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Zweites Buch.
Psychologie der Geschichte.

›Ich will der Wahrheit schauen in den schwarzen Mund,
Ich will ergründen aller Übel letzten Grund,
Ich will den Schmuck des Schmerzes an der Quelle schmecken
Und ist kein Trost des Trostes Nichtigkeit entdecken.‹

Spitteler.

Vorbemerkungen.

Geschichte ist Selbstbewußtsein des Menschengeschlechts. Mithin müssen die gleichen Gesetze der Psychologie, welche für das Einzelbewußtsein persönlicher Lebensläufe gültig sind, auch für das in der Geschichte lebendige Kollektivbewußtsein gültig sein. Dabei ist es denn vor allem wichtig, daß nirgend Gedächtnis als bloßes Festhaften der willkommenen und Ausfallenlassen unliebsamer Elemente sich offenbart, vielmehr durchweg ein schöpferisches, wenn auch zumeist unbewußt-schöpferisches Vermögen in sich umfaßt: ein tröstliches Vergolden und Verschönern, ein Um- und Neugestalten und vor allem auch ein ausheilendes und versöhnendes Vergessen der historischen Geschehnisse. Somit steht hinter Geschichte niemals das nüchterne Sicherinnern und Festhalten an Vergangenheit, sondern eine aller wissenschaftlichen Formulierung unzugängliche, geheimnisreiche, produktive Leistung der Phantasie, worin Erhaltungs- und Ausheilungswille, Wunscherfüllung, Sehnsucht oder Hoffnung sich bewähren. – Im folgenden soll von Psychologie der Geschichtestiftung die Rede sein. Es sei vorausbemerkt, daß der größere Teil des zweiten Buchs unmittelbar unter den Eindrücken des großen europäischen Krieges, von Juli bis Dezember 1914, geschrieben wurde.


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