Joseph von Lauff
Sinter Klaas
Joseph von Lauff

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

14

Die Tage vergingen.

Franziska Simonis befand sich längst auf dem Aukamp.

Im Geldrischen, umgeben von den dunkelblauen Wäldern von Winnekendonk und Sonsbeck, nicht weit von den grünen Ufern der Niers, dem ruhigen Wasser, das in gemächlicher und beschaulicher Weise der Maas zuströmt, verlebte sie ihre Zeit in emsiger Pflicht und verschwiegener Trauer. Das Leben hier hatte ihr nichts mehr zu bieten, hatte ihr überhaupt in den letzten Jahren nie etwas geboten. Fremd war ihr alles. Es kam ihr so vor, als wäre sie von Gott und den Menschen verlassen. Kein Sonnenstrahl erquickte sie, kein Gedeihen und Blühen stimmte sie heiter. Eine ungewisse, aber körperliche Angst vor dem bevorstehenden Kampf gab ihr das Gepräge der Schwermut – ein ewiges Ringen, das nicht aufhören wollte. Hof und Haus, Inventar und Liegenschaften des weitverzweigten Besitzes betrachtete sie nicht mehr als die ihrigen. Alles und jedes war ihr verhaßt. Überall wähnte sie den brutalen Geist und den Odem ihres verstorbenen Mannes zu spüren. Eine endlose Serie von unliebsamen Bildern und Vorstellungen zog an ihren Blicken vorüber, erneute sich stündlich und machte sie irr, als wäre sie mit sich selber zerfallen.

Und doch mußte sie bleiben und ausharren, obgleich sie sich heimwärts sehnte wie die Durstigen nach dem Quell der Erlösung. Jedes bedrückte sie hier, lastete auf ihr gleich giftigen Schwaden, und das Lachen der Knechte und Mägde mutete sie an wie der monotone Singsang von Bettelmönchen. Die Stille des Abends war ihr furchtbar, und sah der Morgen in ihre Fenster herein, kam er grau und fröstelnd gegangen, auch dann, wenn die munteren Stare ihre besten Noten verstreuten.

Ihr Rechtsbeistand kam häufig herüber. Mit ihm besprach sie das Wesentliche, die Übertragung des Hofes an die Schwester des Verstorbenen, ordnete und sichtete sie und gab ihm Vollmacht, das Erforderliche beim Nachlaßgericht in Kleve in die Wege zu leiten.

Darüber vergingen Tage, Wochen und Monde.

Die Schlehdornhecken hatten inzwischen ihre weißen Schleier abgelegt. Die Zentifolien entfalteten in den Gärten ihre ganze Feier und Pracht. So schön wie in diesem Jahre hatten sie selten geduftet. Die Natur schmückte sich wie eine feinsinnige Jungfrau, die ihren Geliebten erwartet. Eine glückgesättigte Luft zitterte zwischen Himmel und Erde, und in den weiten Schilfbeständen der Raveline und Altgräben sang die Rohrdrossel Tage und Nächte hindurch, als hätte sie vor, ihre Sehnsucht aller Welt zu verkünden – ein Lied über den Wassern.

Weiter ins Klevische hinein rauschten die Ähren wie Äolsharfen. Wolken von köstlichem Weihrauch zogen über die Landschaft. Alles sehnte sich nach Zuneigung und Erfüllung. Op gen Oort versank in einer Dünung von blühenden Roggen- und Weizenfeldern, und die Wiesen, die unter Gräsern und Blumen erstickten, gingen dem ersten Schnitt und der Heuet entgegen.

Die Tage waren voller Sonnenglanz und die Nächte voller Sternengefunkel.

Die Höfkenssche Mühle stand wie ein gewaltiger Zuckerhut auf dem saftigen Hügel, spielte mit ihren Windruten und bewegte mit leisem Säuseln die majestätischen Flügel. Auch Kosman war tätig. Als Statthalter des ihm beliehenen Gutes betreute er dieses mit seltener Gewissenhaftigkeit, war vom ersten Hahnenschrei bis zum Revieren der Fledermäuse auf dem Posten und scheute keine Mühe, das Interesse seiner Herrin zu fördern und ihren Wohlstand zu heben, »Kosman produziert blanke Speziestaler,« sagten die Leute, als die schwer beladenen Spriegelkarren ab- und zufuhren, immer neue Frachten durch die Mahltrichter rutschten und die sparrigen Schaufeln wie die Jochstiere ihre Tagesfron hinter sich brachten. Mit ihm und Cornelis Höfkens bestand rege Verbindung; sie trafen sich öfters und besprachen das Nötige bei einer brennenden Kalkpfeife, die sie nach des Tages Mühen und Lasten gemütlich in die laulichen Sommerabende hinausrauchten.

Zwischen Op gen Oort und der Kaplanei spannen sich traute Beziehungen. Immer inniger gestaltete sich das Verhältnis. Andreas Lobbers war eifrigst darauf bedacht, die dunkeln Wolken zu bannen und helle Farben in die umdüsterten Räume des nahen Hofes zu tragen. Er und Hans Harkort machten weite Spaziergänge, wanderten durch Fluren und Felder, schafften und sorgten und freuten sich des Gedeihens und Reifens, das ihnen aus allen Gemarkungen entgegenlachte. Sie sahen: der lebendige Gott ging durch die dampfenden Korngassen und lächelte und hob die Hand und segnete alles.

Auch die kleine Stadt war in Sonne getaucht.

