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Erstes Kapitel.

Als Friedrich's Brief an die Gräfin auf dem Schlosse eintraf, hatte sie dasselbe bereits verlassen. Die Versetzung des Grafen an einen der andern nordischen Höfe machte ihre Anwesenheit in dem Hause ihres Mannes nöthig, und die plötzlich gemeldete Ankunft fürstlicher Personen, denen er die Honneurs zu machen hatte, nahm ihre ganze Zeit in Anspruch.

Ermüdet durch eine angestrengte Aufmerksamkeit für diese fürstlichen Gäste, abgespannt durch eine Reihe von Bällen und Feierlichkeiten, an denen sie seit lange die Lust verloren hatte; ohne eine wohlthuende Beschäftigung, und doch nicht Herr ihrer Zeit; umgeben von Verehrung und ohne einen Freund, so waren der Gräfin bereits vierzehn Tage nach ihrer Rückkehr hingeschwunden, als ihr Erich den Brief des Freundes sendete.

Helene saß in ihrem Ankleidezimmer vor dem Spiegel. Ihr Kammermädchen war damit beschäftigt, ihr einen Kranz von Aehren in das Haar zu flechten. Hellfarbige Gewänder, Blumen, Sandalen und Spangen lagen auf den Tischen ausgebreitet, das Costüm der Ceres zu vervollständigen, welches die Gräfin diesen Abend am Hofe in einem Maskenzuge tragen sollte. Auf ein leises Klopfen ging das Mädchen nach der Thüre, nahm dem Diener den Brief ab und brachte ihn der Gräfin. Sie öffnete mit Gleichmuth das Siegel, kaum aber hatte sie in dem Couverte neben dem Schreiben ihres Bruders einen zweiten Brief erblickt, als eine sanfte Freude über ihre Züge flog. Sie stand vom Spiegel auf, schickte das Mädchen fort, und setzte sich am Kamine nieder, die ersehnte Antwort zu lesen.

Mit jedem Worte wuchs ihre Theilnahme, mit jedem Worte ihre Freude und ihr Schmerz. Wie dem Verschmachtenden, der in dem brennenden Sande der unabsehbaren Wüste plötzlich das Rieseln einer Quelle vernimmt, so frisch, so belebend, so labend drangen Friedrich's Worte in ihr Herz. Die Ursprünglichkeit und Treue dieser Natur, die schlichte, fast kindliche Einfalt dieses reifen, klaren Mannes ließen sie empfinden, was sie durch ihr Leben an eigener Jugend eingebüßt, was sie in Friedrich besessen haben würde. Seine unausgesprochene Klage über ihren einstigen Verlust, seine Freude, sie wiedergefunden zu haben, die frohe Hingebung, mit der er sich ihr gelobte, erschütterten sie tief. Ein neues Leben breitete sich vor ihren Augen aus, ein Halt, ein Trost für ihre Zukunft, ein Gefühl, dem sie sich freudig überließ; denn Friedrich war ihr Bürge für sich selber und für sie.

Das war es, was sie stets ersehnt, das war es, was sie erhofft hatte. Ein Freundesherz, an das sie flüchten, ein Männerherz, dem sie vertrauen durfte, weil es Nichts von ihr verlangte, als was sie spenden und gewähren konnte. Sie hätte ihm antworten mögen, gleich in dieser Stunde. Sie nahm sich vor, ihm täglich, und wären es auch nur wenige Zeilen, zu schreiben. Er sollte ihr Gewissen sein und sie forttragen über alles Niedrige und Kleine ihres Lebens in der Welt. Sie sah eine Zukunft voll Frieden vor sich, sie glaubte an die Möglichkeit, sich mit den Banden ihrer Ehe, sich mit dem Grafen auszusöhnen durch Friedrich's Freundestreue. Ihm wollte sie Alles danken, ihre eigene Erhebung und ihr Glück.

