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Kleine Geschichten aus Ostasien

Lektionen

Als Litaipe, der Dichter, noch nicht erkannt hatte, daß lächelnde Götter ihm Blüte und Frucht zugedacht hatten, geschah es einmal, daß er an seiner Kraft zum Lernen verzweifelte. Er entlief seinen Büchern, die ihn in unentrinnbare Wirrsal zu führen schienen, und rannte ziellos davon, finsterer und ungeduldiger Gedanken voll. Da sah er vor einem Hause eine alte Frau sitzen. Sie hockte, halb blind und zerlumpt, vor einem Stein und wetzte ein Ende dicken Drahtes daran.

»Was tust du?« fragte Litaipe.

»Ich schleife mir eine Nadel, um meine Kleider damit zu flicken«, antwortete die Alte.

»So muß ich mich vor dir schämen«, sagte Litaipe und kehrte zu seinen Büchern zurück.

*

Großvater Mong ließ es zu, daß der Gleichmut seiner Seele aufgefressen wurde vom feurigen Drachen des Zornes. Er nahm ein Bambusrohr und begann es bei seinem Enkel Li anzuwenden, auf jene Art, die internationales Gemeingut ist.

Hung, Lis Vater, hörte den Lärm und deutete ihn richtig. Er nahm ein zweites Bambusrohr, stellte sich neben Mong und begann seine eigene Rückseite damit zu bearbeiten.

»Was tust du?« fragte Mong verwundert.

»Ich schlage deinen Sohn, da du meinen schlägst«, versetzte Hung. »Denn sind wir nicht ein Fleisch?«

Beschämt legte Mong das Bambusrohr aus der Hand.

 

Kaiser von China

Hsüantschuntsching, von 1821-1851 Kaiser von China, war ein gemütlicher, allen Genüssen kennerisch zugetaner Herr, dem das abscheuliche Durcheinander in seinem Reiche überaus gleichgültig war. Ein europäischer Gast fragte ihn einmal während einer Audienz mit neidvoller Bewunderung, auf welche Weise er sich unter solchen Umständen seine strotzende Gesundheit bewahren könne.

»Das ist ganz einfach«, sagte der Sohn des Himmels und räkelte sich behaglich in den Kissen. »Ich habe vier Leibärzte, die ich hoch bezahle. Sobald ich mich krank fühle, hört die Bezahlung auf – bis zu dem Tage, wo ich wieder ganz gesund bin. Länger als vier Tage hat es noch nie gedauert.«

 

Das letzte Lächeln

Am 14. August 1937 warf ein chinesisches Flugzeug über Schanghai Bomben ab, von denen zwei in der Avenue Edward VII. und in der Yu Ya Ching Road niederfielen. Häuser stürzten ein, Brände brachen aus, und aus der Hauptfeuerwache rasselten Löschzüge unter Leitung des Brandmeisters Somers zur Unglücksstätte. Somers hatte keine rechte Vorstellung, was da eigentlich vorgefallen war; aber er sah es mit einem einzigen Rundblick. Ein riesiger Satz, der schon fast ein Luftsprung war, brachte ihn in den nächstgelegenen Laden; er wollte durch Anruf so viele Krankenwagen und andere Fahrzeuge herbeiholen, wie nur irgend zu haben waren. Im Laden lagen zahlreiche Opfer der Explosion, verwundet, sterbend, tot. Somers aber stand vor einem Münzfernsprecher, der auch in diesem furchtbaren Augenblick auf seiner amtlich vorgeschriebenen Funktionsweise beharrte. »Ich habe kein Fünfcentstück!« schrie Somers verzweifelt.

Neben ihm, an der Wand, lag ein Chinese, dem ein Bombensplitter beide Beine abgerissen hatte; sein rechter Arm hing in Fetzen herab. Dieser Mann schlug die Augen auf, griff mit der Linken in seine Rocktasche, reichte Somers ein Fünfcentstück und lächelte mit stummer Höflichkeit. Während die Nummernscheibe des Fernsprechers schnurrte, starb er.

 

Wang

Aus den Elendsvierteln Schanghais, dort, wo sich die Hunderttausende der Namenlosen zu einem gärenden gelben Gebrodel drängen, kam eines Tages Mr. Wang spaziert: ein rundlicher, bebrillter, lächelnder junger Mann, dessen Schritt die stumme Entschlossenheit verriet, sich vom Massenschicksal der Unzählbaren abzusondern. Für einige Kupfermünzen erstand er sich eine alte Uniformmütze, die ein Trödler aus irgendeinem europäischen Staat mitgebracht hatte, setzte sie auf und bezog mit amtlicher Miene Posten neben dem mächtigen Bronzelöwen, der das Portal eines der Bankpaläste im Geschäftsviertel bewachte und, wenigstens nach Ansicht der Architekten, verzierte.

Das weitere war einfach: Wang eröffnete den Vorübergehenden, die es hören wollten (und sie wollten es alle hören), wer die Pranken des Bronzelöwen streichle, würde binnen kurzem Reichtum erwerben. Die Bankfirma gebe jedem diesen Weg zum Glücke frei, doch sei dafür natürlich eine kleine Gebühr zu zahlen – an ihn, Mr. Wang. Die Glückshungrigen drängten sich; die Kupfermünzen rollten. Nachmittags, kurz vor Schalterschluß, wechselte Wang sie drinnen gegen handlichere Währung um.

So trieb der gelbe Glücksmann sein Gewerbe, bis er eines Tages bemerkte, daß der japanische Polizist drüben an der Straßenkreuzung einmal öfter als sonst zu ihm herüberblickte: da stülpte er dem Bronzelöwen die Uniformmütze auf, streichelte ihm noch einmal dankbar die Pranke und wanderte, ein grünes Kontobuch in der Tasche, auf stämmigen Beinen zuversichtlich seinem nächsten Lebensabschnitt entgegen.

