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Viertes Kapitel.

Als das Schreiben der Behörde, welches seine Anklage und Vorladung enthielt, zu Rom in seiner Wohnung anlangte, war Friedrich nicht zu Hause. Er und Richard hatten sich gewöhnt, die Abende in der Familie des Malers zuzubringen, und je näher der Zeitpunkt kam, in welchem Feldheim von Rom aufzubrechen pflegte, um so weniger mochte Friedrich eine Stunde des Beisammenseins mit demselben entbehren.

Der Umgang mit dem Maler war für ihn von großer Bedeutung geworden. Dem Theoretischen abgeneigt wie alle rechten Künstler, liebte Feldheim es, sich tiefsinnig in das Studium der vorhandenen Kunstwerke zu versenken, und Niemand verstand es besser, die Absicht des Meisters aus dem Kunstwerk hervorzuheben, Niemand wußte liebevoller das Geschaffene zu würdigen und zu genießen, als eben er. Ohne eigentliche archäologische Kenntnisse hatte er sich durch studirendes Sehen den Geist der Antike in hohem Grade zu eigen gemacht, und heimisch geworden in derselben, ihren Maßstab an unser gegenwärtiges Sein und Leben angelegt. So war er dahin gekommen, das Mangelhafte unserer Zustände zu erkennen und ein moderner Mensch zu werden durch Versenkung in die ferne Vorzeit.

Ein solcher Genosse mußte für Friedrich unschätzbar sei, den eine gründliche Kenntniß des Alterthums auf das Verständniß der allen Kunst vorbereitet hatte. Und während sie an den Werken der Skulptur und an den Arbeiten der Maler die vorchristliche Zeit und das Mittelalter in seiner vollen Bedeutung kennen und schätzen lernten, weil Friedrich's Wissen dem Schauen des Künstlers zu Hülfe kam, gewöhnten sich Beide zu einer Gerechtigkeit des Urtheils, die sich auch in der Beurtheilung der Gegenwart fruchtreich erwies. Denn die Gerechtigkeit ist eine Uebung unseres Sinnes, und wie Jemand, der richtig sehen gelernt hat, nie wieder falsch zu sehen vermag, so wird die Gerechtigkeit eine durchgehende Gewohnheit, sobald man gelernt hat, sie nach irgend einer Seite hin zu üben.

Hatte Friedrich, gedrückt von den Verhältnissen in seiner Heimath, als er nach Italien kam sich zornig von dem Christenthume und vornehmlich von derjenigen Form desselben abgewendet, in welcher es ihm hier entgegentrat, so gewann der Katholicismus allmälig eine andere Bedeutung für ihn unter der Sonne des Südens, auf dem Boden des Heidenthums und unter einem Volke, dem plastische Anschauung und Darstellung Bedürfnisse sind. Er hatte mit Augen sehen lernen, wie das katholische Christenthum hier entstanden war. Er hatte an Plessen, an Helenen erfahren, unter wie verschiedenen Bedingungen es für gewisse Naturen auch jetzt noch ein Trost, eine Zuflucht werden könne, und obschon er selbst sich immer freier und freudiger in seiner Weltanschauung bewegte, vermochte er nicht mehr in Richard's Entrüstung gegen den Katholicismus oder in des Malers Abneigung gegen das pietistische Nazarenerthum einzustimmen. Im Pantheon und vor der göttlichen Hoheit des Otrikolamschen Jupiter und der Juno Ludovisi, in der Peterskirche vor Raphael's Himmelfahrt und Michel Angelo's jüngstem Gerichte hatte er Ehrfurcht gelernt vor Weltanschauungen, die so Großes aus sich zu erzeugen vermochten. Im Hinblick auf die Jahrtausende, welche das Auge in Rom in monumentaler Wirklichkeit vor sich erblickt, war ihm jene große Auffassung der Geschichte gekommen, die von dem Momente immer nur fördernde Thätigkeit und nicht Erfüllung verlangt. Seit er die ägyptischen Kolosse, die Kunstwerke der Griechen, die Bauten der römischen Republik und der römischen Kaiserzeit, die Basiliken der ersten Christen, den Dom von St. Peter und die Capellen englischer und deutscher Protestanten neben einander fortbestehen sah, beschied er sich, in der Gegenwart das Seinige zu thun, und den Erfolg der Arbeit der Zukunft zur Entwicklung zu überlassen.

Ruhige Schöpfungsfreude, enthusiastische Bewunderung des wahrhaft Großen, und eine vorherrschende duldsame Gerechtigkeit, das waren die Erwerbnisse seines römischen Aufenthalts für Friedrich, während Richard auf das Praktische und auf den Augenblick gestellt, sich nicht an die Mängel gewöhnen konnte, welche das katholische Kirchenregiment über das Land verhängte, und deren Ende allerdings auch Friedrich lebhaft ersehnte.

