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Eilftes Kapitel.

Hätte nur ein Strahl der Liebe, welche Friedrich für sie hegte, zu Helene dringen können, es würde ihr ein Trost gewesen sein, an dem Abende, da die Anzeige von Augustens Verlobung sie erreichte.

Der Graf, unter dessen Adresse sie angelangt war, brachte sie selbst in das Zimmer seiner Gemahlin, die an den geöffneten Thüren ihres Balkons in einem Sessel ruhte, und aufschreckend das Buch zur Seite legte, da sie die Schritte St. Brezan's vernahm und einen offenen Brief in seinen Händen sah.

Der Graf bemerkte es. »Warum erschrickst Du?« fragte er mit scharfem Blicke.

»Ich bin dahin gekommen, vor jedem Briefe zu erschrecken. Es ist so selten, daß ich gute Nachrichten erhalte!« antwortete sie, und das böse Lächeln des Grafen steigerte ihre Besorgniß. Es schien ihr, da er sie eine Zeit lang schweigend beobachtete, als weide er sich an der Bestürzung, welche ihr sein Erscheinen eingeflößt hatte.

»Heute wirst Du Dich nicht zu beklagen haben. Die Zeitung, die ich bringe, ist gut. Ein freudiges Ereigniß in Deiner Familie. Eine Heirath – –«

»Georg!« rief Helene und erhob sich mit Lebhaftigkeit.

»O nein!« bedeutete der Graf, »Deine Cousine, die Frau jenes Herrn Brand ist's, die sich verlobt hat.«

Helene ward bleich. Sie langte nach dem Briefe, der Graf reichte ihr ihn hin. Es war nur die allgemeine Meldung, unter welche Auguste einige Zeilen der Bitte um Theilnahme an ihrem Glücke geschrieben hatte. Der Graf wendete kein Auge von der Lesenden. Als sie das Blatt zur Seite legte, fragte er: »und nun, Helene?«

Sie antwortete nicht.

»Wie maussade Du wirst!« rief der Graf. »Aber es ist ein schönes Ding um den Protestantismus, der solche Arrangements erlaubt, und ich sehe nicht ein, warum sich Herr Brand nicht auch irgend eines schönen Tags verheirathen sollte. Es steht dem jetzt Nichts mehr im Wege!«

Die Gräfin beharrte bei ihrem Schweigen.

»Du nimmst wenig Antheil an dem Loose Deines Freundes!« sagte der Graf.

»Habe ich Dir Anlaß gegeben, mich so zu quälen?« fragte endlich die Gräfin, während sie mit thränenlosem Auge zu ihrem Manne hinüberblickte.

»Ursache?« rief er, »Ursache? und glaubst Du nicht, daß ich es weiß, woher sie kommen, Deine Entsagung und Geduld? Glaubst Du, ich hätte Deinen alten Wahlspruch vergessen von der Weisheit des Abwartens? – Ich weiß es, ich sehe, ich fühle es, abwarten willst Du! abwarten, bis die Uhr meines Lebens abgelaufen ist, abwarten – –«

Ein krampfhafter Husten unterbrach ihn. Er mußte sich niedersetzen. Helene wollte ihm Pastillen reichen, die ihm Linderung verschafften. Er wies sie heftig zurück und erhob sich, indem er sich mit der zitternden Rechten auf die Platte des Marmortisches stützte, die nicht kälter war als seine Hand.

»O! täusche Dich nicht!« rief er, täusche Dich nicht, ich bin nicht krank! Die Aerzte, mit denen Du geheime Conferenzen hast, betrügen Dich! Sie schmeicheln Deinen Hoffnungen! Ich bin nicht krank! Was sagte Dir der Doctor gestern?«

»Ich habe ihn nur für mich berathen,« entgegnete die Gräfin.

