Joseph von Lauff
Sinter Klaas
Joseph von Lauff

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9

Es lag wie ein warmer Brodem in der Luft, wie ein stilles Werden und Gedeihen in der Erde.

Zwischen den Gräsern leuchteten die Sumpfdotterblumen bereits wie schwefelgelbe Flämmchen; die Weiden hatten ihre Kätzchen aufgesteckt und fingen an, die Blütenbeutelchen sacht zu verstäuben. Ein braungoldiger Schimmer rieselte über die Ebene. Die Weiten verfärbten sich, gingen aus einem flüssigen Silber in ein zartes Violett über, das den ganzen Westen bedeckte. Resedabänder lagen dazwischen. Aus dieser weichen Tönung wurde der Abend geboren.

Von fernher polterten noch die Wassermühlen herüber. Franziska Simonis hielt den Fuß an und horchte auf das werktätige Schaffen wie auf eine Offenbarung. Mit geblähten Nasenflügeln, die Lider halbgeschlossen und in stummer Andacht, ließ sie das Brausen und Sausen auf ihre Sinne wirken. Es war ihr wie eine stolze Harmonie, wie das Evangelium der Arbeit. In diesem Evangelium verkörperte sich ihre engere Heimat und alles das, was sie noch von der Zukunft erhoffen konnte. Nicht im Geldrischen wurzelte ihr späteres Leben. Darüber war sie sich bereits schlüssig geworden, obgleich sie sich sagen mußte: Trübe Erinnerungen, die sich mit dem hiesigen Grund und Boden verknüpfen, sind wie Blumen, die man trägt auf dem Gange zum Tode . . . und doch sah sie diesen Blumen entgegen, wie man die dunkelroten Zentifolien erwartet, die die laulichen Sommernächte noch wohliger und köstlicher machen. Sie dachte an ihre Pensionszeit bei den Nönnchen in Aspel, jenseits des Rheines, an ihre Ferien, die sie gemeinsam mit dem jungen Hans Harkort verlebte, an Andreas Lobbers aus Keppeln, der öfters nach Op gen Oort kam, um seinen Freund zu besuchen, und dessen Ansichten und Erzählungen immer so klar und rein waren wie weiße Lilien in einem Klostergarten, und sie dachte an ihre große und heilige Liebe, an ihr Blühen, Welken und Vergehen . . . und sie nahm ihren Schritt wieder auf, der sie zu den geweihten Stätten der Erinnerung führte.

Eine kleine Stunde bereits war sie auf bekannten Pfaden gegangen, in der ihr eigenen Würde, erhobenen Hauptes und mit den Augen der Sehnsucht.

Seitdem sie zum letzten Male hier weilte, waren Jahre verflossen.

Sie fand manches ausgewechselt, nicht mehr so traulich, vieles leerer und vereinsamter. Die große Stauflut, die damals einsetzte, als sie selber ins Geldrische mußte, und die in der Niederung wütete, wie keine andere seit Menschengedenken, hatte weite Strecken verschlickt und versandet und derart verändert, daß sie sich kaum noch zurechtfinden konnte. Die stille Bucht mit den alten Erlenbeständen war wie von der Erde verschwunden, und ein breites Wasser stierte jetzt wie ein Zyklopenauge gen Himmel, bleiern und düster und von dem Hauch des Unwirschen umgeben. Andere Stätten waren erhalten geblieben, gemahnten sie an glückliche Stunden, machten ihr das Herz freudig und doch wieder so todestraurig wie das einer jungen Königin, die den besten Edelstein aus ihrem Kronjuwel verloren hatte . . . und um ihr Leid voll zu machen: die Dächer von Op gen Oort waren die alten noch, winkten ihr zu, als wäre gar nichts geschehen, und doch umschlossen jene Dächer und Mauern ihr größtes Leid und ihre tiefste Not, ihr bitterstes Elend, wovon sie nicht mehr zu gesunden vermochte.

Ein wilder Schmerz furchte ihr Antlitz.

Sie riß sich zusammen.

Das Schlimmste lag hinter ihr, aber auch die Anwartschaft, der ureigensten Bestimmung des Weibes teilhaftig zu werden; und der Gedanke daran zerquälte sie: also dieses Rechtes bist du verlustig geworden, ebenso der göttlichen Verheißung: Du bist gebenedeit unter den Weibern, und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes . . . eine Verneinung, gegen die sie sich aufbäumte wie gegen das Begehen einer häßlichen Sünde; denn war sie nicht frei, nicht Herrin über ihren eigenen Leib und ihre eigene Seele? Hatte sie diese Heiligtümer nicht gehütet wie ihren Augapfel bis zur heutigen Stunde? Konnte sie nicht darüber verfügen nach bestem Gutdünken und freiem Ermessen? – Und dennoch: der Engel des Unerbittlichen stand vor diesen Heiligtümern mit flammendem Schwert und sagte: »Dieser dein Leib, so unberührt und schön er auch sein mag, und diese deine Seele, so sehr sie auch das Licht suchte und die Finsternis mied – sie wurden entweiht durch die Schuld deines Vaters. Du sollst einsam sein und nicht darauf sinnen, dein herbes Los mit dem eines anderen zu verflechten. Es ist zu spät, das Vergangene ungeschehen zu machen, und hättest du dennoch den traurigen Mut, den dunkeln Schleier zu heben und dein Geschick zu ändern, die Schande würde dir den Kopf zwischen die Knie drücken, wie es den Unseligen geschieht, die nichts mehr besitzen.«

»Zu spät,« sagte sie tonlos.

