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Einleitung

Am 1. Juli 1879 starb in der Irrenanstalt Burghölzli bei Zürich in seinem 52. Lebensjahre Heinrich Leuthold nach fast zweijährigem dortigem Aufenthalt; kurz vorher war die Ernte dieses Lebens in einem schmalen Bande »Gedichte«, deren Sammlung schon nicht mehr der Dichter selber, sondern der junge Germanist Bächtold unter Beihilfe Gottfried Kellers besorgt hatte, der Öffentlichkeit dargeboten worden, die zunächst nicht allzuviel davon wissen wollte.

Ein reich bewegtes aber unglückliches und zerrissenes Leben hatte seinen Abschluß gefunden. Am 9. August 1827 geboren in der Nähe Zürichs, aus elenden Verhältnissen stammend (der Vater starb im Armenhaus, die Mutter, schon 4 Jahre nach des Dichters Geburt vom Vater geschieden, war eine ganz haltlose Natur), arbeitete er sich durch eigene Kraft herauf bis zum Besuche der drei deutsch-schweizerischen Landesuniversitäten, trieb da ein wenig Jus und mehr Sprachen und Ästhetik, in Basel nachhaltig von Wilhelm Wackernagel und Jakob Burckhardt beeinflußt, ohne aber seine Studien zu irgendeinem Abschluß zu bringen. Dann wandert er, nachdem eine frühe Studentenliebe überwunden war, durch eine stürmische Leidenschaft mit einer Züricherin aus gutem Geschlecht verbunden, ruhelos aus der engeren Heimat nach der französischen Schweiz, nach Chambéry, Turin, Genua. Im Süden findet er die ihm gemäße Lebensluft, hier reift seine seit frühen Jahren gepflegte Dichtung zur Fülle. 1857 geht er nach München, im Kreise Geibels und Heyses freundlich aufgenommen, unter den Krokodilen wegen seiner scharfen Zunge mehr gefürchtet als geliebt. Wilhelm Hertz erzählte noch in späten Jahren gern, wie Leuthold, zu vorgerückter Stunde im feuchtfröhlichen Kreis auftauchend, seine Lieder mit rollendem Pathos vortrug, dann aber, von Stuhl zu Stuhl gehend, jedem eine sarkastische Bemerkung zuflüsterte, deren Stachel um so tiefer saß, als sie mit Sicherheit eine scharf gesehene Schwäche des Angeredeten traf. Neben eifriger Übersetzerarbeit (1862 erschienen die mit Geibel gemeinsam herausgegebenen »5 Bücher französischer Lyrik in deutscher Nachdichtung«) betätigt er sich auch politisch als Journalist und Redakteur in München, Frankfurt am Main und Stuttgart, ohne jedoch auf diesem Gebiete wirklich festen Fuß zu fassen. Versenkung in die Welt und die Werke der Antike, in der nun auch seine eigene Dichtung heimisch wird, eine letzte leidenschaftliche Verbindung mit einer hochstehenden Frau, der mit erregter Anteilnahme erlebte deutsch-französische Krieg geben nochmals neuen Aufschwung, aber bald sinkt er in die alte Trost- und Ziellosigkeit zurück, verfällt mehr als je dem Teufel Alkohol und endigt im Irrsinn.

