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Frankreichs Söhne (und Töchter)

Normannentaufe

Ludwig der Fromme machte seinem Namen unter anderem dadurch Ehre, daß er die normannischen Seeräuber in Scharen taufen ließ und von ihrer dadurch bewirkten schleunigen Besserung überzeugt war. Sie erhielten für die feierliche Handlung auf seine Kosten weiße Gewänder, die sie behalten durften.

An einem Ostertage war der Andrang der Täuflinge so groß, daß es an entsprechenden Gewandungen fehlte und in aller Eile aus groben Stoffen ein unschöner Ersatz geschneidert werden mußte. Ein normannischer Edelmann schleuderte das ihm zugemutete Taufkleid wütend zu Boden und schrie: »Hölle und Teufel! Das ist nun das zwanzigste Mal, daß ich mich taufen lasse – aber so einen Fetzen hat man mir noch nie geliefert!«

 

Der gute Untertan

Der treffliche Amyot, Prinzenerzieher am Hofe Heinrichs des Zweiten und ein wahrhaft gelehrter Mann, sollte von seinen Freunden dazu überredet werden, die Geschichte Frankreichs zu schreiben.

»Niemals!«, sagte Amyot. »Ich liebe mein Königshaus zu sehr, als daß ich ihm so etwas antun möchte.«

 

Falsche Richtung

Ludwig der Zwölfte von Frankreich hörte, daß einer seiner Offiziere, der im Rufe sehr geringer Heldenhaftigkeit stand, »wegen tapferen Verhaltens« um einen Ehrensold einzukommen gedachte. Das Recht darauf leitete er aus einer großen Narbe im Gesicht ab, die er aus dem Felde heimgebracht hatte.

»Geschieht ihm recht, daß er im Gesicht verwundet ist«, sagte der König. »Wozu brauchte er sich umzusehen?«

 

Die Pfründe

Der junge Herzog von Guise, Erzbischof von Reims, war mit besessener Hartnäckigkeit gewillt, auf Amt und Pfründe zu verzichten, weil er sich leidenschaftlich in die Prinzessin von Gonzaga verliebt hatte und sie heiraten wollte.

»Überlegen Sie sich die Sache noch«, sagte Kardinal Richelieu väterlich. »Sie wollen vierhunderttausend Livres Pfründe opfern, um eine Frau zu gewinnen. Manch einer würde vierhunderttausend Frauen opfern, wenn er dafür Ihre Pfründe bekäme.«

 

Aus Byzanz

Ludwig der Vierzehnte, der Sonnenkönig, ließ sich herab, einen seiner Höflinge zu fragen:

»Wann wird Ihre Frau entbunden?«

Geschmeidig und geschmeichelt verbeugte sich der Gefragte: »Wann Sie befehlen, Sire.«

 

Der Räuberhauptmann

Bei Cartouche, dem großen französischen Räuberhauptmann und Romanzenhelden, erschien ein junger Mann und beantragte seine Eingliederung in den Kreis der Räuber.

»Ich nehme nur Leute mit geeigneter Vorbildung«, sagte Cartouche. »Was hast du bisher getrieben?«

»Ich habe«, versetzte der Bewerber, »in Paris zwei Jahre bei einem Staatsanwalt gedient und ein halbes Jahr bei einem Polizeiinspektor.«

»Dann«, sagte Cartouche, »erlasse ich dir die Probezeit. Deine Dienstzeit wird dir bei uns voll angerechnet.«

 

Liquidation

Obwohl Kardinal Mazarin die Fähigkeit besaß, mit seinem Gewissen auch in den schwierigsten Fällen durch diplomatische Verhandlungen einig zu werden, schien es ihm bei wachsender Altersschwäche doch ratsam, mit seinem Beichtvater, einem wackeren Theatinermönch, über die kommende Auseinandersetzung mit der himmlischen Gerechtigkeit zu sprechen.

»Sie müssen alle irdischen Güter zurückgeben, die Sie unrechtmäßig erworben haben«, sagte der Beichtiger.

»Ich besitze nur, was ich der Gnade meines Königs verdanke«, antwortete Mazarin kühl.

»Hier ist«, gab der Mönch lehrhaft zurück, »aber immer noch zu unterscheiden zwischen dem, was Ihnen der König geschenkt hat, und dem, was Sie sich willkürlich genommen haben.«

Mazarin sah nachdenklich zu Boden.