»Nur für Dich? und weshalb? weshalb Helene?«

»Kannst Du noch fragen?« sagte sie, und jeder Andere als ihr Gatte hätte dem müden Ausdruck ihres bleichen Angesichts nicht widerstanden. Der Graf aber beachtete das nicht, den in dem Augenblicke war eine Equipage in den Hof gefahren, und der Kammerdiener meldete die Ankunft eines Gastes.

»Sehr willkommen!« sagte St. Brezan und wendete sich rasch nach dem Spiegel. Sein Aussehen erschreckte ihn. Er bereute, den Besuch angenommen zu haben, raffte sich aber gewaltsam zusammen, und mit schneller Wendung dem Gast entgegengehend, sagte er: »Sie kommen mitten in eine Scene, General! mitten in ein Krankenzimmer! Sie finden mich noch agitirt! Meine Frau hat eben einen ihrer Nervenanfälle gehabt.«

Die Gräfin erbebte.

Der Ankommende blickte sie an und sprach ihr sein Bedauern aus. Ihre Blässe, ihre Erregung waren geeignet, den Worten des Grafen Glauben zu verschaffen. Sie benutzte das, sich zu entfernen. Der Graf bot ihr den Arm, und geleitete sie mit höchster Sorgfalt in das Nebenzimmer.

Als er daraus zurückkehrte, war er wie verwandelt. Die Gewohnheit der Selbstbeherrschung hatte den Anfall, wenn nicht überwunden, so doch zurückgedrängt, und mit ruhiger Sicherheit sagte er: »Da sehen Sie nun mein Freund! so ist es mit den Frauen! Die Gräfin ist jünger als ich. Ich hoffte eine Stütze an ihr zu haben, wenn einst für mich das Alter kommen würde, und muß nun selbst den Krankenpfleger machen. Gestehen Sie, daß dies in unseren Jahren hart ist!«

Der General, ein Mann in seiner vollen Kraft, gab die Behauptung zu, während seine Blicke über die steife, fast zur Mumie zusammengetrocknete Gestalt des Grafen streiften, und mit lächelndem Munde sagte er: »Sie haben Sich sonst über die Frauen nicht eben zu beklagen, Graf!«

St. Brezan nahm diese Worte wohlgefällig auf. Er lehnte sich in die Sophaecke zurück, kreuzte die Beine, und entgegnete mit der spielenden Eitelkeit einer Kokette: »Nun, unter uns, lieber Freund, die Tage der Jugend sind für mich wohl eigentlich vorüber!«

»Oh! man ist immer jung, so lange man zu gefallen wünscht und weiß!« rief der General, »Marietta –« fügte er, nur dem Ohre des Grafen vernehmbar, in leisem Tone hinzu.

Der Graf gab ihm ein Zeichen zu schweigen, indem er mit einer Kopfbewegung nach den Gemächern seiner Gemahlin hindeutete. Der Gast erwiederte das Zeichen mit schlauem Lächeln, und schnell abbrechend, sagte er: »Ich kam einen Dienst von Ihnen zu fordern, werther Freund!«

»Bestimmen Sie über mich!« rief bereitwillig der Gesandte unter dem angenehmen Eindruck, welchen die Bemerkung des Andern auf ihn hervorgebracht hatte. Worin kann ich Ihnen dienlich sein!«

»Mein Neffe, der Sohn der Gräfin Beyern, ambitionirt eine Versetzung von der berliner Ambassade nach Wien, und – –«

»Und man weigert sie ihm, ich weiß!« sagte St. Brezan. »Eine frühere Begegnung mit dem Gesandten macht diesen abgeneigt, den jungen Bevern anzunehmen!«

»Deshalb grade kam ich, Ihre Vermittlung zu suchen, lieber Graf!«

St. Brezan zuckte die Schultern. »Sie wissen, um was es sich gehandelt hat. Solche Rivalitäten verzeihen und vergessen sich nicht leicht. Ich fürchte, er wird nicht reussiren. Doch will ich Alles thun, was ich vermag. Verlassen Sie sich fest darauf.«

