Joseph von Lauff
Sinter Klaas
Joseph von Lauff

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16

Inzwischen hatte der große Zaubermeister die Zeidlerstände des Himmelreiches geöffnet und seine goldenen Bienenschwärme ausfliegen lassen. In unermeßlichen Scharen verteilten sie sich, wirrten und entwirrten sich wieder, zogen Kreise um Kreise oder trennten sich zu einzelnen Flügen, und es waren Königinnen darunter, herrlich anzuschauen, die mit ihrem stillen Leuchten die ganze Erde erfüllten.

Die kleine Stadt war mit feurigen Punkten übersät und gesprenkelt, und in dieses Glitzern hinein wuchs das Rathaus und die alte Linde und das Standbild des Reitergenerals Friedrich Wilhelm von Seydlitz, der mit gezogenem Palasch die Fahnenwacht hielt, als wäre er eigens dazu hingestellt worden, die preußischen Ideen Kosman Kranebooms würdig und echt zu verkörpern.

Die meisten Giebel, die den Markt wie verschlafene Mynheers umstanden, hatten bereits die Nachtmütze aufgesetzt und die Lider geschlossen. Nur der ›Dicke Tommes‹ war noch äußerst mobil und dachte nicht daran, sich's kommod zu machen, die Hände zu falten und sich die Flanelldecke über die Ohren zu ziehen. Seine Billardkugeln ketschten noch immer, und seine erhellten Fenster standen wie breite Lichtschäfte im Dunkel der laulichen Sommernacht.

Unmittelbar neben dem Denkmal erhoben sich zwei einsame Gestalten: Schnurr Schnapp von der Waterkant und Jan van den Birgel.

Die Augen der beiden Ausgeklinkten umgriffen das ungastliche Wirtshaus wie mit Basiliskenblicken.

Das war ja, um junge Hunde zu kriegen, denn was sich zwischen seinen vier Pfählen zugetragen hatte, blieb mehr oder weniger eine ausgestunkene Gemeinheit, eine Vergewaltigung und eine Mißachtung aller menschlichen und göttlichen Gesetze. In ihren verbaselten Schädeln drehte sich ihnen die Welt wie ein Karussell mit bunten Flittern und Lappen und kreisenden Spiegeln, aber aus jedem Spiegel grinste ihnen eine diabolische Visage entgegen; die sperrte das Maul auf und lärmte ihnen zu: »Nur immer 'rin ins Vergnügen! Wer mitfährt, kann sich auf seine eigene Kappe blamieren. Kein Hosenknopp wird in Bezahlung genommen. Vorwärts, die Herrschaften!«

In verhaltener Wut stierte Jan auf den sich drehenden Pavillon, auf dieses konfuse Spiel seines Zornes. Als er aber genauer zusah, da waren es die erhellten Fenster des ›Dicken Tommes‹, die sich vor seiner ingrimmigen Seele bewegten, und seiner Sinne nicht Herr, pfefferte er die abgegriffene Schirmmütze gegen die höhnischen Lichtbalken.

»Gotts den Donner noch mal! Luft! ich ersticke . . .

Schnurr, kalt und gelassen wie immer, schob besänftigend seinen Arm in den seines zukünftigen Schwiegervaters und sagte mit gemessener Stimme: »Beherrscher der Gläubigen, wir wollen uns keiner Täuschung hingeben und trotzdem die gebührende Ruhe bewahren. Indessen jedoch – zu meinem größten Leidwesen sehe ich ein: die Aschrafis sind alle.«

»Woso?« fragte Jan, ganz benommen und wie vor den Kopf geschlagen.

»Ganz einfach,« versetzte Schnurr mit selbstquälerischem Behagen, »denn nach dem soeben Vorgefallenen bist du arm wie eine arabische Maultierstute geworden, die sich damit zu begnügen hat, nur Disteln und Dornen vom Rand der Oase zu raufen. Deine Hilfsquellen versagen.«

»Oho!« sagte Jan.

»Ich denke dabei an Lena,« fuhr Schnurr unbeirrt fort und hob feierlich den Tschibuk, den er glücklich aus dem Debakel gerettet hatte. »Erhoben sei Allah, der ihre Gestalt geformt hat wie deine Gestalt, und die Farbe ihrer Haut wie die Farbe deiner Haut, und ihre Wange wie deine Wange. Ihre Augen sind wie Monde und ihre Zierden wie Granatäpfel, die nebeneinander stehen; ihre Brauen sind mit Kohle gezeichnet, und ihre Hände und Füße mit Henna gerötet, ihre Lippen schmecken wie Kümmelragout und Pistaziennüsse, aber trotz dieser Vorzüge – unter den obwaltenden Umständen kann ich diese jungfräuliche Perle nicht gewinnen und bin gezwungen, den Riegel vor unsere Brautschaft zu schieben.«

Jan glaubte, ein Trumscheit auf seinem Schädel zu spüren.

»Mensch!« schrie er auf, »bleibe mir mit deinem türkischen Unsinn vom Leibe!«

Schnurr zuckte die Achseln.