Ihre Augen brannten wie Fackeln in den Abend hinein.

Ihre Brust hob und senkte sich.

Kein Geräusch lief über die Felder. Noch niemals war ihr die engere Heimat so ohne Klang und Farbe erschienen.

Sie wandte sich und ging wieder den Mühlen zu, war aber im reinen mit sich, was sie mit ihren Tagen anzufangen habe.

Nach kurzem Imbiß, den sie gleichgültig zu sich genommen hatte, begab sie sich in das Zimmer im oberen Stockwerk, das früher ihr Vater bewohnt hatte. Eine freundliche Helle strahlte von der Decke herunter. Zwei brennende Kerzen standen auf der alten Schreibkommode. Im Kamin knisterte ein mattes Feuerchen. Es war alles geschehen, wie sie es vor ihrem Spaziergang angeordnet hatte. Nichts fehlte. Mit schmerzlichen Blicken sah sie sich um. Alles wie früher. Die gleichen Möbel und die gleichen Schildereien an den Wänden. Der große Brand, der das Anwesen vor Jahren heimgesucht hatte, war an diesem Inventar spurlos vorübergegangen. So geschah es denn auch, daß die alte Zeit sie mit liebevollen Händen berührte. Mit einem tiefen Seufzer ließ sie sich am Schreibpult nieder und begann, die hinterlassenen Papiere des Verstorbenen zu sichten, die sie bereits am frühen Morgen flüchtig geordnet hatte. Sie tat es mit einem apathischen Lächeln und einzig von dem Pflichtgefühl geleitet, vorhandene Verträge festzustellen und etwaige Verbindlichkeiten des Toten auf ihre Echtheit zu prüfen. Im allgemeinen handelte es sich um Dinge von geringer Bedeutung, um Schuldforderungen, quittierte Rechnungen, Pachtverträge und erledigte Hypothekenverschreibungen . . . und hier: die Statuten der Solopartie, aufgesetzt und niedergeschrieben von Cornelis Höfkens, wohlbestalltem Besitzer auf dem Windmühlenberg und Säckelmeister der hiesigen Kirchengemeinde. Dazu stand in den steilen Schriftzügen ihres Vaters geschrieben: »Prächtige Menschen, die drei; besonders Cornelis. Geradeaus wie ein Percheron. Etwas langsam im Sprechen, dafür aber ehrlich und bundestreu bis in die innersten Knochen. Käme es darauf an, seinem Freund aus der Not und der Unruh' zu helfen, gäb' er sein letztes Hemd dahin, wie der Heilige Martinus es mit seinem Reitermantel getan hat. Dores Schweißgut. Nicht übel. Etwas angesäuert zwar wie Schattenmorellen oder unreife Pflaumen; dazu Pfennigfuchser beim Karten. Auch dann und wann in seinem Gewissen. Im übrigen: braver Charakter mit Korinthengedanken, glaubensstark und hilfsbereit, wenn auch bei erklecklichem Gewinn stets von dem Wahn geplagt, kalte Füße zu haben. Pitt Lörksen. Ganz besondere Nummer. Früher Inhaber von Kappesplantagen und Schnapsfabrikant. Das Bauern hat er aufgegeben, auch das Fabrizieren. Der Sprit ist übrig geblieben. Verträglich mit etwas krötigem Einschlag. Kuckt in die Karten. Nichtsdestoweniger ein Mann von gesundem Schrot und Korn und immer bereit, eine gute Bouteille zu stechen. Ist scharf auf das Girren der zarten Turteltauben, obgleich er den Ausspruch des heiligen Paulus befolgte: Heiraten ist gut, aber Nichtheiraten ist besser. Er weiß sich zu trösten, denn er ist ›einzelner‹ Herr, wie er von sich selber behauptet. Alles in allem: ich freue mich, solche Menschen um mich zu haben. Ein jeder von ihnen ist mir lieb und teuer geworden. Besonders Cornelis.«

»Cornelis,« sagte sie still vor sich hin, legte das Schriftstück zu den übrigen Papieren und entnahm einem Aktenbündel, das doppelt und dreifach verschnürt war, eine verknitterte Urkunde, der noch die Spuren von Siegelwachs anhafteten.

Die krausen Buchstaben interessierten sie.