Der General nahm die Zusage dankbar an, gab noch einige Auskunft über seinen Neffen, die der Graf begehrte, und sagte dann: »Aber da wir von Rivalitäten sprachen, wissen Sie wohl, daß Sie einen sehr gefährlichen Rivalen besitzen?«

»Einen Rivalen?« wiederholte St. Brezan, »das ist schmeichelhaft!«

»Nein, in der That! Marietta schwärmt für ihn –«

»Für wen?« fragte der Graf, indem sein Gesicht sich verfärbte und die Muskeln seiner Wangen zuckten.

»Für Anatole Gregorin!«

»Sie kennt den Fürsten nicht!«

»Doch! mein Freund, denn sie hat alle ihre reizende Beredsamkeit daran gesetzt, von mir die Rücknahme der Ordre zu erwirken, die ihn für die grusische Armee bestimmt!«

»Und Sie haben sie zurückgenommen?« fragte der Graf mit sichtlicher Spannung.

»Es war unmöglich ihr ein Nein zu sagen!«

»Also bleibt er hier?«

»Ja! bis auf Weiteres!« entgegnete der General, drückte dem Grafen die Hand und sagte, indem er sich verabschiedete: »Und nicht wahr, mein Freund! Sie werden die Wünsche meines Neffen nicht vergessen? Ich darf auf Ihre Freundschaft rechnen, wie Sie der meinigen vertrauen können?«

»Unbedenklich!« versicherte der Graf mit ruhiger Haltung, aber kaum hatte der Besucher das Zimmer verlassen, als St. Brezan mit leidenschaftlicher Heftigkeit die Glocke zog, und dem eintretenden Diener befahl, augenblicklich anspannen zu lassen.

Voll ohnmächtiger Wuth eilte er im Zimmer auf und nieder. Gestachelt von der selbstbetrügerischen Lust sein Alter zu vergessen, hatte er sich in die Reihe der Bewunderer gedrängt, welche die schöne Marietta, die erste Tänzerin ihrer Zeit umschwärmten, und während sie spielend des Greises spottete, hatte eine Leidenschaft sich seiner bemächtigt, die er mit Wollust in sich nährte, da er sie als ein Mittel ansah, an der Gräfin Rache zu nehmen.

Weit davon entfernt, seine Leidenschaft oder die Gunst zu leugnen, die er zu besitzen glaubte, trug er sie mit einer Absichtlichkeit zur Schau, die bei einem Manne seines Alters doppelt widerwärtig erscheinen mußte. Der ganze Hof, die ganze Stadt sprachen von der Verschwendung, zu der er sich fortreißen ließ, der gefeierten Schönheit zu gefallen, von den romantischen Festen, die er auf dem Lande für sie veranstaltete, von den phantastischen Ueberraschungen, die er ihr bereitete. Die Einen tadelten ihn, indem sie ihn beklagten, die Anderen verlachten ihn spottend, nur die Gräfin schwieg. Aber sie litt davon, den Grafen so unter sich selbst herabgesunken zu sehen.

Nicht um ihretwillen hatte sie die Reise, den Besuch bei ihrem Vater gefordert. Sie hatte ihren Gemahl nur auf kurze Zeit aus der Nähe der Tänzerin zu entfernen gewünscht, und was er ihr einst nicht gewährt, den Beistand gegen eine verderbliche Leidenschaft, diesen Beistand hatte sie ihm zu leisten gedacht.

Aber ihre Bitten, ihre Vorstellungen waren vergeblich gewesen. Der Graf betrachtete dieselben als Zeichen einer Eifersucht, die seiner Gemahlin einzuflößen er als eine Vergeltung, eine Genugthuung empfand, und müde, wie Helene es geworden war, hatte sie sich endlich mit ihrem Kummer in sich selbst zurückgezogen, wie die Blumen, die sich schließen vor der Sonnenlosigkeit der Nacht.

