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Aus der Neuen Welt

Benjamin Franklin

Symbolisches Abendessen

Benjamin Franklin, Buchdrucker, Philosoph, Freiheitsmann und kühlköpfiger Rechner, gab vor Beginn seines eigentlichen Aufstiegs in Philadelphia eine Zeitschrift heraus, deren aufklärerisches Fortschrittlertum von wackeren Männern wohlwollend begönnert wurde. Als indessen das Blatt des rührigen jungen Eigenbrötlers die zeitlichen Gewalten, besonders soweit sie im Auftrage des englischen Königs amteten, gar zu heftig angriff, ließen die besorgten Gönner eine wohlgemeinte Warnung vernehmen: sie könnten, sagten sie, ihn künftig nicht mehr unterstützen, wenn er von der Kritik nun gar zum Umstürzlertum überginge. Zur Antwort darauf lud Franklin die Herren eines Abends zum Essen in sein Haus.

Sie kamen, auf kräftige Genüsse hoffend, bereitwillig herbei, wurden freundlich empfangen und sahen sich alsbald um einen großen Tisch versammelt, auf dem sie zu ihrem peinlichen Befremden nur einen riesigen Brotpudding von verdächtiger Farbe und einen großen Krug mit Wasser gewahrten. Verblüfft und ärgerlich saßen sie da und zerkrümelten, nachdrücklich zum Zulangen genötigt, den schäbigen Pudding auf der nackten Tischplatte, während Franklin mit einem umsichtig vorbereiteten Appetit tüchtig darauflos aß. Als er fertig war, sagte er laut und schlicht:

»Dies, meine Herren, ist meine tägliche Nahrung. Wer es vermag, damit auszukommen, braucht keine Gönner.«

Die Herren waren anfänglich durchaus geneigt, dem kühnen jungen Anfänger diesen anmaßenden Anschauungsunterricht übelzunehmen; da aber blickten sie in sein Gesicht, das er mit selbstbewußter Ruhe von einem zum andern wandte: und was sie da sahen, dämpfte ihren Ärger. Sie sahen um den Mund des Mannes die strengen Falten harter und zäher Rechtlichkeit; Stirn und Nase zeugten von dem starren und doch leidenschaftlichen, ja eifernden Sendungsglauben der Pioniere; in der Tiefe der Augen aber glitzerte die kühle und spöttische Wachsamkeit, die sich zu rechter Zeit ohne nennenswerte Gewissenshemmungen des überlegen gehandhabten Bluffs zu bedienen weiß. Sie sahen dies alles zusammengefaßt zu einer sieghaften Sicherheit, die sie sachlich und neidlos als Genie anerkannten.

So nickten sie ihm zu, nicht mehr gönnerhaft, auch nicht etwa hochachtungsvoll, sondern mit der trockenen Kameradschaftlichkeit, mit der sie ihresgleichen zu grüßen pflegten, und überließen ihn im guten Vertrauen seinen Gedanken und weitgreifenden Berechnungen.

Spare mit der Zeit

Benjamin Franklin sparte, als echter Amerikaner, nicht mit dem Gelde, sondern mit der Zeit, und fing früh damit an.

Im Hause seines Vaters, eines armen Seifensieders, gab es als Hauptnahrung zu allen Tageszeiten Salzfleisch, und der kleine Benjamin mußte die Vertilgung jeder Portion durch ein Tischgebet einleiten.

Eines Tages blieb er im Hofe nachdenklich vor der Tonne stehen, die das Pökelfleisch barg, und sagte zu seinem Vater:

»Es wäre doch eigentlich eine große Zeitersparnis, wenn wir künftig immer gleich vor der Tonne beten würden!«

Wozu –?

Ein mäkelsüchtiger Zeitgenosse fragte ihn: »Wozu nützt ein Luftballon?«

»Tja«, antwortete Franklin nachdenklich – »wozu nützt ein neugeborenes Kind?«

Umgang mit Amerikanern

Franklin hatte sich oftmals über die Neugier seiner amerikanischen Landsleute geärgert: niemand, der sich auf der Straße nach dem Wege erkundigte, kam davon, ohne zahlreiche Fragen nach dem Woher und Wohin beantwortet zu haben.