»Auszug aus den Regesten der Stadt,« stellte sie fest, um dann weiter zu lesen: »Im Jahre des Herrn 1649, da alles im Lande traurig bestellt war, selbst die Zunge zu radebrechen anhub und ein des Dichtens Kundiger solches mit den Worten beklagte:

›Die Sprache unserer Mutter bekömmt die schwere Not;
Man schmiert die deutsche Butter aufs Franze weiße Brot‹,

geschah es, daß Seine Hochfürstliche Durchlaucht Friedrich Wilhelm, Herr zu Brandenburg, die Grafschaft Kleve aufsuchte, um sich den betrüblichen Stand der Dinge vor Augen zu führen. Beehrte auch die hiesige Stadt mit seiner erhabenen Person und fragte nach allem, sich ein richtiges Bild zu verschaffen, denn die Nachwehen der Pest und die des großen Krieges standen auf vielen Gesichtern geschrieben. Vornehmlich war es der Hunger, der das Antlitz verzerrt und alle Freudigkeit des Herzens hinweggenommen hatte. ›Das ist ja zum Gotterbarmen!‹ sagte der hohe Herr, als er solches gewahrte, herrschte auch den regierenden Bürgermeister von wegen seiner Administration an und daß er nicht rührig gewesen, den böslichen Dingen in die Parade zu fahren, worauf dieser erbleichte und vor großer Ehrerbietung kaum zu stammeln vermochte.

Da trat einer vor – ergrauten Haares, blauen Auges, das Gesicht wie aus einem Holzstock geschnitten.

›Hochfürstliche Durchlaucht, halten zu Gnaden,‹ sagte er gemessen und ruhig, ›es tut not, das Kind nicht mit dem Bad zu verschütten.‹

Darob tiefe Stille. Über der Nasenwurzel des jungen Fürsten stellte sich eine Falte auf, die Böses anzeigte.

›Wie heißt Er?‹ fragte er kurz angebunden.

›Wierus Antonius Malthus.‹

›Was ist Er?‹

›Ratsherr und erster Statthalter hujus loci – mit Respekt zu vermelden.‹

›Und wie erklär' ich mir das offene Wort, so Er mir zuwarf?‹

›Halten zu Gnaden – weil ich die Ansicht vertrete: man soll eines Fürsten Wort nicht ruhig hinnehmen und darüber hündisch zu schweifeln beginnen, wenn es zu Unrecht besteht, zumal hiesige Administration jegliches aufbot, der Not zu steuern und frisches Leben in die armen Menschen zu tragen; allein widrige Umstände machten alles zu Schanden.‹

›Widrige Umstände? Kurz denn: nenn' Er mir ein solches Exempel!‹

›Halten zu Gnaden – Getreide war da, aber es fehlte an Mühlen, und das, was wir nach Holland sandten, um dort brechen zu lassen, vergönnten sich die Mynheers mit den langen Gesichtern.‹

›Und war hiesige Administration nicht auf den naheliegenden Gedanken verfallen, Wind- und Wassermühlen in der eigenen Bannmeile zu errichten?‹

›Das schon, Hochfürstliche Durchlaucht, und ich selber, mit Respekt zu vermelden, war erbötig, und zwar auf eigene Kraft und Gefahr hin, einem solchen Bau das Leben zu geben.‹

›Er?‹

›Ja, ich, Hochfürstliche Durchlaucht; wurde aber diesem Ansinnen Lizenz und Siegel verweigert.‹

›Lizenz und Siegel verweigert? Eine freie Behauptung. Von wem denn verweigert?‹

›Von der Kommission Eurer Hochfürstlichen Durchlaucht in Kleve.‹

›Unter welcher Begründung?‹

›Weil man fürchtete, sotanes Unternehmen würde der niederländischen Regierung nicht zum Nutzen ausschlagen.‹

›Meiner etwa, wo man diesem vaterländischen Willen den Gutschein versagte? Himmel und Wetter!‹ flammte der gebietende Herr auf und warf seinen Handschuh zu Boden, ›da stehe ich vor: die Mühlen werden gebaut, und meinen Dummköpfen in Kleve soll man die Schädel zerklopfen. Er aber – ist er noch immer gesonnen, das menschenfreundliche und gottwohlgefällige Werk zu fördern und in Arbeit zu nehmen, dann sag' Er's.‹

›Mit dem Privilegio Eurer Hochfürstlichen Gnaden werde ich Geld und Mühe nicht scheuen. Nur das Privileg, mit Respekt zu vermelden, muß ich besitzen.‹

›Das hat Er und meinen Segen dazu.‹

›So werde ich bauen.‹

›Brav so!‹ und er, der Brandenburger, warf das Haupt in den Nacken, und seine Augen leuchteten wie die eines Adlers. ›Die Hand, Wierus Antonius Malthus! Er gefällt mir. Gerade und aufrechte Köpfe sind selten geworden, und sind seinesgleichen noch viele in der Grafschaft Kleve und Geldern, dann ist es trefflich bestellt um mein hiesiges Erbe. Bau' er mit Gott! Mein kurfürstliches Ansehen ist bei ihm, bei ihm und seinen Mühlen. Mögen sie blühen! Die Stunde war lehrreich für mich. Ich habe einen braven Mann gefunden, und so etwas erfreut.‹

