinem Lager aufgenommen und hielt es auf den Knieen, als sie Schritte auf dem Vorsaal hörte.

Ein seliges Lächeln flog über ihr Gesicht, während sie sich zu der Kleinen niederbog. »Strecke nur noch einmal Deine lieben Händchen so empor, wenn Dein Vater kommt, mein süßes Kind!« bat sie schmeichelnd, und das Gefühl der Freude, mit dem sie in des Lieblings Augen schaute, war so mächtig, daß sie sich der Thränen nicht erwehren konnte.

In diesem Momente trat der Doctor ein. »Ist sie noch wach?« fragte er, und richtete des Kindes Köpfchen mit der Rechten empor, während er die Linke um Corneliens Nacken schlang. Da hob die Kleine, als hätte sie der Mutter Bitte verstanden, die runden Aermchen in die Luft und sah mit ihren großen schwarzen Augen zu dem Vater auf.

»Das hat sie heute gelernt!« rief die Mutter. »So frei hat sie die lieben Glieder nie vorher bewegt. Und sieh! wie gut sie ist. Ich bat sie, daß sie Dich begrüßen sollte. Wie schön hat sie's gethan.«

Der Doctor hatte sich, Hut und Stock auf den Teppich legend, hingekniet und küßte das Kind. »Ob Du nicht wirklich glaubst«, sagte er lächelnd, »das Kind habe Deine Bitte erhört, Deinen Willen gethan?«

»Ich glaube Alles, Alles, worin die Liebe und ihre magnetische Kraft sich offenbart!« rief Cornelie. »Es ist ja unser, dieses holde Leben, unser Geschöpf! Unser Wille belebte sie, mein Leben nährt sie bis auf diese Stunde ganz allein; wie sollte mein tiefstes Sehnen nicht die Macht besitzen, ihre kleinen, willenlosen Glieder zu bewegen? Wie sollte der Mutter versagt sein, mit ihrer Liebe magnetisch einzuwirken auf ihr Kind? – Sieh! sie wird es gleich noch einmal machen!«

Dabei bog sie sich hernieder und wiederholte tändelnd: »Guck' den Papa an, Martha! Gieb ihm Deine Händchen!« und angeregt durch Ton und Blick, die sie zu empfinden begann, machte die Kleine abermals die ihr neue und behagliche Bewegung.

Die Mutter lachte hell auf vor Freude. Ueber das Gesicht des Doctors aber glitt der Ausdruck einer tiefen Rührung, und mit bewegter Stimme sagte er: »Du wirst mit Deiner Liebe mich an jedes Liebeswunder glauben machen, und wie sollte das Kind mich nicht lieben, das mich mit Deinen treuen Augen ansieht?«

Cornelie umschlang ihn. Sie hatte ihr Haupt an das seine gelehnt, das Kind ruhte zwischen ihnen. Beide Gatten schwiegen. Die höchste Liebe findet keinen Ausdruck für sich in der Beschränkung der Sprache, das Unermeßliche ist in Worte nicht zu bannen.

Eine Bewegung der Kleinen unterbrach die Andacht dieses Glückes. Der Doctor stand auf, küßte Weib und Kind und sagte: »Bleibt mir leben!« aber der Ton, mit dem er diese Worte sprach, hatte die Inbrunst des Gebetes.

Auch die Mutter hatte sich erhoben. Sie hüllte die Kleine in ihre Tücher ein und trug sie in das Nebenzimmer, sie für die Nacht zur Ruhe zu bringen. Als sie nach einer Weile wiederkehrte, saß der Doctor, sichtlich erquickt durch die nöthige Ruhe, am Kamine.

»Komm!« rief er Cornelien entgegen, »komm, setze Dich zu mir, ich habe in Dein Manuscript geblickt, Du hast viel gearbeitet. Du wirst auch müde sein! und Martha stört Dir doch die rechte Nachtruhe, armes Weib!«

»Ich fühle das nicht!« entgegnete sie heiter. »Wenn ich ihre kleine Stimme höre, wenn ich höre, daß sie lebt und daß sie mein bedarf, so empfinde ich eine Wonne, die mich kräftigt, wie der beste Schlaf.«

»Das Naturgemäße kann den Gesunden freilich nicht ermüden! und gesund bist Du jetzt, gesund an Leib und Seele!« beruhigte der Doctor sich selbst, indem er mit Freude in das blühende Antlitz, in die strahlenden Augen seines Weibes schaute.

