Joseph von Lauff
Marie Verwahnen
Joseph von Lauff

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XIV.

Herr Doktor Barthes Terwelp

Doktor Barthes Terwelp war Junggeselle; dennoch gestattete er sich einen eigenen Rauch, und was noch luxuriöser war, er bewohnte ein stattliches Haus, dessen mit vielen Fenstern und geriffelten Läden gespickte Frontseite auf die Ufer des Rheines hinaussah. Eine vorgebaute, zweiseitige Schnirkeltreppe mit Eisengeländer und Messingknöpfen, die an Blänke mit dem hellpolierten Türklopfer wetteiferten, führte zu einem etwas zurückgekragten Eingang, dessen Oberlicht zwei aus Holz geschnitzte Äskulapschlangen umrahmten, die sich wechselseitig in die lustigen Schwanzenden bissen. Hinter den Scheiben mit den grünen Vorsetzern und dem blühenden Krokus, wo sich des Doktors Studierzimmer befand, saß ein aufgedunsener Dompfaff im Messingkäfig, der trotz seiner steifernsten, zimmetfarbigen Weste, des aschgrauen und schwarz auslaufenden Schniepels und des weltschmerzlichen Gesichtsausdruckes den lieben langen Tag Hanfkerne knackte und dabei nicht müde wurde, »So leben wir, so leben wir, so leben wir alle Tage!« zu pfeifen. –

An diesem Karsamstagmorgen standen die Fenster geöffnet, die Kugelakazien vor dem Hause waren noch kahl, aber lustig plauderte der Rhein herauf: weiße Schiffe segelten in den Morgen hinein, und von drüben winkte das junge Grün der Wiesenkoppel herüber, wo große, braunweiße Flecken im Grase lauerten und dumpf in die Frühe muhuten. Die Mühle von Grietherort stakelte mit ihren Flügelarmen durch die Luft, stämmige Weiber in kurzen Röcken, blankgescheuerte Eimer an einer Schultertrage schleppend, gingen dem Rhein zu, um Wasser zu schöpfen. Senkrecht stieg der Rauch aus den niedrigen Schornsteinen auf. Hier am Rhein war das in der Stadt verpönte Geräusch nicht ganz zu vermeiden. Die Ankerketten ratterten, bauchige Kähne, die am Ufer lagen, wurden ausgefrachtet, ab und zu holperte eine Karre vorüber; die davor gespannten Pferde schwermütigen Schlages trugen den rheinischen Dachsfellkummet, an dem Schellen und breitgeschlagene, durchlochte Messingscheiben klingelten, und hoch über der Priesterkoppel stieg eine Lerche auf. Sie war die erste in diesem Frühjahr. Feierlich klang ihre Stimme von droben. Sie sang dem morgigen Ostertage entgegen. –

Breitbeinig, das Zwirbelbärtchen gewichst, die Hände in den Hosentaschen, die glimmende Virginia in einen Mundwinkel geschoben – so stand Herr Doktor Varthes Terwelp auf der Plattform seiner Schnirkeltreppe, um sich die heitere Morgenluft um die Nase spielen zu lassen. Enganliegende, graue Reithosen, Stiefel und Sporen waren über die kurzen Beinchen gezogen; eine Joppe von ebenderselben Farbe legte sich knapp um den Oberkörper, den er selbstgefällig und mit einer Art von Grandezza in den Hüften wiegte. Der bekannte hechtgraue, schmalrandige Filz, der sich kecklich dem linken Ohr näherte und dessen Hutschnur mit einem himmelblauen Flügeldeckfederchen des Eichelhähers geziert war, vervollständigte den lustigen Anzug des Doktors, der nach eingenommenem Frühkaffee seines Rößleins harrte, um auf Praxis über Land zu reiten. Statt des würdigen Stockes trug er heute eine schwanke Gerte unter dem Arm. Circumstantiae variant res, und so stand er denn als Reitersmann auf seiner Freitreppe, schob den Rattenschwanz von einer in die andere Mundecke, prüfte mit krauser Nase dessen Arom und lauschte, ob er den Hufschlag des ihm vorzuführenden Rößleins noch nicht vernähme – als Stina, die Haushälterin Abraham van Melles, mit allen Zeichen großer Todesnot auf ihn zukam.