Ein reich bewegtes, aber unglückliches und zerrissenes Leben. Und Unglück und Zerrissenheit, die sich bald in tief empfundener Schwermut, bald in herbem Spott und grimmiger Verzweiflung Luft macht, sind auch Grundzüge seiner Dichtung. Einer Göttin aber hat er schon als Knabe gehuldigt und ist ihr treu geblieben bis in die Tage des Irrsinns: der Schönheit. Sie fand er am reinsten im Süden und in der Welt des Altertums, ihr galten seine besten Gesänge, seine Kunst ist in erster und letzter Linie Schönheitsdienst, und hier fühlt er sich mit Recht als der nie müde Priester einer hohen und strengen Gottheit. Mit rastlosem Eifer hat er seine Verse gefeilt und gehämmert, bis sie seinen letzten Ansprüchen genügten. Ihm war die Form nichts Äußeres, sondern wie jedem großen Künstler ein Wesentliches, Kunst selber aber Gestaltung eigenen Erlebens, das, gebändigt und geläutert, zur Schönheit der Erscheinung gesteigert ist. So steht der Lyriker Leuthold neben den Epikern Gottfried Keller und Conrad Ferdinand Meyer, die beide seinen Sarg zur letzten Ruhestätte auf der Rehalp geleiteten, und wenn Wert und Wirkung des Werkes dieser Beiden sicherlich ein höherer und eine weitere sind, so darf sich doch auch Leuthold bescheiden ihnen anreihen als der dritte der großen Schweizer Dichter in der zweiten Hälfte des XIX. Jahrhunderts.

Wohl ist der Wert von Leutholds Dichtung oft bestritten worden, und die Gegner wollten in ihm ein ausschließliches Formtalent, einen bloßen Nachahmer und Techniker sehen. Wir aber, die wir sein »Lied mit dem tönenden Reim« lieben, erkennen in seiner Poesie dauernde Werte: lodernde Leidenschaft in vollendete Form gezwungen, vollgültige Gestaltungen eigenen Erlebens, denen auch Anklänge an Vorgänger, wie sie sich bei allen Lyrikern häufiger oder seltner finden, nichts an innerer Wahrheit und nichts an äußerer Schönheit zu rauben vermögen. Lebendig leuchtet Leutholds Kunst in seinen besten Liedern und Gesängen durch die Jahrzehnte, und ob er selber bescheiden den Namen eines Meisters für sich ablehnte, als Sänger der Schwermut und der Schönheit darf er sich unter die Besten stellen, in Gaselen, Oden und Sonetten haben es nur wenige in deutschen Landen ihm gleich, keiner ihm zuvor getan, und durch Weichheit und Fülle des Klanges zu schmeicheln, zu beglücken, zu berauschen versteht kaum ein zweiter deutscher Dichter in so hohem Maße.

Die vorliegende Auswahl läßt den erzählenden Dichter (Epos »Penthesilea« und Rhapsodienzyklus »Hannibal«) und den Spruchdichter ebenso unberücksichtigt, als den vortrefflichen Übersetzer, dessen Wert übrigens unbestritten feststeht. Ich habe vor allem die rein lyrischen Klänge, die Bekenntnisgedichte, die Lieder der Schönheit, Sehnsucht und Schwermut, und die Dichtungen, in denen seine starke Liebe zu Deutschland zum Ausdruck kommt, zusammengereiht, dabei die Anordnung innerhalb der einzelnen Gruppen möglichst nach der Zeitfolge des Entstehens getroffen. Auch so mußte ich mir manche Beschränkung auferlegen, und konnte z. B. von den acht Dichtersonetten nur das eine auf Platen aufnehmen, dessen Inhalt mir ebensosehr und mehr für Leuthold selber zu gelten scheint.

Die Textüberlieferung war in früheren Ausgaben eine schlechte, da der erste Druck willkürliche Verbesserungen Geibels, Bächtolds und Gottfried Kellers enthielt. Seit 1914 liegt nun die vortreffliche Gesamtausgabe in 3 Bänden vor, die zum ersten Male den ganzen Nachlaß verwertet und überall auf die Handschriften des Dichters zurückgeht. Ich bin ihrem Herausgeber Professor Gottfried Bohnenblust und ihrem Verlage, den Herren Huber & Co., zu aufrichtigem Danke verpflichtet, daß sie für die vorliegende Auswahl mir den Abdruck ihrer Texte gestattet haben; denn erst durch Bohnenblusts mühevolle Arbeit ist der Wortlaut des Dichters in seiner vollen Reinheit hergestellt und dadurch das Werk des großen Lyrikers 35 Jahre nach Erscheinen seiner ersten Gedichtsammlung in ursprünglicher Gestalt erschlossen worden.

München
Emil Sulger-Gebing.


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