»Was könnte mir auch fehlen! Ich habe Dich, ich habe unser Kind und habe Arbeit! das ist höchste Lebenserfüllung und die allein macht gesund!« entgegnete Cornelie, fügte aber nach einer Weile hinzu: »Heute indeß fühle ich mich doch angegriffen!«

»Angegriffen? und wovon?« forschte der Doctor.«

»Von der Arbeit!« sagte sie. »Es ist ein eigen Ding um solches Schaffen! Immer wieder werde ich dabei an Göthe's Zauberlehrling erinnert. Da ruft man mit der göttlichen Machtvollkommenheit freier Schöpfungskraft die Gestalten aus dem Nichts hervor, und nun stehen sie vor uns und fordern ihr Genügen, fordern Spielraum für ihr Dasein, ihre Thatkraft, fordern eine ihrer innern Nothwendigkeit gemäße Entwicklung. Und sie dürfen das fordern, denn auch sie leben, auch sie sind Menschen, und ihr Dasein hat unleugbar eine bestimmte, fortzeugende Kraft.«

Der Doctor lächelte. »Lache nicht darüber!« rief sie eifrig. »Es ist mein heiliger Ernst. Glaubst Du nicht selbst, daß Werther, daß Wilhelm Meister und Natalie, daß Indiana und Corinna, daß Hunderte von den dichterischen Gestalten aller Nationen, lebendiger, lebenzeugender, fortwirkender gewesen sind, als Millionen jener Dutzend-Menschen von Fleisch und Blut, die neben uns in Frack, in Mantel und in Ballputz ihr Leben gedankenlos verschwenden?«

»Unbedenklich!« sagte der Doctor.

»Und nun,« fuhr Cornelie immer lebhafter fort, »nun drängen sie auf uns heran, nun fordern sie ihr Recht! Je näher das Ende herannaht, um so unerbittlicher! Jeder hat einen Anspruch, Jeder bedarf der Befreiung, des Abschlusses, sei es durch den Tod oder durch einen gewonnenen Standpunkt, von dem aus er fortleben, auf dem er sich selbstthätig erhalten kann in der Erinnerung des Lesers. Da steht man denn und findet, wie am Lebensende, was man noch Alles zu thun hätte, was man versäumt, was man verfehlt hat. Der ganze warme Schöpfungsdrang wird ein Schmerz, ein Ungenügen, und ohnmächtig klammert man sich an sein redlich Wollen, wie an einen letzten Trost!«

Sie hielt einen Augenblick inne, dann sagte sie aufseufzend, während ihr die Thränen in die Augen traten: »Wie furchtbar muß es sein, wenn man seinen Kindern keine freudige Lebensentwicklung zu bereiten vermag! – Wenn Martha uns dessen jemals anzuklagen hätte, es wäre mir der allerschwerste Fluch.«

Der Gedanke an ihre eigene Jugend mochte sie dabei überkommen, denn sie schauerte zusammen und schmiegte sich an ihren Mann, der sie liebevoll in seinen Arm nahm. Auch er war nachdenkend geworden.

»Eine freudige Lebensentwicklung!« wiederholte er. »Wie soll sie gedeihen in Mitten einer Civilisation, der alle Bedingungen dafür fehlen? Wie kann der Einzelne zu seinem Rechte kommen, zur Entwicklung seiner ganz besonderen Anlagen, zur Befriedigung seiner Bedürfnisse, in Staatsverfassungen, die mit der Unbefangenheit der Uncultur nur die beiden Gegensätze gut und böse, nur das blinde Entweder Oder anerkennen? die Alles unter festgegliederte Register bringen, und nach Schablonen Urtheile fällen und Gesetze geben?«

»Du bist verstimmt,« sagte Cornelie, »und warst es schon, als Du nach Hause kamst. Was hast Du bester Mann?«

»Mich bekümmern die Revolutionen, deren Ausbruch für den ganzen Kontinent und deren Fehlschlagen und Ende ich deutlich vor mir erblicke!«

»Soll ich auch Dich entmuthigt sehen?« rief Cornelie im Tone eines klagenden Vorwurfs. »Willst auch Du den Glauben verlieren an den endlichen Sieg der Vernunft?«