»Tja«, sagte er mit einem Seufzer, »dann werde ich wohl alles wieder hergeben müssen.«

 

Verfrüht

Der Doktor Bouvart, vor zwei Jahrhunderten als Arzt gesucht und als Witzkopf gemieden, wurde zum schwer erkrankten Großalmosenier gerufen.

»Ich leide Höllenqualen«, stöhnte der Kranke.

»Was –! Schon –?« sagte Bouvart.

 

Beziehungen

Der Herzog von Villeroy, Ludwig des Fünfzehnten Gouverneur, wurde gefragt, wer zum Finanzminister ernannt werden würde.

»Ich habe keine Ahnung, wer den Posten kriegt«, versetzte er; »aber mag er sein, wer er will – ich bin eng mit ihm befreundet und entfernt mit ihm verwandt.«

 

»– – zu Wasser und zu Lande«

Dem Prinzen von Conti wurde von höchster Stelle nahegelegt, sich einen Beichtiger zu nehmen, da sein gottloses Leben Mißfallen erregte und wenigstens nach außen hin auf Anstand und Würde eingerichtet werden sollte. Merkwürdigerweise war die Wahl auf jenen Abbé Prévost gefallen, dessen Name noch heute bei allen Kennern galanter Dichtung ein genießerisches Lächeln hervorzaubert.

Der Prinz empfing seinen neuen »Almosenier und Sekretär« sehr ungnädig. »Ich höre keine Messen«, sagte er.

Prévost lächelte fein. »Das trifft sich ja glänzend, Durchlaucht«, sagte er. »Ich lese keine.«

 

Aus den Augen – –

Als d'Argenson nach seiner mißglückten Auflehnung gegen die Pompadour aus seinem Amt als Kriegsminister entfernt worden war, schrieb er wenige Stunden nach seinem Sturz an einen ihm befreundeten Ministerkollegen:

»Mein lieber Jeannelle! Falls Sie sich meiner noch entsinnen, so tun Sie mir doch bitte die Liebe usw. usw.«

 

Die Savoyarden

Im Jahre 1775 herrschte zu Toulouse ob der Wiedereinsetzung des Parlaments haushoher Jubel. Die Savoyarden hatten den ehrlichen Wunsch, sich daran zu beteiligen; doch mußte es, da sie alle miteinander kein Geld hatten, auf eine Art geschehen, die nicht mit Ausgaben verknüpft war. Nach hitziger Beratung fanden sie das Rechte und faßten den wahrhaft patriotischen Beschluß:

1. Am Abend nach dem Einzuge des Parlaments alle Fenster, die etwa nicht illuminiert sein würden, einzuwerfen.

2. Am Festtage jedem, der es verlangte, ganz unentgeltlich die Schuhe zu putzen.

 

Was tut man da?

Herr von Berryer, Ludwigs des Sechzehnten allmächtiger Polizeileutnant, erhielt einst von einem Polizeivogt aus der Umgebung von Paris den folgenden Brief:

»Vielgeliebter Herr Amtsbruder!

Als ich gestern meinen Amtstag hielt, schalt einer mich einen Spitzbuben. Ich bitte Sie, mir aus Ihrer eigenen Erfahrung mitzuteilen, wie Sie sich in einem solchen Falle verhalten. Dadurch werden Sie, vielgeliebter Herr Amtsbruder, sehr zu Dank verpflichten Ihren gehorsamen Diener

X.«

 

Der Unterschied

Herr de Vergennes, bis zu seinem 1787 vollzogenen Hinscheiden französischer Außenminister, erzählte dem Herzog von Manchester, dem Gesandten der englischen Krone, eine etwas unwahrscheinliche Geschichte. Der Herzog zuckte ungläubig die Achseln. »Die Geschichte ist wahr!« sagte Vergennes. »Ich stehe mit meinem Wort dafür ein!« Manchester lächelte. »Sie können mir wirklich glauben, Herr Herzog!« sagte Vergennes hitzig. »Ich gebe Ihnen mein Wort nicht als Minister, sondern als Mensch!«

 

Tirade

Der große Schauspieler Le Kain, dem kein Geringerer als Voltaire den Lorbeerkranz reichte, war einmal, mit einem zierlichen und eleganten Gewehr bewaffnet, auf der Jagd und geriet dabei in einen Staatsforst, in dem er weniger als nichts zu suchen hatte. Alsbald baute sich ein Jagdhüter vor ihm auf, hielt ihm einen groben Schießprügel unter die Nase und fragte barschen Tones:

»Mein Herr, mit welchem Recht jagen Sie hier?«

Le Kain versetzte klangvoll und mit schöner Gebärde:

»Mit jenem Recht, durch das ein großer, starker, weiter Geist sich als der Herr der groben Geister niedren Volks erweist.«

Der Jagdhüter trat respektvoll zurück.