Wenn er also auf Reisen zu einer Erkundigung genötigt war, so brachte er sie freiwillig in folgende Form:

»Guten Tag. Ich heiße Benjamin Franklin, bin am 17. Januar 1706 in Governors-Island bei Boston geboren, lebe als Buchdrucker in Philadelphia und bin in Geschäften hier. Wir haben heute schönes (oder schlechtes) Wetter. Können Sie mir sagen, wie ich zur X-Straße komme?«

Angebinde für John Bull

In den mit Spannung geladenen Tagen, die den endgültigen Bruch zwischen England und den amerikanischen Kolonien vorbereiteten, erhielt der englische Minister Walpole von Benjamin Franklin eine geheimnisvolle Riesenkiste als Geschenk. Man öffnete sie und fand lebende Klapperschlangen darin. Die Kolonien, so stand in Franklins Begleitbrief zu lesen, schuldeten dem Mutterlande aus eigenem Besitz eine gleichwertige Gegengabe für die schönen Geschenke, die es ihnen in Gestalt deportierter Verbrecher so reichlich spende.

*

 

Tran

Juddy, vor rund hundert Jahren hochachtbarer Busineßman zu Neuyork, sollte eine runde Strafsumme bezahlen, weil er drei Tonnen Walfischtran ohne obrigkeitliche Untersuchung eingeführt hatte: Alle Fischöle unterlagen laut Gesetz dieser Untersuchung. Juddy aber war ein Mann, auf dessen geistige Regsamkeit seine Handelsware keinerlei nachteiligen Einfluß ausgeübt hatte; er besprach sich mit Dr. Mitchil, dem smartesten Anwalt Neuyorks, und dieser tüchtige Mann überraschte die Behörden mit folgender Beweisführung:

»Der Walfisch ist kein Fisch, sondern eine besondere Art von Vierfüßler, da er warmes Blut hat, durch Lungen atmet, lebendige Junge zur Welt bringt, diese säugt, und was dergleichen Vierfüßlereien mehr sind. Wenn aber der Walfisch kein Fisch ist, so ist auch Walfischtran kein Fischtran und fällt nicht unter das Gesetz; was zu beweisen war.«

Die Behörden streckten vor dieser Logik die Waffen, Juddy brauchte nicht zu bezahlen, und Walfischtran durfte von da ab ohne Untersuchung eingeführt werden.

 

Die Ehrenschuld

Den großen John Paul Jones, Gründer der nordamerikanischen Seemacht, Besieger der Engländer im Unabhängigkeitskriege und Helden vieler Abenteuerromane, hat einmal ein schlichter kleiner Schneider mit einem wohlgezielten Nadelstich zu Lande besiegt. Denn Jones war auch im Hafen aller Trockenheit durchaus abgeneigt und führte ein recht lustiges Leben; aber wenn es ans Bezahlen kam, kriegte er es mit jenen Hemmungen zu tun, die der Überlieferung zufolge allen Söhnen Schottlands gemeinsam sein sollen. Das Schneiderlein brachte ein Kontobuch mit und wies eine lange Zahlenreihe vor, die getilgt werden sollte, bevor der Admiral in See stach.

»Ich habe kein Geld«, sagte Jones.

»Aber Sie haben doch auch anderen Gläubigern ihr Geld gegeben –?« wandte der Schneider ein.

»Ja – das waren Spielverluste, also Ehrenschulden.«

Der Schneider riß die Seite aus dem Kontobuch und warf sie ins Kaminfeuer.

» So«, sagte er, »nun ist auch dies eine Ehrenschuld.«

Jones zahlte.