So geschehen am Tage Reminiscere und im Jahre wie eingangs gemeldet.«

Sie erhob sich und atmete auf. Und das mußte sie heute erst lesen! Erst heute! Ein Gefühl von Stolz überkam sie. Die alte Zeit sah sie an. Die brandenburgische Zeit und die der preußischen Könige. Also – nicht nur am Windmühlenhügel, wo der junge Friedrich Wilhelm von Seydlitz seine Reiterkunststücke gemacht und sich vorbereitet hatte, der Sieger von Roßbach zu werden, auch hier, auf ihrem Anwesen war historischer Boden. Hier atmete der Geist des herrlichen Fürsten – der Mehrer seines Landes, der Sorger für Volk und Recht, der Unüberwindliche . . . Dieser Regent! und hier diesen Mühlen hatte er Lizenz und Siegel gegeben, hatte er den wohlachtbaren Herrn Wierus Antonius Malthus belobt und gefeiert, hatte sein blaues Hohenzollernauge geflammt und verheißen . . .Ha, wie das wohltat, wie das das Herz höher schlagen ließ! Denn war sie nicht auch eine Malthus? Und das Schriftstück selber, vergilbt und vermodert, zu neuem Glanz hatte es aufzuerstehen. Unter Glas und Rahmen mußte es kommen, mußte ausgestellt werden, daß es alle sähen, um des hohen und fürsorglichen Sinnes des erlauchten Herrn teilhaftig zu werden.

Mit liebevollen Händen glitt sie über die Urkunde.

Sie setzte sich wieder und ließ neue Papiere durch ihre Hände gleiten: Kornrechnungen, Forderungen, Ausweise und lange Berichte, die sich auf den Neubau und die benachbarten Parzellen bezogen. Gleich darauf las sie: »Fünftes Protokoll, betreffend Deichschöffensitzung, abgehalten im Interesse der Kreise Geldern und Kleve in der Wirtschaft ›Zum dicken Tommes‹, domiziliert in hiesiger Stadt- und Kirchengemeinde. Anwesend die Herren: Grades van Lommen, Deichgraf, Simonis vom Aukamp, Cornelis Höfkens und Christ van de Kamp als Geschworene, ferner die Herren: Adam Harkort, Ökonom auf Op gen Oort, und Christian Franz Malthus, Mühlenbesitzer, als Vertreter der Inhaber pflichtiger Grundstücke beiderlei Kreise. Nachdem die getätigten Arbeiten des verflossenen Jahres als sachlich erkannt worden waren, wurden die neuaufzulegenden Steuern und Lasten erörtert. Keine Einwendung erfolgte. Zum andern. Gemäß Deichrolle, Paragraph 18, ruht eine Reallast auf den anliegenden Äckern und Feldern, ohne daß eine Befreiung stattfindet, denn: kein Deich ohne Land, kein Land ohne Deich. Elsken ter Molen aus Wisselward suchte sich dieser Pflicht zu entziehen. Er ließ das ihm übertragene Siel verschlammen und verschlampen; wurde dieserhalb mit fünfundzwanzig Talern in Strafe genommen. Stimmenmehrheit entschied. Zum Dritten und Letzten. Da Herr Bärendonk von der Niershöhe mit Tode abging, anwesender Herr Christ van de Kamp sich hohen Alters wegen außerstande erklärte, des ihm übertragenen Amtes noch länger zu walten, sah sich die Korporation veranlaßt, anderweitig Ersatz zu beschaffen, und ließen sich die Herren Simonis vom Aukamp und Christian Franz Malthus in dankenswerter Weise bestimmen, die verwaisten Stellen neu zu bekleiden, und zwar Herr Simonis als Revisor, Herr Malthus als Kassenwart, und geschah solches unter Eid und ehrlichem Handschlag. Wurde hiermit die Sitzung geschlossen, das Protokoll unterfertigt und daran anknüpfend noch eine kleine, solenne Feier im ›Dicken Tommes‹ abgehalten.«

Alles das hätte die Leserin weniger interessiert, wären nicht die beiden Namen ›Simonis‹ und ›Malthus‹ in dem Schriftsatz enthalten gewesen. Aber da standen sie, nicht zu mißdeuten, haarscharf nebeneinander . . . und hier . . . an dem Rand . . . eine Anmerkung ihres Vaters mit Bleistift geschrieben . . .

Noch einmal las sie mit aufgerissenen Augen: »Daß sich solches begeben und keine Vorsehung da war, die mir zugedachte Ehrung als Kassenwart anderweitig zu vergeben, werde ich zu beklagen haben bis an das Ende meiner Tage; denn seit dieser Stunde hat mein Leid und mein Elend begonnen. Herr, sei meiner Seele barmherzig!«

Mit einem unterdrückten Schrei fuhr sie auf.

