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Vierzehntes Kapitel.

In Paris hatte man bald angefangen, sich an die neue Ordnung der Dinge zu gewöhnen. Das öffentliche und das häusliche Leben waren zu einer Art von Ruhe zurückgekehrt, ehe die Nachricht von der französischen Revolution an dem Aufenthaltsorte des Grafen St. Brezan eintreffen konnte.

Es war früh vier Uhr, als der Courier in der Gesandtschaft anlangte. Der Graf war erst vor einer Stunde von der Tänzerin zurückgekehrt, bei der er seine Abende verlebte. Man hatte hoch gespielt wie immer, und wie immer hatte der Graf verloren, wie immer hatte die Dame des Hauses ihn damit getröstet, daß Unglück im Spiele Glück in der Liebe bedeute. Aber der Trost hatte diesmal nicht mehr fruchten wollen, das ruhige Lächeln des Grafen war ihm nicht mehr von Herzen gekommen.

Mit schweren, müden Schritten ging er in seinem Gemache umher. Bald trat er zum Schreibtisch und blickte in ein Notizbuch, das er aufgeschlagen hatte, bald musterte er andere Papiere. Sein Antlitz verdüsterte sich bei der Beschäftigung mehr und mehr, und eben hatte er sich am Schreibtisch niedergelassen, als das Klopfen an der Palastpforte ihn erschreckte. Gleich darauf trat ein Diener ein, ihm die Ankunft des Couriers zu melden. Mit eiliger Hand raffte der Graf die Papiere zusammen, legte sie in ein verborgenes Fach, das er vorsichtig in seine Fugen zurückschob, und befahl, den Ueberbringer der Depeschen einzulassen.

Der Inhalt derselben traf ihn wie ein Todesstreich. Der Anzeige von der Revolution, die stattgefunden hatte, war ein zweites Document beigefügt. Es enthielt seine Entlassung aus dem Dienste der Republik, und die Mittheilung, daß sein Nachfolger bereits ernannt sei und in wenig Tagen eintreffen werde. Mit der äußern Ruhe, die ihn fast nie verließ, erkundigte er sich ausführlich nach den Vorgängen, auf welche man in den Depeschen nicht näher eingegangen war. Dann entließ er den Courier.

Eine Weile blieb er regungslos auf seinem Platze. Sein Auge starrte blicklos zu Boden, seine Hände ruhten matt auf den Lehnen des Sessels. Zweimal schon war der alte treue Kammerdiener eingetreten, den Grafen zu erinnern, daß er sich zur Ruhe begeben möge, aber sein Kommen, seine leise Ansprache waren nicht bemerkt worden. Jetzt war es heller Tag geworden. Der Graf gewahrte es plötzlich. Er schauerte zusammen, als ob das Licht ihn schrecke.

Ohne die fragenden Blicke des Dieners zu beachten, ließ der Graf sich trotz der frühen Stunden auf's Neue ankleiden. Dann befahl er ihm sein Dejeuner zu bringen, und gegen seine gewohnte strenge Mäßigkeit, genoß er gleich nach demselben, ehe er an seine Arbeit ging, einige Gläser feurigen Weines.

Die Nachricht von der Revolution hatte sich während dessen durch den Courier im Gesandtschaftshotel verbreitet. Der Gedanke an die Entlassung ihres Herrn lag der Dienerschaft nahe. Der unselbstständige, der ungebildete Mensch bedarf aber des Glaubens an die Dauer der Zustände, in denen er sich bewegt, um seine Schuldigkeit zu thun. Sieht er ein Wanken in seiner Umgebung, so hört die Regelmäßigkeit seiner Thätigkeit auf. Verwirrt und unruhig blieb man stehen, wo zwei zusammentrafen. Man flüsterte, was es zu bedeuten haben müsse, daß der Graf sich nicht zur Ruhe gelegt habe, man erzählte sich, daß er arbeite, daß er stärkenden Wein genossen habe, und kaum hatte die Gräfin am Morgen die Augen geöffnet, als sie von ihrer Kammerfrau die Vorgänge der Nacht erfuhr.

Schnell angekleidet begab sie sich zu ihrem Manne. Der Graf ging ihr entgegen, als sie eintrat.