»Oh, Verzeihung«, sagte er, »das konnte ich nicht wissen.«

 

Das Pöstchen

Die Familie Bignon hatte dereinst in Frankreich das Recht, die Bibliothekare des Königs zu stellen. Die Würde vererbte sich in der Familie von Geschlecht zu Geschlecht. So kam sie zur Zeit Ludwigs des Sechzehnten, nicht lange vor der großen Revolution, an einen Bignon, von dem man wußte, daß er nicht nur unmäßig dumm war, sondern auch niemals den Drang nach Wissenschaft verspürt hatte.

Am Tage nach der Ernennung schlenderte d'Argenson durch das Vorzimmer des Königs und klopfte dem jungen Bignon im Vorübergehen wohlwollend auf die Schulter.

»Bibliothekar geworden, höre ich –?« fragte er. »Gratuliere, lieber Neffe. Das ist eine schöne Gelegenheit, lesen zu lernen.«

 

Finanzwirtschaft

Charles Alexandre de Calonne, in der vorrevolutionären Gärungszeit Frankreichs Finanzminister, ein rosiger, geschmeidiger und frohgemuter Herr, trug durch seinen vergnüglichen und optimistischen Geldbetrieb viel dazu bei, daß nach ihm die Sintflut kam.

»Lieber Calonne«, sagte die ahnungslose und leichtsinnige Königin Marie Antoinette eines Tages, »Sie müssen mir Geld schaffen – viel Geld, sehr viel Geld. Können Sie das?«

»Majestät«, versetzte Calonne heiter, »ich bitte zu befehlen. Wenn es möglich ist, so ist es bereits geschehen, und wenn es unmöglich ist, so wird es geschehen.«

 

Der Wunsch der Herzogin

Als der Siebenjährige Krieg begonnen hatte, waren in Frankreich – man fühlt sich versucht, zu sagen: natürlich – oftmals die tollsten Gerüchte verbreitet; und Ludwig der Fünfzehnte war, offenbar in Ermangelung einer unmittelbaren Kriegsbetätigung, einer ihrer eifrigsten Weiterträger.

»Denken Sie«, sagte er eines Tages zur Herzogin von Orléans, einer gebürtigen Prinzessin von Conti, »es heißt, der König von Preußen sei gefangen und würde demnächst nach Paris gebracht werden.«

»Prächtig!« sagte die Herzogin. »Ich habe mir schon immer gewünscht, einmal einen richtigen König zu sehen.«

 

Immerhin ein Anfang

Als Beaumarchais, der rücksichtslose und leidenschaftliche, aber geschäftstüchtige Revolutionär, mit unsäglicher Mühe die Aufführung seiner Komödie »Die Hochzeit des Figaro« durchgesetzt hatte, kam er erschöpft, atemlos und verspätet zur Uraufführung und ließ sich in seinen Logensessel fallen. Neben ihm saß Graf Rivarol, der Aristokrat und Monarchist, geistvoller Paladin eines versinkenden Zeitalters.

»Den ganzen Tag war ich auf den Beinen«, stöhnte Beaumarchais und wischte sich das gerötete Gesicht. »Nach Versailles, ins Ministerium, zur Polizei. Ich bin halb gerädert.«

Rivarol hob das Lorgnon an die Augen und musterte mißbilligend den schwitzenden Umstürzler. »Halb –?« sagte er. »Na, das ist immerhin schon etwas.«

 

Gerettete Mönche

Nicht allzulange vor der großen Revolution schlug der Blitz in ein bei Paris gelegenes Kloster. Es wurde dabei, wie die Zeitungen in solchen Fällen mit Genugtuung zu berichten pflegen, nur »Sachschaden angerichtet«.