Was war das nun? Sollte hier die Lösung zu finden sein, die sonst ängstlich bestrebt war, sich in die Schatten des Wesenlosen zu flüchten? Drang ein kärgliches Licht in diese Schatten hinein? Wollte der Heimgegangene den Mund auftun und leise zu reden beginnen? War sie hierdurch gezwungen worden, das Herz zu zermartern und ihre Liebe auf unfruchtbaren Felsen zu säen? Ach, wenn es dieses nur wäre! Sie hätte sich damit abfinden können, denn die Stationen ihrer leidvollen Pilgerschaft nahten sich ihrem Ende. Der Kalvarienberg winkte ihr zu. Aber sie sah tiefer und weiter. Liefen in dieser kurzen Bemerkung, in diesem verhaltenen Aufschrei einer gepeinigten Seele nicht die Fäden zusammen, die entsetzlichen Garne, die das Drama auf den Wassermühlen vorbereitet, es weiter geführt und den Knoten geschürzt hatten, bis endlich der grauenvolle Abschluß erfolgte? Das war es.

»Vater, Vater!« sagte sie stumpf und dumpf vor sich hin, faltete das heiße Schriftstück eiligst zusammen und legte es gesondert von den übrigen Akten.

»Selig sind die Toten!« schrie es in ihr auf, und sie fühlte es nicht, daß der Zeiger der Uhr langsam und gemächlich auf acht rückte.

Das war die Zeit, wo Kosman Kraneboom vorsprechen wollte.

Gleich darauf ließen sich denn auch zage Schritte vernehmen, denen ein ängstliches Klopfen folgte.

»Herein!«

Der Alte erschien und blieb im Türrahmen stehen.

»Hier bin ich, punkt acht, wie Ihr gesagt habt, Madam.«

»Ich danke Euch, Kosman. Kommt näher und setzt Euch!«

»Merci, Madam. Aber ich störe doch nicht? Ich sehe: Ihr seid noch mit's Rechnen und die Papiere beschäftigt. Da hat einer Besinnung zu nötig. Da darf sich unsereiner nicht hineinmengelieren. So was will seine gehörige Ruhe und Einsamkeit haben. Sonst kann man den richtigen Awek nicht finden. Vielleicht 'ne kommodere Stunde gefällig? Ich bitte gehorsamst – morgen kann man die Sache ja auch noch besprechen.«

»Nein, nein! Bleibt nur. Ihr kommt mir gelegen. Das Nötigste ist vorderhand erledigt. Was noch zu tun bleibt, muß ich der Zeit überlassen. Die Angelegenheit, die wir jetzt zu besprechen haben, ist dringlich und verträgt keinen Aufschub. Ich hoffe, alles zu einem glücklichen Abschluß zu bringen. Ich habe es nötig. Es gibt Dinge im menschlichen Leben, deren Qual schlimmer ist als die, verlassen zu werden. Noch soeben erfuhr ich, wie entsetzlich es ist, um die Gewissensnot eines andern zu bangen . . . und dann, Kosman: mein eigenes Dasein ist ein verfehltes gewesen.«

Sie nahm die Rolle der Deichkorporation, ließ die Finger darüber gleiten und legte sie wieder an ihre frühere Stelle.

Die Augen des Alten wanderten zu ihr hin wie tiefgebrannte Lichter.

»Das weiß ich, Madam,« sagte er düster, »denn es ist mir vorgekommen wie Blumen, die am Prozessionstag auf den Straßen verwelken, und die Frage ist nur: Was soll daraus werden für später? Ich für meine Person, ich wüßte schon, wie man das ändert, um dem infamen Gerede den Brotkorb höher zu hängen und alles wieder auf seine richtige Stelle zu setzen. Das wäre noch schöner, wollte einem der liebe Herrgott nicht helfen. Da erfröre einem ja die lauretanische Litanei zwischen den Zähnen.«

»Wie denkt Ihr Euch das?«

»Madam, das ist nicht so einfach zu sagen. Da muß ich erst wissen, was Ihr von der Zukunft erwartet, was Ihr vorhabt und wie Ihr Euer eigenes Leben zurecht basteln wollt. Von mir allein hängt's nicht ab. Da muß auch der andere Part seine Mithilfe stellen. Mag's gehn, wie's will, denn mithelfen muß er, sonst ist der beste Bundesgenosse ein schwächliches Werkzeug. Aber erst klaren Wein in die Buddel. Könnt Ihr den geben und wollt Ihr den geben, dann sind wir schon 'nen Hirtzensprung weiter gekommen. Aber erst muß ich 'ne runde Antwort besitzen.«

»Hier meine Antwort. Ich lege Hand auf die Mühlen.«

»Das heißt also: Ihr wollt es mit der Arbeit versuchen?«

»Das habe ich vor.«

»Und das ganze und völlige Arbeit? Arbeit, die sich nur auf die Mühlen bezieht, harte und werktätige Arbeit, die weder rechts noch links sieht und weiter baut, was ein gerader und aufrechter Mann bis zu einer gewissen Höhe gebracht hat?«

»Es ist so, wie Ihr sagt.«

Da glänzte es in seinen Blicken auf wie ein schönes und warmes Herdfeuer.