Es war am zweiten Sonntag nach Trinitatis.

Die Leute gingen in Feierkleidern zur Kirche. Nach dem Hochamt versammelten sie sich unter der großen Linde, die einen Teil des Marktes beschattete, beredeten hier die zu erwartenden Heu- und Getreidepreise oder fielen im ›Dicken Tommes‹ ein, um bei einem Glase ›Burdo‹, wie sie sagten, den Schweiß der verflossenen Woche zu vergessen und sich des heiligen Sonntags zu freuen.

Dem ›Dicken Tommes‹ schräg gegenüber erhob sich dort, wo die Kesselstraße zum Markt einbog, ein helles Blitzen und Leuchten, dazu klimperte es wie von den Messingbecken in einer ihres Weges einherziehenden Janitscharenmusik. Und es waren auch zwei Becken, die, vom weichen Sommerwind in Bewegung gesetzt, dieses lustige Tönen vollführten.

Sie hingen an einem Galgen über einer niedrigen Tür, hinter der ein Bartkratzer wohnte, der an Sonn- und Werkeltagen hier seiner Kunst oblag, widerborstige Haare zurechtzustutzen und für ein Groschenhonorar mit Schaumpinsel und Schermesser männliche Antlitze zu verschönen.

Von Zeit zu Zeit erschien am geöffneten Fenster ein lebhafter Mann in den vierziger Jahren, dem vom Hinterkopf die schwarzseidene Troddel eines bordeaurroten Tarbusches bammelte, ein lebhafter Mann mit einem Entenschnabelgesicht und bekleidet mit einer weißen Jacke, der eiligst verschwand, um gleich darauf wieder zu erscheinen und jedesmal eine mit Stoppeln durchsetzte Seifenschaummasse ins Freie zu klatschen.

So ging das Minuten hindurch, und dabei wurden die Worte gesprochen: »Bei Allah! er sei erhöht und erhoben! Und Scheherezade bemerkte das Grauen des Tages und hielt inne in der verstatteten Rede. Aber ich sage: Sie ist schön wie der Mond, wenn er aufgeht, und wie die Gazelle, wenn sie werdet. Ihre Hinterbacken sind schwerer als zwei Hügel aus Sand und ihre Zähne wie Kamillenknospen,« und wieder kleckerte eine Portion Schaum auf die Straße.

»Salem aleikum!«

Achtet und tretet ein! Wir sind bei Schnurr Schnapp von der Waterkant, bei dem bedeutsamen und großen Schnurr Schnapp von der Waterkant, der es fertiggebracht hatte, sich durch eine Fuselwelle hindurch vom ehrsamen Schulmagister bis zur Würde eines Barbiers emporzuschwindeln, bei dem nunmehr in sich gegangenen Schnurr, der honett sein Gewerbe betrieb, sich nur dann und wann ein Gläschen mit gebranntem Wasser erlaubte und seine Mußestunden damit verbrachte, die Geschichten aus ›Tausend und einer Nacht‹ eifrigst zu lesen. Dieses Buch war ihm das Alpha und das Omega seines Lebens geworden. In ihm schaffte und wirkte er, schlief und träumte er, schwor er auf die Worte, die ein kundiger Thebaner dieser orientalischen Offenbarung mit auf den Weg gegeben hatte: »Es sind Märchen über Märchen, Abenteuer und Schwänke. Sie gehen bis ins Groteske hinein. Es sind Wechselreden, geflochten aus Rätseln und Parabeln, aus Gleichnissen, bis ins Ermüdende; aber in der Luft dieses Ganzen ist das Fratzenhafte nicht fratzenhaft, das Unzüchtige nicht gemein, das Breite nicht ermüdend; denn eine unvergleichliche, eine vollkommene, eine erhabene Sinnlichkeit hält alles zusammen. Es ist ein Irrgarten, aber ein Irrgarten der Lust und geeignet, ein Gefängnis zum kurzweiligen Aufenthalt zu machen. Ich weiß nicht, wo ähnliches zu finden wäre, außer dann und wann an den heitersten, naivsten, frechsten Stellen der Komödien des bezaubernden Lope de Vega. Es ist das Buch, das man immer wieder sollte völlig vergessen können, um es mit erneutem Behagen aufs frische zu lesen.«

Salem aleikum! so dachte auch Schnurr Schnapp von der Waterkant, schwang Rasierpinsel und Schermesser, schabte und kratzte und erbaute sich tagtäglich an den Novellen dieses unvergleichlichen Werkes. Es war ihm sein liebstes Brevier, sein Vademecum, seine Perle der Andacht. Er spielte damit, wie ein Junge mit seinem Kasperletheater spielt, er behütete es, wie ein kleines Mädchen seine Puppenstube behütet. Ganze Seiten, halbe Geschichten konnte er auswendig sagen, weisheitsvolle Sprüche daraus lagen ihm stets auf der Zunge. Der schrankenlosen Gegenständlichkeit der Erzählungen folgte er mit fliegendem Atem. Er tafelte in Königspalästen, verstreute Gold und Narden wie Leinsamen um sich und galoppierte mit dem greulichen Kurden, der die liebliche Summurud auf seinem haarigen Rücken entführte, durch die schaurige Sandwüste. Mit der Königin Scheherezade stand er auf du und du, plänkelte und koste mit ihr und erfreute sich ihres elfenbeinernen Leibes. Ihr zuliebe trug er den türkischen Tarbusch, rauchte er zum Gespött seiner Mitbürger landfremden Krülltabak aus bequastetem Tschibuk, erging er sich in Redensarten, die geeignet waren, den Unmut des gestrengen Pastors in die Schranken zu fordern. Doch wie dieser auch wetterte und predigte, es fruchtete nimmer. Das räudige Schaf seines Kirchensprengels trottete seine eigenen Wege, graste, wo es ihm beliebte, und ergötzte sich weiter an der bilderreichen Sprache des leuchtenden Ostens.