»Es ist eine gnädige Fügung des Himmels, daß der Blitz die Kapelle getroffen hat«, sagte der berühmte Père André. »Wenn er stattdessen die Küche getroffen hätte, wären die Brüder sämtlich erschlagen worden.«

 

Erste Ernte

Im Jahre 1789 begann es sich einzubürgern – oder, da diese Vokabel hier vielleicht nicht ganz am Platze scheint: begann es üblich zu werden, daß die Auseinandersetzungen zwischen Republikanern und Aristokraten auch während der Vorstellungen im Théâtre Français ausgetragen wurden. Da man die Aristokraten nicht mit Unrecht in den Logen vermutete, während die streitbaren Anhänger der Republik die oberen Ränge bevölkerten, bestanden die revolutionären Beweisgründe vorwiegend aus Wurfgeschossen, die gegen die Logen geschleudert wurden.

Bei einer solchen Kanonade, die aus nicht recht erfindlichen Gründen ausgerechnet während einer Aufführung von Racines »Iphigenie« losbrach, flog der Herzogin von Guise ein nicht mehr ganz einwandfreier Apfel an den Kopf. Sie hob ihn auf und schickte ihn am nächsten Tage, sorgsam verpackt, an Lafayette – mit folgenden Begleitzeilen: »Ich erlaube mir, Monsieur, Ihnen anbei eine der ersten Früchte der Revolution zu überreichen.«

 

Die Damen der Halle

Als in der ersten Zeit der Revolution die Streitbarkeit jener rüstigen Marktfrauen, die man mit angstvoller Höflichkeit die »Damen der Halle« nannte, einen bedrohlichen Umfang annahm, bewilligte man ihnen ein Oratorium in der Oper, bei freiem Eintritt. Sie kamen. Und kaum hatten die Chöre eingesetzt, hagelten auch schon entrüstete Zurufe dazwischen:

»Einzeln singen! Einzeln singen!«

Den Sängern blieben die Töne in der Kehle stecken. Oben im Rang aber erhob sich eine gewaltige Frauengestalt und schrie:

»Ihr meint wohl, wenn wir armen Frauen im Theater sind, könnt ihr alle auf einmal singen, bloß damit ihr schneller fertig werdet?!«

 

Der schwarze Diplomat

Einer jener französischen Menschenfreunde, die sich von jeher so lebhaft für die Beseitigung des Unterschiedes zwischen weißen und schwarzen Franzosen einsetzten, schlug im Jahre 1791 dem Außenminister vor, einen als ungewöhnlich gescheit bekannten Neger mit einer diplomatischen Mission im Auslande zu betrauen: So könne Frankreich beweisen, daß es sich aller reaktionären Vorurteile entschlagen habe.

Der schwarze Mann, der sich in seiner Eingabe an die Gesetzgebende Versammlung mit »Ziméo, ehemals Neger« unterzeichnet hatte, wurde zum Minister bestellt, erschien alsbald und hatte ein dickes Buch unter dem Arm.

»Was wollen Sie mit dem Buch, Bürger?« fragte der Minister erstaunt.

»Damit«, antwortete der Bewerber stolz, »will ich beweisen, daß ich lesen kann.«

 

Das Gesinnungsklavier

Im Jahre 1792, als eine endgültige Einstellung auf die Revolution als ratsam und ihre geschäftliche Auswertung als möglich erschien, suchte ein »Pianoforte«-Fabrikant zu Paris den Absatz seiner Erzeugnisse durch folgende Anzeige zu fördern:

»Gleichheit – Freiheit – Brüderlichkeit! Nach dieser Devise habe ich eine Anzahl Pianofortes gebaut, welche diese Eigenschaften im wahrsten Sinne des Wortes besitzen: Denn sie sind durch alle Oktaven ganz gleich, sie haben einen freien schönen Ton, und sie werden von mir zu einem wahrhaft brüderlichen Preise verkauft.«

 

Gebrannte Kinder

Danton, der Revolutionär, gestürzt und zum Tode verurteilt, fuhr im rumpelnden Schinderkarren zur Guillotine. Mit einem bitteren Lächeln wandte er sich von der johlenden Menge ab und sagte zu seinem Leidensgefährten Chabot:

»Das sage ich dir, wenn es im Jenseits mal eine Revolution gibt, dann mischen wir uns aber nicht ein!«

 

Kleiner Kreis um Napoleon

 

Verpackung

»Wie konnte man«, sagte jemand im Salon der Frau von Staël kopfschüttelnd, »einen Dummkopf wie Roger Ducos gleichzeitig mit zwei so bedeutenden Männern wie Sieyès und Bonaparte zum Konsul machen?«