»Na, Stina . . .

»Eine Empfehlung von Domine, und Domine läßt den Herrn Doktor . . . Es ist zu entsetzlich . . .! – Aber was ich sagen wollte, Herr Doktor . . .«

»Wo fehlt's denn?« fragte Terwelp.

»Der Herr Studiosus hat wieder seinen Zufall bekommen, und Domine meinte . . .«

»Und . . .

»Bei uns würden die Todeslaken aufs Dach fallen.«

»Juffer, das wäre denn doch!«

»Ja, das meinte er – und Domine sitzt nun bei ihm und betet.«

»Um tausend Gottes willen! – was ist denn passiert?«

»Gestern abend brachten sie ihn: Perdje Puhl, Hille Vermahnen und noch einer. Er war wieder bei den Webersleuten gewesen – und ich und Domine hatten doch immer gesagt, daß das mit den Webersleuten einmal ein schlimmes Ende nehmen würde. Aber das hörte ja nicht, das mußte ja mit dem christkatholischen Fraumensch lieb tun, bis ihn diese Maria Magdalena am Kanthaken hatte, und als sie ihn hatte . . . die verflossene Nacht ging's noch, aber heute morgen . . . Herrjemine, lieber Herr Doktor! – da schrie das, da lamentierte das, da wollte das aus dem Bett und auf die Straße hinaus . . .«

Doktor Barthes Terwelp machte eine stumme Handbewegung, um den Wortschwall in eine ruhige Schleuse überzuführen, allein Stina ließ sich nicht stören und jammerte weiter: »Aber das kommt davon! – So'n Fraumensch macht ja die reinsten Konfirmationskinder zuschanden – und ich will nicht Stina Prußt heißen . . .«

»Schon gut,« beschwichtigte sie Barthes Terwelp und setzte treuherzig hinzu: »Juffer Stina, gehe Sie jetzt ruhig nach Hause; ich komme.«

»Adjüs denn, Mynheer,« sagte Stina, zog das Tuch enger um die hageren Schultern und schlurfte in die nächste Seitengasse hinein, nicht ohne dabei noch saftigere Ausfälle auf das christkatholische Fraumensch zu machen.

»Aber ich will nicht Stina Prußt heißen . . .«

Die Leute sahen ihr nach, und ihr Entrüstungssturm legte sich erst bei der Wirtschaft »Zum goldenen Anker«, wo ihr ein angenehmer Duft von frischen Waffeln und Osterbretzeln in die verlangende Nase hineinräucherte. Das beruhigte sie wieder.

»Hm, hm, hm!« machte Doktor Terwelp, paffte noch einmal und voltigierte das hechtgraue Fortunatshütchen auf die rechte Seite des Kopfes. Dann ging er hinein, vertauschte die Reitgerte mit dem beknopften Bambus, warf sich den hechtgrauen Don Diego um die Schultern, rief seinem Dompfaff noch ein, ›A rivederci‹ zu und verließ seine Wohnung.

Herr Doktor Barthes Terwelp war schwer in Gedanken.

Als er bald darauf mit seinen putzigen Beinchen sporenklirrend über den Großen Markt stelzte, merkte er an verschiedenen tuschelnden Gruppen, daß das Drama im Hause der Webersleute kein Geheimnis geblieben war. Vor allen Dingen schien es Perdje Puhl zu sein, der heftig gestikulierend seine gestern gemachten Beobachtungen und Erlebnisse an den Mann zu bringen suchte.

»Morgen, Herr Doktor!«

Herr Barthes Terwelp lüftete sein Fortunatshütlein: »Morgen, morgen, morgen . . .

»Morgen, Herr Doktor!«

Der Abwechselung halber salutierte er jetzt mit dem Bambus: »Morgen, morgen, morgen . . .