Salem aleikum! Er hieß eigentlich Christofer van der Wayen, war einfacher Leute Sohn und zu Wissel gebürtig, mußte sich aber schon von Kindesbeinen an mit dem lustigen Namen ›Schnurr Schnapp von der Waterkant‹ abfinden und schleppte ihn mit sich wie der Ziegenpascha seinen prächtigen Bocksbart. Warum, das wußte niemand zu sagen. Die Einsichtigen im Dorf glaubten ihn zu Höherem geboren, taten Geld zusammen und verstatteten ihm die Wohltat, das Seminar zu besuchen. Nach dreijährigem Studium kam er als Lehrer in seine engere Heimat. Aber wirbelsinnig, wie er war, den Weibern zugetan und sich ohne Kandare und Trense in die Mysterien von ›Tausend und einer Nacht‹ vertiefend, hielt er die Fibel für den alleinseligmachenden Koran, die strammen Dirnen der Gegend für gelenkige und breithüftige Huris und den landläufigen Doppelkorn für Baktrer Schnaps und säuerlichen Palmwein, eine Verkennung der Dinge, die seiner kurzen Magisterlaufbahn ein vorzeitiges Ende bereitete. Drei Jahre hindurch regierte er das Haselgertlein, drei sonnige, wonnige Jahre hindurch, bis die Nemesis gebot: »Bis hierher und nicht weiter.« Die silberne Mondsichel hing feiernd am Himmel. Bülbül wirbelte ihre schmelzende Strophe in den dörflichen Fliederbüschen, die Schnurr Schnapp von der Waterkant als blühende Granatbäume ansprach, und dem fetten Niederungsbauern Stephan Otten vom Entenbusch seine rahmweiße Melkmagd lockte und winkte: da tat er ein übriges, denn des säuerlichen Schnapses voll, kam er heimlich geschlichen, legte die Hühnerleiter an und gelangte mit Allahs Hilfe auch glücklich in die trauliche Kammer, umarmte die Jungfer und tat sich gütlich mit ihr bis an den grauenden Morgen . . . und alles wäre auch zum besten ausgelaufen, hätte er in seiner brennenden Sehnsucht nicht vergessen, die verräterische Hühnerleiter zu bergen und in die Kammer zu ziehen. Aber da stand sie, von oben bis unten bekleckert – eine Anklägerin, eine glaubhafte Zeugin . . . und der Niederungsbauer war nicht wie der in Gott ruhende alte Tobias aus der biblischen Legende. Keine Schwalbe hatte ihm die Augen verkleistert. Er sah wie ein Luchs und witterte wie ein brünstiger Gemeindebulle. Dazu war er kombinationstüchtig und reich an Erfahrung und verfügte über eine Handschrift, die nicht zu den gewöhnlichen zählte. Diese nun wandte er an, aber derbe und feste, und schrieb sie mit ungebrannter Asche und handlichen Fäusten. Und jedermann im Dorf hielt sich vor Lachen den Bauch, und die rahmweiße Melkmagd verbarg ihre Schande, und der Lokalschulinspektor rang seine Hände, und er, der Ertappte . . . Acht Tage später sah er sich aus dem Bann von Mekkas Toren und seiner Stelle verwiesen und zog seines Weges, habelos, wie er war, klanglos und sanglos und nur von der Melkmagd betrauert, der nichts weiter übrig blieb, als ihr Bündel zu schnüren und sich in den Schoß der frommen ›Marienkinder‹ zu flüchten. Seine Aussichtsmöglichkeiten gestalteten sich hundsmiserabel. Was sollte er beginnen und wohin sich wenden? Jahre hindurch führte er ein vagabundierendes Dasein, lebte von den Stoppelrüben des Feldes und der Barmherzigkeit seiner Mitmenschen und wußte nicht ein und aus, sich eine neue Tätigkeit zu schaffen. Da endlich . . . Die Erleuchtung kam über ihn wie ein Licht in der Finsternis. Er erinnerte sich wieder seines Lieblingsbuches und seiner Lieblingsgeschichten, nahm den abgegriffenen Band aus dem Rucksack, setzte sich am Straßenrain nieder und las: »Und Scheherezade bemerkte das Grauen des Tages und hielt inne in der verstatteten Rede. Doch als die einunddreißigste Nacht da war, fuhr sie also fort: Ich vernahm, o glücklicher König, daß im goldenen Bagdad ein Bartscherer wohnte, der zu Rang und Ansehen gelangte . . .«

Das war es.

Wie im Glückstaumel hob er sein Sitzfleisch aus dem staubigen Gras, genehmigte sich einen Schluck von seinem Baktrer Schnaps und brach in die Worte aus: »Es gibt keine Majestät, und es gibt keine Macht, außer bei Allah, dem Glorreichen, Großen. Wenn's sein muß, lammt auch der Bock. Also Barbier!« und er hörte Messingbecken klingeln und sah weißen, flockigen Schaum und einen feinen Salon mit Flaschen und Phiolen, mit Wohlgerüchen und köstlichen Essenzen, nahm eine bescheidene Anleihe auf und etablierte sich in der kleinen Stadt, zunächst seiner Heimat, und zwar dem ›Dicken Tommes‹ schräg gegenüber.