»Beherrscher der Gläubigen, leider grinsen mir deine eigenen Worte in ihrer ganzen Nacktheit entgegen. Fußend darauf, was ich im ›Dicken Tommes‹ zu hören bekam, ist für mich eine zweispännige Gemeinschaft ein Unding geworden, muß ich auf Lena verzichten, können sich ihre Interessen mit den meinen nicht paaren, fühle ich mich außer stande, den geplanten und bereits im Entstehen begriffenen ›Glücklichen Diwan von Bagdad‹ würdig zu führen, denn die Gelder der Witwe verflüchtigen sich mir wie eine Fata Morgana, und ohne dieselben . . .«

»Ist es bloß deshalb?« fragte Jan verworren aus seinem Rotspondusel heraus.

»Ja, nur deshalb, armer Kalif.«

Jan atmete auf.

»Dann komm'! und sehen sollst du, wie ich noch Monetens besitze und die Wassermühlen zu melken gedenke.«

»Ich höre und gehorche!« und selbander zogen die beiden unter den goldenen Bienenschwärmen dahin, wortlos und insichgekehrt, bis sie die Straße ›Achter de Mur‹ erreichten und vor dem ockerfarbigen Häuschen Halt machten.

»Einen Momang,« sagte der Alte. »Hier bleiben. Ich komme gleich retour.«

Schnurr nickte verloren und ungläubig vor sich hin, während Jan die Tür aufklinkte, Licht machte und dem Herdfeuer zuschritt . . . aber keine zwei Minuten vergingen, da klatterte eine Portion irdenes Geschirr und eine allmächtige, porzellanene Kaffeekanne dem Harrenden direkt vor die Füße.

Fünf Tassen und etliche Teller nahmen denselben Weg. Die Scherben rasselten auseinander wie aufgestöberte Spatzen in einer Erbsenrabatte, und bevor sich der Streichriemen noch von seinem panischen Schrecken zu erholen vermochte, stand der Attentäter bereits im Türrahmen, barhaupt, und mit erhabener Grandezza die schöne, weitbauchige Suppenterrine schwingend, die dem kürzlichen Verlobungsfest erst die eigentliche Weihe und Würze gegeben hatte.

Schnurr glaubte eine Erscheinung zu haben, aber sie bekam Leben und Odem und donnerte über die Opferschale fort: »Glaubst du, armseliger Tropf, ich ließe mich durch den infamen Kalviner und die anderen Solopotentaten beirren? Glaubst du, ich würde mein piekfeines porzellanenes Inventar zertöppern, ohne daß ich wüßte, daß mir neues in die Anrichte hineinwüchse? Glaubst du, ich könnte auf meine verbrieften Rechte verzichten, und sie, was die Frau ist, käme mir von der Angel herunter? Kreuzkuckuck und kein Ende! – die Gelder sind mir und der Lena so sicher wie dem Bocken-Wilm sein Sprunggeld . . . und zum Zeichen dessen . . .«

Schnurr wollte zuspringen, um weiteres Malör zu verhüten und der Beteuerungswut seines Schwiegervaters eine Grenze zu setzen.

»Das möge Allah verhüten. Ich glaube, ich glaube und nehme alles zurück!«

Es war zu spät.

Die schöne Suppenterrine, das Prunkstück des Hauses, tat einen gellenden Wehschrei und zerschellte am Boden.

»Schnurr, du sollst dich was schämen!«

»Ich tu's schon,« sagte der Zerknirschte und war im Begriff, mit gebreiteten Armen auf den Porzellantyrannen zuzusegeln, als eine Vision ihn zurückhielt, denn nur mit Hemd und Unterrock bekleidet, mit blanken Waden und gelöstem Haar, fast so, wie sie aus den Federn gesprungen war, stand Lena unter Gottes glitzerndem Himmelreich, rang die nackten Arme und sah verstört auf die beiden.

»Was los, was los?!« schrie sie auf. »Seid ihr denn alle zwei beide des Satans?!«

Als sie aber die Wüstenei gewahrte, die ihr leiblicher Vater angerichtet hatte, mußte sie sich an einen Türpfosten halten, um nicht niederzubrechen.

»Fünf Tassen, 'ne Kaffeekanne und die opulente Suppenterrine . . .!« und wieder hoben sich die bloßen Arme gen Himmel. »Jesus, Maria und Joseph . . .!« indessen jedoch, als ihr schwergeprüfter Erzeuger ihr alles erklärte, als er ihr mitteilte, was er im ›Dicken Tommes‹ Trübes erduldet und wie ihr Verlobter unter dem Standbild des Reitergenerals Friedrich Wilhelm von Seydlitz die zweispännige Gemeinschaft aufgeben und ein harmonisches Verhältnis zwischen den weiblichen und männlichen Interessen nicht mehr wahr haben wollte, als er ihr dartat, aus welchem Grunde er, Jan van den Birgel, sich gezwungen sah, wie ein wildgewordener Esel in dem Urväterhausrat, in porzellanenen Tellern, Terrinen und Assietten zu wüten, und das alles nur, um diesen Zweifler und ungläubigen Thomas eines Besseren zu belehren – da kam eine elegische Stimmung über die heimgesuchte Jungfrau in Hemd und Unterrock, ein Trauern und Weinen und eine stille Ergebung.