Mit dem Filz grüßend, mit dem Stock salutierend, sein ›Morgen, morgen morgen!‹ zwischen Lippen und Virginia durchquetschend, passierte er die verschiedenen Gruppen und betrat kurze Zeit darauf das evangelische Pastorat. –

Herr Doktor Barthes Terwelp hatte richtig beobachtet. Die Geschehnisse, die sich im Hause der Hille Verwahnen in so unliebsamer Weise abgespielt hatten, waren gründlich durch das lose Mundwerk des Küsters gesickert, und, wenn auch zumeist entstellt und gefärbt wiedergegeben, so trafen die geäußerten Vermutungen doch vielfach den eigentlichen Kern der Sache und verfehlten nicht, recht bedenkliche Störungen in der Bürgerschaft hervorzurufen. Wie jedes Ereignis, wenn es das religiöse Gebiet streift oder konfessionelle Gegensätze verschärft, die Gemüter in die höchste Erregung versetzt, so wurden auch hier Fragen angeschnitten, die gärend, zerfetzend und herausfordernd auf die wenig urteilsfähige Volksseele wirken mußten. Sie glaubte sich in ihren heiligsten Rechten bedroht, sie machte eine rein private Angelegenheit zu der ihrigen und fühlte sich bis in die tiefsten Nieren gekränkt, daß ein Lutheraner es gewagt hatte, einem Mädchen, das mit Leib und Seele der katholischen Kirche gehörte, in unlauterer Absicht entgegenzutreten. Herr Perdje Puhl galt bei allen als eine völlig einwandsfreie Autorität, der blindlings geglaubt wurde. Dabei waren seine Erörterungen von einem geradezu dramatischen Aufbau. Mit scharfen, schlagenden Auseinandersetzungen drang er in medias res, gab eine durchsichtige und sonnenklare Exposition, um alsdann durch vorbereitete Ueberraschungen und retardierende Momente den Knoten zu schürzen und die Katastrophe herbeizuführen. Versteckte und offene Angriffe wechselten dabei in segensreicher Folge ab. Mit künstlerischer Beredsamkeit, bald einen salbungsvollen Ton anschlagend, bald mit der Schärfe eines Bienenstachels hineinstichelnd, wies er ähnliche Beispiele aus dem Leben der Heiligen und der Kirchengeschichte nach, wobei selbstverständlich der Studiosus van Melle als ein Proselytenmacher und lutherischer Schwärmer hingestellt wurde, während die Wachsmarie, unter die Begnadeten des Himmels versetzt, auf leuchtenden Wolken zu thronen schien. In Kraft seiner küsterlichen Allgewalt gab er ihr die schmerzensreiche Palme der Glaubensstreiter und Märtyrer in die Hand, setzte ihr die Dornenkrone aufs Haupt, aber feste, daß ihr das Blut von der Stirne träufelte, umkleidete sie mit dem Gewande überirdischer Freuden und ließ ihr eine Aureole wachsen und leuchtende Engelsschwingen – und zwar in so beredten Worten, daß die Zuhörer die Hände vorhielten, um von dieser Fülle des Lichtes nicht geblendet zu werden. Der Studiosus van Melle hingegen mußte sich mit einer zweizinkigen Forke begnügen. Geile Höllenweiber umtanzten ihn, knisternde Funken gingen unter seinen Schritten hervor, und des Teufels Großmutter machte die richtige Musik dazu. Den Leuten standen die Haare zu Berge. Bei diesen Auseinandersetzungen gestikulierte Perdje Puhl mit seinem Hut durch die Luft, zog zwischendurch die Schnupftabaksdose aus der Tasche, warf den Spaniol in die Schnabelnase, nieste und prustete und klappte schließlich den Deckel der Zinndose mit einer derartigen Vehemenz zu, als wenn er durch diesen Knalleffekt die verlorene Seele des Unglücklichen für ewige Zeiten in die Schnupftabaksdose gebannt und somit unschädlich gemacht hätte. Mit fingerfertigen Händen warf er seine Basiliskeneier umher; die gläubigen Weiber fingen sie auf, bargen sie an ihrem Busen, brüteten sie aus, bis schließlich auf dem Großen Markt und vor dem katholischen Vereinshause, das im Volksmunde ›Zum versoffenen Rosenkranz‹ hieß, ein derartiges Piepen und Piepsen entstand, als würden fünfundzwanzig Meerschweinchen in die kurzen Schwänzchen gekniffen. Aber dieses Piepsen und Piepen wurde schließlich zu einem Geschrei und das Geschrei zu einem Tumult, daß Perdje Puhl seine liebe Not hatte und kaum mehr imstande war, die aufgeregten Gemüter, und zwar im Hinblick auf den Ernst der ›Stillen Woche‹, in ruhigere Bahnen zu lenken. Alle schrien und keiften bunt durcheinander.