»Man wird das«, meinte Frau von Staël lächelnd, »aus demselben Grunde getan haben, wie man Baumwolle zwischen zwei Porzellanvasen legt.«

Volksabstimmung

Als Napoleon seinen Willen durchsetzen wollte, Konsul auf Lebenszeit zu werden, ließ General St. Hilaire sein Korps antreten und hielt folgende Ansprache:

»Kameraden! Das französische Volk erwägt, den General Bonaparte zum Konsul auf Lebenszeit zu ernennen. Auch ihr sollt eure Meinung darüber äußern. Kameraden! Die Meinungsäußerung des Volkes muß frei sein, und ich will euch um keinen Preis der Welt irgendwie beeinflussen. Eines aber laßt euch vorher gesagt sein: den ersten, der dagegen stimmt, lasse ich vor der Front des Regiments erschießen. Es lebe die Republik und die Freiheit!«

Die Anfängerin

Napoleon veranstaltete vor seiner Kaiserkrönung mit seiner Familie eine regelrechte Generalprobe höfischer Etikette. Alles ging leidlich, nur Joseph Bonapartes Gattin machte ihre Sache beängstigend schlecht.

»Sie werden uns noch alle miteinander lächerlich machen!« schrie Napoleon wütend. »Ist es denn so schwer, sich wie eine Prinzessin zu benehmen?«

»Ach«, versetzte die Unglückliche schluchzend, »bedenken Sie, es ist das erstemal, daß ich Komödie spiele!«

Volksbelustigung

Napoleon hatte sich mit Pomp zum Kaiser krönen lassen und Ney, als Feind der »Verkaiserung«, hatte an dem prunkvollen Schauspiel Anstoß genommen. Am Abend gab es darüber eine Aussprache, und Napoleon war ein wenig gekränkt.

»Aber die Leute haben doch ihre Freude daran gehabt«, sagte er. »Ganz Paris war auf den Beinen, um mich als Kaiser zu sehen.«

»Kunststück«, sagte Ney wegwerfend. »Aber nun mach dir mal den Spaß und laß dich öffentlich totschießen: dann läuft ganz Frankreich zusammen.«

Zwang

Als zur Zeit der napoleonischen Zwangsherrschaft die Bürgerschaft von Dresden aufgefordert war, ihre Häuser am Geburtstage des Kaisers festlich zu illuminieren, wettete ein Steueroffiziant, er werde ein geradezu revolutionäres Leuchtbild an seinem Hause anbringen, ohne daß man ihn dafür würde bestrafen können.

Am Abend prangte über seiner Tür in riesigen Leuchtbuchstaben das Wort »Zwang«. Und eine Stunde später wurde der Mann vor einen wutschnaubenden Kommandanten geführt.

»Was bedeutet das Wort ›Zwang‹ über Ihrer Haustür?« brüllte der Kommandant.

»Es ist«, versetzte der Steueroffiziant gelassen, »ein sinniges Buchstabenrätsel und bedeutet ›Zur Weihe an Napoleons Geburtstag‹.«

Zwei Helden

Als François-Josèphe Talma, der größte Schauspieler des napoleonischen Zeitalters, den Julius Cäsar gespielt hatte, wurde er in die Loge des Kaisers befohlen – zur Kritik.

»Zu pathetisch«, sagte Napoleon kurz.

»Sire«, versetzte Talma gekränkt, »Cäsar ist ein Heros der großen Vergangenheit. Wir sehen seine Gestalt im erhobenen Schein der Ehrfurcht vor historischer Größe – seine Worte haben für uns den ehernen Klang der Geschichte. Es war mir Pflicht, sie pathetisch zu deklamieren.«

»Unsinn«, sagte der Kaiser. »Was ich jetzt hier mit Ihnen rede, ist auch Geschichte. Deklamiere ich etwa?«

Die Freundin

Zu der Zeit, da Talleyrand während der Revolution als Flüchtling in England lebte, und während der Kampfjahre unter dem Direktorium und dem Konsulat hielt er enge Freundschaft mit Frau von Staël. Während der Kaiserzeit aber gab es eine Entfremdung zwischen den beiden. Das spürte Napoleon, als er eines Tages im Gespräch mit Talleyrand die Rede auf Frau von Staël brachte.