 

Der Nachruf

Als im Jahre 1819 zu Neuyork ein Herr Joe Wilman die (erfolgreiche) Jagd nach dem Dollar aufgegeben hatte und in die ewigen Jagdgründe eingegangen war, würdigte ein dortiges Blatt den ernsten Anlaß in folgender Zusammenfassung:

 

»Durch den Tod Mr. Wilmans verliert die Gesellschaft eine ihrer schönsten Zierden, die Kirche einen treuen Besucher, die Gattin einen gewissenhaften Ehemann und unser Blatt einen pünktlich zahlenden Bezieher.«

 

Kurze Unterbrechung

Im Jahre 1819 gewahrte ein Reisender an einer Apotheke zu Boston ein Schild mit folgender Aufschrift von der Hand des Besitzers:

»Abwesend zum Begräbnis meiner Frau. Bin in einer halben Stunde zurück.«

 

Ein Yankee legt sich trocken

In den Zeitungen Neuyorks erschien eines Tages – es muß um das Jahr 1825 gewesen sein – folgende merkwürdige Anzeige:

 

Warnung!

Da ich das Unglück habe, starke Getränke mehr zu lieben, als mir gut ist, so ersuche ich alle Verkäufer dieser Artikel, mir dergleichen um keinen Preis mehr zu verabfolgen, wenn ich aber darauf bestehen sollte, mich notfalls mit Gewalt wegzujagen, da ich zwar ein großer Trunkenbold, aber mit Gottes Hilfe kein unverbesserlicher Säufer bin.

Nachschrift: Wer mir, dieser Anzeige ungeachtet, Rum, Genever usw. verkauft, den werde ich öffentlich mit Namen nennen, damit alle Welt erfährt, wer mich zur Sünde verleitet hat.

 

Besuch auf der Schriftleitung

Eine schlichte, noch durchaus in der Entwicklung begriffene Ortschaft in Illinois wurde in den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts von einer Bande ruchloser Spieler heimgesucht, die sich auf die Kunst verstanden, mit Würfeln und Karten einen ständig wachsenden Teil des ortsansässigen Kapitals in ihre Taschen zu zaubern. Eine Abordnung gesetzter Bürger, die mit Recht für die wirtschaftliche Grundlage ihrer Heimat fürchteten, begab sich zum Eigentümer und Schriftleiter der Zeitung »Eagle« und veranlaßte ihn durch Überredung und Weihgeschenke, der Glücksspielpest journalistisch zu Leibe zu gehen. Der wackere Mann verfaßte daraufhin einen Leitaufsatz von denkwürdiger Deutlichkeit.

Als er am Tage der Veröffentlichung am Setzkasten stand, erschien ein riesiger Kerl, dessen Art und Absicht durch Stetsonhut, Stoppelbart, Radsporen und einen gewaltigen Knüppel deutlich gekennzeichnet waren, und verlangte den »gottverdammten Redakteur« zu sprechen.

»Ich werde ihn holen«, versetzte der Gesuchte eifrig. »Nehmen Sie einstweilen Platz und lesen Sie ein bißchen!« Und er begab sich, während der Besucher der Einladung folgte, eilends hinaus.

Auf der Treppe traf er einen zweiten riesigen Kerl, der ebenso angetan und bewaffnet war und das gleiche Verlangen kundgab.

»Gehen Sie nach oben«, versetzte der Gesuchte eifrig. »Da sitzt er und liest Zeitungen.« Und er begab sich, während droben die einleitenden Schläge dröhnten und die ersten Gegenstände durch das Fenster auf die Straße flogen, eilends von dannen.

 

»Er«

In einer Stadt des Mittleren Westens – vielleicht war es dieselbe, wo einem glaubwürdigen Chronisten von einem hünenhaften schwarzen Hausknecht früh um sechs das Bettuch weggezogen wurde, weil man es als Tischtuch für die Frühstückstafel brauchte –, in einer Stadt des Mittleren Westens also wurde die rauhe Einwohnerschaft gegen die Mitte des vergangenen Jahrhunderts in erwartungsvolle Aufregung versetzt. Da klebte nämlich an allen Hauspfosten und Bäumen ein knallrotes Plakat mit der Inschrift:

 

» Er kommt

 

Am nächsten Tage war es ein giftgrünes, wieder am nächsten ein schreiend gelbes – und so fort durch alle Farben und Wochentage. Am siebenten Tage aber las man auf kreischendem Violett:

 

» Er ist da!