»Wie kann mich,« sagte Richard oftmals, »der Hinblick auf die Vergangenheit, auf die Größe der römischen Vorwelt erheben, da aus ihr Nichts hervorgegangen ist, als dies fortgesetzte kirchliche Imperatorenthum? Alle hiesigen Ruinen sind mir Gräber und Nichts mehr, während an jede Ruine meines Vaterlandes sich die Geburt der Freiheit knüpft. In dem Nebel meiner Heimath sehe ich mehr Licht als in dem Sonnenschein Italiens!«

Er ward es nicht müde, über die bettelnden Mönche, das unwissende Volk, die müßigen Reichen, über die Paß- und Zollbeschwerden zu klagen. Er verwünschte die schlechten Institutionen, die Handels- und Preßgesetze, die schlechten Wohnungen und die schlechte Kost, aber er tadelte und verwünschte das Alles in bester Laune, und er blieb in Italien, obschon seine Geschäfte ihm sehr am Herzen lagen und ihn in die Heimath riefen.

Eine große Anzahl von Touristen und von Künstlern hatte Rom bereits verlassen, ohne daß die Freunde noch von ihrer Trennung gesprochen hatten. Und als wäre es nicht ein lange vorhergesehenes Ereigniß gewesen, so erschraken Friedrich und Richard, als der Maler am Peter und Paulsfeste plötzlich erklärte, daß er am dritten Tage sich aufmachen werde, um seine Söhne zu besuchen, die in der Schweiz erzogen wurden.

»Aber warum dieser plötzliche Aufbruch?« riefen sie fast gleichzeitig.

»Weil ich mich eben jetzt dazu entschließe!«

»Und in zwei Tagen sollen die Frauen fertig, die Zelte abgebrochen sein?' fragte Friedrich.

»Weshalb denn nicht?« entgegnete der Maler. »Es geht Nichts in der Welt über einen raschen Entschluß und eine kurze Frist zur That. Und wie es sicher ein Schönes ist um einen schnellen Tod, so ist's ein Gutes um ein Leben, in dem man sich selbst die kürzesten Lebensfristen steckt!«

»Ob aber die Frauen Ihrer Meinung sind?« fragte Friedrich.

»Ich habe stets eine Erleichterung darin gefunden,« sagte Frau Feldheim, »wenn ich gezwungen war, ohne Vorbereitung schnell zu handeln. In den meisten Fällen ist es nur der brütende Müßiggang, der die Bedenklichkeiten und mit ihnen die Schwierigkeiten schafft. Wer keine Wahl hat, weiß was er thun muß, und wer keine Zeit hat, wird fertig. In zwei Tagen läßt sich viel besorgen!«

»In zwei Tagen?« wiederholte Margarethe seufzend.

Der Maler lächelte und streichelte der Tochter Wangen. »Armes Kind!« sagte er, »daß Du auch die Tochter eines solchen Wanderers sein mußt. Da stehen nun wieder alle die Blumenstöcke, da ist nun wieder das Herz gehängt an die Kinder des Wirthes, an die Magd und an den Diener und an so viele gute Freunde!«

Er sprach die Worte scherzend, dennoch hörte man, wie er Mitleid mit dem Mädchen hatte, das plötzlich aufstand und das Zimmer verließ, seine Bewegung zu verbergen.

Erst am Abende, als man zusammen kam, sich nach St. Peter zu begeben, um die Girandola auf der Engelsburg nicht zu versäumen, sahen die Freunde Margarethe wieder.

Sie war bleich und sichtlich niedergeschlagen. Auf Friedrich's theilnehmende Worte sagte sie: »Das sind nun Schmerzen, die ich alljährlich mehrmals durchzumachen habe und die ich wohl gewohnt sein sollte – aber ich erlerne das Scheiden nicht. Heute, da wir die Skizzen von den Wänden genommen, die Bücher zusammengeräumt und zu packen begonnen haben, ist mir zu Muthe, als trennte ich mich zum ersten Male von einer lieben Heimath!«

»Sie sind auch nicht gemacht für solch ein Wanderleben!« meinte Richard.