»Sie scheinen nicht mehr viel von ihr zu halten«, sagte der Kaiser etwas ärgerlich. »Immerhin werden Sie zugeben müssen, daß sie die Pflichten der Freundschaft sehr ernst nimmt.«

»Leidenschaftlich ernst«, sagte Talleyrand. »Dermaßen ernst, daß sie am liebsten alle ihre Freunde ins Wasser werfen würde, nur damit sie das Vergnügen haben kann, sie wieder herauszufischen.«

Der Preis

François-Josèphe Lefèbvre, durch Napoleons Gunst Herzog von Danzig und mit irdischen Gütern und Ehren überhäuft, empfing den Besuch eines Jugendfreundes und führte ihn durch die Räume und den Park seines Schlosses. Der Freund war neidisch und vermochte es nicht zu verhehlen.

Lefèbvre lächelte.

»Ich bin von Herzen gern bereit, dir alles, was ich besitze, zu überlassen«, sagte er: »Aber um den Preis, den es mich selbst gekostet hat. Geh im Park auf und ab und laß eine Kompanie Infanterie eine halbe Stunde lang auf dich schießen. Wenn du dann noch lebst, gehört alles dir.«

Der Anfang vom Ende

Als nach dem furchtbaren Ende des russischen Feldzuges die Sammlung der europäischen Völker gegen Napoleon allmählich und drohend begann, kam Metternich nach Dresden, um dem Kaiser die Forderungen Österreichs zu überbringen.

Langsam schritten die beiden auf der Schloßterrasse auf und ab: Der Kaiser rasch und mit ruckhafter Heftigkeit redend, Metternich bedachtsam und mit vorsichtig feilender Wahl des Ausdrucks antwortend. Aber Napoleon spürte eine Wandlung. Seine angreiferische Härte glitt an der geschmeidigen Höflichkeit des Österreichers ab. Die Verhandlung stockte.

Da ließ der Kaiser, scheinbar absichtslos, bei der Kehrtwendung seinen Hut fallen. Der Dreispitz fiel vor Metternichs Füße. Gespannt sah Napoleon zur Seite: Metternich bückte sich nicht; ruhig weitersprechend machte er einen Bogen um den Hut und sah sich nicht einmal danach um.

Napoleons Züge wurden hart. In diesem Augenblick wußte er, daß das Schicksal von ihm den letzten Einsatz forderte, und daß Österreich auf der Seite der Gegner stehen würde.

Die Anhängerschaft

Als Napoleon von Elba zurückgekehrt war, sammelte sich bei seinem Einzuge in Paris das Volk, um ihn mit den in solchen Fällen üblichen Hochrufen zu begrüßen.

Napoleon verharrte eine Weile in nachdenklichem Schweigen. »Ich habe gehört«, sagte er schließlich zu Fouché, »daß sie beim Einzuge Ludwigs des Achtzehnten mit ihren Taschentüchern gewinkt haben. Warum tun sie das nicht auch heute?«

»Sire«, antwortete Fouché mit einem unergründlichen Lächeln, »die Leute, die Ihnen zuwinken, besitzen keine Taschentücher.«

Der Ehrensold

Ein französischer Schriftsteller, der nach dem Sturz Napoleons besonders laut auf den Entthronten schimpfte, mußte sich in einer Gesellschaft daran erinnern lassen, daß er doch von Napoleon ein Ehrengehalt bezogen habe: »Wenn Sie ihn dermaßen verabscheuten – wie konnten Sie dann sein Geld annehmen?« – »Annehmen?!« sagte der Dichter. »Solange der Tyrann regierte, hat sich an jedem Monatsersten folgendes Gespräch abgespielt: ›Mollien!‹ – ›Sire?‹ – ›Hat B. sein Ehrengehalt abgehoben?‹ ›Jawohl, Sire.‹ – ›Das ist sein Glück. Am Tage, da er es zum erstenmal nicht abhebt, lasse ich ihn erschießen wie den Herzog von Enghien.‹ Und das hätte er getan, der Menschenschlächter – er hätte es bestimmt getan.«

Erledigt

1821 starb Napoleon auf St. Helena. Irgendwer brachte die Nachricht in den Salon der Frau Crawford, der damals Sammelpunkt und Plauderwinkel aller wirklich oder vermeintlich an der Politik Beteiligten war. Die Botschaft bewirkte, daß eine Pause beklommenen Schweigens entstand. Der alte Talleyrand, stumm, mit unbeweglichem Gesicht, saß in einer Ecke; seine kleinen grünen Augen wanderten aufmerksam vom einen zum andern.