Der Doctor richtete sich auf. »Ich verdiene es, daß Du mich schiltst!« sagte er. »Leicht Errungenes verwöhnt! – Aber seit ich Dich besitze, seit ich in Dir und unserm Kinde kennen lernte, wie einfach, wie leicht zu finden die Bedingungen des Glückes sind, seitdem hat mich noch tieferer Zorn ergriffen gegen jede Verkümmerung desselben, gegen eine Civilisation, welche für so Viele die Begründung und das Gedeihen einer Familie unmöglich macht. Ich bin ungeduldig worden!«

»Ungeduldig? Du?« fragte Cornelie. »Du, der mich lehrte, das Leben im Augenblicke erschöpfend zu genießen, und es doch nicht nach seinen Tagen und Monaten zu zählen. Du, der mich lehrte die Geschichte der Menschheit im Zusammenhange zu betrachten, um sich an ihrer fortschreitenden Erhebung zu trösten über das augenblickliche Mißlingen? – Du darfst nicht ungeduldig sein, auch nicht aus Menschenliebe!«

Der Doctor küßte sie. »Du treues Herz!« rief er, »das mich zur rechten Stunde immer auf mich selbst zurückführt, denn nur aus unserm eigensten Erkennen erwächst uns Muth und Kraft. Und doch wird es mir immer schwerer, die nutzlosen Anstrengungen zu betrachten, mit denen die Völker sich in Empörungen, in politischen Revolutionen vergebens erschöpfen, wo nur eine neue Weltanschauung und die aus ihr hervorgegangene sociale Neugestaltung aller Zustände Erlösung bringen können. So lange die Menschen ihre Leiden, so lange ein Volk den Druck, unter dem es schmachtet, als eine Schickung der Vorsehung ertragen – bringt keine Revolution ihnen Befreiung und Erlösung, und das umsonst vergossene Blut, das umsonst heraufbeschworne Elend bedrücken mir die Seele!«

Bei den letzten Worten des Doctors war Larssen eingetreten. Er hatte sie noch gehört, und mit der ihm eigenthümlichen Neugier sah er bald Cornelie, bald den Doctor an, bis er sich niederließ und sich zu fragen entschloß, wovon man eben jetzt gesprochen habe.

Cornelie sagte es ihm. Larssen schüttelte bedenklich den Kopf. »Es altert doch Jeder!« sagte er mit seinem heisern Lachen, »auch Du wirst pedantisch, Doctor! Du nimmst die Sachen viel zu ernsthaft, viel zu buchstäblich!«

»Was soll das heißen?« fragte der Doctor.

»Schickung! Vorsehung!« spottete Larssen, »das klingt muhamedanisch, das klingt fanatisch, das klingt ergeben! Aber wo steckt diese Ergebung in der Christenheit? Glaubst Du wirklich daran, daß irgend ein Christenmensch so ergeben ist, die Schickungen der Vorsehung ohne Weiteres zu ertragen?«

»Glauben Sie es nicht?« forschte Cornelie.

»Nein! ganz und gar nicht; denn jeder Blick in die Zeitungen lehrt uns das Gegentheil, lehrt uns, daß die Menschen nichts weniger als blind ergeben sind, wo es ihre Interessen gilt, und was es mit ihrer Fügung in den Willen der Vorsehung auf sich hat, die Du für so bedenklich hältst.«

Der Doctor liebte es nicht, mit Larssen über diese Gegenstände zu verkehren, weil demselben der sittliche Ernst gebrach, aus dem das Gemeingefühl für die Menschheit, aus dem jene religiöse Stimmung hervorgeht, die den Doctor in allem seinem Handeln belebte. Cornelie aber, der es in diesem Augenblicke nur daran gelegen war, den geliebten Mann zu erheitern, fragte Larssen, was er mit seinen Bemerkungen über die öffentlichen Blätter meine.

»Haben Sie nie bedacht, wie die Leute sich zu schützen suchen gegen den harten Willen der Vorsehung?« rief er lachend. »Die Mehrzahl der Menschen rühmt sich ihrer Ergebung, sieht Noth und Tod, sieht Blitz und Hagelschlag, Feuer- und Wassergefahr als heilsame Strafgerichte an, aber sie versäumen doch nicht, sich diesen heilsamen Strafen möglichst zu entziehen. Sie versichern sich gegen Schiffbruch, gegen Blitz und Hagelschlag und Feuer. Sie sehen ihren Tod als eine höhere Fügung an. Trotzdem versichern sie ihr Leben, um die höhere Fügung möglichst unschädlich für die Ihrigen zu machen, und wäre ich Fürst, wäre ich Haupt einer Kirche, wäre ich der Papst – – alle Assecuranzen würde ich verbieten. Sie tasten den Glauben an, sie vernichten die Unterwerfung unter eine höhere Fügung, unter Strafgerichte. Sie zerstören den Glauben, in dem allein die Tyrannei den Beweis ihrer Berechtigung und die Hoffnung ihres Dauerns finden kann! Sie sind staatsgefährlich und unchristlich, sie sind geradezu atheistisch!«