Fünfzehn Jahre hintereinander betrieb er hier sein Geschäft, legte sich einen Tarbusch und ein Weichselrohr nebst Kopf aus Siegelerde zu, verfiel von Zeit zu Zeit in seinen florigen Zustand zurück, den er mit hiesigem Palmwein nährte und sorglich pflegte, und gehörte zu denen, von denen man sagen konnte: »Sie befanden sich auf der Rollerbahn, allein der Herr war mit ihnen, stutzte sie zurecht, und machte sie wieder zu annehmbaren und leidlichen Menschen«, wenn auch der Herr Pastor sein unmoralisches Türkentum scharf befehdete und in die tiefste Hölle verdammte. Allein Schnurr Schnapp von der Waterkant ließ ihn fluchen und wettern, balbierte und schabte und schritt durch seine neue Welt hindurch wie durch einen rosigen Garten.

Salem aleikum! und heute war Sonntag.

Der vorletzte Kunde hatte gerade den Verschönerungstempel verlassen, und der letzte war an die Reihe gekommen.

Breitbeinig saß er im Lehnstuhl, die etwas schmuddelige Serviette umgeknüpft, vor sich den schadhaften Spiegel, und die kalkigen Hände gottergeben zusammengefaltet.

»Na, was meinst du dazu?« fragte er über die Schulter. »Habe ich etwa Bockmist geredet? Die Lena ist von jeher erster Klasse gewesen.«

Schnurr Schnapp rührte den Schaum an, und dieser legte sich mit dem zarten Weiß einer Sahnentorte um die glitschigen Finger.

»O Herr der Gläubigen, du hast die Wahrheit gesprochen, denn geschrieben steht: Ich sah sie an mit glücklichen Augen, und alle Sehnsucht kam zurück.«

»Man weiter, immer man weiter!« schmunzelte Jan van den Birgel. »So was tut einem Vater gut, denn es ist pläsierlich zu hören.«

»Sie ist ein Gefäß des Herrn und eine Perle ohne Durchbohrung.«

»Bravo!« echote Jan van den Birgel.

Der Schaum glitzerte höher, während die Worte erklangen: »Ihr Palast ist erleuchtet von ihrer eigenen Schönheit. Sie ist eine rudainische Lanze und hat von Natur mit Kohle gezeichnete Augen, schwere Hüften und Schenkel und zwei Hinterbacken wie Hügel von Sand.«

»Hat sie, hat sie!« konstatierte der Alte und wollte sich ausschütten vor Lachen. »Menschenskind, habe ich das nicht sauber gedeichselt?«

»Hast du, hast du, denn ich habe den allmächtigen Allah gebeten, mich zu leiten und meine Pfade zu ebnen, und ich habe dich dieserhalb ernannt zum Kadi der Kuppler und Zwischenträger.«

»Soll ein Wort sein,« beteuerte Jan van den Birgel. »Jeder Topf will sein Deckelchen haben. Nu kriegt er's. Die Sache wäre somit geregelt.«

Behaglich streckte er die verschrobenen Beine.

Schnurr straffte sich auf.

»Geregelt? Wieso denn geregelt? Sagen wir lieber beinah geregelt.«

»Kreuzkuckuck, was heißt das?! Ich habe mir doch die größte Mühe gegeben.«

Schnurr war ein Schwarbelkopf, ein Mensch ohne Selbstzucht und mit krausen Ideen befangen, aber er besaß dennoch die löbliche Eigenschaft, nachzudenken und vernünftige Fragen zu stellen. Das tat er denn auch, pulverte seinem Schwiegervater in spe eine Handvoll Seifenschaum gegen die rechte Backe, verrieb sie und sagte: »Inschallah, so ist es! Aber das mit Simonis . . .

Jan van den Birgel warf sich mit seinem angepinselten Gesicht auf dem Lehnstuhl herum.

»Na, was denn? Was soll's denn?!«

»Nur Ruhe,« meinte der Bader, legte das Becken beiseite, nahm Riemen und Messer und begann langsam zu streichen, verfolgt von den lauernden Blicken seines Klienten.

Dann machte er eine große pompöse Handbewegung und sagte: »Und Scheherezade bemerkte das Grauen des Tages und hielt inne in der verstatteten Rede. Doch als die hundertundfünfte Nacht da war, fuhr sie also fort: Ich hörte, o großmächtiger König . . .«

»Was hast du gehört?« unterbrach ihn Jan van den Birgel. »Und wenn es so wäre? Dafür hat Simonis aber auch Zahlung geleistet, und außerdem: ihr Kind – Gott hab es selig! – ist so langsam eingegangen.«

»Gut,« sagte der besonnene Mann, »das Wild gehört dem, der es fängt, nicht dem, der es aufstört. Ich bescheide mich. Aber wie steht's mit der späteren Zahlung, und wie weit ist die Geschichte mit der Witwe gediehen? Darf man dabei getrost in die Zukunft schauen? Man muß doch leben können und nicht so ins Blaue hineinvegetieren; denn ich brauche etwas, was kostbar ist im Preis und gefällig für das Auge. Mit anderen Worten . . .«