Ihre Augen hatten nur einen einzigen Blick, und dieser Blick war auf den Zerknirschten gerichtet. Und ihre Lippen fanden nur ein einziges Wort, und dieses Wort lautete: »Schnurr!«

Und diesem Wort folgte ein rührendes Stammeln in der Sommernacht: »O Wunderlampe, o du ›Sesam, öffne dich‹, o du Mond in der Vollheit, kannst du vergeben?!« – folgte ein Sichgrämen und Schluchzen, dem sich Lena nicht mehr zu verschließen vermochte. Mit schwimmenden Augen und wogender Brust trat sie näher und legte ihm die nur von einem dünnen Hemde behüteten Granatäpfel an die glückliche Weste.

»Allah erhalte dich mir!« seufzte der Inhaber des ›Diwans von Bagdad‹, und sacht über ihr duftiges Haar gleitend, durch ihre Nähe berückt und angeregt, begann er zu sprechen:

»Abu Bilal, der Scheik, gab mir das Wort zu lernen,
Das seine Scheiks ihm einst gegeben hatten:
Die Liebessehnsucht heilt nicht Kuß noch Druck;
Dem Liebenden hilft eines nur: sich gatten.«

»Ach, Schnurr, Schnurr!« flüsterte Lena, und Jan, hingerissen von diesem ergreifenden Sichwiederfinden, gelobte mit gestreckten Fingern, dem Kalviner und der ganzen ›Dicken Tommes‹-Gesellschaft zum Tort, die ausstehenden Gelder unter tunlichster Beschleunigung mobil machen und eintreiben zu wollen, in Bausch und Bogen, wie er sagte, unbarmherzig und mit äußerster Strenge . . . und während dieses Gelöbnisses löste sich ein einzelner Stern aus den goldenen Bienenschwärmen und funkte als Drohne durch die geweihte Nacht voller Wunder und Seligkeiten.

* * *

Anderen Tages befand sich Jan schon beizeiten auf dem Weg zu seinem Opfer, zugeknöpft wie ein Gewaltiger und mit dem Schritt eines Vollstreckers am Leibe, der bereits den Henker, mit Strick und Rutenbündel ausgerüstet, hinter sich führte. Zuversichtlich stieß er den weißgeschälten Dorn auf den Boden. Aber wie erstaunte er! Die noch gestern weitgeöffneten Läden des Herrenhauses hatten sich wieder geschlossen.

Er wagte nicht vorzusprechen, denn Kosman Kraneboom stand in der Einfahrt, unnahbar und abweisend wie der Türhüter eines verwunschenen Schlosses, und da blieb ihm nichts anders übrig, als Kehrt zu machen und seine Vollstreckungsgelüste auf eine geeignetere Zeit zu verlegen.

Auch die nächsten Tage brachten keine Veränderung. Es blieb alles beim alten, und als der Erntemond sich so langsam in den September hineintrödelte, Kosman aber noch immer wie eine Dogge auf Posten stand und die Fenster nicht aufhellen wollten, da bekam's Jan mit der Wut, lärmte mit seinem Dorn gegen den Tisch und verwünschte die Abwesende in die siebente Hölle.

»Wo sie nur steckt, das infamige Weibsbild?« sagte er wirbelsinnig und goß sich einen ›Ollen Klaren‹ hinter die Binde.

»Wo denn sonst als auf dem Aukamp,« erwiderte Lena. »Da schlemmt und schlampampt sie, vertut unser Eigen und hält uns alle zum Narren. Schnurr hat die ganze Warterei schon über, und meine Liebesgefühle bekommen die Mauke. Aber wenn du selber ein Kerl wärst . . .«

»Bin ich!« prahlte er los und pfefferte seinen Stock nach Jette, die sich ein heimliches Vergnügen daraus machte, aus einer aufgestellten Schüssel mit Sahne zu schlecken. »Zackerzucker noch eins! morgen will ich ins Geldrische machen, und wenn ich's tu' . . . Aber ich bitte mir aus: den Mokka um achte,« und damit markierte er den um neun fälligen Postwagen, indem er die gerollte Hand vor den Mund schob und lauthals hineintrompetete:

»Ach, du mein lieber Kurt,
Muß ich schon wieder furt
Auf die Chaussee,
Auf – die – Chaus – see!«

um anderen Tages, beim Schwager auf dem Bock sitzend, durch die niederrheinische Landschaft zu kariolen. Er hatte Fahrgelegenheit bis Weeze. Von hier aus mußte er sich auf sein Schuhwerk verlassen und konnte bei tapferem Ausgreifen nach anderthalbstündigem Marsch das Ziel seiner Reise gewinnen. Das versuchte er auch mit bestem Gelingen. Wie auf gesalbten Wagenrädern rollte er den Weg unter sich auf und folgte der trüge dahinschleichenden Niers, bis er zu einer Kneipe kam, die zwischen Geldern und Kevelaer lag und allen Bedrängten und Mühseligen, die zu der berühmten Gnadenstadt zogen, Gelegenheit bot, Rast zu machen und die durstigen Transtiefel durch einen Boonekamp of Magenbitter wieder aufzumuntern. Neben Marienbaum war Kevelaer der gefeiertste Wallfahrtsort und das Wirtshaus ›Zur ewigen Anbetung‹ die gesuchteste Quelle.

Jetzt war stille Zeit, die schnurgerade Straße menschenleer, und nur mit seinem Geraschel glitten die überständigen Blätter in der bereits herbstlichen, aber noch warmen Sonne von den Chausseebäumen herunter.

