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Nachrede

Daß dieses Buch den Sinn hat, kennzeichnende Wesen- und Eigenheiten der jeweiligen Völkerschaften anekdotisch zu enthüllen, ist hoffentlich aus seinem Inhalt ersichtlich geworden. Ich erwähne es nur, weil eine Anekdotensammlung heute bereits der Rechtfertigung bedarf, um nicht als Erzeugnis der Mode angesehen zu werden.

Beurteiler, die von ihrem unveräußerlichen Leserrecht, den Inhalt des Buches zu bemängeln, Gebrauch machen, können Einwendungen verschiedener Art erheben:

Sie können sagen, daß sie allzuviele der hier erzählten Anekdoten schon kennen. Darauf wäre zu erwidern, daß damit nichts gegen den kennzeichnenden Wert der Geschichten gesagt ist; daß die Belesenheit sich nicht auf eine Norm bringen läßt und daß Anekdoten zum Tatsachenbestand der Weltgeschichte gehören, der immer neu aus tausend Quellen fließt und sich immer neu zu tausend Bildern zusammensetzt. Immerhin habe ich mich bemüht, allzu Abgegriffenes in der Lade zu lassen.

Sie könnten ferner sagen, daß sie eine große Anzahl berühmt gewordener Anekdoten vermissen. Darauf wäre zu erwidern, daß die Welt hier in der Nußschale und nicht im Heidelberger Faß gezeigt werden soll. Im übrigen: siehe oben. Daß ich meiner persönlichen Kenntnis und meinem eigenen Geschmack gefolgt bin, leugne ich nicht; man möge mir, wenn man darin einen Fehler erblickt, für menschliche Schwächen mildernde Umstände zubilligen.

Sie könnten endlich sagen, daß manche von den Anekdoten auch mit Bezug auf andere Persönlichkeiten erzählt werden. Darauf wäre zu erwidern, daß viele Anekdoten durch die Jahrhunderte wandern und sich bald auf dem, bald auf jenem Namen absetzen. Auch damit ist noch nichts Entscheidendes gegen – ja oft Entscheidendes für ihren kennzeichnenden Wert gesagt. Immerhin habe ich, soweit das irgend möglich ist, aus zeitgenössischen oder besonders zuverlässigen Quellen geschöpft. Das erfordert um so mehr Gewissenhaftigkeit, als es heute Anekdotenfabrikanten von unvorstellbarer Erzeugungsfähigkeit gibt, die ihren Rohstoff aus alten Tageszeitungen und Witzblättern holen und die »Pointen« nach dem Konversationslexikon auf alle großen Namen von Amenhotep bis Zeppelin verteilen. Die Leute, denen die Anekdoten solchermaßen an den Hals gedichtet werden, können sich nicht wehren, und die Zeitungen, die damit überschwemmt werden, wehren sich leider nicht. Der Leser aber sollte sich dagegen wehren. Der zumeist namenlose Verfasser ist selten zu erwischen, aber den Schriftleitungen sollte man nach altem Brauch frischweg grobe Briefe schreiben.

Endlich könnten die Beurteiler sagen, daß sie mit Anekdoten bereits überfüttert seien. Darauf wäre zu erwidern, daß sie sich das hätten überlegen sollen, bevor sie dieses Buch erwarben. Ich gebe freilich zu, daß ich durch eine jetzt zwanzig Jahre währende unablässige Arbeit für die Wiederbelebung der deutschen Anekdote sehr zu ihrer heutigen Geltung und Verbreitung beigetragen habe. Die inflationistische Kehrseite des Ergebnisses nimmt mir keinen Augenblick die Überzeugtheit von dem Wert und der Richtigkeit solcher Arbeit. Denn:

Die Anekdote als die knappste künstlerisch (künstlerisch!) geformte Erzählungsgattung ist zugleich die ursprünglichste, die volkstümlichste, die eben in ihrer Kürze aufschlußkräftigste und die am schärfsten belichtende und spiegelnde – freilich auch die anspruchsvollste. Sie liefert die starkfarbigen Mosaiksteine, aus denen sich die großen Bilder der Menschen und Zeiten zusammenfügen. Gerade darum aber kann sie ihrem Zweck und Sinn nur in gefühlsfeiner, sicherer und gewissenhafter Hand dienen.

Der »Völkerspiegel« erscheint in Deutschland während des Krieges. Wer in ihm die »Objektivität« vermißt, möge sich einmal fragen, ob gegenwärtig in anderen Ländern Bücher mit deutschen Anekdoten erscheinen; oder ob, wenn sie erscheinen würden, der Spiegel nicht zum Zerrspiegel würde. Im übrigen wird es mir völlig genügen, wenn man mir später einmal bescheinigt, daß ich einer künftig in unkriegerischen Zeiten erscheinenden »objektiven« Anekdotensammlung als Wegbereiter gedient habe.

Daß die deutschen Anekdoten in diesem Buche fehlen, hat seinen Grund in der klaren Erkenntnis, daß die große und notwendige Aufgabe, das deutsche Wesen in seiner Höhe, Weite und Tiefe im Spiegel eines solchen Anekdotenbuches zu zeigen, gerade jetzt nicht im Raum eines so schmalen Bandes gelöst werden kann und darf.

Bremen, im Januar 1940

Karl Lerbs


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