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17

»Sie arbeitet wieder ...«

Wie eine Labsal ging es durch die kleine niederrheinische Stadt, wie eine stille, selige Ruhe, die langen und bangen schlaflosen Nächten folgt und endlich die ersehnte Aufklärung bringt; denn jeder, auch der einfachste Mann, der geringste Armenhäusler und das weltfremdeste Nönnchen im Kloster der Barmherzigen Schwestern, fühlte sich eins mit dem verwunschenen Schrein, hatte seine Beschädigung wie ein eigenes körperliches Leiden empfunden und freute sich nun, daß für ihn die Stunde der Auferstehung wieder schlagen sollte.

Der Name ›Johanna Douwermann‹ war in aller Munde, und wenn die Leute ihn aussprachen, dann war es so, als wenn sie von etwas Heiligem redeten, von der Mutter Gottes, Sankt Afra oder der Katechumenin Vivia Perpetua, die so schön war, daß selbst die dunkelroten Rosen in ihrem Garten darüber verblaßten und ihr Duften vergaßen.

Die Sakristei wurde umlagert, und wenn Johanna erschien, sei es nun, daß sie ihre Werkstätte aufsuchte oder diese ums Dunkelwerden verließ, dann ging ein heimliches Flüstern durch die wartenden Reihen. Die Männer steckten die Pfeifen beiseite und zogen scheu ihre Mützen herunter, während die Frauen ihre Kleinen aufhoben und zu ihnen sagten: »Kinder, betet! – da geht Maria Windelweiß hin. Die arbeitet in Gottes Werkstatt und bringt alles wieder zusammen, was eine mißliche Hand in Unordnung brachte ...« und die alte Lichtjungfer und Totenbeterin, Felizitas Lengel, die die Verstorbenen anzog, sie aufbahrte und mit Goldflitterchen und Buchsbaum bestreute, sah mit ihren ausgebleichten Augen über sie fort, hatte ihr Behagen an dem schönen Mädchen und flüsterte ihrer Nachbarin zu: »Die schafft Mirakel und Zeichen. Aber solche Menschen leben nicht lange; denn sie werden vorzeitig gewaschen und eingesegnet, und was das Feinste ist: der Heiland küßt ihr selber den Atem vom Munde. Ich erleb's ja nicht mehr; aber hübsch muß sie aussehn, wenn sie im Totenstüblein liegt und das Wachslicht über sie hingeht.«

So sprachen die Leute und spannen ein Netz von Perlen und Silberfäden um sie her und hielten sie für eine, die gekommen war, ihnen den Erdenstaub von den Schuhen zu nehmen.

Da fühlte Johanna: ihre Wochentage hatten sich in einen Sonntag verwandelt, ihre Zweifel und ihre Unlust zu einer gottseligen Freude. Sie blühte zu einer stillen Verklärtheit auf, zu einer innern Reife. Auf ihrem Antlitz ruhte ein sonniger Glanz, und sie faßte es nicht, wie sie nur daran gedacht haben konnte, über die Grenzen ihres ureigenen Paradieses zu schreiten, ins Ungewisse und Rätselhafte hinein, um ein ihr noch fremdes, unerschlossenes und heißes Land zu gewinnen ... und als eines Tages Petrikettenfeier ten Hompel sie bei ihrer Arbeit aufsuchte, trat sie ihm freudig entgegen, deutete auf das nahezu fertiggestellte Wachsmodell der neuen Pieta und sagte: »Ich bin glücklich, Hochwürden.«

»Das sah ich kommen, Fräulein Johanna. Es ist schon etwas Großes, Erhebendes um die christliche Kunst. Sie wird von der Wahrhaftigkeit des Menschensohnes getragen und bringt uns den Heiland und Seligmacher bis zur Anschauung näher. Gebenedeit die Jünger, die sich in ihren Schatten flüchten! Wie anders die Stürmer und Dränger, die Verkünder der Weltlust, die Preiser des Weibes, wie es lebte und liebte in den Hainen von Babylon und den Gärten von Borsippa! Was ihnen die kyprische Göttin, ist uns die Jungfrau Maria. In ihr leben wir, in ihr sterben wir, durch sie werden wir vor den Thron des Höchsten geleitet. Auch in uns wohnt die heiße Sehnsucht nach Schönheit, auch wir bewundern und verehren die Majestät im Körper des Weibes und singen und preisen mit dem Psalmisten: Wie stolz ist dein Gang in den Schuhen, du Fürstentochter! Deine Lenden stehen gleich aneinander wie zwo Spangen, die des Meisters Hand gemacht hat ... aber wir führen das Weib auf sonnige Wiesen, knechten die fleischliche Begierde nach ihm und feiern als Lieblichstes seine Würde und die Andacht in ihm. Jene schreiten durch Grauen und Finsternis, wir durch ewiges Gotteslicht, das allen geworden, die es suchten und finden wollten. Denn der Herr wird kommen, sagt der gottselige Thomas von Kempen, und Jerusalem mit Laternen durchforschen, und es wird offenbar werden, was im Finstern verborgen war, und verstummen werden die Künste der Zungen. Das laß dir genug sein, Johanna...« und wie damals, als sie vor ihm erschien und ihren Willen kundgab, den Auftrag anzunehmen, legte er auch jetzt seine schuldlosen Hände um ihr stilles Antlitz und drückte ihr den Mund auf die Stirne. –

Immer tiefer ging es in den Advent hinein, und je emsiger die heilige Weihnacht heranrückte, um so inniger dachte Arnt Douwermann an die kommenden Tage, um so fleißiger saß Dirk Vogels über der Handschrift, um sie mundgerechter und für die heutige Auffassung gefügiger und leichter zu machen.