»Dann gabt Ihr die richtige Antwort,« sagte er freudig, »denn Arbeit ist Vergessen, und Vergessen heißt, dem infamen Geschick an die Gurgel fahren, und was mich betrifft . . . Vorher aber habe ich noch 'ne Frage zu stellen, um mich auf meine eigene Person zu besinnen. Ich meine: was soll denn nu mit dem Besitz im Geldrischen werden?«

Sie atmete auf und suchte ihre Ruhe zu sammeln.

»Um das zu beantworten, muß ich ausholen, Kosman,« sagte sie nach einigem Schweigen. »Ihr wißt, wie ich auf den Aukamp gelangte, wie schwer es mir wurde, von den Mühlen zu scheiden. Ich will nicht schildern, wie ich nahe daran war, dieses mein Leben wie ein nichtiges Gut zu zerbrechen und es auf den Kehrichthaufen zu werfen. Das alles ist Euch bekannt und so gegenwärtig, als wäre es erst heute geschehen. Ihr kennt meine Ehe. Das Ende selber bestimmte das Schicksal. Es mag nicht christlich erscheinen, wenn ich behaupte, der Tod ist barmherzig gewesen, und dennoch: was ich erduldete und noch erdulde, reicht hin, mir das Grauen und die Bestürzung in den Nacken zu setzen. Aber ich bleibe dabei: der Tod ist barmherzig gewesen – mir und dem Vater barmherzig gewesen. Ihm nahm er das ewige Grübeln und Sinnen und die furchtbare Angst – und mir den Ekel.«

»So wird es wohl sein.«

»Kosman, so ist es, und weil es so ist, weil mir dieser Ekel genommen wurde . . . ich fühle mich freier, kann wieder atmen und meine armen Gedanken sammeln, die früher wie Spreu vor dem Winde waren. Mein Entschluß steht fest: ich will ein neues Leben beginnen, und dieses Leben muß rein sein; denn das frühere ist unrein gewesen.«

»Madam . . .

Kosman entsetzte sich.

»Herr, du mein Jesus! Herr, du mein Christus! wie könnt Ihr nur so das Heiligtum Eures gottwohlgefälligen Leibes verleugnen?!«

Sie machte eine stumme Handbewegung und sagte: »Wie nennt man die, die wider Willen, gegen alle Satzung des Weibes und mit Verachtung im Herzen vor den Tisch des Herrn trat, um hier die Ringe zu wechseln?«

»Mein Gott und mein Heiland!«

Ihre Stimme nahm an Heftigkeit zu: »Wie nennt man die, die einen andern wollte, die mit einer großen und reinen Liebe zu ihm, diese Liebe vergewaltigte und totzuschlagen versuchte? Das tat ich, und weil ich es tat, so sollt Ihr mir sagen, wie die geheißen wird, die solches vollbrachte.«

»Madam . . .!« und Kosman Kraneboom fuhr stocksteif und strack in die Höhe, als beklemmte ihm etwas die Brust, und sein Auge flammte, und seine Stimme war kalt und brüchig geworden. »Ja, Madam, das will ich Euch sagen, wie die heißt, die so von sich redet. Sie nennt sich Franziska Simonis, geborene Malthus, und ist die ärmste, die heimgesuchteste, die schmerzensreichste – und doch die beste und schönste Frau zwischen Xanten und Kleve.«

»Kosman,« wehrte sie ab, »so dürft Ihr nicht sprechen. Ihr versündigt Euch an den anderen Frauen. Ich bin dessen nicht würdig, weil ich mich der besseren Einsicht nicht gefügt habe. Mein Widerstand erlahmte, und das ist Feigheit gewesen, erbärmliche Feigheit, und Feigheit ist wie ein ausgetretenes Feuer. Und dennoch: meine Handlungsweise entsprang nicht unlauteren Motiven. Nur aus der Liebe und der Not zu meinem Vater heraus trat ich den furchtbaren Weg an, machte ich mich elend, verscharrte ich das Glück eines andern. Kosman . . .« und ihr Gesicht wurde bleich. Nur auf ihren Backenknochen glühten zwei kleine purpurne Flecken. Mit einer jähen Bewegung erhob sie sich, nahm das Protokoll und legte es erregt auseinander. »Hier dieses Schriftstück . . . Es brennt mir zwischen den Fingern. Sind hier vielleicht irgendwelche Anhaltspunkte dafür zu finden, was meine Tage verbitterte und meine Nächte trostlos machte?« Dann las sie: »Da Herr Bärendonk von der Niershöhe mit Tod abging, anwesender Herr Christ van de Kamp sich hohen Alters wegen außerstande erklärte, des ihm übertragenen Amtes noch länger zu walten, sah sich die Korporation veranlaßt, anderweitig Ersatz zu beschaffen, und ließen sich die Herren Simonis vom Aukamp und Christian Franz Malthus in dankenswerter Weise bestimmen, die verwaisten Stellen neu zu bekleiden, und zwar Herr Simonis als Revisor, Herr Malthus als Kassenwart, und geschah solches unter Eid und ehrlichem Handschlag.«

»Stimmt!« sagte Kosman. »Der Bas nahm an und kam ganz vergnüglich aus dem ›Dicken Tommes‹ nach Hause. Das ist so propter und prätorius vor fünfzehn Jahren gewesen.«

»Und könnt Ihr mir nichts über seine Tätigkeit sagen?«

»Nur wenig. Aber das weiß ich: er war mit Lust und Liebe dabei, obgleich ich die Ansicht vertrete: er hätte besser die Finger von die Geschichte gelassen. Sie brachte nur Arbeit und kam nicht den Mühlen zugute.«

»Und wie gestaltete sich sein Verhältnis zum Kassenrevisor?« sondierte sie weiter.