Heute abend um 8 Uhr in Wilmotts Gasthof.
Eintritt einen Dollar!«

 

Sie kamen alle; denn sie wollten alle den geheimnisvollen Mann sehen, der sie auf die Folter der Neugier gespannt hatte – mochte er ein Zauberer, ein Degenschlucker, Kunstschütze oder alles mitsammen sein. Sie hatten alle ihren Dollar gezahlt, und sie hatten zum rauhen Cowboy- und Cowgirldreß ihre leuchtkräftigsten Seidentücher angelegt.

Endlich, als die Spannung kaum noch zu ertragen war, rauschte in einer Staubwolke der Vorhang auseinander, und auf die Bühne stolperte ein grinsender Junge, in dem sie alle einen vielversprechenden angehenden Mitbürger erkannten. Er trug auf einem Pfahl ein gewaltiges Plakat, wichtig und würdig, wie es sein Amt, für das »Er« ihm einen halben Dollar gegeben hatte, erheischte. Und die Zuschauer lasen auf grellblauem Grund die Inschrift:

 

» Er ist fort

Die Kasse und des Sheriffs bestes Pferd hatte er mitgenommen.

 

Tempo

Als im Jahre 1850 in San Franzisko eine nächtliche Feuersbrunst wütete, wurde auch eine große Speisewirtschaft von den Flammen ergriffen. Während das Haus noch lichterloh brannte, trugen Arbeiter ein rasch gemaltes riesiges Plakat herbei, und die Menge der Neugierigen las beim Flammenschein die mächtige Aufschrift:

»Geschäftsverlegung nach der Montgomery Street. Table d'hôte täglich um 2 Uhr mittags, Speisen nach der Karte zu jeder Tageszeit, wie im gegenwärtig brennenden Restaurant.«

 

Kunstbetrachtung – amerikanisch

Im Jahre 1851 brachte ein Neuyorker Blatt folgende Betrachtung seines Theaterkritikers über eine Aufführung von Shakespeares »Macbeth«:

»Ich habe mir die Vorstellung von Anfang bis zu Ende angesehen. Leider kann ich zu keinem anderen Ergebnis kommen, als daß Macbeth keineswegs ein guter und sittlich einwandfreier Charakter ist. Hinsichtlich seiner Frau ist zu sagen, daß sie von heftiger und herrschsüchtiger Gemütsart ist und sehr falsche Auffassungen von den Pflichten der Gastfreundschaft hat. Nimmt man ihre leidige Gewohnheit hinzu, laut mit sich selbst zu sprechen und nachts im Hemd durch das Haus zu laufen, so kann man nur sagen, daß sie eine sehr unerfreuliche Lebensgefährtin gewesen sein muß.«

 

Zwei Weisen

Als der große Ulysses Sidney Grant, der Held des amerikanischen Sezessionskrieges, das Präsidentenpalais in Washington bezogen hatte, mußte er sich eines Abends im Hause eines ausländischen Diplomaten die musikalischen Darbietungen anhören. Die Dame des Hauses hatte gut und tapfer Chopins Es-Dur-Polonäse gespielt und wollte begreiflicherweise etwas Angenehmes darüber hören.

»Mich dürfen Sie nicht fragen«, sagte Grant. »Ich kenne überhaupt nur zwei Melodien; die eine ist ›Yankee Doodle‹, und die andere ist es nicht.«

 

Ökonomisches Heldentum

Als General Lee im amerikanischen Bürgerkriege den Angriff auf die Insel Sullivan leitete, bemerkte er zu seinem Ärger, daß sein Adjutant sich vor jeder gegnerischen Kugel angst- und respektvoll verneigte.

