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Zwölftes Kapitel.

Dieser Morgen war nur der Vorläufer einer Kette von Tagen, deren keiner ohne mehr oder minder ausgesprochene häusliche Zwistigkeiten vorüberging.

Je weniger der Baron es sich verbergen konnte, daß die Zeit der Willkürherrschaft in allen Bereichen des menschlichen Daseins sich ihrem Untergange nahe, daß ein neuer Geist die Welt durchdringe, um so mehr verabscheute er diesen neuen Geist, um so fester klammerte er sich an das Alte. Da er seinen Werth in seine unwandelbare Kraft und Energie gesetzt hatte, konnte er den Gedanken nicht ertragen, daß seine Zeit, daß die Tage seiner Kraft vorüber seien, und unfähig sich zu resigniren, glaubte er mit argwöhnischer Härte überall offene Rücksichtslosigkeit oder heimlichen Trotz gegen sich und seine Ansichten zu erblicken.

Eine Schonung, wie für einen Kranken, ward dadurch dem Vater gegenüber für den Sohn zur Pflicht, wollte er ihm nicht den Aufenthalt im Schlosse stören, in welchem der Baron sich immer als des Sohnes Gast bekannte. Aber die Aufgabe, welche Erich's Kindesliebe sich gestellt, war schwer, denn Sidonie kam ihm dabei nicht zu Hülfe, und seine politische Thätigkeit hatte ihn selbst in Verbindungen gebracht, welche ihr und dem Baron gleichmäßig zuwider waren.

Seit die unterdrückten Religionsgemeinschaften in Erich einen Vertheidiger, seit die Partei des Fortschrittes in ihm einen Gesinnungsgenossen gefunden, hatten sich neue Beziehungen für ihn entwickelt, ein Verkehr mit Männern sich für ihn als nothwendig dargestellt, mit denen er sonst in keinem Zusammenhange gestanden hatte, und die nicht zu den Kreisen gehörten, welche Sidonie ausschließlich mit dem Namen der Gesellschaft belehnte.

Erich, selbst befangen in dem Banne dieser Gesellschaft, hatte fast immer von ihrem Urtheile gelitten, so oft er den Eingebungen seiner wahren Ueberzeugung nachgekommen war. Ihre Zustimmung hatte ihm weniger Freude bereitet, als ihre Mißbilligung ihm empfindlich gewesen war, und je unablässiger der Baron ihn die Abhängigkeit empfinden ließ, in welcher er durch seine Liebe zu dem Vater erhalten ward, je mehr er es aussprach, daß ein Edelmann seine Bedeutung, seine Stellung zum großen Theil seinen Vorfahren verdanke, daß er ohne diese und ihr Verdienst kaum gedacht werden könne, um so mehr war Erich allmählich dahin gedrängt worden, ein eigenes Verdienst, eine Wirksamkeit zu ersehnen, außer Zusammenhang mit der Reihe seiner Ahnen und mit den Traditionen der Gesellschaft.

Jetzt, da die äußeren Verhältnisse ihm den Weg gebahnt hatten, auf dem er eine solche Wirksamkeit erreichen konnte, jetzt begann Erich sich mit dem Eifer eines Neubekehrten gegen seine Vergangenheit zu wenden, um sich immer fester einer Partei anzuschließen, die ihn mit offenen Armen empfangen hatte, die ihn um so höher schätzte, je weiter er sich von den Erinnerungen und Traditionen seines Standes entfernte. Die Eitelkeit des Jünglings hatte den alten Adel seines Hauses als eine Förderung empfunden, die Eitelkeit des Mannes erblickte in demselben ein Hinderniß, das eigene Verdienst in rechtem Maße anerkannt zu sehen. Und wie die Reihen seiner Standesgenossen und die Gränzen seiner Familie ihm einst seine ganze Welt gewesen waren, so machte er jetzt die Ansicht seiner Parteigenossen zu seinem Richter und ihr Urtheil maßgebend für sich selbst.