»Wird gemacht,« sagte Jan, »und Hals muß sie geben – die von den Wassermühlen.«

»Entgegengesetzten Falles,« versetzte der Bartkratzer, »wird sie nach berühmtem Muster mit Quittenruten gestrichen und gezwungen, auf einer nubischen Maultierstute außer Landes zu reiten.«

»Ha, ha, ha!« lachte der Alte. »Gut, sehr gut! Menschenskind, diese noblen Redensarten! Ha, ha, ha, ha! Das ist ja, um vor Spaß auf den Rücken zu fallen. Hätte das meine Lena gehört . . . na, ich sage man bloß . . . Quittenruten und nubische Maultierstute . . . Gottverdammich, das wär' was für die Lena gewesen!«

»Lena,« sagte der Verschönerungsrat und begann eifrigst zu schaben. »O diese Blume! Bei Allah! er sei erhöht und erhoben – sie ist wie eine Dame aus Bagdad. Ihre Gestalt ist wie eine aufrechte Eins, von ihren Lippen träuft Benzoesalbe, und ihre Kugeln stehen sich wie zwei Granatäpfel gegeneinander. Ruhm und Ehre dem Manne, der ihr Gesicht geformt und ihre Füße gemodelt,« und mit hellem Geklatsch sah sich eine Portion Seife auf die Straße geworfen.

»Schön,« sagte Jan van den Birgel, »dann wäre hiermit die Sache geordnet?«

»Inschallah, so ist es,« beteuerte Schnurr und kratzte die letzten Stoppeln herunter. »Herr, der Gläubiger, ich bitte gehorsamst.«

»Hupla!« meinte der Abgefertigte, erhob sich und fuhr mit der Serviette von einem Ohr zum andern. »Dann heute zu Abend. So gegen acht. Aber ich bitte mir aus, meine Tochter als zukünftige Frau in Honorierung zu halten.«

»Hören und Gehorchen,« versicherte der Glückliche, »denn die Königin Scheherezade gebietet: Der Mann verhungert, um sein Weib zu ernähren, er entblößt sich, um sie zu kleiden, erzürnt die Seinen, um ihr zu gefallen, und er ist seinen Eltern ungehorsam und verleugnet sie, um sein Weib zu beschenken.«

»A la bonnör! und denn auf Wiedersehn heute um achte!«

»Inschallah, so sei es! Meinen Gruß der Geliebten. Peri-Banu beschütze die Holde!« und mit den verbindlichsten Bücklingen von der Welt komplimentierte er seinen geehrten und braven Schwiegervater in den Hausflur und von hier auf die Straße. »Bei Allah! er sei erhöht und erhoben!«

Eine halbe Stunde nachher paradierte er vergnügt und in sich zufrieden auf der grünangestrichenen Lattenbank vor seiner Haustür, schlug die Beine übereinander und rauchte wie ein echter Moslem landfremden Krülltabak aus seinem langen und duftenden Tschibuk.

Wenn einer an diesem heiligen Sonntag im leckersten Hanfsamen saß, so war es in erster Linie Schnurr Schnapp von der Waterkant. Sein linker Plüschpantoffel wippte auf und nieder, seine Äugelchen strahlten.

»Ihr soll nichts Arges widerfahren,« dachte er glücklich. »Ihr Leib, wie ein Barren Silbers, sei in Stoff von Mossul gekleidet, ihre Haut gepflegt mit indischen Narden und Spezereien, denn ihr Antlitz ist gleich dem einer Mandelaprikose und ihre Waden ähneln den Schwänzen weißwolliger Hammel. Dazu hat sie Dinare und Dirhems. Mit anderen Worten: ›Puttputt.‹ Salem aleikum! Es gibt keine Majestät, und es gibt keine Macht, außer bei Allah, dem Glorreichen, Großen,« und er sah den munteren Spatzen zu, die sich mit hellem Geschrei bei den Roßäpfelpyramiden der Kesselstraße vergnügten. Der Duft der blühenden Linde strömte herüber.

* * *

Langsam rückten die Zeiger der großen Turmuhr dem laulichen Abend zu.

Die kleine Stadt ruhte auf einer Goldfolie. Aber der Scheitel des Himmels strahlte noch in einer leuchtenden Bläue. Der Duft der ehrwürdigen Linde wurde stärker, das Surren der Bienen, die sich mit den safrangelben Blütenspitzen verhäkelten, freier und nachhaltiger. Von den nahen Wiesen kam der Ruch der Blumen herüber, der von Salbei, Labkraut und Ehrenpreis. Sie reiften mit den Gräsern dem ersten Schnitt entgegen. Bald sollten sie fallen, und ihr süßes Arom war wie der letzte Gruß an das Leben.

Der Holunder entfaltete seine milchfarbigen Dolden. Der schönste und stattlichste stand ›Achter de Mur‹ neben dem ockerfarbigen Häuschen von Jan van den Birgel. Der alte Bursche hatte seine köstlichsten Sträuße aufgesteckt, als wenn er gewußt hätte: »Paßt Achtung! hier wird Brautschaft gefeiert,« und in seinem Glücksgefühl suchte er mit dem ganzen Aufgebot seines eigenen Hochzeitskleides dieses bevorstehende Ereignis zu umstrahlen. Seine Staubbeutel und Stempel küßten sich wechselseitig, waren wie Verliebte. Eine Aussaat von Blüten und Sporen verstreute ihren kräuselnden Weihrauch, und das Gebot des Herrn: »Wachset und mehret euch wie der Sand am Meere« säuselte durch seine saftgrünen Zweige . . . ein Geckern und Kichern, als wenn er Einspruch erhöbe gegen die vernunftwidrige Sage, die uns erzählt vom keuschen Joseph und von dem Erhörung suchenden Weibe des ägyptischen Kämmerers. Selbst das ockerfarbige Häuschen sielte sich in eitel Wonne und Seligkeit.