»Du kommst so früh,« sagte er, »daß ich Dich von der Depesche unterrichtet glauben darf, die eingegangen ist. Frankreich steht am Rande seines Unterganges. Träumerische Poeten und hirnverbrannte Socialisten werden es bald genug hinabstoßen in den Abgrund, der sich aufgethan hat. Die Republik ist proclamirt und Herr von Lamartine, ein Edelmann, pflanzt in Gemeinschaft mit einem Arbeiter die Friedensfahne dieser Welterlösung auf. Es wäre lächerlich, wenn es nicht furchtbar wäre! Es würde komisch sein, wäre das Schauspiel nicht widerwärtig!«

»Und Du, Hippolyt? was wird aus Dir in dieser Krise?« fragte Helene.

Der Graf wich der Frage aus. Sein gekränkter Stolz sträubte sich dagegen, ihr seine Entlassung mitzutheilen. »Ich muß Dich bitten, Vorkehrungen zu Deiner Abreise zu treffen!« sagte er kurz, »und kann es sein, so wünsche ich, daß sie schon morgen früh erfolge.«

»So willst Du Deinen Posten niederlegen?«

»Man kannte mich genug, mir einen Nachfolger zu ernennen,« antwortete St. Brezan.

Helene schwieg, aber die düstere Niedergeschlagenheit in dem Gesichtsausdrucke ihres Mannes, regte ihr Mitleid auf. »Die Nachricht von den Umwälzungen muß Dich sehr erschüttert haben,« sagte sie mit sichtlicher Besorgniß, »wie fühlst Du Dich? Man sagte mir, Du hättest Dich nicht zur Ruhe gelegt.«

»Ich werde Ruhe, Zeit zur Ruhe finden, nur Geduld!« entgegnete der Graf. Und mit einer Art von Rührung Helenens Hand ergreifend, fügte er hinzu: »Sei unbesorgt um mich, ich bin mit mir im Klaren!«

»Und wohin gehen wir?« fragte Helene.

»Du sollst schon morgen zu Deinem Vater gehen.«

»Gehst Du nicht mit mir, St. Brezan?«

»Ich werde Dir folgen, sobald mein Stellvertreter eintrifft!«

Es war Etwas in dem Wesen ihres Mannes, das der Gräfin auffiel und sie beängstigte. Die Kraft, mit der er sprach, die Entschiedenheit, mit welcher er handelte, stachen merkwürdig ab gegen die Schlaffheit, der er seit lange schon anheim gefallen war. Sie fühlte, wie er sich Gewalt anthat, sie fürchtete die Erschöpfung, welche dieser Anstrengung nothwendig folgen mußte.

Vergebens begehrte sie bei ihm zu bleiben, vergebens erbot sie sich, mit ihm gemeinsam die Anordnungen zu treffen, welche die Auflösung ihrer Verhältnisse in der Residenz erforderten. Er ging nicht darauf ein. Selbst die Bitte, ihr Zeit zu lassen, damit sie ihre eigenen Sachen unter ihrer Aufsicht packen lassen könne, wies er zurück.

»Ich werde dafür Sorge tragen,« sagte er, »daß Alles, was Dir werth sein könnte, Dir nachgesendet werde. Im Uebrigen erspare es Dir und mir, das Beileid unserer Freunde zu erdulden. Es bleibt dabei, morgen brichst Du auf. Es ist ein Dienst, den ich von Dir begehre!«

Helene, überwältigt von dem jähen Wechsel ihres Looses, fügte sich dem Willen ihres Gatten. Der Tag verging ihr in rastloser Beschäftigung. Der Graf war nach allen Seiten hin in Anspruch genommen. Sie sah ihn nur bei der Tafel, aber sie suchte vergebens zu erfahren, ob und welche Plane er für ihre Zukunft hege. Sie sprach von seinen Gütern, sie fragte, ob er auf denselben zu leben denke? ob er sich im Ausland niederlassen werde? Er ging nicht darauf ein.

Spät am Abende kam er zu ihr. Er brachte ihr das Geld für ihre Reise und schien zufrieden, da er die Zurüstungen für dieselbe fast beendet sah. Zum ersten Male seit langer Zeit blieb er bei ihr zum Thee, und als Helene sich, wie das in Augenblicken des Scheidens zu geschehen pflegt, der Stunde ihrer Ankunft in dieser Stadt erinnerte, ging der Graf noch weiter in die Vergangenheit zurück, bis er mit Liebe auf den Tagen seiner Jugend weilte. Er sprach von dem Schlosse seiner Väter, von seiner Mutter und von seiner Schwester, von seinen ersten Erfolgen in der Welt. Helene hatte ihn nie so weich und mittheilsam gesehen. Seine Ausdrucksweise war verändert, die künstliche Haltung, die ein langes Leben ihm zur Natur gemacht, die Kälte, welche er stets zur Schau getragen, waren von ihm gewichen. Er hob es hervor, wie die Tage seines reinsten Glückes vorüber gewesen wären, noch ehe Helene geboren worden war, er nannte sich ohne Widerstreben einen Greis, einen müden Greis, heimgesucht von schwerem Schicksalsschlage am Abend seines Lebens.

