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Die zerfallne Vigne

1

Du grüne, blühende Wildnis
Voll Nachtigallenruf,
Die einst ein Frauenbildnis
Zum Eden Gottes schuf,

Du altes Landhaus, in Reben
Und Feigenbäumen versteckt ...
Als damals zu neuem Leben
Das schönste Weib dich erweckt,

Wie plätscherten da die Bronnen,
Wie goß auf dieses Haus
Eine Fülle verschwiegener Wonnen
Liebe und Jugend aus!

Ihr, zum Asyl der Tauben
Kytherens auserwählt,
Ihr schattigen, heimlichen Lauben,
Wie seid ihr nun entseelt!

Umsonst ist all mein Lauschen
Nach Herrin und Gesind ...
Verschlafene Wipfel rauschen
Leise im Morgenwind.

Umsonst ist all mein Rufen ...
Das Echo höhnt mich rings ...
Auf den zerbröckelnden Stufen
Schläft eine verwitterte Sphinx.

2

Als ob es heute wäre,
So denk' ich noch daran ...
Über dem purpurnen Meere
Schaukelte mein Kahn.

Ich kämpfte mit Wind und Welle
Und spähte nach dem Strand,
Bis ich die umbuschte Kapelle
Und das einsame Kloster fand.

Verstohlen anzulegen,
Sucht ich die stille Bucht;
Mein Herz schlug dir entgegen
Voll Lieb und Eifersucht.

Die Nacht war weich und lüstern,
Und vom Limonenhang
Scholl süßes Mädchenflüstern
Und rauschender Gesang.

Ich hörte die eigenen Lieder ...
Verlockend im Dämmerschein
Glänzten die weißen Glieder
Der Götterbilder im Hain.

Und als nach kecker Landung
Ich heimlich dann erschien ...
In griechischer Gewandung,
Wie einst die Lesbierin,

Die Priesterin der Musen,
Sangst du: »Die Nacht bricht ein,
Vor Sehnsucht wogt mein Busen,
Doch weh! ich bin allein!«

Die Laute war dir entfallen,
Als du mich gesehen kaum ...
Es schlugen die Nachtigallen,
Sie schlugen wie im Traum.

3.

Wo blühender Gärten Teppich
Umsäumte des Rasens Samt,
Da üben jetzt Schlingkraut und Eppich
Ihr Totengräberamt.

Ihr Marmorleiber, ihr schlanken,
Nun liegt ihr im Gras und Gesträuch;
Es klammern die Brombeerranken
Die Arme verlangend um euch!

Hier Trümmer von Götterbildern,
Dort sinkendes Gebälk,
Die Lorbeergruppen verwildern,
Die Rosenhaine sind welk.

An Säulen und Marmorknäufen
Rings der Verwüstung Spur;
Wohin du siehst, es häufen
Sich Schutt und Trümmer nur.

Der Satyr, der einst mit Grinsen
Die sträubende Nymphe liebkost,
Hier liegt er, umwuchert von Binsen,
Verstümmelt und übermoost.

Der Knabe mit dem Drachen,
Dem einst ein Silberquell
Entsprudelt aus dem Rachen,
Er stürzte vom Felsgestell.

Aus Muschelkiefern gähnen
Die Grotten; versiegt im Gestein,
Versandet sind die Fontänen,
Der Triton nickte ein.

Nur eine Quelle mit Zaudern
Rieselt noch durchs Gebüsch ...
Die Wellen plätschern und plaudern,
Sie plaudern so träumerisch.

Die eine erzählt der andern
Von einem entschwundenen Glück;
Die Wellen wandern und wandern,
Und keine kehrt zurück.


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