Er rieb sich dabei, während er sich an den Kamin setzte, vergnügt die Hände. Der Doctor lächelte unwillkürlich über den Einfall, Cornelie aber sagte: »Lassen Sie das Regine nicht hören!«

»Regine!« rief Larssen. »Keine Folter sollte mir in ihrer Gegenwart eine Sylbe entlocken, die ihren rührenden Glauben trüben könnte. In diesem Glauben liegt ja ihre Macht! Weil sie ein frommes, gottvertrauendes Kind geblieben ist, trotz den schmerzlichsten Erfahrungen des Weibes, darum geht sie festen Schritts einher, wo Andere bangen, wo Andere straucheln. Weil sie ihr Talent als eine Gnade Gottes ansieht, ihr gegeben zur Erlösung von dem Uebel, darum ist sie so heilig ernst in ihrer Kunst, darum ist jeder Ton aus ihrer Brust ein wahres Loblied ihres Gottes!«

Er war plötzlich in eine ganz andere Stimmung gerathen und versank in Schweigen. Der Doctor ließ ihn eine Zeitlang gewähren. Dann klopfte er ihm auf die Schulter und sagte: »Freund Larssen, ich habe Dir es lange sagen wollen, denke an Dich selbst! Niemand ist so alt, daß er nicht durch sein Herz noch leiden könnte. Hänge nicht Dein ganzes Sein an Regine. Sie hat noch Ansprüche an das Leben, und – –«

»Still!« rief Larssen mit ungewöhnlicher Heftigkeit. »Still! ich weiß das Alles, Alles! Es wäre ja Wahnsinn! Rede nicht davon! Wer denkt auch daran! – Bisweilen – freilich bisweilen!« Er stieß die einzelnen Worte mit leidenschaftlicher, unterdrückter Bewegung hervor. Plötzlich stand er auf und sagte mit gewaltsamer Fassung: »Ja, ich liebe sie, diese Offenbarung aller Schönheit! Ich könnte ein Verbrechen begehen, sie zu schützen. Ich fühle mich reich durch die nie rastende Sorge um sie!« Er hielt wieder inne und sprach dann nach einer Pause: »Nun wißt Ihr's – schweigt davon!«

Sein ganzes Wesen war geläutert in dem Augenblicke. Ein Adel, eine Energie, wie Niemand sie je an ihm gesehen, hoben seine Gestalt und seinen Ausdruck. Den Idealismus, den der Jüngling in sich zerstört, hatte der fast fünfzigjährige Mann wiedergefunden. Er ging langsam im Zimmer auf und ab. Die Freunde betrachteten ihn mit tiefer Theilnahme. Endlich blieb er stehen und fragte: »Wo bleibt sie aber? Es ist bald acht Uhr!«

Und kaum hatte er das gesagt, als Regine in vollem Schmuck hereintrat, sich zu einem Hofconcerte zu begeben.

Ein weißes Atlasgewand floß in glänzenden Falten um ihren schlanken, vollen Körper, reiche Spangen umgaben ihre Arme und hielten die Aermel zurück, während ein Stirnband von Brillanten ihr Haar einschloß.

»Wie schön sie ist!« rief Larssen.

Auch der Doctor und Cornelie blickten sie mit Freude an; ohne jedoch ihr Erstaunen zu beachten fragte Regine: »Schläft die Kleine schon?« und als die Mutter es bejahte, verließ sie das Gemach, das Kind noch zu sehen, ehe sie sich entfernte.

Cornelie und der Doctor folgten ihr nach. Larssen blieb in der Thüre stehen. Aber als die Mutter mit leiser Hand den Vorhang aufhob, unter dem ihr Liebling schlummerte, als die schöne, königlich geschmückte Regine sich niederkniete, das Händchen der schlummernden Kleinen noch mit leisem Kusse zu berühren, und der Vater von der andern Seite herzutrat, sich zu laben an dem Anblick seines Kindes, und Niemand Larssen rief, und Niemand an ihn dachte, da konnte er plötzlich die Freunde an der Wiege nicht erkennen. Es schwamm ihm vor den Augen, er nahm die Brille ab, die unwillkommene Thräne zu entfernen.