Einsam, ohne Freunde, ohne Klage, sah sie die Tage an sich vorüberziehen. Aus der drückenden Atmosphäre der Stadt, auf der die ganze Hitze des kurzen, nordischen Sommers brütete, aus der Tageshelle, die nicht enden zu wollen schien, schweiften ihre Gedanken in die Ferne, hin zu der Schwester und zu dem Geliebten, den sie in Corneliens Nähe wußte, hin zu der Heimath und dem Bruder, an dessen Herzen sie stets eine Zuflucht gefunden; aber auch in Erich's Seele, in Erich's Hause wohnte der Frieden nicht.

Es war im Beginne des Frühjahrs gewesen, als Erich von seiner Mission aus der Residenz auf das Land zurückgekehrt war. Auguste hatte sich bereits vermählt, der Baron wie alljährlich am bestimmten Tage die Stadt verlassen und sich auf das Gut begeben. Sidoniens Briefe, des Vaters gänzliches Schweigen hatten dem Sohne keinen Zweifel darüber gelassen, wie unerbittlich Beide die Richtung tadelten, welche seine politische Thätigkeit genommen hatte. Schon in der Freudigkeit des Wirkens, die er in der Hauptstadt empfunden, mitten in dem Kreise der Männer, welche seine Ehrenhaftigkeit und Tüchtigkeit ihm zu achtenden Freunden gewonnen, hatte der Gedanke an die Heimath ihm die Seele beschwert, und je näher er ihr kam, um so niederdrückender war er ihm geworden. Er mußte sich an die Freude halten, den Sohn wiederzusehen, den er einer Erziehungsanstalt anvertraut hatte, ihn vor dem Einflusse der Mutter zu bewahren, und der grade in diesem Augenblicke zum Ferienbesuche auf dem Schlosse war, er mußte sich wiederholen, daß seine Rückkehr nach dem Gute nothwendig sei, um sich gegen den lähmenden Mißmuth zu wehren, der sich auf ihn niedergesenkt hatte.

Er war die Nacht durch gefahren und konnte also früh am Vormittage auf dem Schlosse sein, aber noch hatte er die letzte Station nicht erreicht, zu der er seinen Sohn beschieden hatte, als Weidewut ihm auf seinem flinken Pony entgegengesprengt kam, und freudejubelnd mit der Mütze winkte, den Vater aus weiter Ferne zu begrüßen.

Erich's Herz schwoll hoch auf vor Freude, da er seines Knaben ansichtig ward. Schön und schlank gewachsen, frisch an Geist und Leib, war es eine Lust, ihn zu beobachten, wie er herabsprang, das Pferd dem Reitknecht überließ, und nun mit den leuchtenden braunen Augen, das goldblonde Lockenhaar vom Morgenwinde leis bewegt, sich in liebevoller Hast dem Vater an die Brust warf, der ihn mit froher Zärtlichkeit umarmte.

»Da habe ich Dich also doch zuerst, Papa!« rief der Knabe.

»Wie groß bist Du in diesen letzten Monaten geworden!« sagte der Vater, »ich werde bald stolz sein können auf meinen großen Sohn!«

»Und ich bin stolz auf Dich, Papa!« fiel ihm der Sohn in's Wort, »denn wie sie Dich Alle lieben, wie sie Dich bewundern, das kannst Du Dir nicht denken!«

Erich lächelte. »Wer liebt mich?« fragte er.

»Alle! antwortete der Knabe. »Im Institute gab mir der Classenlehrer immer vorzulesen, was Du gesprochen hattest, und hier nun vollends! Du wirst es ja erleben!«

»Hier?« wiederholte Erich, als sie sich dem Posthause genähert hatten, wohin er sich Relais bestellt. Aber kaum hielt der Wagen, kaum war der Baron ausgestiegen, um während des Pferdewechsels einige Schritte zu machen, als er sich von einer Anzahl von Männern umgeben sah, die aus der Thüre des Posthauses kamen, und ihn mit lebhafter Theilnahme umringten.