Jan machte Halt. Er war der Stärkung bedürftig. Neben der Haustür, an einem kleinen, runden Tisch saß der Hausherr, Aloys Boßmann, würdig und insichgekehrt, schwarz gekleidet, hager wie eine Hopfenstange, mit ausgemergeltem Gesicht und roter Nasenspitze, blankgescheuerten Holzschuhen an den Füßen und von dem Bewußtsein getragen, sich durch seine Vermittlung zwischen den wegmüden Pilgern und dem Gnadenort schon jetzt einen goldenen Thronsessel im himmlischen Jerusalem verdient zu haben. Er fühlte sich denn auch wie ein heiliger und omnipotenter Mann auf dem Nachtstuhl, aber mit einem Weihrauchfaß in der Hand, mit dem er sich selber bewölkte. Die Linke ruhte auf einem gediegenen Rosenkranz aus Pockholzkügelchen, während er von Zeit zu Zeit an einem Glas mit kaltem Zitronengrog nippte und dabei vor sich hinmurmelte, als hätte er ein Gebet auf den Lippen.

Jan setzte sich zu ihm, bestellte bei der herzugeeilten Mamsell ein ähnliches Getränk und sagte: »Na, Aloys, noch immer beiwege?«

»Ich danke, Mynheer, man muß zufrieden sein, obgleich das Geschäft flotter sein könnte. Aber die preußischen Zustände und die preußischen Schandarme! Die sind schlimmer als der feuerspeiende Berg Veesu und überschütten alles mit ihrer grünlichen Asche. Die Sittenlosigkeit wird immer größer auf Erden. Die Prozessionen werden weniger. Keine Gläubigkeit mehr, keine richtige Andacht, und wenn ich meinen Betrieb überschlage . . . in dieser Saison habe ich fünfhundertneunundneunzig Quart minus verzapft gegen die früheren Jahre. Das gibt zu denken, mein lieber Jan van den Birgel.«

Mit einem schweren Seufzer stärkte sich der biedere Gentleman durch einen herzhaften Schluck und ließ gottergeben die schweren Augendeckel herunter.

»Ja,« fuhr er salbungsvoll fort, »wenn Simonis noch lebte! Aber seit dieser das Zeitliche gesegnet, will's so recht nicht mehr flecken, überhaupt nicht mehr flecken . . . und wie oft sprach er in der ›Ewigen Anbetung‹ vor, so ganz honett und ohne alles Getue, und hat mit Lena sich ein Fläschchen Champagner geleistet! Hier auf dieser Stelle, so ums Schummern herum – und immer vom Besten. Fünf Taler die Bouteille. Und wie fromm war der Mensch! Keine Äußerlichkeit, kein langes Gerede, aber inneres, tiefes Erfassen, und zwei- bis dreimal im Jahre schwitzte er sich nach Kevelaer hin, um mit seinem Herrgott zu sprechen. Wo sind noch solche Menschen zu finden ? Und so was muß sterben! O Gott, o Gott!« und wieder führte er den kalten Zitronengrog an die Lippen.

»Im übrigen, Jan, was macht denn die Lena?«

»Danke der Nachfrage. Es geht ja, obgleich sie sich noch in gewissen Trauerumständen befindet. Nichtsdestoweniger – sie will sich verändern, das kann sie auch machen, ohne dabei ihrem Früheren untreu zu werden. Das ewige Alleinsein ist ihr auf die Nerven gefallen. Rassiges Blut läßt sich nicht totschlagen, und so ist sie denn auf den Einfall gekommen . . .«

»I der tausend noch mal! und wer ist der Glückliche?«

Jan schnippte mit Daumen und Mittelfinger und schnalzte dabei mit der Zunge.

»Schnurr Schnapp von der Waterkant, mein lieber Herr Boßmann.«

»Großartiger Musjö!« bestätigte die ›Ewige Anbetung‹, indem sie ihr Glas gegen das des Brautvaters tinkte. »Nur etwas weltlich veranlagt, so zu sagen ein bißchen türkisch belastet. Aber das gibt sich, das gibt sich, wenn ich auch meine: die kleine Liebschaft mit Simonis ist sittenstrenger und reiner gewesen. So 'ne Art von Seelenverbrüderung, mit neckischen Spielen dazwischen. Man darf gar nicht dran denken. Sie und Simonis! Herrgott, waren das zwei Edelspaliere! Und amüsieren taten sie sich, und trinken konnten die beiden . . .! Zwei Bouteillen ›Pitsch‹, ohne die Binsen zu wechseln, und oft alleine für sich, im hinteren Stübchen. Und wie blühte der Aukamp! Aber seit der männliche Part sich im Himmel befindet und der eheliche Rückstand das Erbteil verwirtschaftet, geht alles seinen dreckigen Mistfinkenweg.«

»Wieso?« fragte der Alte.

»Mynheer,« versetzte Herr Boßmann mit bedenklichem Räuspern, »es ist mal so, wie ich sagte. Das Fraumensch kann sich mit Lena nicht messen. Sie hat die Spendierwut, und was ihr noch vom Aukamp an Äckern, Wiesen und sonstigen Liegenschaften übrig blieb, hat sie in großartiger Weise an die mißratene Schwester des Abgestorbenen verschummelt.«

»Nanu!« polterte Jan auf.