Der Welt gegenüber beobachtete er ein besonnenes Schweigen. Alles sollte seine Heimlichkeit haben; nur Petrikettenfeier ten Hompel war verständigt und mit ihm das Weitere verabredet worden, das darauf hinauslief, dem alten Herrn eine seltene Freude zu bereiten und ihm am Heiligabend Original und Abschrift unter die grüne Tanne zu legen.

Dirk Vogels scheute nicht Zeit und Mühe, das begonnene Werk zu einem gedeihlichen Abschluß zu bringen. Auch die Nacht mußte herhalten. Manches Stündlein saß er alsdann vor einem Stoß blütenweißen Papiers und reihte die Buchstaben nebeneinander, steil und vornehm und wie Soldaten im Gliede. In heißer Sorge entzifferte er die oft verwaschenen Majuskeln und Minuskeln, sichtete und ordnete und übertrug mit fester Hand die harte Sprech- und Schreibweise eines fernen Jahrhunderts in neuzeitliche Worte, ohne dabei dem Ursprünglichen seine rauhe Schale und sein inneres Wesen zu nehmen; denn das Manuskript haftete derb in Bast und Borke und sträubte sich öfters dagegen, den Kern der Sache zu geben und sich dem sanftern Geist der jetzigen Tage zu fügen. Aber es gelang mit der Zeit, und er beugte das Haupt vor dem Geschick dieses Mannes, vor diesem Könner und Märtyrer, der solches niedergeschrieben und schließlich vereinsamt saß, verlassen und trostlos, einen Strick um den Hals, und willens war, diesen hänfenen Strang mit eigenen Händen fester zu ziehen, während im tiefen Westen ein schweres Wetter lag, durchrissen von einem funkelnden Blitz, weiß und blank wie eine Polensense, die zuschlagen wollte ... Und Dirk Vogels hörte einen gellen Schrei und ließ den Vereinsamten sprechen: »Wisse, ich holte die Sterne vom Himmelreich und hing sie als Ampeln um meinen Schrein zu den Sieben Schmerzen Mariä; denn es war eine Gott wohlgefällige Tat, die ich aufgestellt hatte. Die Großen der Erde rühmten mich, und die Armen im Geiste kamen und küßten den Saum meines Kleides. Durch mich wurde die Kunst wieder hochgemut und freieren Sinnes. Sie trug einen Stirnreif im Haar und war einer Königin gleich. Mir aber ... im Schatten meines Hauses wurden mir die Sehnen durchschnitten ... Siehe her, du!« und er streckte dem Entsetzten seine blutrünstigen Hände entgegen: »Die hat meine Tochter Plektrudis durchnagelt!« ... und er zerrte den Leibrock auf und entblößte die Brust, wo über der Herzgrube ein roter Schnitt sich zeigte ... »Hier traf mich ein Speer, den meine Tochter Plektrudis hineinstieß, und hier« – und er umgriff seine Schläfen – »hier krönte sie mich mit Disteln und Dornen; aber das Schlimmste ...« und er tat die Augen gespensterhaft auf ... »hier trieb sie mir den Wahnsinn hinein, als sie tot war und mich mit glasigen Blicken anstierte, bis einer kam, ein Gütiger, ein Diener des Herrn, der ihn wieder hinauspeitschte. Aber was war mir übrig geblieben? – Ich, der ich Edelsteine und Ringlein verstreute, bin selber an Geist und Gemüt ein Bettler geworden ... ein Bettler, ein Bettler ...«

Erschüttert nahm Dirk Vogels sein Tun wieder auf. Er dachte dabei an seinen Vater, wie der vor Jahren seine silberbeschlagene Meerschaumpfeife in die Ecke pfefferte, den Weg zwischen Niedermörmter und dem adligen Gutshof unter sich aufrollte, um bald darauf das große Drama zu inszenieren und lächelnden Mundes, den Lobgesang des heiligen Ambrosius auf den Lippen, in einer Irrenzelle zu enden ... an seine Mutter, die wie Maria Magdalena gelebt und gesündigt hatte und doch nicht in der Sünde dahinging; denn Gott war barmherzig gewesen ... Und das tröstete ihn und machte ihn fähig, das Traurige weniger traurig zu gestalten und die begonnene Arbeit zu einem ersprießlichen Ende zu führen.

Am zweiten Adventsonntag war er damit fertig geworden.