»Was soll die verdammte Bückerei?!« schnauzte er. »Ich bitte mir Mut aus! König Friedrich von Preußen hat in einer einzigen Schlacht über hundert Adjutanten verloren.«

»Dann bitte ich um Verzeihung, Sir«, versetzte der Adjutant mit leichtem Bibber. »Ich wußte nicht, daß Sie so viele in Vorrat haben.«

 

Anekdote aus Chicago

Ein junger Mann, den wir zum Zwecke der Unterscheidung von vielen ähnlich gearteten Lebewesen seiner Umgebung Sid Ferris nennen wollen, kehrte, von einer Geschäftsreise kommend, in seine Vaterstadt Chikago zurück. Er ging, den Hut flott aus der Stirn gerückt, den Mantel überm linken Arm, in der rechten Hand den mit seinem persönlichen und geschäftlichen Reisebedarf angefüllten Koffer, mit jenem langen und raschen Schritt einher, der auf landesübliche Art zugleich energisches Vorwärtswollen und vergnügte Jungenhaftigkeit ausdrückt; so näherte er sich dem heimischen Wohnblock, und sein fröhlicher Blick fand schon von weitem unter hundertfünfzig Blumentöpfen auf fünfundsiebzig Fenstersimsen die beiden Geranienstöcke heraus, die das Fenster seiner Wohnung schmückten. Hier nun wurde er ohne Schonung und Übergang in das Schicksal hineingerissen, das ihn für kurze Zeit aus der Masse der ähnlich gearteten Lebewesen heraushob und ins grelle Licht der Schlagzeilen stellte. Er bemerkte vor dem Haupteingang eine dichtgedrängte Menge, die ihm, als er herankam, zögernd Platz machte, stumm, mitleidig, verstört und irgendwie erwartungsvoll; er vernahm Schluchzen und erstickte Aufschreie; er sah auf dem Pflaster des Gehsteigs eine dunkle Masse, die ihm zuerst ein achtlos hingeworfenes Kleiderbündel zu sein schien und die – er erkannte es mit eisig ungläubigem Schreck – ein verkrümmter, verrenkter, zu grauenhafter Formlosigkeit zerschmetterter Mensch war. Sid Ferris machte in diesem Augenblick die seltsame Erfahrung, daß man zugleich vom Unfaßbaren überwältigt werden und das Unabweisbare völlig begreifen kann. Während er mit einem heiseren Aufbrüllen in die Knie brach und sich rasend gegen die helfenden Hände wehrte, die ihn zurückhalten wollten, wußte er schon mit abschließender Klarheit, daß dieses gestaltlose Bündel aus Fleisch und Kleidern alles war, was er auf dieser Welt von seiner Frau wiedersah und jemals wiedersehen würde.

Sehr bald schon fand sich für den grausam rätselhaften Vorgang eine erstaunliche Erklärung. Während Sid Ferris in einer nahen Kleinstadt heiter und strebsam Pembrokes unfehlbar wirkenden Hustenbalsam vertrieb, war ein anderer Sidney Ferris bei einem sonst unerheblichen Eisenbahnunglück zu Tode gekommen. Es fügte sich, daß er vor kurzem in ein der Wohnung des anderen benachbartes Haus gezogen war; es fügte sich weiter, daß der Bote mit dem Unglückstelegramm sich mehr auf das Fragen als auf das Lesen verließ und der Frau des lebenden Ferris die Botschaft gab, die für die Frau des toten Doppelgängers bestimmt war. Niemand hatte in den darauf folgenden Minuten etwas von ihr gesehen oder vernommen; man wußte nur, daß sie drunten auf dem Pflaster aufschlug, gerade in dem Augenblick, als ihr Mann drüben an der Kreuzung aus dem Autobus stieg.