Ohne daß er dadurch gleich ein Anderer geworden wäre, erweiterte sich doch sein Blick. Sein Verkehr mit Gewerbtreibenden aller Art, die Nothwendigkeit, sie gegen Sidoniens und des Vaters Vorurtheile zu vertreten, wenn gemeinsame Geschäfte und Interessen sie zu ihm führten und die Verhältnisse des Landlebens es natürlich machten, sie als Gäste zu empfangen, befestigte ihn auf seiner neuen Bahn. Je schwerer der Widerstand ihm wurde, den er zu leisten hatte, um so höher stieg Erich in seiner eigenen Achtung. Selbstachtung aber befreit den Menschen allmählich aus der Abhängigkeit von fremder Meinung und macht es ihm nothwendig, sich selber zu genügen.

Mochte Erich nun auch mit aller Pietät seines Herzens dem Vater hingegeben sein, es konnte dem Barone dennoch nicht entgehen, daß der Sohn endlich frei geworden war von seiner Herrschaft. Unfähig diese veränderten Verhältnisse zu ertragen, unzufrieden mit sich selbst, daß er sie nicht mehr zu ändern vermochte, unzufrieden auch mit Sidonie, welche sich ihrem Gatten entschieden widersetzte, hatte der Baron seinen Aufenthalt auf dem Gute nicht wie sonst bis in den Herbst verlängert, sondern war bald nach Erich's Heimkehr, noch vor des Sommers Anfang, in die Stadt zurückgekehrt.

So fanden sich denn, nachdem auch Weidewut das Schloß verlassen hatte, Sidonie und Erich zum ersten Male nach langen Jahren ganz allein beisammen, und Erich begrüßte diese Einsamkeit mit einer Art von Freude. Er fühlte sich fester, entschiedener geworden, er hoffte, Sidonie solle aus Nothwendigkeit auf ihn gewiesen, es solle ihm möglich werden ein neues Leben mit ihr zu beginnen, da ein solches in ihm rege geworden war. Er wollte sie zu keinem Wechsel ihrer Ueberzeugung drängen, aber er wähnte sie allmählich für denselben gewinnen zu können, und er gestand ihr, als sie sich einst in guter Stunde aufgeschlossen und heiter zeigte, daß er entschieden sei, mehr und fester entschieden als in den Tagen seiner Jugend, eine Eroberung an ihr zu machen. Er sprach ihr aus, wie weh es ihm thue, in seinem Hause der Liebe, in seinem Weibe verständnißvoller Theilnahme zu entbehren. Er gab ihr zu bedenken, welchen Einfluß sie stets auf ihn gehabt habe, er forderte bittend, sie möge sich nicht verschließen gegen seine Ansichten, er wolle auch die ihrigen respectiren. Mit aller Anmuth seiner Beredsamkeit schilderte er ihr, welche günstige Wirkung das öffentliche Leben gerade auf die Stellung der Frauen habe. Er zeigte ihr, wie ihre Herrschaft im Hause dadurch wachse, wie des Mannes Sehnsucht nach dem eigenen Heerde, nach der Familie durch die zeitweilige Trennung von demselben nur um so stärker werde. Er gestand ihr, daß er noch mit vielen Fäden an seine alten Freunde sich gekettet fühle, er versprach ihr Duldung, Schonung für Alles, was ihr werth sei, aber er verlangte sie auch für sich. Er wollte das Unvereinbare versöhnen.

Sidonie war gerührt, indeß Rührung schloß bei ihr die Beobachtung nicht aus, nicht die Reflexion. Mit der trockenen Beharrlichkeit eines beschränkten, nach einer Seite ausschließlich entwickelten Sinnes, fühlte sie mitten in den Thränen, die sie am Herzen ihres Mannes weinte, daß Erich ihr nicht verloren sei, daß ihre Herrschaft über ihn unter allen Verhältnissen eine gesicherte bleiben werde.

Erich, leicht zu täuschen, weil er liebevoll und offen war, gab sich mit froher Aufwallung dem Glauben an eine Ruhe hin, die er ersehnte. Sidonie, fortgerissen von seiner sanguinischen Natur, bewegt durch seine leicht erweckte Zärtlichkeit, ließ sich in den neuen Flitterwochen gehen, wie Erich selbst ihr jetziges Beisammensein bezeichnet hatte. Aber mit jener kalten, unermüdlichen Consequenz, deren warmherzige Menschen selten fähig sind, ward sie nicht müde, ihm von der Bedeutung zu sprechen, welche gerade in einer Epoche der Entwicklung und Bewegung das Bestehende, das Naturberechtigte, die Ehe und die Familie hätten, und die Natur selbst kam ihr dabei zu Hülfe, denn Sidonie ward in dieser Zeit auf's Neue Mutter.