Um diese Zeit wurde die Kälte so schneidend und herzhaft, daß davon die Brunnenröhren gefroren und die Dohlenvögel kaum wagten, ihren gewöhnlichen Ausflug zu machen. Die warmen Stellen in den Binnen- und Stauwassern schlossen sich zu, und in der Nacht vom siebzehnten zum achtzehnten Dezember lief ein krachender Böllerschuß über die Stadt hin. Die breitwipfelige Linde im Pastorengarten, die der Lizentiat der Theologie, Herr Wierus ten Haeff, Pfarrer zu Kalkar, zum glücklichen Beschluß des Dreißigjährigen Krieges dort eingepflanzt hatte, war in ihrem Hauptstamm wie Glas auseinandergesprungen und klaffte mit einer entsetzlichen Wunde von der großen Gabelung bis tief in die Wurzel hinein. Dem Knall war ein Wimmern gefolgt wie das eines Kindes. Die Schleusenwerke rumorten nicht mehr, der Rhein stand von Wesel bis Elten und knirschte unter der starren Fessel wie ein Niedergeworfener in Ketten und Handschellen.

Und dennoch: fröhliche Weihnacht!

Herr Remmelmann hatte bereits sein Bäumchen gerichtet, desgleichen Herr Türlütt; auch im Revolutionszimmer duftete es nach Harz und Tannennadeln. Anatole erwartete Besuch und hatte Auftrag gegeben, Heiligabend so festlich wie nur möglich zu feiern; denn durch die Post war ihm ein prächtiger Bronzeputer mit veilchenfarbigem Kopf, opulentem Nasenfleischklunker und lackroten Warzen zugestellt worden, zwanzig Pfund schwer und trefflich bei Wildbret. Ein Zettel lag bei; darauf standen die kurzen, aber lapidaren Sätze geschrieben: »Meinen Gruß zuvor, und trotz der geharnischten Epistel, die mir Seine Hochwürden durch Deine Feder zukommen ließ – glückseliges Christfest! Ich habe noch immer den guten Humor nicht verloren. Erhoffe dasselbe von meinem väterlichen Gönner und dem Nachfahren Anacharsis' des Großen, mit dem ich, gemeinsam und in Treuen gesellt, beifolgenden Gallopavo sylvestris, zu deutsch Schrut- oder Truthahn, bei den langgesichtigen Briten auch Nordfolk-Turkey geheißen, zu verspeisen gedenke. Wie Du siehst, hat fraglicher Vogel, in lebendigem Zustand ein gallischer Hitzkopf und vehementer Streiter, sein Poltern und Kullern vergessen. Wünsche dasselbe in verbesserter Weise dem wohlachtbaren Herrn Petrikettenfeier ten Hompel, dem Ärgernisnehmer und Irreführer der Kunst und des menschlichen Geistes. Exempla trahunt! Wenn nicht, soll's beim Alten bleiben. Mag er weiter wettern und toben. Mich ficht es nicht an. Der Bannstrahl des Papstes hat schon längst seine Schwungkraft verloren, geschweige der eines kleinen Pfäffleins im niederrheinischen Bistum. Meine Abhandlung zieht Kreise, leuchtende Kreise. Sollte er und Dirk Vogels sich unterfangen, solche zu stören – ich kann's nicht verhindern. Es steht ihnen frei: sie mögen sich lächerlich machen. Jeder hat Anwartschaft darauf, sich auf seine Art zu blamieren. Der Rest ist Schweigen. – Noch eins zur Beachtung ... Da Charlotte Corday es vorzog, ihre Liebesaffären wieder ins heimische Dorf zu verlegen, sei anliegender Bronzeputer der Folgerin im Amt dringlichst empfohlen. Speck nicht vergessen, und wenn angängig: gebratene Maronen als Füllung. Eine Fleischfarce mit Morcheln und Trüffeln tut's auch. Im übrigen: Hochwürden meine gehorsamsten Wünsche und den wohlgemeinten und ernstlichen Rat, beim Katechismus und der Christenlehre zu bleiben, das höchste in der Kunst aber nicht bei den alten, jüngeren und jüngsten Nazarenern zu suchen. Willst Du ein Weiteres tun, kannst Du ihm drei Federn aus dem Steiß des prächtigen Vogels verehren. Er mag sich den Hut damit schmücken. Dem Lehrer gleichfalls drei Federn. Doch zum Schluß. Ich freue mich auf den saftigen Schruthahn – und damit Gott befohlen, alter Herr, und auf ein frohes Begegnen.«

»Prachtkerl!« meinte der Kirchenrendant und warf sich eine Prise Spaniol in die Nase. »Distanz, meine Herren! Auch Sie, Hochwürden. Auch Sie, Herr Vogels. Gegen André seid Ihr allesamt Stümper. Und damit basta. Ich habe die Ehre und empfehle mich kalt, aber mit besonderer Achtung.«

So war Heiligabend gekommen.