Es mochten wohl an vierzig Personen sein, Alle in ihren Sonntagskleidern, der Schulmeister seines Gutes und der alte Schöne an ihrer Spitze. Ein Theil derselben war ihm fremd, die Mehrzahl gehörte seinem Gute und den Dörfern an, welche in dem Kirchspiele Friedrich's eingepfarrt gewesen. Es war die ganze dissentirende Gemeinde.

Von allen Seiten scholl ihm ein Willkommen entgegen, von allen Seiten streckten sich Hände aus, die seinen zu ergreifen und zu schütteln, und doch schienen diese Beweise der Theilnahme unwillkürliche Ausdrücke der Freude zu sein, denn der Schulmeister wies sie offenbar als eine unerwartete Störung zurück, und der junge Schöne drängte die Leute, Platz zu machen, und den Baron in das Zimmer gehen zu lassen.

In der großen Gaststube zu ebener Erde angelangt, stellten die Männer sich mit einer gewissen Ordnung in einen Kreis, Herr Schöne trat hervor und indem er dem Baron die Hand gab, sagte er: »Herr Baron! Einer für Alle! Sie haben brav an uns gehandelt. Darum sind wir hier. Silberne Ehrenkränze und goldene Becher, wie die reichen Städte da unten am Rhein, die können wir Ihnen nicht geben, Herr Baron! die brauchen Sie auch nicht, denn Sie sind reicher als wir Alle. Aber daß sie dem alten Fritze sein Wort verfochten haben, daß Jeder auf seine eigene Manier selig werden muß, das wird Ihnen hier Keiner vergessen, und das haben wir Ihnen sagen wollen! Dafür wird der allmächtige Gott Sie segnen, und es ist ein altes Wort: an Gottes Segen ist Alles gelegen!«

Er schüttelte dabei dem Baron nochmals die Hand. Erich war sehr ergriffen. »Ich wollte, ich hätte mehr erreicht!« sagte er kurz und fest.

»Es ist doch immer ein Anfang!« meinte einer der Männer, »und wer's erlebt hat, wie langsam Alles wächst, der ist geduldig!«

»Halten Ew. Gnaden nur zum Neuen und zum Rechten,« sagte ein Anderer, »erleben wir's nicht, so soll's unseren Kindern und dem jungen Herrn da wohl noch zu Nutze kommen, daß sein Vater ein gerechter Mann gewesen ist und daß er Respect gehabt hat vor anderer Leute Glauben und Gewissen!«

Damit reichte er dem Knaben die Hand, auch die anderen Männer wendeten sich zu ihm, der mit kindlicher und doch verständnißvoller Freude die Anerkennung theilte, welche seinem Vater in so herzlicher Weise dargebracht ward.

Nicht gewillt, diese Begegnung zu einer Demonstration seiner Gesinnungen zu machen, und mit feinem Takte fühlend, daß man solche Augenblicke nicht verlängern dürfe, ohne ihre innere Kraft zu schwächen, dankte Erich den Männern nochmals mit wenig Worten, und brach dann auf. Er war seltsam bewegt. Was er für die Anerkennung der freien Gemeinden gethan, was er überhaupt zu Gunsten der Religionsfreiheit gesprochen, ward ihm reich vergolten. Kein Sieg, den er jemals für sich selbst errungen, Nichts, was er selbst jemals persönlich erreicht, hatte ihm die Genugthuung gewährt, die er in dieser Stunde fühlte, da er sich bewußt ward, für Andere gemeinnützig gewirkt zu haben. Das Gefühl des Staatsbürgerthumes erhob ihn, gewann eine noch tiefere Bedeutung für ihn, wenn er die Zukunft seines Knaben daran geknüpft dachte. Der Gedanke, daß einst sein Sohn vollenden könne, was er jetzt Förderndes begonnen, bewegte sein Herz. Und wie der Geschlechtsstolz seines alten Vaters sich in die Vergangenheit zurückgewendet und ihn von seinen Mitmenschen abgeschieden hatte, so wendete Erich's Blick sich in die Zukunft, so galt sein Adelstolz der Hoffnung, ein Geschlecht zu hinterlassen, das als der Träger eines freien Geistes, dem Vaterlande gute Bürger, der Freiheit und Gesetzlichkeit eine Stütze bieten sollte, wie England sie besaß in vielen seiner ältesten Geschlechter.