Hier erliegen wir der Versuchung, einen Augenblick betrachtend zu verweilen und uns vorzustellen, welche weiteren Entwicklungen das tragische Ereignis bei uns in Europa hätte verursachen können. Die Möglichkeiten sind, je nach dem Temperament der Völker, mannigfach. Wir vermögen uns eine stumme Beugung unter den Willen des Schicksals zu denken, die in entsagende oder verbitterte Einsamkeit führt; eine aufflammende Verzweiflung, die sich selbst aus dem vermeintlich sinnlos gewordenen Leben hinter der Toten her in das wie ein Abgrund aufgerissene Nichts wirft; eine rasende Wut, die sich jenen unseligen Telegraphenboten als Opfer erwählt und ihn, als Werkzeug des Schicksals, zerschmettert, da es die unsichtbare Hand, die das Werkzeug führte, nicht treffen kann; ja, wir denken vielleicht an die Gnade einer schönen Erkenntnis, die es bewirkt, daß der so grausam Beraubte, dennoch Lebende, der seinem Schicksal so seltsam verbundenen Frau des anderen brüderlich die Hand reicht.

Bezüglich der Art, wie Sid Ferris sich mit seinem Geschick auseinandersetzte, sind wir nicht auf Vermutungen angewiesen; wir können Tatsachen berichten und es dem Leser überlassen, daraus beliebige, in jedem Falle aber lehrreiche Schlüsse zu ziehen. Er handelte erst, als er wieder klar denken konnte; dann rechnete er seinen Verlust in die Summe von 100 000 Dollars um, verklagte die für die richtige Zustellung des Telegramms zweifellos verantwortliche Post, gewann den Prozeß und benutzte die Summe menschlich untröstlich, aber kaufmännisch erfolgreich zu einem großartigen geschäftlichen Start.

 

Der Abenteurerklub

Im Hotel Astor zu Neuyork findet alljährlich ein gewaltiges Festessen des sogenannten »Abenteurerklubs« statt: Das ist eine höchst wählerisch geleitete Vereinigung, in die man nur hineinkommt, wenn man eine Unzahl von Gefahren in aller Welt mannhaft bestanden hat. Als nun die Abenteurer kürzlich nach ihrem Festmahl beisammen saßen und einander ihre Heldentaten erzählten, erklang mitten in eine gruselig spannende Geschichte hinein plötzlich ein Schuß.

Die Mitglieder, in tausend Fährnissen gehärtete Männer, die Auslese nervenloser Desperados aus aller Welt, sprangen auf wie ein Mann und drängten den Ausgängen zu: Mit solcher Hast und Heftigkeit, daß dabei Geschirr und Möbel im Werte von mehreren tausend Dollars in die Brüche gingen.

Später ergab sich, daß eines der Mitglieder, ein ehemaliger russischer General, den Schuß abgefeuert hatte, um sich einen kleinen Scherz zu machen. Er wurde natürlich sofort von der Mitgliederliste gestrichen.

 

Unverbürgte Geschichte aus dem Süden

Die Abordnung, bestehend aus würdigen, erprobten, zum Teil leicht verwundeten Bürgern, erschien vor dem General.

»Señor!« sagte der Sprecher. »Wir haben die Ehre, Ihnen mitzuteilen, daß das Parlament, soweit es nach den letzten Unruhen noch auffindbar ist, Sie zum Präsidenten gewählt hat. Viel zahlen können wir Ihnen nicht; dafür werden Sie Verständnis haben. Wir bieten Ihnen eine einmalige Abfindung von 70 000 Peseten zuzüglich Begräbniskosten.«

 

Ein Kanadier

So um 1860 herum ließ ein Richter in Quebec sich einen zum Tode verurteilten Mörder mit Namen Ted Jones vorführen, lächelte ihn ermutigend an und redete zu ihm wie folgt:

»Mein lieber Jones! Wir hatten eigentlich die Absicht, Ihre Hinrichtung bis zum Frühjahr aufzuschieben. Aber sehen Sie, unser Gefängnis ist überfüllt, eine ordentliche Zelle kann ich Ihnen nicht geben, es fehlt an Betten, und mit der Heizung ist es auch so so, weil alle unsre Öfen rauchen. Sie haben sich darüber mit Recht beschwert. Um Ihnen alle diese Unannehmlichkeiten zu ersparen, haben wir deshalb beschlossen, Sie morgen früh hinzurichten. Bitte, bestimmen Sie eine Zeit, die Ihnen angenehm ist.«

 