In aller Herrgottsfrühe dieses gesegneten Tages begann es zu schneien. Ums Morgengrauen standen bereits die Häuser in Frisiermänteln und Puderperücken. Zwei Stunden später ließ das eisige Treiben nach. Der scharfe Wind legte sich, und beschaulich pendelten die weichen Flöckchen zu Boden. Es war ein Wirken und ein Schleiern wie nicht mehr auf Erden und so recht dazu angetan, dem Christfest ein taubenweißes Brautkleid zu weben.

Um diese Zeit schritten Arnt Douwermann und Dirk Vogels in Begleitung eines kurzbeinigen und verwachsenen Knirpses, der eine Axt schulterte und bedenklich nach Wacholder duftete, durch die verwehte Schneise des städtischen Fichtenbestandes, der sich malerisch über den schmalen Rücken der dem Weichbild vorgelagerten Berglehne hinzog.

Sie hielten Umschau und freuten sich des Flirrens und Blitzens, des Rinnens und Rieselns im Winterwald.

Plötzlich blieb der Alte stehen.

»Die soll's sein,« sagte er ruhig und deutete auf eine schmucke Fichte, die sich durch ihren Wuchs und ihr krauses und prächtiges Nadelwerk vor ihren Schwestern auszeichnete.

»Grades, macht propere Arbeit und bringt sie nach Hause! Thres weiß Bescheid.«

»Mit Wonne, Herr Douwermann.«

Der Alte nickte und streckte Mittel- und Zeigefinger.

»Zwei Taler als Weihnachtsprämie.«

»Merci, Herr Douwermann, aber mich soll der leibhaftige Satan ... für Ihnen und Fräulein Johanna kann ich's für gratis besorgen.«

»Keine Rede davon ... und drei Taler sollen's sein, wenn Ihr vernünftig seid und dem Schnapsteufel weniger opfert.«

Das Fuselmännchen machte eine Träne mobil.

»Gerne, aber ich kann's nicht mehr ändern. Es geht nicht. Die schwere Betrachtung des menschlichen Elends und dann der schauderöse Racker von Staat, der uns das christkatholische Evangelium abknöppen will ... und schließlich, Herr Douwermann – haben Sie mal fünfundzwanzig Jahre in Konditschon bei Herrn Türlütt als Kistenmacher, Sacknäher und Jungfer für alles gestanden – ich sage Ihnen: dieser schnäpserne Anblick ... Da kann man sein tägliches Deputat nicht mehr missen. Wir wollen's bei zwei Taler lassen, Herr Douwermann. Es wäre mir lieber,« und damit krachte auch schon der erste Hieb in den Wurzelstock des zitternden Stämmchens, während der Alte und Dirk Vogels ihren Weg fortsetzten, um die Stadt zu gewinnen.

An einer offenen Stelle machten sie halt.

Der Himmel hatte sich aufgeklärt. Nur noch vereinzelte Flöckchen schwebten hernieder. Die große, weiße Landschaft tat sich auf wie ein Traumbild. Drüben über dem Reichswald lag Kleve, weiter zur Rechten Emmerich und dort Rees, tief in die Niederung gedrückt, aber überragt von dem stumpfen Doppelgetürm, das die weite Gegend beherrschte. Mehr dem Vordergrund zu: die blauen Wälder von Moyland, die Dämme und Deiche, die Windmühlen und die friedlichen Höfe, eingebettet in Watte und Flaum und Weltvergessenheit.

»Herrgott, wie schön!« sagte der Alte.

Er stand wie ein Pfahl, und seine Augen revierten wie Falken über die Ebene hin.

Ein freier Wind legte ihm den Bart auf die Seite.

»Und dort liegt mein Haus,« fuhr er nachdenklich fort. »Seine Sparren und Ziegel warten darauf, ein ersehntes Glück zu beherbergen. Die Weihnacht steht vor der Tür, und das alte Jahr will schlafen gehen. Wird meine Scholle gesegnet werden bis dahin? Wird es zu Ihnen kommen – das Glück, und wird es sein Genüge finden unter dem Dach eines schlichten Magisters?«

»Herr Douwermann ...«

Dirk Vogels sah ihm fest in die Augen.

»Ich weiß, was Sie sagen wollen, mein Lieber. Ich weiß, ich weiß. Sie haben Ihre Jahre genützt und sind nicht müßig gewesen. Ihre Doktordissertation berechtigt zu den schönsten Hoffnungen, und Ihr weiteres Projekt – das mit dem Staatsexamen ... Wenn es Ihnen gelingen sollte, auch das nachzuholen und es magna cum laude aus der Taufe zu heben ...«

»Es wird gelingen,« rief Vogels mit freudigem Eifer.

»Ich zweifle nicht daran,« unterbrach ihn der Alte, »und desungeachtet: Sie wären mir als schlichter Magister ebenso willkommen gewesen. Nur das reine Menschentum adelt. In ihm allein nur ruhen Ansehen und Würde, Gott wohlgefälliges Leben und Sterben und ein glorreiches Auferstehen. – Kommen Sie, Vogels.«

Auf verschneiten Pfaden schritten sie talwärts.