»So'n lutherscher Dickkopf!«

»Der Herr Landrat müßte dahinter!«

»Das Konsistorium müßte benachrichtigt werden!«

»Ach, was – Konsistorium!« schrie Perdje Puhl trotz der ›Stillen Woche‹ dazwischen. »So'n lutherscher Dickkopf, so'n Holofernes secundus! – er müßte nach Kleve – und so müßte er gehen.«

Erregt schob er die Hände derart übereinander, als sollten ihm Handschellen angelegt werden.

Nur zwei Männer standen abseits und beobachteten in diesem Tumult eine vorläufig neutrale Haltung, und zwar: Herr Cornelis Janßen, Schankwirt und Leutnant a. D. der Sankt Sebastians-Bruderschaft, als zweiter Herr Eusebius Dornkat. Auch ein dritter schwieg noch, mißbilligte aber die küsterliche Verdammungsbulle gegen den Studiosus van Melle.

Im blauen Kittel, die rötlichen Haare mit einer Seidenmütze bedeckt, aus der nur die Kleisterlöckchen seitwärts hervorlugten, hatte sich Moses Herzlieb wie ein Füchslein an Perdje Puhl herangeschnürt. Sein Blut siedete, und es kam zum Überkochen, als Schlaume auf ihn zutrabte und ihm die entsetzten Worte zuraunte: »Der Herr Perdje is ein gewalttätiger Mann; will er doch verhaften lassen den Herrn Studenten van Melle.«

»Schlaume,« sagte Herzlieb, »Du bist ßu dumm!« – aber die Lunte war ins Pulverfaß gefallen. Alle Furcht beiseite schiebend, sich einen ordentlichen Ruck gebend, trat er vor Perdje Puhl hin und sagte: »Sie ruinieren den jungen Mann durch die Gewalt; ich protestituiere dagegen, Herr Perdje!«

»Was tu ich?« fragte Perdje mit einem Gesicht, als stände er in Überlegung, ob er jetzt oder erst zum Vesperbrot den kleinen Juden als Schmalzschnitte verzehren sollte. Als er hierüber mit sich einig geworden und sich für die Verspeisung beim Vesperbrot entschieden hatte, musterte er Moses Herzlieb von den Spucklöckchen bis zu den abgetretenen Absätzen, von diesen wieder bis zu den Spucklöckchen und meinte mit Donnerstimme, daß der Herr Newö des Herrn Eusebius Dornkat wie 'ne aufgeblasene und dann angestochene Wurstpelle zusammenklappte: »Und Sie, was wollen denn Sie überhaupt?!«

»Ich protestituiere dagegen, Herr Perdje!«

»Der Mann hat recht,« sagte eine ruhige Stimme, die fett und langsam wie eine saftige Wegeschnecke über die Lippen des Herrn Eusebius Dornkat hervorkroch.

»Nu kommt er mit die kalte Bewußtlosigkeit,« triumphierte Moses Herzlieb für sich, denn er fühlte instinktiv, daß er in der Person des Herrn Malermeisters einen unerschütterlichen Advokaten gefunden hatte.

Die Hände auf dem Rücken zusammengelegt, den kleinen Tonpfeifenstummel mit Blechdeckel im Mundwinkel haltend, wandte dieser sich an Perdje, indem er jedes Wort wie Sirup ausdehnte, der zäh und fadenförmig von einem Holzlöffel herabläuft.

»Schön,« sagte er. »Herr Perdje, was haben Sie denn eigentlich gesehen?«

»Allens,« erwiderte Perdje und sah hochfahrend den Entenschnabel entlang. Dabei nahm er eine theatralische Pose an, als wollte er sagen: »Was will so'n Pinsel von Schmierhahn? – Aber meinetwegen kann's losgehen.«

»Un wo?« inquirierte Herr Eusebius Dornkat weiter.