Erwartungsvoll lag es unter dem werdenden Abend.

Das mußte man überhaupt Jan van den Birgel lassen: so grindig der Kerl auch war, giftig wie die Lamellen eines Knollenblätterichs und zudringlich wie eine Rinderbremse – sein kleines Besitztum hielt er in Ordnung, und Lena sorgte dafür, daß sie jeden Besuch, ohne als Schlumpe angesprochen zu werden, invitieren konnte, sich auf das großblumige Sofa zu setzen und sich mollig zu fühlen.

Ihre Kessel und Kasserollen glänzten und lachten, und die zinnernen Teller, die den Rauchfang des kleinen Herdes umstanden, leuchteten so munter wie das Tafelgeschirr eines Bestemanns auf einem Ostindienfahrer.

Alles hatte seinen gehörigen und reinlichen Anstrich.

Das sah man auch heute.

Der Tisch in der Guten Stube neben der Küche war sorglich gespreitet, mit Korinthenwecken und Rodongkuchen bestellt und mit drei stattlichen Gläsern versehen, aus deren Mitte sich eine mächtige Porzellanterrine aufhob, weitbauchig und von einem angenehmen Düften umgeben, denn tief im Schlunde des Ungetüms schwammen etliche Zitronenscheiben auf angezuckertem Korn, der später, mit kochendem Wasser versetzt, eine Art von Bischof oder Glühwein abgeben sollte – eine zarte Aufmerksamkeit dem gebetenen Gast gegenüber, der Punsch und ähnliches Getränke auch jetzt noch als die edelsten Lebenselixiere betrachtete.

Alles das hatte Lena emsig in die Wege geleitet.

Jetzt befand sie sich in ihrer Kammer, um sich für die kommende Stunde fertig zu machen und dem Bewerber lieblich unter die Augen zu treten.

Ihr volles Haar hatte sie bereits geordnet, auch die strammen Beine mit weißen Strümpfen und die wohlgebildeten Füße mit krachneuen Pantöffelchen bekleidet. Nur mit Unterrock und Hemd angetan, die festen Arme gegen die saftigen Hüften gestemmt, saß sie auf ihrem Bettrand und sah in den Spiegel.

Donnerwetter noch mal! die Lena war gar nicht so übel. Wer die kriegte, konnte schon sein Vergnügen dran haben. Alles an ihr war Leben und strotzende Kraft, weiß wie Buttermilch und rosig wie der zarte Hauch von Damaszenerrosen. Niemand sah es ihr an, daß ihr Jungfernkränzchen nicht mehr zu den unberührten gehörte – so schuldlos konnte sie dreinschauen, so hart und frisch wölbten sich ihre Formen unter der blanken Leinwand.

Wie in Selbstanbetung blickte sie in die zersprungene Scheibe, erhob sich und warf sich ihr Neuestes über. Dann fuhr sie in die dünnste Bluse hinein, die sie auftreiben konnte, zierte und wendete sich und erfreute sich an dem Spiel ihrer Glieder.

»Nu darf er kommen,« sagte sie zuversichtlich, »meinetwegen kann's losgehen,« und sie reckte und streckte sich, daß alle Nähte krachten und seufzten, drehte sich kurz auf dem Absatz und verließ ihre Kammer.

In der Küche saß Jette und amüsierte sich an einem Kohlstrunk herum, den sie noch vom Mittag aufgespart hatte.

Als sie ihrer Herrin ansichtig wurde, die so drall und üppig daherkam und sich selbstgefällig und herausfordernd in den Hüften wiegte, ließ sie ein vergnügliches Quietschen vernehmen.

»Merci, merci, mein Tierchen! aber was du betreibst, ist man eine powere Arbeit. Da hast du was Besseres, denn heute sollst du auch deinen Pläsierjokus haben,« und sie schnitt eine breite Schwarte von der Speckseite herunter, die neben dem Rauchfang hing, warf sie Jette zu und trat in die Stube, wo die Korinthenwecken ihrer warteten – und der Rodongkuchen und die geheimnisvolle Suppenterrine.

Jan van den Birgel saß in seinem besten Sonntagsrock an einem kleinen Tischchen neben dem Fenster, vor seinem Hauptbuch, wie er es nannte, in Wirklichkeit war es ein liniertes Schreibheft, worin er seine Eingänge und Ausgaben niederlegte, seine Bitt- und Bußgänge, alles genau und auf Heller und Pfennig, denn er war ein gewissenhafter Sachwalter, ein Sorger und Rechner, der jedem Kastenmännchen nachjagte und hinter ihm her war wie Zeigefinger und Daumen hinter 'nem Jungfernfloh.

Mit einem fröhlichen Klaps schlug er sein Kontokorrent zu.

»Es stimmt,« sagte er heiter.