*

Das helle Sonnenlicht, das sich um die Mittagszeit in seiner ganzen Herrlichkeit entfaltet hatte, nahm ab und spreitete kalte, bläuliche Tücher über die Dächer.

Im Douwermannschen Hause saß Therese zwischen duftigem Nadelgrün und mühte sich eifrigst, die zugebrachte Tanne zu richten. Es ging ihr nur widerwillig und schwer von der Hand. Sonst mit Leib und Seele den Vorbereitungen für das schönste Fest des Jahres zugetan und sich still in seine Mysterien versenkend, war sie heute nicht recht bei der Sache. Irgend etwas bedrückte sie, das sie nicht mehr los werden konnte. Vor wenigen Stunden hatte es angefangen ... so um die Mittagsstunde herum ... kurz vor dem Essen ... Da war sie am Hause des Kirchenrendanten vorübergegangen ... einer hatte am Fenster gestanden... Ob André es war? – Sie wußte es nicht. Sie glaubte es nur... sie wollte nicht hinsehen, hatte aber das bestimmte Empfinden: er ist wiedergekommen ... und bei diesem Gedanken vollführten ihre Ohrgehänge ein häßliches Klingeln. Auch jetzt wieder. Herrgott, diese Unruhe! – und dabei sollte man noch feiern, an das Jesuskind denken und liebliche Augen machen wie in den Tagen fröhlicher Jugend. Und wo Johanna nur blieb? Sie hatte doch versprochen, früher als gewöhnlich nach Hause zu kommen, wollte doch helfen und für den Aufputz des Bäumchens die letzten künstlerischen Anordnungen treffen. So war es verabredet worden – und jetzt dieses Ausbleiben!

Erregt begab sich Therese ins Freie und suchte die Straße ab, ob sie noch immer nicht käme.

Aber sie kam nicht. –

Der bläuliche Hauch auf den Dächern war purpurn, dann feurig geworden. Das deutete auf Wettersturz. Die Kälte ließ nach.

Der ganze Westen stand in zuckender Lohe und warf eine leuchtende Garbe in den weiten Raum hinein, wo der Altar zu den Sieben Schmerzen sich aufhob.

Eben hatte Johanna den Spachtel beiseite gelegt.

Das Modell für die neue Pieta war so gut wie vollendet. Das Abendlicht ruhte darauf und machte jede Einzelheit deutlich erkennbar.

Hoch aufgerichtet stand die Künstlerin neben der zierlichen Plastik, wandte sich aber, um den Blick auf eine andere Arbeit, auf das noch immer verschleierte Bild von Sais zu richten.

Zögernd, fast scheuen Fußes, trat sie näher, von der plötzlichen Eingebung beseelt, dem Verborgenen und Langverhüllten endlich die Freiheit zu geben.

»Nur zum Vergleich, nur um mich selber zu prüfen,« apostrophierte sie sich, »und dann fröhliche Weihnacht!«

Sie begann damit, die Schnüre zu lösen und die Siegel zu brechen.

Das Tuch sollte fallen.

Da war es ihr plötzlich, als vernähme sie eilige Schritte, als wenn jemand hinter sie träte ... und als sie sich umsah...

André stand vor ihr.

Hut und Mantel hatte er von sich geworfen.

Ihr erstes Gefühl war das einer Erstarrung. Dann überlief sie ein Schauer von Hitze und Fieberfrost, und ihr Herz klopfte hörbar. Auch dieses wechselte. Sie faßte sich wieder und begegnete ruhig seinen hungrigen Blicken.

»Du ...?!« fragte sie mit einem eisigen Lächeln.

Er gab keine Antwort, drängte aber näher heran und suchte ihre Hände zu fassen.

»Laß das!« wehrte sie ab. »Wenn jemand uns sähe.«

Er machte eine verächtliche Handbewegung.

»Es scheint, ich bin ungelegen gekommen. Warum das? Weshalb dieser Wandel? Ah! ich verstehe...« und er zeigte auf Schrein und Modell. »Der alte Wahn ist wieder lebendig geworden. Aber das sage ich dir: ich bin Manns genug, mir nicht den Wind aus den Segeln nehmen zu lassen. Etwas verbindet uns. Die Fessel ist haltbar. Für sie ist noch kein Messer gefunden, wird auch nie eins gefunden. So leichten Kaufes werden keine Verträge gebrochen und altverbriefte Rechte aus den Händen gegeben.«

»Altverbriefte Rechte? Wem sagst du das alles?«

»Dir,« entgegnete er fest und bestimmt.

Sie lachte kurz auf.

Unter ihrem enganschmiegenden Gewand straffte sich ihr jungfräulicher Körper.

Hoheit umgab sie.

Ihre Nasenflügel zuckten.

Unnahbar stand sie neben ihm. Er fühlte den Duft ihres Leibes, ihres rotblonden Haares; aber er wagte nicht mehr, ihre Hand zu berühren.