Ein tiefes Mitleid, eine Neigung, wie sie sie für den Grafen nie gefühlt, belebten Helene bei diesen Mittheilungen. Die Ahnung, daß diese Ereignisse, diese Amtsentsetzung seine Kräfte übersteigen, daß sie seinen Tod herbeiführen könnten, bemächtigte sich ihrer plötzlich. Mit tiefer Bewegung, mit einer Hingebung, deren Wahrheit der Graf empfand, bat sie ihn um die Erlaubniß, bei ihm bleiben zu dürfen. Er verweigerte es. Indeß Helene ließ sich nicht abweisen.

»Ich habe Dir gehorcht,« sagte sie, »Alles ist bereit für meine Reise, aber fordre sie nicht von mir. Behalte mich in Deiner Nähe.« –

»Und wozu?« fragte der Graf.

Helene stockte. Dann ergriff sie seine Hand und sagte: »Was ich auch gegen Dich verschuldet, was Du auch gegen mich versäumt – das Zeugniß wirst Du mir nicht versagen, daß ich seit Jahren zu vergüten strebte, was ich fehlte. Weise mich nicht von Dir jetzt in dieser Stunde, in der ein so hartes Loos Dich trifft. Weise mich nicht von Dir, denn ich werde in schwerer Angst um Dich sein, bin ich von Dir entfernt!«

Eine schnelle Bewegung flog durch des Grafen Züge. Er drückte Helenens Hand und wendete sich ab. Es schien ihr, als habe er Thränen im Auge, doch faßte er sich schnell. »Nein!« sprach er, »ich habe Alles wohl erwogen. Du kannst nicht bleiben. Um meinetwillen wünsche ich, daß Du gehst. Das Nothwendige wird mir leichter werden, bin ich erst allein. Doch danke ich Dir von Herzen!«

Er hatte seinen Secretair bestellt, noch eine Stunde mit ihm zu arbeiten, und als er das Zimmer seiner Gemahlin verließ, war die letzte Spur der Rührung aus seinen Zügen verschwunden. Er war wieder der Geschäftsmann, der Weltmann, den kein Wechselfall des Lebens zu erschüttern schien.

Die Nacht verging der Gräfin schlaflos. Mehrmals glaubte sie im Zimmer ihres Mannes Schritte zu hören, dann wieder war es ihr, als öffne sich die Thüre ihres Vorsaals, aber Alles blieb still, und die Traurigkeit, welche sie schon am Abende empfunden, senkte sich immer tiefer auf ihre Seele hernieder.

Wie oft hatte sie sich gesehnt, den Ort zu verlassen, wie oft hatte sie gewünscht, die Ihrigen wiederzusehen, wie hatte sie danach verlangt, den Grafen entfernt zu wissen von dem Einflusse jener Marietta, der ihm so verderblich geworden war. Nun stand sie vor der Erfüllung aller dieser Wünsche, aber sie waren von neidischen Göttern erhört.

Der Graf hatte verabredet, daß sie zusammen frühstücken wollten. Zur festgesetzten Stunde erschien er bei seiner Gemahlin. Helene fand ihn zu ihrer Beruhigung gefaßt, und wohler aussehend als am vergangenen Tage. Er sprach über die politischen Zustände Frankreichs, über allgemeine Gegenstände mit ruhiger Klarheit; nur als die Postpferde in den Hof geführt wurden, wechselte der Ausdruck seiner Züge schnell, und er brach die Unterhaltung plötzlich ab.