Je weniger beide Gatten ein solches Ereigniß noch erwartet hatten, um so mächtiger ergriff es Beide. Erich's Seele ging auf in neuer Liebe, Sidonie nahm diese Liebe als schuldiges Opfer an, und während Erich bereit war, jedem Wunsche seiner Frau im Drange seines Herzens zu willfahren, während er Alles mied, was sie betrüben, Alles that, was sie zufrieden stellen konnte, sagte Sidonie sich, daß Gott selbst ihr den Weg und das Mittel gewiesen habe, durch welches sie den Verirrten auf die rechte Bahn zurückzuleiten im Stande sein würde. Um Sidonie nicht allein zu lassen auf dem Lande, und ihr die nöthige, weibliche Pflege zu bereiten, hatte Erich ihre Mutter eingeladen. Frau von Werdeck, augenblicks bereit der Tochter beizustehen, war aber an die Stadt und an eine ruhige, gleichmäßige Geselligkeit gewöhnt. Sidonie kränkelte viel, Erich konnte von seiner Theilnahme an den Tagesereignissen nicht lassen. Er studirte und schrieb, er machte gelegentliche Reisen, und Frau von Werdeck schien die Abende des Herbstes und des Winters, trotz ihrer Liebe für die Tochter, mit Besorgniß vor sich zu erblicken. Sie pflegte sie mit ihrem Bruder und ein Paar Freunden am Whisttisch zuzubringen, und Erich selber war es, der den Vorschlag machte, seinen Vater und den alten General zu einem Besuche aufzufordern.

Eine Art von Geselligkeit, wie Erich sie nie in seinem Hause gehabt hatte, seit er das Gut besaß, bildete sich dadurch in dem Schlosse. Frau von Werdeck und der General hatten in früheren Zeiten in der Provinz gelebt, das Verlangen, alte Bekannte, alte Freunde wiederzusehen, war natürlich, und Sidonie fand es eben so natürlich, der Mutter und dem Onkel den Aufenthalt in ihrem Hause möglichst angenehm zu machen.

So versammelte sich denn nach kurzer Zeit ein Kreis von Männern und Frauen auf dem Schlosse, die durch ein langes Leben getrennt, durch gleiche Ansichten verbunden geblieben waren, und jetzt das Schloß als den erwünschten Mittelpunkt ihrer neuen Vereinigung zu betrachten schienen. Gäste kamen und gingen, die alten Herren und Damen brachten jüngere Verwandte mit, und während Erich in der Correspondenz mit seinen Freunden für die Partei des Volkes thätig war, während er selbst immer lebhafter danach verlangte, einst als Volksvertreter für eine neue Staatsverfassung wirksam zu werden, lebte in seinem Schlosse die exclusiveste Gesellschaft der Provinz, sprach man in seiner nächsten Nähe nur davon, sich fest auf einander zu stützen, und festen Widerstand zu leisten gegen alle Concessionen, zu denen man etwa den Herrscher überreden, zu denen er selber sich geneigt finden lassen sollte. Erich, das neue Mitglied einer freisinnigen Opposition, war von deren entschiedensten Gegnern und Feinden umgeben, und mußte eine Reactionspartei in seinem Hause gewähren lassen, deren Mittelpunkt Sidonie und sein Vater waren, und der er nicht entgegentreten konnte, ohne die kränkelnde Gattin, ohne den greisen Vater und das Gastrecht zu verletzen.

Sidonie, sicher gemacht durch ihre Lage und gestärkt von der Zustimmung ihrer ganzen Umgebung, hatte die Duldung bald vergessen, die sie Erich zugesagt, um sich nur derjenigen zu erinnern, die er ihr verheißen hatte. Der Rücksichtslose, der Selbstsüchtige ist in solchen Fällen stets im Vortheil, denn er hat die ungebrochne Einheit seines Handelns vor dem Andern voraus, und bald trat Sidonie ihrem Manne wieder mit der alten, starren Bestimmtheit gegenüber.