»Altverbriefte Rechte?« fragte sie nochmals. »Wie kommst du darauf? Wo ein Besitzer ist, muß auch ein Geber sich finden, und ich wüßte mich nicht zu erinnern, irgend etwas veräußert zu haben.«

»Allerdings nicht in Worten und Werken, nicht durch Brief und Siegel, Johanna; aber es gibt eine Beziehung der Seelen, eine Gemeinschaft des Willens – und dieses verpflichtet.«

Sie glaubte, nicht richtig zu hören.

»Seit wann denn?«

»Seit immer, bis zur jetzigen Stunde.«

Sie war bleich wie ein Wachsbild geworden.

»Das mir! – wo du es fertig brachtest, mich zum Spielball deiner herausfordernden Launen zu machen.«

»Wo und bei welcher Gelegenheit bist du mir zum Spielball geworden?« unterbrach er sie heftig.

»Seltsame Frage! Wo denn anders als in deinem elterlichen Hause, bei deinem letzten Hiersein, als dein Vater das rote Gespenst beschwor und die Göttin der Vernunft inthronisierte. Bei diesem politischen Karneval, wo der Unsinn regierte und der Verstand sich an den Kopf griff – da ist es gewesen. Und du – wer bin ich denn eigentlich, daß du es wagtest, mich an Seele und Leib zu betasten? Wofür hältst du mich denn? Wer gab dir das Recht, mich mit der Maillard auf ein und dieselbe Stufe zu stellen, mich zu entkleiden und mir nur den Schmuck meiner Haare zu lassen? Mich gelüstet es nicht, unter den weißen Mädchen des Königs von Byblos zu sitzen, Weihrauch und Myrrhen zu opfern und mich in der Rolle einer Priesterin deines Glaubens heimisch zu fühlen. Selbstverständlich – du wirst mir vorhalten wollen: ich bin dein Lehrer gewesen, ich wies dir den Weg einer göttlichen Sendung, um dich der höchsten Kunst und damit den Sternen näher zu rücken. Ich schenkte dir Neuland und versuchte es, dich mit dem Purpur des Erfolges zu schmücken. – Gut, ich folgte dir willig. Ich berauschte mich an deinen tönenden Worten und gewahrte es kaum, wie die Flut keuschen Empfindens langsam verebbte. Satt und genug hiervon! Ich muß aus deinem Tempel heraus, so schön er auch sein mag. Ich habe mich anders besonnen. Erinnere mich nicht mehr an Dinge, denen ich blindlings folgte, ohne dabei an das Licht Gottes zu denken. Es gibt etwas Stolzeres in der christlichen Kunst, als vor deinem Idol auf den Knien zu liegen. Aber abgesehen davon: allem Bestehenden ist ein Wechsel gegeben. Die Anschauungen wandeln. Ich bin deines Zwanges müde geworden. Es ist quälend, verletzend für mich, entwürdigend, seit du den traurigen Mut fandest, in Gedanken und Worten meinen Leib zu entweihen.«

»Entweihen, Johanna?! – wo ich gewillt war, deine Schönheit zu feiern, dich zu preisen und dir und deiner Kunst die dunkelroten Rosen von Pästum um die Schläfen zu winden?! Nichts von Entweihung ...! In jenem Augenblick warst du mir eine strahlende Göttin. Ich opferte dir, ich betete zu dir ... ich sprach für die Welt, für mein Glaubensbekenntnis ... ich war ein Prophet, ein Apostel und Seher, ein Priester und Verkünder der ewigen Wahrheit ... ich sah dich im Geiste ... nichts weiter ... Aber heute, Johanna – heute ist unsere Stunde gekommen.«

Er trat auf sie zu.

»Hast du denn keine Ahnung, wie wahnsinnig schön du bist, wie du die Macht hast, den Verstand eines Mannes aus den Angeln zu reißen?!«

Ein kurzer Schrei. Dann war er bei ihr und hatte sie mit seinen Armen wie in einem Schraubstock umschlungen.

»Zurück – du ...!«

Sie stemmte sich gegen ihn an. Eine Blutwelle schoß in ihr Antlitz. Sie fühlte sich machtlos, vernichtet, einer unbekannten Gewalt übergeben, der sie sich nicht mehr zu entrinnen vermochte.

»Was tust du? Was willst du?!«

»Ich zerbreche die Form, die unsere Herzen noch trennt, und lege die Schranke nieder, die noch zwischen uns aufragt. Endlich mußt du doch wissen: wir sind unzertrennlich geworden.«

»Das ist nicht wahr!« ächzte sie auf. »Lasse mich los, du!«

Ihre Kräfte erlahmten.

»Erbarme dich doch!« flehte sie mit zerbrochener Stimme. »Quäle mich jetzt nicht; ich habe schon genug an der Qual, die ich deinetwillen geduldet. Ich sagte dir schon: es hat sich alles geändert. Ich bin nicht mehr dieselbe von früher und habe kein Recht mehr über mich selber. Ich bin mit einem andern versprochen.«

Er ließ von ihr ab.