»Auf ihrer jungfräulichen Kammer.«

»Schön,« sagte Herr Dornkat, »un da haben Sie was Unrechtes gesehen mit Ihren leiblichen Augen?«

»Gesehen nicht, aber gefühlt; hier mit meinem Herzen gefühlt.«

»Denn wahrscheinlich gehört?« fragte Herr Dornkat.

»Gehört? – Was brauch' ich zu hören?« erwiderte Perdje. »Ich habe die Heilige in ihrem Unschuldskleide und in ihrer wehmütigen Miene beobachtet. Ich habe bemerkt, wie sie geduldet, gelitten hat – und ich habe gesehen, wie der Herr den Versucher mit Blindheit geschlagen. Er war ein zweiter Tobias.«

»Glaub' ich Dich, Perdje, glaub' ich Dich,« sagte Herr Eusebius mit stoischer Ruhe. »Un denn?«

»Und dann sah ich, wie der böse Geist in ihn fuhr.«

»Glaub' ich Dich, Perdje – un denn?«

»Dann hab' ich den Versucher mitsamt seiner jämmerlichen Verfassung in das Haus des andersgläubigen Priesters geleitet.«

»Glaub' ich Dich, Perdje – un denn?«

Die Frageweise des Herrn Eusebius Dornkat wurde immer ruhiger, aber auch bestimmter, klebrig wie eingekochter Vogelleim. Nur an dem Klebrigen merkte man die innere Erregung des Mannes.

»Nu kommt die tigerische Wut über ihn,« dachte Moses Herzlieb.

Aber sie kam nicht.

»Un denn?« fragte Herr Dornkat.

»Und dann?« wiederholte Herr Perdje. Mit einer grandiosen Pose entblößte er seinen zwerghaften Glatzkopf, reckte sich auf und schlug die Augen gen Himmel. »Und dann habe ich den großen Fluch über ihn ausgesprochen.«

»Glaub' ich Dich, Perdje – un denn?«

Eusebius Dornkat legte ihm gönnerhaft die Hand auf die Schulter: »Ich will Ihnen was sagen, Herr Perdje. Heute abend trinke ich mit meinem Freunde, dem Herrn Moses Herzlieb, 'ne Potellje Rotspon – aber nicht im »Versoffenen Rosenkranz«, was ich wegen der Scharnierlichkeit vom Herrn Moses Herzlieb nicht tun kann, sondern in meinem Atölje. Un diese Potellje trinken wir auf Ihrem Wohle, Herr Perdje. – Un somit – adjüskes. – Schafskopp . . .

Und damit ging er, begleitet von seinem Newö und Herrn Moses Herzlieb.

»Mir das!« donnerte der abgefertigte Küster. »Gottdomie noch mal! – der Herr Dechant wird diesem Kirchenrebellen schon richtig einheizen, denn in mir ist die Kirche beleidigt. Dies sagt mein Instinktus – aber er sagt auch: Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst! – und darum wollen wir zu Marie Verwahnen, daß sie bitten möge dort oben für Herrn Eusebius Dornkat. Folgt mir, Geliebte im Herrn!«

Mit diesem verständigen Vorschlag Perdje Puhls schien alles einverstanden zu sein, denn unter seiner Führung zogen die Menschen in feierlicher Prozession nach der kleinen Behausung der Webersleute. –

Als Doktor Barthes Terwelp das evangelische Pastorhaus betrat, sah ihm eine dumpfe Verstörtheit entgegen. Stina Prußt hatte verweinte Augen, und Abraham van Melle ging von Zimmer zu Zimmer. Er konnte seine Ruhe nicht finden. Mit dem Doktor betrat er die Stube des Fieberkranken.