»So viel Liebe – und Niemand, der sie braucht!« sagte er kaum hörbar zu sich selber, während der Wagen vorfuhr und Regine sich schnell erhob, um sich nach dem Schlosse zu verfügen.

Scherzend und lächelnd geleitete Larssen sie die Treppe hinab. Er ließ es sich nicht nehmen, ihr selbst die Mantille umzugeben, die der Diener bereit hielt. Er machte ihr den Wagenschlag zu, und hatte noch eine Menge Warnungen und Bitten auszusprechen, sich doppelt vor Erkältung zu verwahren, da ihre Reise nahe sei, ehe er den Wagen fahren ließ, dem er so weit er konnte mit den Augen folgte.

Es war nämlich das letztemal, daß Regina während dieser Saison in Paris zu singen hatte, und nur einige Tage der Rast wollte sie sich gönnen, ehe sie nach London ging, wohin sie engagirt war. Da sie fortdauernd ein Hausgenosse ihrer Freundin geblieben, sahen Cornelie und der Doctor mit Bedauern ihrer Entfernung entgegen, und begierig, der Scheidenden noch froh zu werden, war man auch an diesem Abende übereingekommen, Regina zu erwarten, die gleich nach beendetem Gesange heimzukehren versprochen hatte. Der Doctor aber war genöthigt, sich nochmals zu entfernen, um einen schwer Erkrankten zu besuchen, und Cornelie und Larssen blieben ganz allein zurück.

Sie hatten sich behaglich niedergelassen, es war Thee aufgetragen worden, indeß so sehr Larssen es sonst liebte, den Thee zu bereiten, so vergaß er es heute dennoch. Er war sehr ernst, auch Cornelie blieb nachdenklich, und wie es in solchen Stimmungen zu geschehen pflegte, wendete sich die Unterhaltung in die Vergangenheit zurück. Der Brief Friedrichs bot dazu den nächsten Anlaß und Cornelie theilte dem alten Freunde Plessen's Uebertritt zum Katholicismus mit.

»Ich habe das Wort Göthe's in früheren Jahren nie verstehen können,« sagte sie, nachdem sie Alles berichtet, was Friedrich ihr geschrieben hatte, »ich habe das Wort nie verstehen können, daß Göthe sich selbst historisch geworden sei. Nun mache ich die Erfahrung an mir selber, was es damit auf sich hat. Meine Verlobung mit Plessen, die Irrthümer, durch die ich gegangen bin, liegen mir so fern, daß ich mich daran erinnern muß, wie sehr sie Theile meiner Entwicklung gewesen sind, um sie noch als mein eigen zu empfinden. Manchmal erscheint mir das wie eine schlimme Vergeßlichkeit. Ich tadle mich, daß ich Plessen kaum noch im Zusammenhange mit mir zu denken vermag, ich werde mißtrauisch gegen mein Herz – und doch dünkt mich jedes Erinnern nutzlos, das Nichts mehr in uns zu schaffen fähig ist.«

»Das ist es auch!« bekräftigte Larssen. »Sie aber als Dichter müssen noch ganz besonders die Erfahrung gemacht haben, wie vollkommen die Zustände sich von dem Menschen los lösen, die er sich gewöhnt hat, schaffend mit selbstlosem Auge zu betrachten!«

»Ja!« erwiderte sie, »und darin liegt das befreiende der Dichtung. Die Eigenliebe vergrößert sonst Alles, was uns selbst betrifft, wir verlieren den Maßstab für unsere Leiden, wie für unsere Freuden. Diese Uebertreibung giebt sich auch in der Sprache des Ungebildeten, des ganz auf sich gestellten Menschen kund, der niemals an eine Vergleichung seiner Zustände mit denen der Anderen gedacht hat. Dem Ungebildeten, so wie dem Kinde, ist Alles unerhört, ungeheuer, furchtbar, oder einzig und wundervoll, was ihn selbst betrifft, und nirgend fühlt man die Selbstsucht des gewöhnlichen Menschen und die Uncultur des Dichters leichter heraus, als in der Maßlosigkeit seiner Beiwörter.«

»Sie haben viel an sich erzogen in dem Punkte,« meinte Larssen, »aber auch Regina hat das gethan, denn alle Kunst neigt in ihren ersten Anfängen aus Unbildung zur Uebertreibung. Wäre Regina bei der Leidenschaftlichkeit ihrer ersten künstlerischen Leistungen geblieben, so würde sie sich in kurzer Frist aufgerieben haben.«

»Ach!« rief Cornelie, »das ist so natürlich. Sie können es nicht wissen, was ein Weib in sich zu überwinden hat, ehe es mit einer Leistung, mit einem Kunstwerke vor das Publikum hintritt, ehe es sein inneres Leben dem kalten Auge fremder Menschen bloßlegt!« Sie versank in Nachdenken, die Erinnerung an ihre ersten dichterischen Versuche ging an ihrem Geiste vorüber.