»Mit Dirk Vogels versprochen?!«

»Ja, mit Dirk Vogels.«

Schritt für Schritt ging sie rückwärts, die aufgerissenen Augen starr auf ihren Bedränger gerichtet.

»Also Dirk Vogels ...?!«

Sein Wort knatterte.

»Das sollte ihm passen ... ein Renaissanceweib wie du im Arm dieses kleinen Beamten! Zum lachen, zum lachen! – und du, du hättest den herostratischen Ehrgeiz, diesen Gottessucher und Bilderstürmer in Duodezausgabe ... Nein du, Johanna« – und seine Stimme nahm jenen schmeichlerischen und überlegenen Ton an, den er anschlug, wenn er auf seinen Vortragsreisen die Übermenschen des Quattrocento beschwor, sie mit beneidenswerter Anmaßung aufmarschieren ließ und die Sinne der nach Bildung durstigen Weiber aufpeitschte – »nein du, Johanna, der Flug deiner Seele geht höher. Sie haftet nicht am Staub und Moder, zielt vielmehr in den Äther hinein ... und gingest du in Holzschuhen und wärest in Lumpen geboren, du bliebest doch eine Königin mit Zepter und Krone ... Oder aber« – und er trat näher heran, suchend, mit halbgeschlossenen Augen und einem verächtlichen Spiel um die Lippen – »solltest du dich soweit vergessen, dieses dein angestammtes Königtum zu vertun und es in die Hände dieses Menschen zu legen, dann allerdings – du wärest vollauf berechtigt, von der Entweihung deines Leibes zu sprechen.«

»Mein Gott!« schrie sie auf, »wo nimmst du die Stirn her, mit einer solchen brutalen Gewalt meine heiligsten Gefühle zu würgen?!«

Ihre Brust stürmte, ihr Antlitz entstellte sich – und dennoch: begehrenswert blieb sie im Schmuck ihrer rotblonden Haare, in dem Flammenspiel ihrer Augen, die wie Florentiner Steine brannten, schön noch im Zorn, der ihr den Mantel der Majestät um die Schulter geworfen.

Und trotz dieses Mantels ...

André war bei ihr.

Mit starrer Faust umgriff er ihr Handgelenk.

»Keine Szene, Johanna! Die steht dir nicht an. Ich kenne dich besser, als du selber dich kennst. Keine Fiber entging mir; und wenn du jetzt aus deiner Reserve heraustrittst, die flammende Bravour auf der Stirn und ein hartes Wort auf den Lippen – es ist dein wahrhaftiges Ich nicht; nur ein gequältes Sinnen und Wollen ... Warum das? Mich kannst du nicht irreführen, nicht täuschen. Die andern vielleicht, die Welt vielleicht; aber an mir geht dieses alles spurlos vorüber. Ich sehe bis auf den Grund deiner Gedanken, in den tiefsten Schacht deines Herzens. Und deine scheinbare Leidenschaftslosigkeit mir gegenüber – sie ist kein Rätsel für mich. Ich studierte sie seit Monden und Jahren. Sie ist wie die einer Barmherzigen Schwester, wie die Ruhe am Kalvarienberg. Aber ich sage dir« – und er fühlte sich wie einer, der über Weiber gebietet, der sie zu voller Entfaltung bringt oder vernichtet – »in dieser deiner Leidenschaftslosigkeit liegt das Mysterium der heidnischen Göttin verborgen, träumt ein Vulkan ...«

Sie fuhr zurück, als hätte sie eine Kugel getroffen.

Leichenblässe übergoß sie.

»Ja, ein Vulkan, und ich kann diesen träumenden Vulkan aus seinem Schlummer erwecken.«

»Du?!« schrie sie auf. »Wer bin ich? Was machst du aus mir?!«

»Das will ich dir sagen.«

Mit einem Sprung war er bei dem verschleierten Bildstock, hatte er die Hülle zu Boden gerissen.

»Das bist du ...! Das ist dein eigenes Ich ...! Das schufst du nach dem stolzen Modell, das der größte aller Meister zu Bein und Fleisch werden ließ. In dieser Skulptur, in diesem Weib bist du selber verkörpert, pulst deine innerste Kraft, ruht der Schrei nach dem Manne. – Träumender Vulkan, wache auf, zucke, schieße in Lohe! Verzehre die Mystik eines irrenden Geistes. Werde zum hellen Fanal, zum Pharus der wahren Kunst und des Lebens. – Johanna, mit dieser Offenbarung stehst du und fällst du. In ihr liegt dein Glaubensbekenntnis. Baue es aus, und du kommst den Renaissancemenschen nahe; stürze es um, und mit seinem Sturz hast du dich selber gerichtet. Hinweg mit der ungesunden Träumerei, die uns aus verdämmerten gotischen Kirchen entgegenmodert! Hinein in das Licht, wo die Reichen im Geiste wohnen, die Spender, die Bringer, die Anbeter des Nackten in Gedanken, Worten und Werken!«

»Entsetzlich ...!«

»Göttlich!« rief er ihr zu. »Die Gottheit ist bei dir. In einer glücklichen Stunde hast du die Spangen gelöst und dir das Gewand vom Leibe genommen ... Sieh dich an, du ...! Wie schön, wie wahnsinnig schön du bist. Deine Glieder sind ein köstliches Spiel, deine jungen Brüste zwei silberweiße Tauben, zwei Rosenzwillinge am Quell ... Darüber könnte ein Buonarotti wahnsinnig werden. Schön wie Isolde!