Irgendwer fühlte sich zu der überflüssigen Bemerkung veranlaßt: »Welch ein Ereignis!«

Da tönte Talleyrands tiefe Stimme aus dem Winkel:

»Das ist kein Ereignis mehr. Das ist nur noch eine Neuigkeit.«

 

Noch zweimal Frau von Staël

Teilabbildung

Frau von Staël, die große Künstlerin der Freundschaft und der Liebe, schrieb ihre Erinnerungen.

»Oh –! Wie machst du es nun aber, wenn du dabei an deine Liebesabenteuer kommst?« fragte eine boshafte und neugierige Freundin.

Frau von Staël lächelte.

»Dann zeige ich mich nur im Brustbild«, sagte sie.

Zwischen Beiden

»Welch ein schöner Platz!« sagte der große Astronom Lalande, als er eines Tages bei Tisch zwischen der (häßlichen) Frau von Staël und der (schönen) Frau Récamier saß, »da sitze ich nun zwischen Geist und Schönheit.«

»– ohne eines von beiden zu besitzen«, ergänzte Frau von Staël.

*

 

Steinleiden

Der Herr Herzog von Villières, verschrien ob seines hartherzigen Geizes, war an einem schmerzhaften Blasenleiden erkrankt.

»Wahrscheinlich«, sagte der Lustspieldichter Piron, der die meistgefürchtete Zunge Frankreichs besaß, »hat ihm sein Seelsorger seine Aussichten im Jenseits geschildert, und da ist ihm das Herz in die Blase gefallen.«

 

Wer verzehrt Eicheln?

Alexis Piron mußte es eines Tages mit anhören, daß ein bekannter Flugschriftenschmierer mit dem Absatz seiner Bücher protzte.

»Sie mit Ihren ›Poésies diverses‹!« sagte dieser angenehme Zunftgenosse verächtlich. »Ihr Verleger hockt ja noch auf der Hälfte der ersten Auflage – und von meinem letzten Buch sind in einem einzigen Jahr vier Auflagen erschienen.«

»Es ist mir bekannt«, versetzte Piron, »daß auf dieser Welt mehr Eicheln als Ananas verzehrt werden. Aber – wer verzehrt sie?«

 

Sie singen

Als Kaiser Joseph der Zweite nach Paris kam, erfuhr er, daß Jean-Jacques Rousseau irgendwo in der Stadt unter dem angenommenen Namen Renou im Elend lebte. Mit einiger Mühe ermittelten die Beauftragten des Kaisers die Wohnung des großen Philosophen; Joseph fuhr unangemeldet hin und fand ihn in einer armseligen Dachkammer beim Notenschreiben.

Mit höflicher Handbewegung lehnte Rousseau die bedauernden Worte des Kaisers ab.

»Aber ich habe ja jetzt Erfolg, Sire«, sagte er. »Ich gab den Franzosen Gelegenheit zum Denken – und sie dachten nicht. Jetzt gebe ich ihnen Gelegenheit zum Singen – und sie singen.«

 

»– – la même chose«

Charles Maurice, Fürst von Talleyrand-Périgord, Aristokrat, Weltmann und Diplomat von der geschmeidig-tödlichen Treffsicherheit einer stählernen Klinge, saß in seinem Schloß Valençay am Kamin und hörte Herrn Adolphe Thiers zu.

Thiers, zappelig, hitzig, war verzweifelt. »Sie betrüben mich, mein Fürst«, sagte er. »Immer, wenn ich mit Ihnen über Politik sprechen will, fangen Sie an, über die Frauen zu reden.«

Talleyrand hob um einen Achtelzoll die schöngeschwungenen Brauen.

»Aber ich bitte Sie, mein Freund«, sagte er, »das ist doch dasselbe

 

Politik der freien Hand

Als die Julirevolution durch die Straßen von Paris lärmte, saß der alte Talleyrand in seinem großen Hause in der Rue St. Florentin, umgeben und in angstvoller Spannung beobachtet von seinen Freunden, und spielte gelassen Whist, wie es in Stunden politischer Entscheidung seine bewährte Gewohnheit war. Zuweilen hob er einen Augenblick lauschend den Kopf. Als der Sommerwind dann fernes Triumphgeschrei, Flintenschüsse und Glockenläuten zu den offenen Fenstern hereintrug, nickte Talleyrand befriedigt:

»Aha – hören Sie? Wir siegen.«

»Wer – wir?« fragte einer der Anwesenden erstaunt.