»Leider!« konstatierte der schwarzgekleidete Herr, zog ein blaubedrucktes Schnupftuch aus der Tasche und betupfte sich mit einer herben Litanei von Seufzern die Stirne, steckte es wieder zu sich und orakelte über den kalten Zitronengrog fort: »Aber was das Dümmste ist: sie ruiniert sich bei lebendigem Leibe und mit kindlicher Unvorsichtigkeit. Daß es die Menschenmöglichkeit ist! Läßt sie da ins ›Geldrische Kreisblättchen‹ einrücken: Wer noch Forderungen an meinen verstorbenen Mann hat, sei es privater oder geschäftlicher Art, möge sich rechtzeitig melden. So'n Blödsinn! Wer tut so was heutigen Tages? und jetzt kommen die gierigen Hammel gelaufen und grasen ihr den letzten Halm von der Koppel herunter.«

»Herr Jeses!« rief Jan, »und ich habe noch 'nen schönen Posten zu kriegen.«

»In bar oder sonstwie?«

»In bar und auf Lebenszeit für mich und die Lena.«

»Dann aber man schleunigst. Sonst verschimmelt die Sache – und heute ist Zahltag. Wer zuletzt kommt, kann sich einpökeln lassen. Wie ich höre, verläßt sie morgen den Aukamp und macht ins Klev'sche retour.«

»Gotts den Donner noch mal!« wetterte Jan, »so'n ›schrager Hond‹ von Frauenzimmer!«

Wie ein Gerichtsvollzieher war er auf die Beine gefahren.

»Und wenn ich Euch einen Rat geben kann: setzt Euch nicht aufs Maulwerk, sondern schreit wie'n Advokat oder wie der Küster vor der Gnadenkapelle.«

»Wird gemacht, und damit adjüskens, Herr Boßmann!«

»Gute Verrichtung, Mynheer!« und der Gentleman und Besitzer der Kneipe ›Zur ewigen Anbetung‹ machte das Zeichen des heiligen Kreuzes und sagte: »Gelobt sei die allerseligste Jungfrau Maria!«

»In alle Ewigkeit, Amen!« echote Jan, stieß den geschälten Dorn auf und nahm den Rest des noch zurückzulegenden Weges unter die Füße, während Herr Boßmann sich einen neuen Zitronengrog bestellte und darüber nachdachte, wie es möglich zu machen sei, dem lauen Christentum aufzuhelfen, dem verflixten Preußentum ein Schnippchen zu schlagen und den heimgesuchten Pilgerfahrten wieder eine fröhliche und klingende Note zu geben.

»Es ist ja 'ne Affenschande: fünfhundertundneunundneunzig Quart weniger als in den sonstigen Jahren! Das ruiniert ja den Menschen. Aber im Hinblick auf Simonis und Lena, wollen wir hoffen,« und die Zukunft mit freudigen Bildern belebend, sah er Jan van den Birgel nach, der immer kleiner und vermickerter wurde und schließlich in dem herbstlichen Gold der fallenden Blätter verschwebte. –

Drüben lag der Aukamp in einem Kranz von geschorenen Wiesen. Violette Teppiche schoben sich ein. Die Herbstzeitlose blühte und hatte unter dem wolkenlosen Himmel ihr gütigstes Lächeln. So lieblich wie in diesem Jahr hatte sie noch niemals geleuchtet. Es war so, als wäre der Abglanz von rosigen Abendwölkchen auf die Erde gefallen. Das feierte und schmückte sich wie eine liebliche Flur im Paradiese, und dennoch war alles nur eitel Schein und trügerisches Wesen, das die Sinne umschleierte. Ja, die Zeitlose blühte, zeigte sich in heiliger Unschuld; aber ihr giftiger Odem kräuselte auf, und ihre violetten Streifen legten sich um das stattliche Gehöft wie schleichende Bringerinnen der Verwesung.

Und ihr Beschwörer war Jan van den Birgel.

Auf dem Aukamp gingen die Leute ab und zu, solche aus der Nachbarschaft und andere, die weiter im Geldrischen wohnten, meistens Handwerker, Tagelöhner und kleine Besitzer, die ihren eigenen Kohl bauten und mit dem verstorbenen Herrn des Hofes in geschäftlicher Beziehung gestanden hatten. Sie betraten den Flur, um bald darauf wieder das Haus zu verlassen. Knechte und Mägde, die eben erst Gabel und Messer beiseite gelegt hatten, ergingen sich zwischen den Ställen, sahen nach den Raufen oder suchten den einsamen Bungert auf, wo die Goldparmänen so verschwenderisch an den Bäumen hingen wie die Zauberäpfel im Garten der Hesperiden.

Irgendwoher erklang der Ton einer Mundharmonika. Eine Amsel tackte im Busch, und ein gravitätischer Schruthahn kollerte dann und wann durch die verlorene Weltvergessenheit. Ein großer, zottiger Hund trottete über den Hof, revierte von Scheune zu Scheune und belferte schließlich einer gemauerten Torfahrt zu, von wo aus die breite Heerstraße verfolgt werden konnte, die vom Niederrhein über Geldern und Krefeld ins Kölnische führte.

Hier schlug er an.