Mit brennendroten Wangen und pochenden Schläfen lag der Studiosus zwischen den Kissen. Er wollte die Lider heben – sie waren zu schwer. Er wollte sprechen – die Worte versagten ihm. Doktor Terwelp sah ihn mit einem langen, stillen Blick an. Währenddessen rieb der Prediger seine kalten Hände zusammen. Ohne viele Worte zu machen, traf Barthes Terwelp seine Anordnungen und versprach im Laufe des Tages wiederzukommen. Als er sich empfahl, zog ein großer Ernst um die verwitterten Züge.

Abraham van Melle blieb bei seinem Sohne.

Stina Prußt begleitete den Arzt bis zur Haustür. Dort meinte sie: »Ich kann mir nicht helfen, Herr Doktor, aber ich habe in der verflossenen Nacht Licht in der Guten Stube gesehen. Es waren mehrere Lichter, und sie standen in zwei Reihen auf hohen Leuchtern, wie sie sonst in der Kirche stehen.«

»Dummes Zeug!« sagte Barthes Terwelp.

»Je, Herr Doktor, und dann der eigentümliche Geruch nach frischen Hobelspänen und Firnis.«

»Dummes Zeug!« wollte der Doktor noch einmal sagen, aber er sagte es nicht. Er sah jedoch Stina von der Seite an und wackelte nachdenklich mit dem Kopfe. Dann machte er rasch die Tür auf und ging.

»Wunderlich, wunderlich . . .!« meditierte Stina in tiefem Sinnen. »Der Herr Doktor versteht das ja besser, aber ich habe deutlich die Lichter gesehen und dann noch was Schwarzes, worauf ein silbernes Kreuz lag.«

Sie barg die Hände unter die Schürze und ging mit ihren eigenen Gedanken in die Küche. Ihr graute schon jetzt; sie konnte ihrer verfänglichen Ahnungen und Gesichte nicht Herr werden. –

Gegen Abend kam der Doktor wieder.

Das Fieber war stärker geworden.

Barthes Terwelp fand den Prediger, wie er am Bette seines Sohnes kniete. Auf Zehenspitzen trat er näher. Der harte Mann betete laut. »Großer Gott, heiliger Gott, erhalte mir den Einzigen und lasse ihn von diesem Weibe gesunden. Stehet fest im Glauben, denn eine feste Burg ist unser Gott. Ich habe nichts mehr auf dieser Welt, wenn mir dieser genommen wird. Johannes, Johannes . . .! – Aber, Herr, Dein Wille geschehe!«

Der Kranke schlug die Augen auf. Er versuchte zu lächeln. Unruhig warf er den Kopf hin und her. Dann griff er mit den Händen in die leere Luft. Irre Laute, die in keinem Zusammenhange mit der Außenwelt standen, kamen von seinen fieberheißen Lippen.

Von draußen sah der Abend durch die Gardinen. Schon zitterten leise Osterstimmen durch die Lüfte. Es war wie ein Glockenläuten aus weiter Ferne. Und immer lauter und lauter wurden die Stimmen. Jetzt klangen sie in dumpfen Schlägen vom Turme. Die Glocken waren von Rom zurückgekehrt, und Johannes van Melle hörte ihr Grüßen: aber er hörte auch das krampfhafte Schluchzen des gebrochenen Mannes, der an seinem Bette kniete und den er für unduldsam gehalten hatte.

Ab und zu kamen Leute aus der evangelischen Gemeinde, um nach dem Befinden des jungen van Melle zu fragen.

»Der wird bald ruhig,« beschied sie Stina Prußt, und dann erzählte sie das Gesicht, welches sie in der vergangenen Nacht gehabt hatte, mit allen Nebenumständen.

»Steht es so schlimm?«

»Je!« sagte Stina Prußt und zuckte mit den Schultern.