»Was stimmt?« fragte Lena. »Auch das mit die Einnahmen?«

»Soll und Haben sind richtig verzeichnet,« konstatierte Jan van den Birgel. »Kein Titelchen fehlt daran.«

»So?!« meinte Lena, und ihre Arme gingen wieder in Hüftstellung. »Soll und Haben kann mir nichts nützen, wenn kein Profit bei herausspringt. Oder meinst du, ich würde Schnurr Schnapp die seine und könnte mich in seine türkische Synagoge begeben, ohne daß ich weiß, was mir gutgeschrieben ist? Ich denke nicht dran. Erst die Beweise. Zum Beispiel, wie ist das mit's vorige Jahr und das mit Simonis?«

Ihre runden und blanken Augen wurden noch runder und blanker.

»Hier!« sagte Jan und pfefferte mit dem Rücken der Hand auf das Hauptbuch. Dann riß er das Heft auf, blätterte darin herum und wies mit steifem Zeigefinger auf eine fettige Stelle: »Hundert Taler am ersten Juni vorigen Jahres.«

»Stimmt,« nickte Lena, »man weiter.«

»Nochmals hundert, drei Wochen später.«

»Richtig, die hab' ich für Karlchen verwendet.«

»Dann dreihundert Taler mit einmal, gebucht am fünften August vorigen Jahres. Alles Extrapräsente vom Aukamp.«

»Man weiter!«

Jan zuckte die Schultern.

»Das wäre alles,« sagte er mit verdrießlicher Betonung.

»Wie, alles?«

»Nu das mit die Extrapräsente.«

»Na so was! So'n Drückeberger von Mannskerl! Immer Lena hinten und Lena vorne . . . und dann noch die Rendezvous und die Touren mit's Schäschen . . . Da sollte man ja mit der Peitsche dahinter.«

»Hättest ihm ja besser auftrumpfen können.«

»Wie hätte ich sollen? Ich kann doch nicht dafür, daß Karlchen ein Engelchen wurde.«

»Gottverdammich!« und Jan fuhr wie ein Siesemännchen von den trockenen Binsen, »ich hab's ja immer gesagt: Warum hast du die Kröte bei dem Weibsbild in Kleve in Pensionierung gegeben?«

»Konnte ich mich denn als Schandluder ausrufen lassen? Oder aber sollte der Herr Pastor hinter mir her sein und mich in der Kirche vermöbeln? Das wäre noch schöner gewesen! Lieber ins Wasser oder nach Amerika, denn ich habe doch meine Honnör und meine Estimierung im Leibe.«

Heiße Tränen rannen ihr über die Backen.

Jan war weich wider Willen geworden.

»Ja, die hast du,« sagte er begütigend und legte ihr den Arm um die Taille. »Sei man zufrieden! Das wäre im Reinen.«

»Im Reinen?« fragte sie durch ihre Tränen hindurch, »wo keine Extrapräsente mehr kommen? Und das mit die Wassermühlen . . . ist die Rente denn von ihr festgelegt worden?«

»Ich sagte dir schon: Das wird sich erweisen; aber erst zu Martini.«

Die Erregte warf den Kopf in den Nacken.

»Gesetzt aber den Fall, daß sie uns auszupowern gedächte und wir uns, mit Respekt zu vermelden, auf dem Hintern befänden, da wollt' ich ja lieber . . . Nee, da kann ich den Pascha nicht nehmen, nicht in die Hand, unter keiner Bedingung; lieber Pitt Lörksen. Bei dem ist noch 'ne reelle Unterlage zu haben.«

»Was?!« rief der Alte, »du könntest?! Du könntest dich mit deinem prächtigen Frauenzimmerfleisch und der forschen Tornüre in die Arme von so 'nem krummen Kappesbauer begeben?! Das müßte ein netter Gestütsdirektor sein, der so was unterfertigen wollte! Da ist Schnurr Schnapp doch eine andere Bonität! Gebildet und so . . . und daher: der oder keiner; und das mit die Wassermühlen . . . Die Sache ist so gut wie geordnet, völlig geordnet, so wahr ich mich Jan van den Birgel benenne.«

»Aber wenn sie's nun nicht wollte und täte?«

»Nicht wollte und täte? Sie muß!« wetterte Jan und hielt sein Kontokorrent marschallstabartig zu Häupten. »Hier steht alles gebucht und verrechnet, und hier –« und er legte den Stab wieder nieder, schlug sich mit der flachen Hand auf die Brusttasche, in der er sein Portefeuille verborgen hatte, und sagte: »Und hier ist das Schriftstück, welches beschwört, daß unsere Ansprüche so fest stehen wie dem Küster Anderheyden seine Kevelaerer Prozessionsschuhe. Sie kann nicht retour. Sie kann die Unterfertigung von Simonis und die ihres Vaters nicht fressen. Sie muß . . .« und er streckte die Faust aus, die Faust mit den gierigen und abgezehrten Fingern, und knirschte zwischen den Zähnen: »Und kämen selbst die Assisen dahinter – mir soll's nicht rühren. Und müßte ich sogar ihren Vater . . . na und so weiter. Nee, Lena, mich kann niemand betuppen. Und du . . . Was einmal im Blut sitzt, das will an den Mann, und das kann dir nur Schnurr Schnapp von der Waterkant bestens besorgen. Der hat's von die Türken gelernt und kennt sich aus wie der munterste Hahn auf dem Mist, obgleich er die vierzig schon hinter sich hat. Da laviere ich für mit meiner Edelmannsparol und meinem innersten Grundsatz. Und drum keine Bange!«

Damit zog er die ausgestreckte Hand wieder ein und trat ans Fenster.