Mit der leidenschaftlichen Liebebedürftigkeit ihrer Natur wendete sie sich zu ihm, erwartete sie von ihm, was sie bedurfte. Sie malte es sich aus, wie sie ihn wiederfinden werde, sie hörte den sanften Ton seiner Stimme, sie sah ihn wie an jenem Abende, da ihr leichtsinniges Wort ihn aus dem Saale ihrer Eltern forttrieb, sie sah ihn wie in der Nacht im Garten. Ihre Jugend ward lebendig vor ihr, sie war jung und schuldlos wie damals, denn Er hatte ihr verziehen, Er glaubte an sie, Er, gegen dessen Liebe sie am schwersten sich versündigt hatte.

»Ich will wieder werden, ich will sein, was er einst in mir geliebt hat, was er noch in mir erblickt!« Das war der Gedanke, mit dem sie sich erhob, als ihr Mädchen zum zweiten Male erschien und sie erinnerte, die Stunde des Balles nicht zu versäumen.

Ganz mit dem Wiedergefundenen beschäftigt, ließ sie sich ankleiden und fuhr zu dem Feste. Der Glanz, die Pracht desselben waren ihr zu vertraut, um sie zu zerstreuen, die Formen der Unterhaltung sind zu gleichförmig, um von den eigenen Vorstellungen abzuziehen. Während Tausende von Kerzen sie umleuchteten, während rauschende Tanzmusik die Säle erfüllte und huldigende Männer sie umgaben, wanderte ihr Geist weit ab von diesem Feste, in der sanften Einsamkeit des ewigen Roms an der Seite des ersehnten Freundes.

Allen Menschen hätte sie es zurufen mögen: »Ich habe einen Freund gewonnen! Eine Lebenshoffnung ist mir aufgegangen!« und mit Freuden sah sie das Ende des Festes herannahen, begierig den Brief, dies neue Evangelium ihres Herzens, noch einmal in ruhiger Stille zu genießen.

Als sie an der Seite des Grafen ihr Hôtel erreicht hatte, und Beide die Treppe des ersten Stockes emporgestiegen waren, wollte sie sich, wie sonst immer, in ihre Zimmer zurückziehen; aber gegen seine Gewohnheit und trotz der späten Stunde, ersuchte der Graf sie, in den Salon zu treten, und befahl dem vorleuchtenden Diener, sich zu entfernen.

Die Feuer in den Kaminen des Saales waren lange erloschen. Es war kalt. Die Kerzen des Armleuchters, den der Diener zurückgelassen hatte, erhellten nur unvollkommen das Gemach. Die Gräfin hatte den Pelz im Vorsaal abgeworfen und schauerte zusammen, als der Graf sie bat, sich nieder zu setzen. Er war noch immer eine stattliche Erscheinung. Seine Maske, die strenge, schwarze Tracht eines venetianischen Edelmannes paßte zu seiner Figur und hob ihre Bedeutung. Aber seine Stirn war verdüstert, seine Lippen durch unterdrückten Zorn zusammengepreßt, und mit jener Kälte, die bei ihm stets der Deckmantel der Erregung war, sagte er: »Ich bedaure, daß ich genöthigt bin, Dich hier zurückzuhalten, indeß, was ich Dir zu sagen, habe, ist kurz.«

Helene, aller Erörterungen müde, wo niemals eine Verständigung erfolgt war, erschrak bei diesen Worten, ohne zu wissen weshalb.

»Was ist geschehen?« fragte sie.