Da der größere Theil der Männer, die zu seinem Willkommen herbeigeeilt, zu Pferde gekommen waren, ließen sie es sich nicht nehmen, ihm das Geleite zu geben, und von diesen Reitern gefolgt, langte Erich vor der Auffahrt seines Schlosses an. Die Dienerschaft, welche eben so wie die Dorfbewohner von dem Empfange unterrichtet gewesen, den man ihrem Herrn bereiten wollte, waren auf die Rampe hinausgeeilt, eine Menge Leute und Kinder drängten sich in den Schloßhof, aber an den Fenstern seines Hauses ward Niemand sichtbar. Sein Weib eilte ihm nicht entgegen, sein Vater kam nicht, ihn zu begrüßen. Es überlief ihn kalt. Die Schauer des Unfriedens umwehten ihn plötzlich, und dem Sohne den schmerzlichen Contrast so weit als möglich zu ersparen, befahl er ihm, die Männer in den Park zu führen und bei ihnen zu bleiben, bis der Inspector einen Imbiß herbeigeschafft haben würde, mit dem Erich sie zu bewirthen wünschte. Dann ging er selbst in's Schloß hinein.

Sein Kammerdiener war in der Remise mit dem Abpacken des Wagens beschäftigt. Der Diener seiner Frau hatte den Mantel und die Chatoulle genommen und schritt eilig vor ihm her auf den breiten Steinstufen der Treppe, ihm die Thüre zu öffnen, welche das obere Stockwerk gegen die Zugluft verwahrte. Erich hatte erwartet, wenigstens bis hieher werde Sidonie ihm entgegenkommen, aber auch hier war Niemand, und mit wachsender Mißempfindung schritt er den Corridor entlang bis zu dem kleinen Saale, in welchem Sidonie sich aufhielt.

»Schon um des Knaben, schon um der Leute willen, hätte sie kommen müssen!« dachte er, während er die Thüre öffnete, und das Blut stockte in seinem Herzen, da er die Baronin ruhig neben seinem Vater beim Frühstück sitzen sah. Als sie ihn erblickte, erhob sie sich langsam und ging ihm entgegen, als hätten sie sich vor wenig Stunden erst getrennt.

»Willkommen!« sagte sie, indem sie ihm die Hand bot. »Es war so spät geworden, daß wir Dich mit dem Frühstück länger nicht erwarten konnten!«

Diese absichtliche Gleichgültigkeit, die Erich tödtlich verletzte, beleidigte auch den alten Baron. Das war nicht die achtende Unterordnung, welche nach seiner Ansicht der Hausherr von seinem Weibe zu verlangen hatte, und so unzufrieden er mit Erich war, machte Sidoniens Verhalten ihn doch geneigt, den Rückkehrenden für diesen Mangel an Liebe und an Ehrerbietung zu entschädigen. Als Mann trat er auf die Seite des Mannes, als Vater auf die Seite seines Sohnes.