Thränen und Krämpfe waren die Folgen seines entschiedeneren Verhaltens. Sidonie nannte ihn lieblos, Frau von Werdeck schalt ihn grausam, der Baron tadelte es, daß er der Mutter seines Kindes zu nahe trete, daß er die Kraft und das Leben desselben gefährde, während die Familie nur auf den zwei Augen seines Sohnes stehe. Der General aber sprach es gegen seine Freunde unumwunden aus, wie sehr er es bedaure, die Heirath seiner Nichte mit Erich zu Stande gebracht zu haben, da er diese edelste der Frauen nicht zu würdigen, ihre ausharrende Geduld nicht zu erkennen vermöge, was denn freilich bei einem Edelmann, von revolutionären Gesinnungen nicht zu verwundern sei.

Mit jedem Tage fühlte Erich den Aufenthalt in diesem Kreise unaushaltbarer, und doch konnte er die Menschen nicht entfernen, die ihm das eigene Haus zur Hölle machten, doch konnte er sich nicht entschließen, die Heimath zu verlassen, in einer Zeit, in der Sidoniens Leben auf dem Spiele stand.

So ging der Herbst vorüber und auch der Januar war zu Ende, als ein zweiter Knabe ihm geboren wurde. Aber selbst dieses Ereigniß, das sein tiefstes Empfinden rege machte, das ihn mit neuen Banden an Sidonie, an die Heimath ketten mußte, führte nur augenblickliche Versöhnungen, führte nur Tage größerer Ruhe, nicht Glück, nicht Frieden in die Ehe dieser beiden Menschen, in den Schooß dieser Familie zurück.

Trotz der Schonung, mit welcher Erich in seinen Briefen seiner Verhältnisse gedachte, fühlten Friedrich und der Doctor, daß eine Entfernung aus der Heimath, daß eine andere geistige Atmosphäre für Erich nothwendig geworden sei, sollte er sich nicht in unfruchtbarem Kampfe zu Grunde richten, sollten nicht Haß und Bitterkeit ihn überwältigen. Mit unermüdeten Vorstellungen bestürmten ihn die Freunde und die Schwester, eine Reise zu machen. Friedrich hatte einst in ähnlichen Verhältnissen Flucht als die einzige Rettung und Sänftigung erkannt, und Erich's Gesundheit begann zu leiden unter der nicht endenden, peinlichen Anspannung seines Lebens. Eine fieberhafte Ungeduld, eine ihm fremde Nervenreizbarkeit fingen an, dem alten Barone beunruhigend zu werden, so daß dieser selbst es zu fühlen schien, es müsse Etwas geschehen, sollte sein Sohn, sollte der Stammhalter seines Hauses nicht seine beste Kraft diesen traurigen Verhältnissen zum Opfer bringen, wenn nicht gar selbst ihr Opfer werden.

Gegen des Sohnes Willen befragte er den Arzt um seine Meinung. Dieser, welchem die Veränderung in dem Wesen des jungen Barons selbst auffallend gewesen war, stimmte dem Vater bei und sprach sich für einen Luftwechsel aus, wobei er Italien in Vorschlag brachte. Indeß Erich konnte zu keinem Entschlusse kommen. Das Kind fesselte ihn, er mochte es nicht verlassen. Da aber Sidonie selber sich nach Ruhe sehnte, da Frau von Werdeck ihn unablässig um der Kinder willen beschworen, seiner Gesundheit die nöthige Pflege zu gönnen, setzte sich der Gedanke, daß er wirklich krank sei, endlich in ihm fest, und Sidonie wie ihre Anverwandten, die sich durch Erich's Entfernung freier fühlen mußten, bestärkten ihn in diesem Glauben, in seiner Anlage zu hypochondrischer Verstimmung. So ward denn die Taufe schon drei Wochen nach der Geburt seines Sohnes vollzogen und Erich verließ sein Schloß, um, wie einst Friedrich, in Italien Erholung und neue Lebenskraft zu suchen.


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