»Geschehen?« wiederholte der Graf, »wie kommst Du zu der Frage? Was befürchtest Du?«

»Hippolyt!« bat die Gräfin nur noch mehr beunruhigt, »quäle mich nicht. Wie kann man sagen, was man fürchtet, so lange man noch für irgend eines Menschen Leben Sorge trägt. Wir sind seit Wochen ohne Nachricht von Georg.«

»Und Du lebst so sehr in der Erinnerung und in der Sorge um die Deinen, Du hast Dich wieder so vollkommen in die Romantik dieses Familienlebens versenkt,« unterbrach sie der Graf, »daß Du darüber jede Rücksicht aus den Augen setzest, die Du mir und meinem Hause schuldig bist!«

»Ich?« rief Helene betroffen, »was habe ich denn gethan?«

»Du hast vergessen,« antwortete er, »daß die Gräfin St. Brezan nicht in sentimentalen Stimmungen zu leben hat, wie eine Pensionairin in der Klosterschule!«

Helene athmete auf, von schwerer Angst befreit. »So hast Du mir nichts Schlimmeres mitzutheilen?« fragte sie.

Der Graf sah sie achselzuckend an.

»Ich habe viel von Dir ertragen,« sagte er, ohne ihre Frage zu beachten, »habe Dir viel verziehen! Die Apathie aber, der Du Dich seit Deiner Rückkehr überläßt, die Gleichgültigkeit, welche Du, selbst gegenüber der Gnade unsers Prinzen, heute an den Tag zu legen für gut befunden hast, sind unerträglich. Der Ausdruck unerlaubtester Ermüdung war unverkennbar, war unschicklich in Deinen Zügen ausgeprägt, Du warst sehr lächerlich mit Deiner Schwermuth im Costüm der Flora. Lächerlich in hohem Grade!«

Helene machte eine Bewegung der Ungeduld, aber sie schwieg.

»Nun, Helene!« rief der Graf, und wieder schwieg sie.

»Ich will Antwort haben, Helene! Bist Du krank?« herrschte der Graf, indem er vor sie hintrat.

»Nein!« entgegnete sie bestimmt.

»So verlange ich von Dir, und das war es, was ich Dir zu sagen hatte, daß Du Dich nicht mehr bloßgiebst, wie es heute geschehen ist. Fühle Dich unglücklich, wenn Du es nicht lernen willst und kannst, Dich zufrieden zu fühlen auf einem Platze und in Verhältnissen, welche Millionen Menschen Dir beneiden. Fühle Dich unglücklich – aber zeige es nicht. Dein verborgener Kummer ist Dein eigen, die Schwermuth, die ein Weib zur Schau trägt, klagt ihren Gatten an und fällt auf ihn zurück. Du darfst den Menschen nicht bedauernswerth erscheinen!«

Er ging, während er so sprach, im Zimmer auf und nieder. Sein Schritt war unhörbar. Die schwarz gekleidete, hohe, festgetragene Gestalt glitt spukhaft an den dunkeln Wänden hin. So oft er an der Gräfin vorüberkam, verschattete er das Licht, das an der Wand auf einem Tische stand, und aufgeregt, wie sie es war, fühlte sie diese Zufälligkeit wie ein Symbol.

»Immer und ewig zwischen mir und dem Lichte, das mir leuchten könnte!« rief es in ihr. Sie fühlte sich unerklärlich beängstigt, sie hätte weinen mögen, indeß sie mißgönnte dem Grafen diesen Triumph, der noch immer mit unterdrückter Heftigkeit umherging, ab und zu das große dunkle Auge auf die Gräfin gerichtet, als erwarte er, daß sie sprechen, daß sie ihm Anlaß geben werde, sich seines Zornes weiter zu entlasten.

Aber die Gräfin verharrte in dem früheren Schweigen, bis sie endlich in gefaßtem Tone sagte: »Und das war Alles, was Du mir zu sagen hattest?«

»Alles!« rief er. »Alles, und fürwahr genug. Was Dich auf's Neue erfaßt hat, was Dich bekümmert, wonach Du Dich sehnst – ich verlange es nicht zu wissen. Aber ich fordere von Dir, daß Du Deine Bekümmerniß, Deine Sehnsucht, wem sie auch gelten möge, verschließest in Dir selbst. Ich fordere, daß Du den Prinzen nicht beleidigst, weil er zufällig Dich in lieberen Gedanken stört! Ich muß es fordern, denn er ist mein Gast und ist mein Herr!«

Die Gräfin hatte sich erhoben, ein bitteres Lächeln zuckte um ihren Mund.