Sängerin auf Aktien

Im Jahre 1933 entdeckte ein Kaufmann zu Melbourne in Australien, daß seine Privatsekretärin, ein Fräulein Margaret Elliott, eine herrliche Stimme besaß. Sein Kunstverstand sagte ihm, daß diese große Begabung durch Ausbildung erschlossen werden müsse; aber seine kaufmännische Vorsicht riet ihm davon ab, das damit verbundene »Risiko« allein zu tragen. Infolgedessen brachte er etliche von seinen Freunden zusammen, die das für die Ausbildung erforderliche Geld einzahlten und dafür insgesamt zweihundert Anteilscheine an Miß Elliotts Zukunft erhielten.

Heute ist die junge Dame eine der beliebtesten Sängerinnen des Landes, und ihre Aktionäre erhalten alljährlich eine ansehnliche Dividende ausgezahlt.

 

Ein Unverwüstlicher

Als der in ganz Amerika volkstümliche Witzkopf Oliver Wendell Holmes, weiland Richter am Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten, das Rockefellersche Alter von 90 Jahren erreicht hatte, kürzte der Kongreß dem frischen und munteren alten Herrn aus irgendwelchen landesüblichen politischen Gründen das Ruhegehalt. »Ich bin«, schrieb Holmes unerschüttert an einen Freund, »immer ein sparsamer Mann gewesen; infolgedessen tut diese Kürzung mir nicht weh. Aber es ärgert mich doch, daß ich mir jetzt nicht mehr so viel für meine alten Tage zurücklegen kann.«

 

Ehrliche Auskunft

Wer in Neuyork eine Stellung als Irgendwas sucht und von der Hoffnung, sie zu finden, nicht lassen will, wird mit der Anzeigenvermittlung von J. Walther Thompson die besten Erfahrungen machen. Jedenfalls wird man ihn umsichtig und gegen geringe Gebühr nach den neuesten Errungenschaften der organisatorischen Wissenschaft behandeln. Insbesondere wird man ihn ein hoffnungsfreudig gefärbtes Karteiblatt ausfüllen lassen und ihm so die Gewißheit geben, daß er in den gewaltigen Kreislauf des Arbeitsmarktes sachgerecht eingeschaltet ist.

Der nette und frische junge Mann, der sich als Buchhalter zu verdingen gedachte, fand es leicht, die Fragen des Karteiblattes zu beantworten. Name? Anschrift? Alter? Geburtsort? Beruf? – das alles ließ sich rasch und geläufig ausfüllen. Dann aber kam eine Spalte, vor der die Füllfeder des netten und frischen jungen Mannes einen entsetzten Sprung machte. »Sex« stand da – »Geschlecht«.

Der junge Mann, uneingedenk der Tatsache, daß man aus amerikanischen Vornamen nicht immer ohne weiteres die Geschlechtszugehörigkeit des Trägers entnehmen kann, mißdeutete die Frage. Er errötete heiß. Er zögerte. Das Bluterbe puritanischer Ahnen wallte in ihm auf. Aber er war zur Ehrlichkeit und Gewissenhaftigkeit erzogen. Also schluckte er Scham und Empörung mannhaft hinunter, überwand sich mit einem Ruck und gab in seiner netten und frischen Handschrift die nach seiner Meinung verlangte Auskunft:

»Zuweilen.«

 

Der Herzensbrecher

Clark Gable, der Weltmeister des Filmruhmes, plaudert in einer amerikanischen Zeitschrift ein Geheimnis aus, das geeignet erscheint, sich wie ein Reif auf abendliche Mädchenträume zu legen. Er schreibt nämlich:

»Als ich im Atelier meine erste Liebesszene spielte, war ich todunglücklich. Der Spielleiter verlangte von mir, ich solle ›begehrlich‹ aussehen – und ich tat mein Bestes. Ich versuchte mir ein großes, zartes, köstliches Beefsteak vorzustellen. Und das ging so prächtig, daß ich es mir seither für alle gefühlvollen Szenen zur Regel gemacht habe.«

 


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