»Willkommen in Deinem Hause,« rief er, indem er aufstand, den Sohn zu umarmen, »und laß es Dich nicht verdrießen, daß wir ohne den Hausherrn zum Frühstück gegangen sind. Ich bin ein Gewohnheitsmensch, Du weißt es. Komm! setze Dich, Du bist die Nacht gefahren, Du wirst auch Appetit haben! Du siehst sehr wohl aus mein lieber Sohn!«

Der junge Baron drückte dem Vater dankbar die Hand, Sidonie wurde roth vor Zorn, schwieg indessen still. Sie rückte das Couvert für Erich zurecht, während dieser sich nach dem Befinden seines Vaters erkundigte und sich niederließ. Aber ein unaussprechbares Mißbehagen schwebte über diesem ersten Beisammensein. Erich, bemüht, es zu überwinden, es sich wegzuläugnen, betrachtete die Bilder, die Möbel, um durch die bekannten, wenn auch todten Gegenstände das Heimathsgefühl in sich zu erwecken, das die Kälte seiner Frau nicht in ihm aufkommen ließ. Er fragte nach den Dorfbewohnern, nach den kleinen Vorgängen im Hause, Sidonie antwortete kurz und einsilbig.

»Deine Frau scheint Dich nicht au courant erhalten zu haben,« sagte endlich der Baron, »darin war Deine Mutter, wie in allem Anderen musterhaft. Ich konnte Wochen und Monate hindurch vom Hause fern sein, und hatte fast Nichts zu fragen in der Stunde meiner Rückkehr!«

»O! das war auch ein Unterschied, lieber Vater!« meinte die Baronin, die an die Zustimmung und an das Lob ihres Schwiegervaters gewöhnt, es nicht ertragen konnte, sich getadelt zu fühlen. »Das war auch etwas ganz Anderes mit Ihnen!«

»Etwas Anderes? und was, Sidonie?« fragte Erich.

»O! wie willst Du das auch nur vergleichen. Es waren ja andere Zeiten, andere Verhältnisse! Ich habe mich nie darüber verblendet!« Sie schenkte dabei dem Baron die zweite Tasse Thee ein, reichte Erich die Eier, die Butter und die Marmelade, schien nur an die Bedienung der beiden Männer zu denken und mit dem beklagenden Ausrufe die Unterhaltung als abgethan zu betrachten.

Erich aber wies die Speisen mit der Hand zurück und sagte mit mühsam unterdrückter Aufwallung: »Halbe Worte sind schlechte Waffen, versteckte Anklagen sind kein ehrlich Spiel! Du bist verstimmt, Sidonie! Was hat Dich verletzt? Woher der kalte Empfang, der mir das Herz erstarrt im eignen Hause?«

»Empfang?« wiederholte Sidonie. »Bester Erich! wie kann von einem Empfange in Deinem Hause die Rede sein, wenn eine ganze Schaar zu Pferde mit Dir ankommt? Ich konnte doch unmöglich Dir entgegengehen, um vor all dem Volke eine Familienscene aufzuführen?«

»Sidonie!« rief Erich im Tone des Vorwurfs.

»Nein, lieber Erich!« fuhr sie fort, »es ist, wie ich Dir sage. Was kann Dir auch an meinem Willkomm, an meiner Zufriedenheit, an dem Beifall Deiner Familie gelegen sein, da Du jetzt die öffentliche Meinung zu Deinem Herrn erhoben hast?«

Erich's Stirne verdüsterte sich, auch des alten Barons Mienen hatten einen unzufriedenen Ausdruck angenommen. Er schüttelte gegen Sidonie gewendet das Haupt, als fordere er sie auf zu schweigen. Das reizte sie nur noch mehr.

»Ich begreife Sie nicht, lieber Vater! Finden Sie es denn nicht natürlich, daß es mich schmerzt, wenn ich sehe, wie mein Mann sich mehr und mehr dem häuslichen Heerde der Familie entfremdet? Es ist ihm ja schon jetzt viel mehr an dem Beifall der Bauern gelegen, als an meiner oder Ihrer Zustimmung.«

»Das ist Wahnsinn, Sidonie!« fuhr Erich auf.