Isault la blonde, Isault m'amie,
En vus ma mort, en vus ma vie!

So mit dir in den Tod hinein, in das blutrote Sterben ... Isault la blonde ...!«

Ein kurzes Aufatmen – und mit der herrischen Gewalt eines Panthers umstrickte er sie, preßte er seinen Mund auf den ihren.

»Mit diesem Kuß nehme ich dich, halte ich dich ... aber er ist nur der Auftakt, um die Pforte des Paradieses zu stürmen. Isault la blonde ...!«

Sie erstickte unter seinen wütigen Küssen, unter seiner Umarmung.

Ihre Sinne vergingen. Sie sah nur noch, wie es floriger wurde, wie die Umrisse des Schreins sich verwischten, zergingen, im Dunkel zerfaserten, wie ein kaltes, letztes Glühen zwischen den Fenstern hing, um auch hier auseinander zu fließen ... Dann senkte es sich über sie her wie mit todschwarzem Samt.

Ihr leibliches Auge starb ab, aber ihr geistiges sah um so schärfer. Gegensätze und Widersprüche lösten sich auf. Diese Blicke – sie führten sie in einen Taumel hinein, in einen Rausch des Genießens. In diesen Blicken ruhte eine Welt der Verheißung. Sie rissen die Tore des Verlangens sperrangelweit auf. Sie brauchte nur einzutreten, um sich von den goldenen Saiten einer sinnverwirrenden Kunst betören zu lassen. Tollkirschkränze wuchsen empor, umgaukelten sie, legten sich um ihre brennenden Schläfen. Vor diesen Blicken dunkelte das Bild Dirk Vogels' ein, das doch so reich und stolz und heilig in ihrem Herzen gewohnt hatte, umschattete sich, sank immer tiefer und tiefer ... Und neben ihr ein Locken und Werben und die leidenschaftlich geprägten und hervorgestoßenen Worte: »Soll ich an meiner Liebe verbluten? Hilf mir, Johanna ...! – Hilf mir, Johanna ...!

Isault la blonde, Isault m'amie,
En vus ma mort, en vus ma vie!«

Und wieder die brennenden, verzehrenden Küsse, das Stammeln in wilder Umarmung ...

Da wachte sie auf.

»Lasse mich los – du! – ich kenne dich nicht und will dich nicht kennen. – Ich bin die Braut eines andern!«

»Und wenn es so wäre!«

Ein stummes Ringen begann.

Sie suchte die Tür zu gewinnen, sich von ihm zu reißen, obgleich sie fühlte: es ist alles umsonst. Du bist ihm verfallen, öffne ihm nur die schneeweißen Arme. Du kannst nicht mehr anders.

Wütend suchte er ihre halbgeöffneten Lippen.

Ihr Mieder zersprengte, ihre junge Brust drängte nach, hart und wie aus carrarischem Marmor gemeißelt.

»Und wenn es so wäre! – Mit dir durch Schnee und Eis, durch den Frühlingssturm, durch den sommerlichen Wald. Wir gehören nun einmal zusammen. Einer ist des andern Schicksal geworden, und niemand entrinnt ihm.«

»Geh jetzt, geh jetzt ...«

Beide Hände hatte sie gegen ihr Antlitz geschlagen, um nichts mehr zu sehen, um ihre verräterische Glut zu verbergen.

Da ließ er von ihr ab. Er wußte genug.

»Ja – du, ich gehe. Aber des sei gewiß: unser Los erfüllt sich. Und wenn wir dahin ziehen sollten mit dem Fluch deines Vaters, ohne den Segen der Kirche, durch todbringende Liebe – unser Leben ist nicht mehr zu trennen. Es geht von nun an seinen Weg mit der entsetzlichen Genauigkeit einer Maschine. Du hörst noch von mir. Ich komme wieder, Johanna.«

Noch einmal umarmte er sie, küßte er sie, riß er sie an sich, ohne daß sie den geringsten Widerstand leistete. Sie ließ alles geschehen. Schlaff hingen ihr die Arme am Leibe herunter.

»Geh jetzt, geh jetzt ...«

Schmerzlich begegneten sich ihre brennenden Augen.

Dann ging er.

Seine Schritte verhallten; aber ihr war es, als bräche das Gewölbe zusammen.

Hoffnungslos stierte sie in das immer stärker werdende Abendgrauen.

Dann ging auch sie. Sie war einer Sterbenden ähnlich.

Als sie die Kirche verließ, wehte ihr eine weichere Luft zu.

Rings um sie her blinkten die Fenster.

Hinter vielen standen bereits die leuchtenden Bäume.

Es war Heiligabend geworden.


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