»Als ich mein erstes Werk verfaßte,« fuhr sie nach einer Pause fort, »da fühlte ich noch jene Erbitterung gegen die Verhältnisse im Vaterhause, da glaubte ich noch das Opfer einer unerhörten Tyrannei, der Spielball nie dagewesener Verhältnisse und Verwicklungen zu sein. Als Regina zuerst in der Rolle der Donna Anna auftrat, brannte noch der ganze Schmerz ihres Liebesleides in ihr, wähnte sie noch Untragbares geduldet zu haben. Die dichterische Kraft hatte sich in beiden Fällen des persönlichen Geschicks bemächtigt, hatte es in seiner Schwere übertrieben, und Jede von uns fühlte nur die Nothwendigkeit, sich des langgehegten, unterdrückten Wehes gewaltsam zu entladen. So entstand mein erstes Buch, so spielte Regine ihre erste Rolle, die Donna Anna. Wir wurden erlöst von unserer Last, wie die Mutter erlöst wird von dem Kinde, das sie in sich trägt – durch befreienden Schmerz!«

»Ich verstehe das,« entgegnete Larssen, »und die theure Regina hat es mir wohl ähnlich ausgesprochen, dennoch vermag ich den Künstler nicht zu beklagen.«

»Wer fordert das auch?« rief Cornelie. »Wie der Mensch sich historisch wird in seinen Erinnerungen, so wird der Künstler sich ideell, sich selbst zum Ideal in seinen Schöpfungen. Wenn er arbeitet, seine künstlerischen Gestalten zu veredlen, zu vollenden, veredelt er sich selbst. Indem er sich gewöhnt, das Leben in der Dichtung mit großem Blick zu überschauen, lernt er das eigene Geschick mit Ruhe ansehen, das Verworrene entwirren, das Bewegte beruhigen. Den größten Nutzen von seinen Schöpfungen zieht der Künstler für seine eigene Bildung, wenn nämlich die Kunst ihm das ist, was sie jedem sein sollte – ein religiöser Cultus! Ein Cultus, der mit anerkennender Duldung alles Vorhandene zu verstehen, nach seinem Werth zu würdigen trachtet.«

»Mißdeuten Sie es nicht,« sagte Larssen nach kurzer Pause, »wenn sich meine Gedanken immer wieder auf Regina wenden. Was Sie durch Bildung und Reflexion gewonnen haben, diese Klarheit über sich selbst, diese vollkommene Ruhe und Sicherheit, die hat Regina noch nicht und –«

»Sie kann sie nicht haben,« unterbrach ihn Cornelie, »denn ihr Leben ist nicht erfüllt, und nur die Erfüllung erzeugt die Ruhe.«

Larssen antwortete nicht gleich, er schien zu schwanken ob er sprechen solle, endlich fragte er: »Glauben Sie, daß Regina noch an Erich hängt?«

»Sie war sein Weib! Kann sie das je vergessen?« erwiederte Cornelie. – Es entstand eine Pause. Cornelie sah, daß Larssen noch Etwas auf dem Herzen hatte, für das er die Worte nicht finden konnte, und ihm zu Hülfe kommend, wünschte sie zu wissen, was ihn beunruhige.

»Ich sehe Regina ungern nach London gehen!« antwortete er schnell.

»Und weshalb das?« fragte sie. »In sich gefestet, wie sie ist, geachtet von Allen, die sie kennen, verehrt von meinem Bruder, der mit voller Ergebenheit ihr überall zur Seite steht, was können Sie da fürchten?«

»Nichts! in dem Sinne gewöhnlicher Befürchtung – Alles für Reginen's Ruhe!« sagte er mit Nachdruck. »Aber fragen Sie mich Nichts! Man muß solch banges Ahnen nicht in Worte kleiden. Das Wort macht den Gedanken lebendig und schafft ihn zur Wirklichkeit um. Mögen alle guten Geister sie beschützen!«


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