»Nein! es ist Wahrheit!« antwortete sie bestimmt. »Ich habe es immer gesagt, das öffentliche Leben ist der Untergang des Familienglückes, und an uns bewährt es sich ja schon. Deine ganzen Gedanken gelten den öffentlichen Angelegenheiten, unser Sohn wird mir genommen, um ihn in öffentlichen Anstalten für die Oeffentlichkeit zu erziehen, alle Ueberzeugungen gehen davor zu Grunde. Du vertrittst die freie Gemeinde, die sich immer feindlich gegen mich, gegen Deine eigene Frau, verhalten –«

»Weil Du es durch Deine Unduldsamkeit verschuldet hast –« unterbrach er sie.

»Nein, bitte!« fiel sie ihm in's Wort, »laß mich enden! Ich spreche nicht um meinetwillen, nur um Deinetwillen, Du selber verlierst Dich, Du fällst so sehr von Dir ab, daß Du Dich mit dem Doctor aussöhnst, daß Du Corneliens Verhältnisse billigst, obschon Du weißt, wie sie dem Vater in die Seele gehen, und –«

»Sidonie, ich bin gewohnt, mich selber zu vertreten!« sagte der alte Baron mit eiserner Zurückweisung.

Erich ballte in stummem Zorne die Hand zusammen. Die Taktlosigkeit seiner Frau gegen seinen Vater war ihm eben so unerträglich, als daß er Sidonie von einem andern Mann, und wenn es auch sein Vater war, in solcher Art getadelt sehen mußte.

»Wie bitter wird mir die Stunde der Rückkehr gemacht!« sagte er. Da trat sein Sohn ein und meldete, daß die Begleiter seines Vaters ihr Frühstück beendet hätten und ihm, ehe sie aufbrächen, Lebewohl zu sagen wünschten.

Das kam zur rechten Zeit. Er sammelte sich schnell und schritt der Thüre zu. Der Knabe folgte ihm. Sidonie brach in Thränen aus.

»Wie hasse ich diese Politik!« rief sie, »die sich in unser Leben eindrängt. Nicht eine Stunde der Ruhe, nicht mehr eine Stunde aufklärender Verständigung!«

»War das der Weg zu einer solchen?« fragte Erich, indem er sich nach ihr wendete.

Sie barg ihr Gesicht mit ihrem Tuche und eilte in das Nebenzimmer, während Erich sich mit seinem Sohne in den Park begab.

Der Baron blieb allein zurück. Mit schwerem, langsamem Schritte durchmaß er das Zimmer. So oft er an dem Bilde des alten Fritz vorüberkam, das, ein Geschenk des großen Monarchen an den Vater des Barons, in schwerem, dunklem Rahmen über dem Kamine hing, blieb er vor demselben stehen.

Die klugen, hellen Augen des selbstherrlichen Königs sahen mit ihrem scharfen Lichte auf den Greis hernieder, als verständen sie seine Gedanken. Da schallte ein Vivat vom Hofe herauf, das die Abreitenden dem Gutsherrn brachten.

Der Baron horchte auf und zuckte verächtlich die Schultern. »Was er wohl gesagt hätte zu solchen Dingen?« rief er, den Blick auf den König gewendet, im Selbstgespräche. »Was er dazu sagen würde, daß sie die Autorität des Königs zum Schattenbilde machen wollen auch in seinem Lande? – Keine Autorität im Staat, keine Autorität in der Familie! Ueberall Phrasen, falsch verstandene Ideen! und dazu der dumme Jubel dieses Volkes, der dumme Jubel dieser stumpfen Masse! die öffentliche Meinung! die Meinung des Volkes, – des Volkes!« wiederholte er verächtlich und setzte seine Wanderung fort.

»Ich wollte Du schlügest mit dem Krückstock drein!« rief er abermals gegen das Bild gerichtet nach einer Weile aus, und setzte dann mit dumpfem Tone hinzu: »Aber es ist zu spät! die gute Zeit geht unter, und mich gelüstet nicht, die neue Zeit zu sehen!«


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