»Gott, wie Simonis so war! Nicht äußerst konträr, aber auch nicht äußerst erhebend. Alljährlich 'ne Revision nach dem gewöhnlichen Brauch. Meistens so um Martini herum. Nur einmal, und zwar kurz nach dem Bau, ist er ganz unerwartet gekommen. Warum es geschah, darauf kann ich mich nicht mehr besinnen, muß aber bekennen: bei dieser Gelegenheit sind sie sich barbarisch in die Haare geraten.«

»Und wißt Ihr die Gründe?«

»Nein, die kann ich nicht sagen; habe mich auch nicht drum gekümmert, denn sie gingen nachher ganz versöhnt auseinander.«

»Und fiel Euch eine Veränderung im Wesen meines Vaters auf, als sie sich trennten?«

»Allerdings,« sagte Kosman. »Seit diesem verfluchtigen Tage war der Bas außer Verfassung. Sonst wie 'ne eschene Runge, frisch bei der Hand, immer bei Wege und großartig in seinen Maßnahmen, daß man seine Freude dran haben konnte, war sein Wesen von da an duckerig und sinnig geworden. Er wußte kaum noch, daß er ein echtes Mannsbild an Leib und Blut gewesen. Nicht immer. Von Zeit zu Zeit kam seine alte Natur wieder zum Vorschein, so das Ranke von früher, und da dachte ich mir: der kann wieder werden. Ich wartete Tage, ich wartete Monate, ich wartete Jahre und glaubte jeden Momang: nu kommt der Umschwung in ihm, wo er sich aufrappeln tut. Aber hat er sich aufgerappelt? Im Gegenteil – nein, er ist nie mehr der alte Malthus geworden.«

»Und ist Euch selber nicht eine bange Ahnung gekommen?«

»Madam!« und über die Augen des Getreuen legten sich tiefe Flore und Schatten, »warum diese Frage? Ich weiß nichts und will auch nichts wissen. Was tot ist, soll ruhen. Ich will ihm diese Ruhe nicht stören. Der Bas steht vor mir wie ein Eichbaum, gesund in Bast und Borke und nur mit einigen trockenen Ästen behaftet. Just so wie ein Mann aus der Bibel. Genau so will ich ihn auch in meinem Gedächtnis behalten. Daran soll keiner mir rütteln. Den gesunden Eichbaum beschreien die Krähenvögel. Was tut's? Den heiligen Paulus haben sie auch gelästert und zu Tode gemartert. Hat's ihm geschadet? Den Teufel hat's ihm geschadet. Er ist doch der große Paulus mit den gewaltigen Briefen und dem köstlichen Salböl geblieben. Dasselbe nehme ich für meinen toten Herrn in Anspruch.«

Er hob langsam den Kopf.

»Madam, Ihr seid doch der nämlichen Ansicht?«

Seine Worte waren wie die eines Richters.

Sie griff nach der Tischkante. Totenbleich starrte sie dem Frager ins Gesicht, und jenes entsetzliche Wort, das sich ihr bereits bei der Beerdigungsfeier aufgedrängt hatte, lief ihr wie ein wilder Riß durch die Sinne. Mit Gewalt hielt sie es nieder.

»Ja, ich bin der nämlichen Ansicht.«

Sie fuhr sich über die Augen.

»Daran darf ich keine Erinnerung mehr haben,« sagte sie hart in sich hinein, und dann zu dem Alten gewendet: »Ihr werdet schon recht haben, Kosman. Was modert, soll ruhen. Mit besudelten Gedanken kann man keine große Andacht besitzen. Rein sollen sie sein; denn nur mit einer großen Andacht im Herzen läßt sich ein neues und reiches Leben begründen. Also zur Sache! Ich komme auf Eure Frage und den Aukamp zurück. Und was ich in dieser Hinsicht zu tun gedenke, sei von mir in kurzen Zügen umschrieben. Meine Arbeit liegt hier und nicht im Geldrischen. Das muß in erster Linie gesagt sein, um wieder Grund und Boden unter den Füßen zu haben. Keine kleinlichen Auseinandersetzungen mehr. Sie führen zu nichts. Der große Schnitt muß geschehen. Meine Ehe blieb kalt. Es war überhaupt keine Ehe. Ich fror dabei bis in die Seele hinein, und was ich da drüben besitze, liegt mir wie ein sündiges Gut zwischen den Fingern. Der Himmel schied mich und Simonis. Die Freiheit des Handelns ist wieder mein Erbteil geworden. In diesem Sinne werde ich meine Maßnahmen treffen. Dem Verstorbenen lebt eine Schwester. Dieses arme Weib hat er um Gut und Eigen betrogen. Nicht durch brutale Gewalt, sondern auf legale Weise betrogen, wie er mich und mein junges Leben betrog und den Vater vergewaltigte. Ähnlich wie jener, erging es noch verschiedenen andern Menschen. Diesen Mißhandelten soll ihr Recht wieder werden – und aus solcher Überzeugung heraus wird der Aukamp und alles das, was ich sonst noch im Geldrischen besitze, aufs neue in die zuständigen Hände gelegt, auf daß ich nicht schuldig werde an der Schuld meines Mannes. Ich selber . . . nichts will ich haben, was mich an verhaßte und verzweifelte Jahre erinnert. Die dortigen Äcker wurden mit Blut gedüngt und mit Tränen begossen. Ich verzichte auf alles.«