In einem zur ebenen Erde des Herrenhauses gelegenen Zimmer stand Franziska Simonis, neben einer ausgezogenen Tafel, die mit allerlei Papieren, quittierten Rechnungen, Aktenbündeln und Wirtschaftsbüchern belegt war. Dazwischen befanden sich Gold- und Silbermünzen, Kassenscheine und zu niedrigen Röllchen aufgeschichtete Talerstücke. Mit dem Kommen und Gehen der Gläubiger schrumpften die Geldsorten allmählich zusammen und zogen, in grünen Beuteln oder Leinewandkitteln sorglich geborgen, ihre vorgeschriebenen Wege. Die letzten zweihundert Taler kamen an die Reihe.

Ein kleiner Scharwerker aus der Niederung, ein verhutzelter Mann, dem die schweren Lider wie Strohdächer über die Augen fielen, sackte sie ein.

»Merci, Madam!« sagte er mit wehem Kopfschütteln. »Um die wollte mich Simonis betuppen, als er meine einzige Tochter unehrlich machte. Sie gingen drauf zur Wochenpflege, Apotheke und Beerdigungskosten. Aber jetzt sehe ich ein: es gibt noch brave Menschen auf Erden,« und mit einem leise hingeworfenen: »Ich danke auch vielmals,« verließ er die Stube.

Franziska Simonis war allein. In bitterer Erregung verfolgte sie das gebrechliche Männchen, das um der Laune eines Wüstlings und Elenden willen sein Bestes hatte hergeben müssen.

Ein junges Menschenleben einfach niedergesenst . . .

Daran war nichts mehr zu ändern.

Dieser Verwüster!

Die traurigen Erinnerungen der verflossenen Jahre hingen wie Spinnweben von der Decke herunter; ihre Gedanken irrten durch das Schattenreich des Gewesenen, und doch atmete sie auf, aus tiefer Brust, wie aus einem bangen und schrecklichen Träumen heraus, das sich langsam verflüchtigte. Die Abgründe des Totenberges lagen hinter ihr. Nur noch wenige Stunden, und sie konnte die Stätte verlassen, wo sie viel des Widerwärtigen und des Grauens verlebt hatte. Und dieses Grauen . . . es ging durch die Kammern des weiten Hauses, es haftete an jeder Diele, an jedem Türpfosten, es klebte an den Tapeten und Bildern und irrte durch die langen Korridore mit dem scheußlichen Lachen eines verzweifelten Menschen, der an den Stäben des ernsten Gebäudes rüttelte, hinter denen die Übersinnigen wohnten, und was das Entsetzlichste war: es geisterte aus den Blicken des Alten, der sie soeben verlassen hatte. Aber nur noch wenige Stunden . . . und sie befand sich wieder in ihrer Heimat. Mit dem heutigen Tage hatte sie alles erledigt, was sie noch auf dem Aukamp zurückgehalten hatte. Nichts von dem verhaßten Gut klebte mehr an ihren Fingern. Eine reine Bahn lag vor ihr und hinter ihr die Spur, die sich im Geröll des Trostlosen verzehrte. Sie hoffte auf Vergessen, auf Zufriedenheit – auf die Zufriedenheit der Seele, und sie ahnte es nicht, daß einer den Hof betreten hatte, der gekommen war, diesen Wunsch zu zerstören.

Der zottige Hund, der noch kurz zuvor die Einfahrt bewacht hatte, knurrte und geiferte jetzt dicht in der Nähe.

Plötzlich schlug er ein wildes Geheul an.

»Kusch dich!« klang es von draußen her.

Die junge Herrin trat ans Fenster, um zu sehen, was es gäbe.

Zwei Minuten vergingen. Da klopfte es hinter ihr hart auf die Dielen.

»Madam, es ist nur deswegen, daß ich mich melde.«

»Jan van den Birgel . . .?!«

»Aufzuwarten – jawoll.«

»Und das hier auf dem Aukamp?«

Der Alte warf seine Mütze auf den Tisch und legte seinen geschälten Weißdorn daneben.

»Ich hörte: heute ist Zahltag, und irgendwo steht, daß alle vorsprechen könnten, die noch eine Forderung haben.«

»Das bezieht sich auf die Gläubiger meines verstorbenen Mannes.«

»Ganz richtig; ich zähle zu ihnen. Aber ich gehe noch weiter und möchte zwei Fliegen mit ein und derselben Klappe vermöbeln. Zwei Fliegen, Madam: Simonis und Malthus; denn wie ich früher schon sagte: sie sind mir beide solidarisch verpflichtet, und da Ihr als Frau, beziehungsweise als Tochter der Erblasser . . .«

Sie wehrte ab.

»Das habt Ihr mir schon einmal erzählt,« meinte sie mit erkünsteltem Gleichmut, »und ich bin nicht willens, mir Unverständliches doppelt und dreifach erzählen zu lassen. Außerdem erinnere ich mich, daß Ihr erst um Martini vorsprechen wolltet.«

»Das war die Absicht. Aber ich kann bis Martini nicht warten.«

»Dann wendet Euch, bitte, an meinen Anwalt in Kleve.«

Jan schüttelte den Kopf.