»Worüber lachst Du?« fragte beleidigt ihr Gemahl.

»Ueber die Bizarrerie der Scene! Masken, welche die Wahrheit zum Verbrechen stempeln!«

Der spottende Ton ihrer Worte klang unheimlich in dem Raume wieder. Der Graf fuhr auf, trat an sie heran und ergriff mit seiner kalten Hand ihren Arm, den er gewaltsam fest hielt.

»Lache nicht, Helene!« rief er mit einem Ausdrucke, vor dem sie erbebte, »lache nicht! Wer zwang mich zu der Maske? Wer anders als Du selbst! Und so wahr Gott lebt, Du sollst mich nicht zwingen, sie jemals abzulegen, Du sollst mich nicht zwingen, mich selber Lügen zu strafen, um Dir und Deinen eitlen Grillen zu genügen!« – und ohne ihre Antwort abzuwarten, schritt er der Thüre zu. In der Thüre aber blieb er stehen: »Geh auf Dein Zimmer,« sagte er, »es ist kalt, und eine Erkältung, ein Fortbleiben vom Hofe wäre jetzt ein neues Ridicül!«

Ein Seufzer, der fast wie ein Aufschrei klang, entwand sich Helenen's Brust, als ihr Gemahl das Zimmer verlassen hatte. »Friedrich! Friedrich!« rief sie, »wenn Du es ahnen könntest, dieses Elend, in das mein Leichtsinn mich und ihn gestürzt hat! Wenn Du sie kenntest, diesen Groll, diese Erbitterung zwischen mir und ihm – wenn Du sie kenntest, die Folterqualen dieser Heuchelei! Und er wird sie nie beenden!« murmelte sie düster vor sich hin. – »Er wird es halten, was er sprach – aus Selbstsucht, und aus Rache!«

Sie hatte sich in einen Sessel niedergeworfen, die Last ihres Unglücks wuchtete schwer auf ihr. Die düsteren Wände, der erloschene Kamin, die ersterbenden Kerzen und der scharfe Wind, der den Hagel und Schnee in leisem Knistern durch die Esse jagte, waren ganz dazu gemacht, ihre innere Verdüsterung zu steigern. So kalt, wie dieses Zimmer, war des Grafen Haus ihr stets gewesen, so einsam hatte sie stets an seiner Seite gelebt. Es war ihr, als lege sich eisiges Erstarren um ihre Glieder, als rückten die Mauern des Zimmers zusammen, ihr Licht, Luft und Leben zu entziehen. Mit der scheuen Angst eines Kindes sprang sie empor.

»Nur Licht! nur Luft! nur einen Athemzug der Freiheit!« rief sie, und als höre sie das Gebälk zusammenbrechen über sich, so schnell enteilte sie dem Saale.

Als das helle Licht und die milde Wärme ihres Zimmers sie umfingen, athmete sie auf. Hier war sie heimisch. Tausend Erinnerungen an Schmerz und Freude erfüllten diese Räume, die der Graf nur sehr selten zu betreten pflegte. Die Bilder ihrer Eltern und Geschwister, Andenken an so manche Freunde, umgaben sie, und war doch auch der Gruß des Mannes, der ihr seine stützende Hand für alle Zukunft dargeboten hatte, ihr hier gekommen an dieser lieben Stätte.

Fast zögernd nahm sie Friedrich's Brief hervor, und wieder übte er seine erhebende Kraft auf sie aus. Sie wollte ihm antworten, aber sie wagte es nicht. Noch zitterte der Groll in ihrem Herzen, noch war der Gedanke an die eben durchlebte Scene zu mächtig in ihr, als daß sie es hätte wagen mögen, dem Freunde in dieser Stimmung sich zu nahen. Aber der Gedanke an ihn tröstete sie, als sie in Thränen einschlief, und sein Bild webte sich leuchtend durch die Träume ihres Schlummers.


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