»Was?!« stammelte Kosman und war wie vor den Kopf geschlagen.

»Auf alles,« wiederholte sie ehern, und die Stille stand wie eine Mauer um die beiden einsamen Menschen.

»Und Ihr . . .?!« fragte der Alte nach längerem Schweigen.

»Hier meine Hand!« sagte sie frei und groß, und ihre Brust kam in ein heftiges Stürmen und Drängen. »Und diese meine Hand lege ich auf das väterliche Erbe – und die Wasser sollen sich wieder übers Wehr stürzen, so, wie sie es heute taten – und die Mühlen sollen gehen wie in früheren Zeiten – und alles soll sein, wie es war in den Tagen des Glückes. Euch aber, Kosman« – und ihre Stimme zitterte und nahm einen weichen und gütigen Ton an – »Euch will ich als meinen Sachwalter aufstellen, als Leiter und Führer über das, was ich habe, in gemeinsamer Pflicht, auf daß die Vergangenheit die bösen Augen zumacht und die Zukunft freundlicher werde . . . und dann glaube ich: ich kann wieder leben; denn Arbeit ist Leben.«

Kosman stieß einen dumpfen, verhaltenen Ton aus. Mit gebogenem Rücken sah er zu Boden, als müßte er die Beruhigung seiner erregten Sinne aus den Dielen herausholen. Dann hob er sich auf und streckte den Nacken, und in seinen Blicken schwamm ein inniges Verstehen.

»Gottverdammich, Madam!« rief er aus, »wie schön und feierlich Ihr das alles gesagt habt. Das ist wie im Hochamt. Herr Jeses, die Freude! und wenn ich Schulmeister wäre, ich ginge zur Kirche, um dort auf der Orgel zu spielen: Hebt das Auge, das Gemüte . . . und nu stellt mir noch einmal die Frage: Wie nennt man die, die wider Willen und mit Verachtung im Herzen vor den Tisch des Herrn trat, um hier die Ringe zu wechseln?! – und ich gebe die Antwort: Sie ist eine Heilige!«

Mit Tränen in den Augen hatte er die Hände des schönen Weibes ergriffen. Dann deutete er über die Schulter und fragte: »Und der da, was soll aus dem da jetzt werden?«

»Wen meint Ihr?«

»Den Stillen von Op gen Oort,« sagte er leise.

Sie überhörte die Worte.

»Kosman,« meinte sie wie aus einem Traum heraus, »ich will bald ins Geldrische, um alles zu ordnen und mein Vorhaben gesetzlich regeln zu lassen. Darüber können Monde vergehen. Bis dahin . . .«

»Madam, ich verstehe, und es soll alles gehalten werden, als wenn es das Meinige wäre.«

»Kosman, das weiß ich.«

Schön denn! und mit Gottvertrauen und Lust an die Ramme! Ihr und ich – da freut sich der Himmel darüber.«

Er wandte sich und wollte das Zimmer verlassen.

»Also bis morgen.«

Sie nickte ihm freundlich nach.

Als er die Türe aufmachte, stand ein kleiner Mann vor der Schwelle.

»Na nu!« sagte Kosman, »was wollt Ihr so spät noch, Jan van den Birgel?«

»Ich habe mit der da zu sprechen.«

»Madam,« rief Kosman zurück, »Jan van den Birgel ist hier mit 'nem Anliegen! Das hat wohl noch Zeit bis zu 'ner kommoderen Stunde?«

»Heute will ich niemand mehr sehen.«

»Da habt Ihr's!«

»Was nennt Ihr 'ne kommodere Stunde?« fragte der Alte aus der Straße ›Achter de Mur‹. Seine Äugelchen blitzten.

»So in acht Tagen vielleicht.«

»Gut – in acht Tagen; aber dann hoffe ich in beider Interesse, daß ich nicht ausgeklinkt werde.«

»Abwarten, Jan van den Birgel!« sagte Kosman und begleitete den Eindringling bis an die Schwelle des Hauses.

Über Op gen Oort stand die volle Scheibe des Mondes. Zwischen den Ästen der alten Pappeln hingen seine silbernen Schleier.

* * *


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