»Abgelehnt. Ich kann solche Kerle nicht leiden. Die sind wie die Ziegen und knabbern einem Bast und Borke herunter. So was regelt sich besser unter verständigen Leuten allein, und ich denke, wir sind groß und verständig genug, uns gegenseitig keine Molesten zu machen. Mir brennt's auf den Nägeln. Meine Tochter will freien, und Schnurr Schnapp von der Waterkant kann seinen ›Glücklichen Diwan‹ nicht einbalsamieren. Die Leutchen wollen ihre Betätigung haben, und das geht nur, wenn sie imstande sind, die ihnen zustehenden Monetens einzukassieren . . . und ich als Vater habe mich hierzu gemolden.«

Zur Bekräftigung seiner Worte schlug er mit der Hand auf den Tisch.

»Also Butter bei die Fisch. Meinetwegen auch Mostrichsauce. Heute ist Zahltag. Alle gingen befriedigt nach Hause. Das kann ich dito in gleicher Weise verlangen. Sonst Zwangsvollstreckung – und da ich sehe, daß hier auf dem Aukamp schon vieles lange Beine gemacht hat, so möchte ich auf 'nen wichtigen Paragraphen verweisen, wie er festgelegt ist von Gerichtswegen und dartut: Wer in der Absicht, die Befriedigung des Gläubigers in den Schornstein zu schreiben, Bestandteile seines Vermögens veräußert oder beiseite schafft, wird ohne weiteres eingestochen und bekommt zwei Jahre Kittchen.«

Sie lachte kurz und trocken auf.

»Das geht auf eine Drohung hinaus.«

»Keine Veranlassung. Ich bin's gewohnt, mit schlapper Leine zu fahren. Erst wenn die Karre bis an der Achse im Dreck sitzt und alle Stränge reißen, wird Vorspann genommen. So weit sind wir noch nicht, und wenn ich mir alles so recht überschlage, können wir auch gar keinen Vorspann gebrauchen, haben solchen nicht nötig; denn warum Umstände machen und uns 'ne private Angelegenheit durch Advokaten und 'ne ähnliche Sorte von Schreibern verrungenieren zu lassen? Gibt's nicht, Madam! Unter honetten Leuten ist so was nicht Mode. Die legen ruhige Pferde vor und keine Sternkucker und bockigen Gäule. Die fahren in 'ner Glaskutsche und nicht in 'nem Rumpelkasten von Wagen. Immer sacht und gemütlich. Aber geht das nicht anders« – und seine Stimme schrumpfte ein wie eine Hutzelbirne – »wollen die Biester nicht anziehen, klebt die Gesellschaft und haut nach dem Ortscheit – dann allerdings, dann muß die Kandare heran und dann: Jü mit die infamigen Kribbensetzer! Aber Spaß beiseite, Madam. Ich sitz' nicht auf meinem Schein wie der Bocken-Wilm auf seiner Körungsbestallung. Ich will 'nen runden Vergleich. Lena möchte in die ehelichen Posen hinein, und Schnurr kann nicht warten, und daher: ich rechne auf Euer Mitgefühl und Euer Erbarmen . . . und nur im äußersten Notfall . . . dann aber feste. Aber ich hoffe . . .«

Die gequälte Frau zuckte auf. Ihre Stimme erhob sich.

»Also darauf rechnet Ihr, Jan van den Birgel? Auf Erbarmen und Mitleid? Worauf noch mehr? Ihr seid nicht bescheiden, Jan van den Birgel. Wie kommt Ihr dazu? Ihr tätet besser daran, auf meine Verachtung zu rechnen, denn die besitzt Ihr im reichlichsten Maße.«

Der Ekel schüttelte sie. Sie wandte sich ab, um den Peiniger nicht mehr vor Augen zu haben.

Jan strammte den Daumen auf den Tisch.

Auf seinen Lippen stand ein gelblicher Speichel.

»So, so, so!« griemelte er mit seiner innersten Ruhe. »Das wäre also die Meinung!« Dann bäumte er hoch. »Himmelverdammich! Herrgott und kein seliges Ende! Das muß einer Euch lassen: Ihr habt Kurasch in den Knochen. Aber Kurasch gegen Kurasch. Die Gäule sind bockig . . . sie wollen nicht weiter . . . her mit die Peitsche! und schweppen will ich, daß man's hören soll zwischen dem Aukamp und Kleve. Knallen, knallen . . .

Sie warf sich herum.

»Was wollt Ihr, Jan van den Birgel?«

Ihr Antlitz war wie das des Herrn auf dem ›Kalten Stein‹ geworden.

»Mir die Scheuklappen vom Maul reißen – das will ich. Den Esel zu spielen und die Grasnarben von alten Geschichten zu fressen, soll mir ein auserwähltes Pläsier sein. Madam, ich will Euch 'ne feine Sache erzählen. Dran sollt Ihr verrecken.«

Mit einem Ruck stand die bleierne Faust in der Luft.

»Ihr denkt wohl, Euer Vater sei ein ehrlicher Mannskerl gewesen, einer von den aufrechten und frommen im Lande? Ich will Kuhfladen mangieren, wenn nur ein Titelchen dran ist. Ein Lump war's, einer von den großen und ausgetragenen!«

»Mensch, Sie . . .