»Ich glaube es selber nicht!« entgegnete sie. »Und doch ist an solchen Scheidetagen ein rechter Zwiespalt in meinem Innern. Es schmerzt mich sehr, von den Räumen und von den Dingen fortzugehen, die mir werth geworden sind; ist aber, so wie jetzt, die Harmonie der Einrichtung zerstört, ist dies verpackt und jenes fortgenommen, so ängstigt die Zerstörung mich und ich sehne mich von der verödeten Stätte hinweg. Ich habe oft gedacht, das Sterben könne nicht so schwer sein, man müsse sogar danach verlangen, das Leben zu verlassen, wenn nicht mehr Alles da ist, was es uns so theuer machte!«

Bei ihrer großen Ruhe, die ihrer Schönheit den Ausdruck madonnenhafter Frömmigkeit verlieh, hatte ihre unverkennbare Bewegung etwas sehr Erschütterndes. Die Eltern behandelten sie mit noch größerer Liebe als gewöhnlich, Friedrich konnte kein Auge von ihr wenden, nur Richard schien theilnahmlos und fast verschlossen.

Als man das Haus verließ, bot er Margarethen den Arm. Es war gegen Ave Maria, die Straßen voll fröhlicher Menschen. Alles eilte den Petersplatz zu erreichen, und von Wagen und Fußgängern gehindert, kamen Richard und Margarethe von den Uebrigen ab. Je mehr sie sich dem Tiber näherten, um so heftiger ward aber das Gedränge, so daß der junge Mann mit Sorgfalt über seinen Schützling zu wachen hatte.

»Wie man sich nur mühen und plagen mag für einen Genuß, den man schon oft gehabt hat und der so flüchtig ist!« sagte Margarethe.

»So tragen Sie kein Verlangen nach dem Feuerwerk?« fragte ihr Begleiter.

»Ich?« rief das Mädchen. »Ich kenne kaum etwas Quälenderes, als solch ein Feuerwerk. Dies wilde Flammenwesen, dies Aufzucken der schlangengleichen Lichtstreifen, das tolle Wirbeln der drehenden Sterne, das Knallen, Zischen, Prasseln, das Glänzen und Flittern, und dann plötzlich Nichts als Nacht und Vernichtung.« Sie schauerte zusammen und sagte nach kurzer Pause: »Obschon ich von frühester Jugend den Anblick der Girandola und der Kuppelbeleuchtung gewöhnt bin, macht sie mich immer wieder traurig.«

»Weshalb gehen Sie denn hin?« wandte ihr Führer ein.

»Meine Eltern und Sie Alle haben Freude daran!« entgegnete Margarethe.

»Ich nicht! ich nicht!« rief Richard, »wie sollte mich freuen, was Sie peinigt? Was zwingt uns hinzugehen? Lassen Sie uns umkehren und hinauf zur Villa wandern, dort ist's immer frisch und still!«

Margarethe blickte dankbar zu ihm empor, denn nur die Furcht, eine der wenigen Stunden zu verlieren, die Sie noch in Richard's Nähe zubringen konnte, hatte sie bewogen, sich auch diesmal zu dem Feuerwerke zu begeben. Von der ersten Stunde ihrer Bekanntschaft hatte ein lebhaftes Wohlgefallen die beiden jungen Leute zu einander gezogen, und in dem freien, ungehinderten Verkehr, dessen sie seit fast einem Jahre genossen, hatte dies Wohlgefallen sich zur herzlichsten Liebe ausgebildet, ohne daß das Wort der Liebe zwischen ihnen gesprochen worden war. Beide konnten es nicht denken, je wieder ohne einander leben zu sollen, Eines war der Neigung des Andern vollkommen sicher, und doch erbangte Margarethe, da die Stunde der Trennung nahte und Richard noch immer schwieg, doch erbangte der junge Mann vor der entscheidenden Frage.

Schweigend gingen sie die Straße Tordenone hinauf, zurück nach dem Corso und der Straße degli Condotti. Auf dem spanischen Platze war es ruhig und nichts zu merken von dem Festgewühl. Sie stiegen die mächtige Treppe zum Monte Pincio hinan, wendeten sich zur Linken nach der Passeggiate und erreichten die Villa Medici, in die sie eintraten. Eine tiefe Stille umgab sie. Kein Mensch war zu sehen in den Lorbeergängen, in den Alleen immergrüner Eichen. Der Gärtner, der sie kannte, schloß ihnen das noch höher gelegene Bosket auf, und noch war die Sonne nicht untergegangen, als sie das Belvedere auf der Höhe erreichten.

Auf der Marmorschwelle ließen sie sich nieder. In flammend goldenem Glanze breiteten sich Rom und die Campagna bis weithin zum Sorracte vor ihnen aus. Der Thurm des Nero mit seiner stolzen Pinie, das schimmernde Dach des Pantheon, die stattliche Masse des Palazzo Farnese und die Riesenkuppel des St. Peter, die mächtige Stadt und das weite Gefild, umfaßte ein Blick, und liebevoll glitten ihre Augen die weite Linie entlang, sich satt zu schauen an dem oft und doch nie genug gesehenen Bilde.