»Psst – kein Wort!« sagte Talleyrand. »Das werde ich Ihnen morgen sagen.«

 

Volkstümlichkeit

Nach der Abdankung Karls des Zehnten von Frankreich (1830) hatte man zu Compiègne große Mühe, seine vier Minister, darunter Polignac, vor der Wut des Pöbels zu schützen.

»Nieder mit den Ministern!« heulte die Menge.

Die vier Schicksalsgenossen blickten sich ein wenig bleich, aber mit bedeutsamem Lächeln an.

»Schmeißt Polignac ins Wasser!« gellte es.

Hier wandte sich einer der Herren mit neidloser Bewunderung zu Polignac.

»Es hat doch den Anschein, als ob Sie von uns vieren der volkstümlichste sind«, sagte er höflich.

 

Französische Fabel

In der Umgebung von Paris habe einmal, so erzählt eine französische Fabel, ein Bauer den Beschluß gefaßt, daß sein Sohn, der anscheinend ein ungemein gewitzter Knabe war, ein richtig feiner Herr werden müsse. Da dem ehrgeizigen Vater die heutigen Errungenschaften der Berufsberatung noch nicht zur Verfügung standen, dachte er sich ein eigenes Verfahren aus, um die rechte Laufbahn für seinen Erben zu ermitteln. Er legte einen Louisdor, ein dickes Buch und einen Apfel auf den Tisch und schloß den Jungen dann in der Stube ein.

»Nun wird's säuberlich klar werden«, dachte der Bauer. »Nimmt er das Buch, so wird mir der Junge geistlich. Nimmt er den Apfel, so schicke ich ihn auf die landwirtschaftliche Schule. Und nimmt er das Geld, so bringe ich ihn in die Stadt und gebe ihn als Lehrling auf eine Bank.«

Als der Bauer nach einer halben Stunde wieder in die Stube kam, hatte sich der Junge das Buch auf den Stuhl gelegt, um besser auf den Tisch langen zu können. Nun saß er darauf, steckte mit der Linken den Louisdor in die Tasche und führte mit der Rechten den Apfel zum Munde.

Da verklärte ein Lächeln gerührter Erkenntnis das Gesicht des Vaters: »Gott sei Dank, nun ist's am Tage«, sagte er. »War ich doch von selber nicht drauf gekommen! Advokat und nichts anderes wird mir der Junge!«

 

Rätselhafte Inschrift

Im Jahre 1840 sahen die gelehrten Köpfe Frankreichs sich vor die Aufgabe gestellt, eine zu Karthago aufgefundene Inschrift in die Sprache der Gegenwart zu übertragen.

Der erste von ihnen, General Duvivier, deutete sie, worüber man sich nicht wundern wird, mannhaft und militärisch. Er übersetzte so:

 

»Hier ruht Hamilkar, Vater des Hannibal – und, wie er, teuer seinem Vaterlande und furchtbar seinen Feinden.«

 

Der nächste, der uns, wohl aus Zartgefühl, nur als »Herr von S.« überliefert ist, gab folgende Übertragung bekannt:

 

»Die Priesterin der Isis errichtete dieses Denkmal dem Frühling, den Grazien und den Rosen, die unserer Welt Anmut und Fruchtbarkeit verleihen.«

 

Nunmehr sah sich die Akademie der Schönen Künste veranlaßt, zusammenzutreten, die Köpfe zu schütteln und, da die beiden Übersetzer für ihre Deutungen mit Gut und Blut einzustehen bereit waren, einen wissenschaftlichen Sachverständigen zu ernennen, der die Streitfrage klären sollte. Das tat er nicht; vielmehr trat er – und vielleicht ist das der Grund, weshalb uns von seinem Namen nicht einmal die Anfangsbuchstaben überliefert sind – mit einer weiteren Übertragung auf den Plan:

 

»Dieser Altar ist dem Geist der Winde und Stürme geweiht, auf daß sein Zorn besänftigt werde.«

 

Weitere Deutungen sind der Öffentlichkeit nicht bekannt geworden.

 


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