Vielleicht können wir später mehr von ihm berichten.

 

Der Todeswagen

Ein Mitarbeiter der Londoner »Times«, Mr. C. G. Harden, kaufte im Jahre 1937 ein gebrauchtes Auto, einen Humber-Snipe-Tourenwagen, Baujahr 1932, der angeblich aus Jersey kam. Der alte Wagen tat brav und ehrlich seinen Dienst, aber der neue Besitzer wurde nervös gemacht durch ein fortwährendes Klirren, das aus der Karosserie zu kommen schien. Nach langem Suchen und Klopfen nahm er schließlich eine der Türen auseinander – und fand darin acht chinesische Bronzemünzen, die aus den Provinzen Hoh-Nan, Hu-Peh und Kwang-Tung stammten. Mr. Harden witterte eine romantische Geschichte, die er zu ergründen trachtete. Sein alter Wagen schien vor Zeiten aus China gekommen zu sein. Als zünftiger Pressemann übergab er seiner Zeitung vertrauensvoll einen Aufklärung heischenden »offenen Brief«.

Alsbald empfing er folgende Antwort:

 

33, Old Pekin, Lime House
London E.

Mein Herr, ich lese Ihren Brief, ich kenne Ihren Wagen, ich kaufte ihn in Ho-Pe im Jahre 1933 und benutzte ihn für mein Rauschgiftgeschäft sechs Monate lang, in ihm ermordete ich mein Weib und einige andere Leute, und als ich das getan hatte, bekam ich eine Abneigung gegen ihn und verkaufte ihn an meinen Freund Sun-Yo-Sin. Ein Zollbeamter kaufte ihn von ihm und er nahm ihn mit nach England, ich merkte es, als ich auf demselben Schiff mit ihm fuhr auf derselben Reise in das englische Land, wo ich wieder meinen Handel betreibe, und ich werde Ihnen mit Vergnügen viele Freuden zeigen, wenn Sie mich besuchen wollen.

Ihr gehorsamer Diener
Feng Tang.

 

»Es wäre«, schrieb Mr. Harden dazu, »meine Pflicht, den Vermittler vieler Freuden der Polizei zu übergeben; aber anstatt sein Vertrauen so zu mißbrauchen, ziehe ich es vor, seinen Brief zu veröffentlichen. Vermutlich wird die nunmehr unvermeidliche Razzia der Behörden in Old Pekin Nr. 33 sich als fruchtlos erweisen. Mr. Feng Tangs Brief trug nämlich den Poststempel London W 1. Wahrscheinlich hat Mr. Feng Tang gegen seine bisherige Umgebung inzwischen eine Abneigung bekommen.«

 

Der Reis muß schlafen

Die japanische Provinz Hakono ist reich an heißen Heilquellen, und die Vereinigung der Hotelbesitzer beschloß, den Reisenden die segensreichen Eigenschaften dieser Quellen auch bei Dunkelheit nachdrücklich vor Augen zu führen: Sie ließ mächtige Leuchtreklamen auf den Feldern aufstellen. Das wirkte prächtig; alsbald aber ergoß sich eine Flut von Klagen und Beschwerden über die Zweigstelle des Landwirtschaftsministeriums in Kasagava: Die nächtliche Beleuchtung, so hieß es darin, behindere das Wachstum der Reispflanzen.

Die Zweigstelle entsandte eine Anzahl von Sachverständigen, die vermittels scharfer Brillen und funkelnder Meßgeräte die Sache prüften. Dann gaben sie ihr Gutachten ab: Der Reis, schrieben sie, muß schlafen, um wachsen zu können. Das grelle Licht aber hält ihn wach, und so verkümmert die Midzuhogusa, die segenbringende Reisähre.

Die Reispflanzer verklagten die Hotelbesitzer auf Schadenersatz und gewannen den Prozeß; und die Leuchtreklamen dürften inzwischen verschwunden sein.

 

Murai

Als im vorigen Jahrhundert – mit genauen Jahreszahlen kann ich nicht aufwarten – englische Missionare in Japan besonders heftig zu wirken begannen, kam einmal einer von ihnen, Dr. John C. Berry, in einem Hospital zu Kobe in ein Zimmer, das den jungen Murai beherbergte. Der junge Murai, ein stiller, höflicher, gescheiter Mann, lag in seinem Bett, ließ mit behaglicher Gelassenheit irgendeinen Unfallschaden ausheilen und rauchte inzwischen seine Pfeife.

Dr. Berry schätzte den jungen Murai, aber er mißbilligte das Pfeifenrauchen. Also ließ er aus dem Stegreif eine kräftige Standpauke los und gab dem jungen Murai eine Broschüre, die mit Wort und Bild beweiskräftig gegen die Schäden des Tabakrauchens vom Leder zog.

Der junge Murai las das Heft gewissenhaft und aufmerksam. Besonders fesselte ihn ein Aufsatz, der den Umfang und die unheilvolle Wirkung des Zigarettenverbrauchs in Europa und Amerika behandelte und vorwurfsvoll dartat, wie viele Wohlfahrts- und Bildungsanstalten sich mit dem dafür aufgewendeten Geld würden schaffen lassen.

Der Missionar sah mit Vergnügen den tiefen Eindruck, den Moral und Statistik auf den jungen Murai machten. Er ahnte nicht, daß der tüchtige junge Mann sich nach seiner Entlassung aus dem Hospital sogleich in emsige Arbeit stürzen, die in Japan damals noch unbekannte Zigarette einführen, sich ein großes Vermögen verdienen und später seine Fabriken für eine riesige Summe an den Tabaktrust verkaufen würde.

 


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