Das Geräusch des Festes drang nicht bis zu dieser Höhe. Nur der Abendwind rauschte leise durch die Bäume, und hie und da flogen Vögel schwirrend zu Nest. Langsam sank die Sonne hinab. Die strahlenden Farben des Himmels erloschen. Nord und Süd hüllten sich in blasses Violett, das endlich zu mattem, nebelhaftem Grau erlosch, aber noch immer schwamm die Peterskirche in hellem Golde, und über demselben webte sanft das bläuliche Grün des letzten Tagesscheins. Da klang ein leises Flöten durch die Gebüsche. Die Nachtigall erhob ihr Locken, das in sanften, langen Tönen die Sehnsucht klagte und erweckte.

Richard hatte der Jungfrau Hand ergriffen. Er fühlte ihr leises Zittern. Als er in ihr Antlitz sah, schwammen ihre Augen in Thränen.

»Margarethe,« sagte er, und legte seinen Arm leise um ihren schlanken Leib, »das Vergängliche ängstigt Dich – laß Dir meine dauernde Liebe gefallen!«

»Ach Du! Du!« rief sie, und umschlang mit ihren Armen seinen Nacken, »ich wußte es ja, Du würdest nicht von mir gehen!«

»Nein, bei Gott! das werde ich nicht!« antwortete er, drückte sie an seine Brust und bedeckte sie mit seinen Küssen.

So saßen sie beisammen in glückseliger Versunkenheit, bis die Kühle des Abends sie zum Aufbruch mahnte, und Richard die Braut nach ihrer Wohnung führte, in der die Eltern und Friedrich schon angekommen waren.

»Wo seid Ihr geblieben? Was ist Euch begegnet?« fragte der Vater.

»Das Glück ist uns begegnet!« rief Richard und schlang seinen Arm um Margarethe.

»Nun?« meinte der Vater, während die Anderen staunten, und das Mädchen sich verschämt der Mutter an die Brust warf. »Nun? was soll das, Ihr Kinder?«

»Während Euch der Glanz der Girandola erlosch, ist mir die Sonne aufgegangen!« sagte der junge Mann. »Margarethe will mein Weib werden, Feldheim! geben Sie und die Mutter uns Ihren Segen dazu!«

»Von Grund des Herzens!« rief der Maler und schlug mit derbem Schlage in des Freundes dargebotene Rechte, der die Braut aus der Mutter Armen wieder an sein Herz nahm. Es waren Augenblicke reiner Freude, ungetrübten Glückes.

Als die Bewegung dann nachgelassen hatte, sagte der Maler scherzend: »Nun hast Du Deinen Willen, Mädchen, nun brauchst Du nicht mehr zu wandern, sondern kannst festsitzen in dem eigenen Hause. Seit Margarethe bei der Tante auf dem Lande war, hat sie uns stets versichert, daß sie alle Reize des Südens geben würde für das kleinste Fleckchen Erde und das kleinste Haus im nebelvollen Norden – vorausgesetzt, daß sie dort bleiben könnte!«

»Das ist's ja grade, was ich an ihr liebe!« rief der Bräutigam. »Ihr Verlangen nach Dauerndem ist so weiblich, und ein Trost in dieser Zeit, in der die meisten Weiber nur nach Wechsel und Zerstreuung streben. – Wie soll Dich das alte Haus in London freuen, das schon mein Großvater bewohnte! Wie freut mich jetzt mein alter Landsitz, da ich ihn Dir zum Aufenthalte bieten kann!«

Mit aller Liebe, die er für sein Vaterland hegte, schilderte er ihr die Reize des englischen Lebens, lud er die Eltern ein, es mit ihm zu theilen, und Margarethe hörte ihm mit jenem Lächeln zu, mit dem ein Kind dem Mährchen lauscht, an dessen Herrlichkeit es glauben möchte!

Und Friedrich?

In der Freude ihres Herzens beachteten die Glücklichen ihn kaum, denn das Glück ist vergeßlich. Er aber blickte auf sie mit stiller Liebe und dachte, wie schön das Leben sich entfalten könne, wenn keine Hindernisse, keine Vorurtheile sich seiner einfachen Entwicklung widersetzen, wenn kein Schmerz die Liebe zur Leidenschaft entflammt und die Kraft der Jugend nicht im Widerstand, in kämpfendem Ringen verschwendet werden muß. Denn es ist nicht wahr, daß Leiden den Menschen besser macht. Es stählt ihn, aber es raubt ihm unerbittlich die harmonische Schönheit.


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