Einige Augenblicke später meldete man, daß Alles zur Abreise bereit sei. Helene erhob sich, der Graf geleitete sie. Beide sprachen nicht. Als sie die Treppe hinabstiegen, überfiel Helene plötzlich wieder die Angst, die sie am Tage vorher gefühlt hatte, und unfähig sie zu verbergen, sagte sie: »Ich gehe mit schwerem Herzen von Dir, mir ist, als stände Dir ein Unglück bevor – – Dir oder mir!«

Der Graf verwies ihr das als Schwäche. Sie fragte, wann sie Nachricht von ihm haben werde? Er versprach, daß sie sie schon bei der Ankunft in der Heimath finden solle. Als sie einsteigen wollte, umarmte er sie mit tiefer Bewegung. Er küßte sie auf Stirn und Mund, und drückte sie fest an sein Herz. Dann zog er einen Ring vom Finger, den er sehr werth gehalten und stets getragen hatte. Er war ihm von seiner Mutter gegeben, als er das Vaterhaus verließ. Er hatte stets mit einer Art von Aberglauben an dem Ringe gehangen. Jetzt gab er ihn der Gräfin. Sie erschrak davor.

»Was bedeutet das?« fragte sie erbleichend.

»Es soll Deine bösen Ahnungen vertilgen! Der Ring bringt Glück. Nimm ihn mit Dir, denke meiner und nun Lebewohl!«

Damit bot er ihr nochmals die Hand, wendete sich ab, und stieg die Treppe hinan, während der Diener aufsaß und der Wagen das Hotel verließ.

Von dem Augenblicke ab blieb der Graf in unausgesetzter Thätigkeit. Er gönnte sich kaum den nöthigen Schlaf, aß einsam in seinem Zimmer und fuhr nur ein paarmal aus, wenn es seine Geschäfte erforderten. Er selbst sah darauf, daß die Effecten, welche der Gräfin persönlich gehörten, und das Mobiliar ihrer Zimmer verpackt und fortgesendet wurden, und schien kaum die Ankunft seines Nachfolgers erwarten zu können.

Als dieser am dritten Tage eingetroffen war, übergab er ihm die nöthigen Documente und erklärte ihm, daß er, sobald es ihm beliebe, von dem Gesandtschaftspalaste Besitz ergreifen könne. Dann begab er sich zu seiner Abschiedsaudienz an den Hof, und ließ, heimgekehrt, sein Souper auftragen. Er hatte seine Abreise für den nächsten Morgen vorbereitet.

Da er oftmals an Schlaflosigkeit litt und sein Asthma ihn Nachts vielfach belästigte, hatte sein Kammerdiener sich gewöhnt, mehrmals im Laufe der Nacht in des Grafen Zimmer zu gehen und nach seinen Bedürfnissen zu fragen. Aber so oft er heute kam, fand er ihn schlafend, und gönnte ihm die Ruhe nach den Anstrengungen der letzten Zeit.

Auch in der Frühe, da der Diener ihn wecken wollte, war er noch nicht erwacht. Er nannte seinem Herrn laut die Stunde. Der Graf lag mit abgewendetem Gesicht und hörte es nicht. Eine furchtbare Ahnung ergriff den Diener. Er trat an das Lager seines Herrn, er blickte ihn an, die Ahnung hatte ihn nicht betrogen. Der Graf lebte nicht mehr.

Das ganze Hotel gerieth in Aufruhr, man holte Aerzte herbei, sie erklärten, der Graf müsse schon im Beginne der Nacht gestorben sein. Der Körper war bereits kalt und starr, der Ausdruck des Gesichtes verrieth keine Spur von Schmerz, die Züge trugen das feste Gepräge der Ruhe, die den Grafen im Leben ausgezeichnet hatte. Um den Mund, der ganz geschlossen war, schien noch das alte, stolze, selbstbewußte Lächeln zu schweben.

Die Aerzte beriethen leise mit einander, ehe sie den Kammerdiener in das Nebenzimmer kommen hießen. Was sie von ihm zu wissen begehrten, sagte er Niemand. Als sie mit ihm zurückkamen, sprachen sie aus, der Graf sei an einem Nervenschlage gestorben, den ihm die über seine Kräfte gehenden Anstrengungen der letzten Zeit zu Wege gebracht hätten. Ein kleines Fläschchen von Bergkrystall, das der Kammerdiener in der erstarrten Rechten seines Herrn gefunden, und an dessen Geruch die Aerzte den früheren Inhalt desselben erkannt hatten, ward von ihnen entfernt. Der anwesende Leibarzt des Herrscherhauses übernahm es, dies zu vertreten, und die Gräfin von dem plötzlichen Hingange ihres Gemahls schonend in Kenntniß zu setzen.


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