»Aussprechen lassen . . . nebenher Brandstifter, Feuerkokler und Versicherungsbescheißer. Aber was die Hauptsache ist: er griff in die Kasse . . . in die Deichschöffenkasse . . . er hat lange Finger gemacht . . . zehntausend preußische Taler blieben dran kleben, und wären wir nicht gewesen: ich und Simonis, hätten wir kein Einsehen gehabt, und wären wir nicht in Hammels verwandelt, in gutmütige Hammels – drüben auf dem kleinen Kirchhof läge ein Hundsfott begraben!«

Es war ihr, als wäre die Nacht über den Aukamp gefallen. Sie sah noch: die entsetzliche Faust sank herunter.

»Also besinnt Euch! Macht keine Umstände! Ich hab' keine Zeit mehr. Überschlagt Euern Vorteil! Laßt mich nicht warten! Es bringt uns nicht weiter. Entweder Ihr erkennt die Unterschrift an und bezahlt, oder das Gericht hat zu sprechen, und Christian Franz Malthus liegt als Verbrecher im Grabe.«

Kein Wort mehr, keine Silbe. Es war so still wie zwischen den Grüften . . . und die unselige Frau stand in diesem Schweigen wie eine, der gesagt wird: »Bereite dich vor; morgen kommen die Jungfern, die berufen sind, dich wie eine schöne Leiche zu schmücken.« Ihre Lider fielen herunter; die Augen verlängerten sich. Aber die Schwäche ließ von ihr. Das Herz, das ausgesetzt hatte, begann wieder zu schlagen. Ihr geschmeidiger Körper streckte sich gleich dem einer Königin.

»Jan van den Birgel,« sagte sie so ruhig und sicher wie in ihren glücklichen Tagen, »ich hörte Euch sprechen und hörte, wie aus Euren Worten der Satan herauswuchs.«

Sie suchte nach Atem.

Draußen war ein Trotten und Traben.

Der große zottige Hund drang ins Zimmer und stellte sich mit fließenden Lefzen seiner Herrin zur Seite.

»Jan van den Birgel, wäret Ihr in Frieden gekommen, ohne zu drohen, ohne mir das Messer auf die Brust zu setzen und ohne den Heuchler und Schädling zu spielen, vielleicht wäre ich willens gewesen, Eure Not zu beheben. Unter diesen Umständen aber: keinen Heller und Pfennig, und müßte ich nicht fürchten, meine Finger zu verpesten – hier diese Hand säße Euch zwischen Schläfe und Stirne.«

»Fraumensch, infames . . .

Der Hund knurrte und fletschte die Zähne. Dann rückte er vor, den Geifer unter sich lassend.

Jan griff nach Stock und Mütze.

»Wir werden ja sehen,« sagte er kleinlaut, »wir werden ja sehen.«

»Tut, was Ihr wollt! Ich habe noch keinen gehalten – geschweige denn Erpresser wie Ihr und Simonis. Ich bin, die ich bin. Geht nur und predigt es aus: Christian Franz Malthus wurde zum Lumpen und ließ sich von den Schaufelrädern erwürgen. Tut's nur, sprecht ihm Ehre und Seligkeit ab – ihr beiden bleibt doch seine Mörder. Ich aber – ich für meine Person: an sein Grab will ich treten, und seinen Geist rufe ich auf und gehe mit ihm durchs Klevische und bis weit ins Geldrische hinein . . . und schreie den Menschen zu: Seine Ehre ist meine Ehre, und seine Unehre ist meine Unehre! Vater und Tochter – wir beiden sind eins. Vereinigt im Leben, vereinigt im Tode – so will ich es halten. Das ist mein Evangelium und Glaubensbekenntnis. In ihm lebe ich, in ihm sterbe ich, in ihm hoffe ich dereinstens selig zu werden.«

Sie streckte die Hand aus.

»Ihr versteht mich doch, Jan van den Birgel?« und sie wandte sich an den Neufundländer und sagte: »Leo, wir beiden wollen allein sein.«

Da kreiste das Tier um den Eindringling, mit gestrecktem Wedel und die Nase am Boden. Es knurrte und belferte nicht, aber der Alte fühlte sich dennoch veranlaßt, so schnell wie möglich vom Aukamp zu kommen.

»Hier bleiben, Leo!«

Franziska Simonis stand wie eine eherne Säule. Kein Bangen war in ihr, kein schwächlicher Kleinmut. Die Hohheit des Weibes ruhte auf ihrer reinen Stirne, und ihre Lippen flüsterten: »Seine Ehre ist meine Ehre, und seine Unehre ist meine Unehre. Wir beiden sind eins. Und was ich meine: der Herr wird es wissen. Amen.«

Sie riß den Kopf herum und sah über den Hof fort.

»Der Herbst will kommen,« sagte sie gefaßt vor sich hin.

Rot- und goldiggesprenkelte Blätter sanken von den Bäumen herunter und wurden von einem sanften Lufthauch weiter getragen. Dabei raschelte es durch die farbigen Äste: »Blühen und Gedeihen, Welken und Sterben! Und kein Auferstehen? Ja, auch ein Auferstehen!« und sie hörte auf das Fallen und Raunen wie auf eine große Verheißung. Ihre Blicke leuchteten auf, ihre Arme hoben sich. Da war es, als wären Nähe und Weite entsühnt, als zöge ein böser Geist von dem Aukamp herunter.

* * *


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