»Mag's denn so sein!« sagte Lena, umkreiste den gedeckten Tisch und machte sich an den Korinthenwecken, dem Rondongkuchen und der großen Suppenterrine zu schaffen.

Das Einvernehmen zwischen Vater und Tochter war wieder hergestellt, und das gütige Wort ›Eintracht‹ säuselte allbefreiend durch die Stube.

Immer heißer und verlangender räucherte der Holunder seine Düfte ins Zimmer. Der zunehmende Abend, der aber noch soviel Helle besaß, daß auch die kleinste Erscheinung noch zu erkennen war, preßte jedes einzelne Blütchen wie zwei Schmetterlingsflügel zusammen. Ihre Papillen berührten sich, schmiegten sich eng aneinander, wurden zu eins und umgaben sich mit einem Schauer befruchtenden Staubes. Ein verhaltenes Liebeswerben, ein Sich-Sehnen und Sich-Finden drang aus dem dunklen Laubwerk und machte die Sinne trunken.

Lena stand mit geöffneten Nüstern. Sie konnte sich der warmen Welle, die sie allgemach einhüllte, nicht mehr entziehen und horchte auf die einzelnen Schläge, die in diesem Augenblick über die kleine Stadt hinzitterten.

»Acht Uhr!« sagte Jan van den Birgel, beugte sich aus dem Fenster und suchte die enge Straße ab, die still und einsam an seinem schmalen Häuschen vorbeiführte. Er wartete auf seinen Gast, der jeden Augenblick vorsprechen mußte.

Plötzlich rief er über die Schulter: »Lena, nu aber fix! 'ran mit's kochende Wasser! 'rin in den Pott und eingeschunken! Er kommt!« und keine drei Minuten vergingen, während welcher Lena das heiße Wasser herbeischaffte, es auf den verzuckerten Korn goß und die Gläser füllte, als auch schon der Gebieter von Bagdad, wollte sagen: der erste Barbier aus dem hiesigen Kirchspiel, in seinem besten Zeug und mit übergezogenem Tarbusch auf der Schwelle erschien, mit gekreuzten Armen seine Brust bedeckte, die Entenschnabelnase etwas auf die Seite legte und in die Worte ausbrach: »Allah il Allah, wa Muhammadum rasulu il Allah! Ich trete in das Haus des Kalifen, um von ihm die Frucht seiner Lenden zu erflehen. O Beherrscher der Gläubigen, ich bitte um nichts Geringes; denn sie, deine Tochter, gleicht dem Mond in der Nacht seiner Ganzheit, ist schön von Angesicht, voll von lieblicher Rede und fließender Zunge, und weil es so ist, bin ich gewillt, ihr die Bohne zu reichen, die Bohne der Liebe und Fruchtbarkeit, auf daß nach Ablauf der gebührenden Zeit sich ihre Tage erfüllen.«

»Tu's man!« freute sich Jan, »aber ich frage dich, Schnurr: Willst du ihr auch immer ordentlich halten, ihr ehren und lieben, auf daß sie sich wohl in deinem neuen Harlem befindet?«

»Ich will,« sagte Schnurr und hob beteuernd die Hände. »Ich werde sie halten als meine treue Genossin in der Reinheit der Glieder und werde sie hegen und ihr huldigen, bis zu uns kommt der Vernichter der fleischlichen Wonnen und der Trenner aller Gemeinschaft.«

»Denn man zu!« sagte Jan und ergriff ein dampfendes Punschglas. »Drauf wollen wir trinken!«

»Ich höre und gehorche,« sagte der Streichriemen, »allein es gibt keine Wonne des Trinkens für mich, bevor ich nicht meine Zuleika gewinne. Erst ihr Jawort, ihr heiliges Jawort von heißen Lippen – und dann der duftige Scherbett.«

»Herr Jeses, diese türkischen Umstände!« rief Lena. »Schnurr, mache man vorwärts! Ich will ja. Ich will dir besitzen! Nur keinen Scharnier nicht! Hier hast du deine Zuleika!« und mit gebreiteten Armen und dünner Bluse segelte sie auf ihn los, drückte ihm einen saftigen Kuß auf und legte ihm zwei pralle Halbkugeln auf die glückliche Weste.

»Salem aleikum!« und die Bilder und goldenen Saitenklänge aus ›Tausend und einer Nacht‹ rauschten über das vereinigte Paar hin.

»Hoch sollen sie leben!« rief Jan und forderte sie auf, den geschlossenen Bund durch einen guten Schluck zu befestigen und fix und fertig zu machen.

Und da klangen die Punschgläser durch den traulichen Abend, und der alte Holunder sorgte dafür, daß die Düfte und Spezereien, die Öle und Benzoesalben von Schiras die blaugekalkte Stube in der Straße ›Achter de Mur‹ freundlich durchwölkten.

Mit dem heutigen Tage sah sich Pitt Lörksen aus Bügel und Sattel gehoben. Schnurr Schnapp von der Waterkant war Sieger geblieben, und als Sieger, seine Lena zur Rechten, saß er jetzt am Herd der Jan van den Birgelschen Penaten, legte den Arm um ihre irdische Hülle und leerte ein Glas nach dem andern. Allah befahl es! – und Jette hatte sich ganz heimlich und sacht von der Küche in die Gute Stube geschlichen, war auf die Kirschholzkommode geklettert und sah von hier aus auf die gemütliche Szene.

* * *


 << zurück weiter >>