»Was soll das heißen?«

»Ich habe immer so'n Spatenklirren im Ohr,« orakelte Stina, »so'n Klirren und Klingen, und dann ist mir so, als wenn Tannenbretter gehobelt würden – und das will mir nicht gefallen.«

Auch Moses Herzlieb sprach vor, und Herr Eusebius Dornkat. Sie erhielten denselben Bescheid. –

Gegen zehn Uhr in der Nacht war es still im evangelischen Pfarrhaus. Stina Prußt saß in der Küche am Feuer, schlürfte ihr Schälchen Kaffee und strickte an einem allmächtigen Lammwollstrumpf, dem sie allerlei Betrachtungen über Sterbekerzen, Firnis und Hobelspäne verwebte. Sie sah sich selbst im Trauerkleide sitzen, und in Gedanken tapezierte sie bereits das Empfangszimmer mit schwarzen Tüchern aus. Sie gefiel sich ordentlich in dieser Pompfunèbrestimmung, und der Wollstrumpf wurde zu einer Pleureuse, die immer länger wurde und schließlich über einen frisch gefirnißten Sarg voltigierte. Na – so was! –

Es ging auf Mitternacht.

Auf der Priesterkoppel jenseits des Rheines waren junge Burschen damit beschäftigt, Reisigbündel aufeinanderzustapeln und den gehäuften Scheiter mit einer leeren Teertonne zu krönen. Punkt zwölf Uhr sollte das Osterfeuer gen Himmel schlagen.

»Da hinten auf der Heide brennt ein weißes Licht,« stöhnte der Kranke, »und in dieses Licht muß ich hinein wie ein trunkener Falter. – Und eine blaue Schlange züngelt hervor; ein Krönlein funkelt auf ihrem Haupt . . . und tausend Sterne . . .«

Abraham van Melle wandte sich ab.

Noch immer saß Doktor Barthes Terwelp am Lager und folgte dem unruhigen Gange des Pulses mit seiner Hand. Immer bekümmerter, immer ernster wurden die Züge des Arztes; immer verworrener gestalteten sich die Auslassungen des schwer Erkrankten. Das Fieber rüttelte und schüttelte ihn. Nur ab und zu kamen lichte Momente – und wenn sie kamen und er alsdann die fieberblanken Augen aufschlug, dann begriff er nicht, wie der grobe, starkknochige Mann mit den harten Zügen so bitterlich weinen konnte. Und er tastete nach der Hand seines Vaters und drückte sie leise.

Schwer sank er in die Kissen zurück. Ein hippokratischer Zug flog über sein Antlitz.

Der Arzt schreckte zusammen.

»Domine . . .!« kam es unwillkürlich von seinen Lippen.

Der Prediger verstand ihn und sah ihn trostlos an.

»Wirklich so schlimm?« fragte er tonlos.

»Domine, hier kann nur ein Wunder helfen,« sagte der Doktor.

Die ganze Stube tanzte vor den Blicken Abraham van Melles . . . da flammte der Holzstoß jenseits des Rheines auf. Wie eine große, rote Eule bewegte sich der Lichtschein über das Wasser, wankte hierhin und dorthin, spielte um Schornsteine und Dächer, flog den Kirchturm an, um schließlich gegen die nächtigen Wolken zu irren. Dann sank er wieder und sah mit feurigen Augen in das Krankenzimmer hinein.

»Das Licht, das Licht . . .!« rief Johannes van Melle.

»Barthes, Barthes . . .!« stöhnte der Prediger aus tiefster Seele.

»Nur ein Wunder kann helfen,« wiederholte der Arzt mit flüsternder Stimme. »Und dieses Wunder . . .«

Er stand auf und legte beide Hände auf die Schultern des Predigers: »Domine . . .

Er war tiefbewegt und raunte einzelne Worte dem Freunde zu.

»Was . . .?!« schrie Abraham van Melle.

»Es ist die letzte Hilfe, die ich weiß,« sagte der Arzt. »Willst Du?«

»Und sonst keine Rettung?«

»Nein,« versetzte Barthes Terwelp.

Abraham van Melle verfärbte sich. Qualvoll sah er in das Gesicht seines Sohnes.

»Herr, Dein Wille geschehe!« sagte der Prediger und ergriff die Hand des vor ihm Stehenden. –

Während der ganzen Nacht blieb der Doktor im evangelischen Pfarrhaus. Der große Vogel flatterte und wankte auf rotem Gefieder bis um die Dämmerung einher. Erst gegen Morgen erlahmte sein Flug. Er sank immer tiefer und tiefer. Schließlich machte er die glühenden Augen zu. Nur ein Häuflein flockiger, flaumiger Asche war übriggeblieben.

 


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