Joseph von Lauff
Marie Verwahnen
Joseph von Lauff

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VI.

Du bist heilig – heilig – heilig . . .!

Die Wachsmarie war vom Deiche verschwunden. Keiner hatte gesehen – wohin . . .

In Rufweite der gefährdeten Stelle, landeinwärts und dort, wo schmale Gräben das Land durchsetzten und nur verstohlene Wege die Verbindung mit den weit verstreuten Gehöften herstellten, lag ein tiefer Kolk, ein verschwiegenes Wasser, das vor vielen Jahren der entfesselte Rhein aufgewühlt und gebildet hatte. Der Mond stierte hinein und ließ den Spiegel aufblitzen. Verwetterte Kappweiden hielten hier einsame Wacht und flochten ihr verkrüppeltes Astwerk grotesk durcheinander. Fratzenköpfe mit langem Pfriemenhaar, an dem die zarten Blattknospen durchbrachen, saßen auf krummgewachsenen Leibern und sperrten die Mäuler auf, kniffen ein Auge zu und stierten mit dem anderen, aus dem der Holzmulm hervorsickerte, in die große Öde hinein. Ein betäubender Erdgeruch entstieg dem quirligen Boden. Trotz der vorhergegangenen Schneewehen – man fühlte doch, bald mußte der Frühling kommen.

Tiefschwarz hob sich die langgestreckte Silhouette des Rheindammes gegen den Abendhimmel ab. Die dunkeln Menschen, die dort auf und nieder hasteten, wirkten wie ein Schattenspiel. Die Nacht zeigte alles in anderen Formen und Rissen. Von vielen verworrenen Stimmen klang es herüber. Sie riefen nach Marie Verwahnen; dazwischen hallten die gedämpften Rufe: »Du bist heilig – heilig – heilig . . .!« – und dann verstummten sie wieder. Aber die alten Weiden rauschten weiter und weiter und ließen helle Perlen ins Gras tropfen, über das in leichten Wellenbewegungen der Wind strich. Heilige Schauer gingen über die Erde, und mitten darin Marie Verwahnen.

Hatte sie ein Wunder getan? Sie wußte es nicht, sie gab sich keine Rechenschaft darüber – und dennoch glaubte sie daran, denn was da geschehen war, ging über menschliche Kraft, war überirdisch und zaubergewaltig. Noch hallten die mächtigen Stöße in ihrem Ohr nach; sie hörte das ferne Donnern und Brechen der Stromsperre, sie sah im Geiste das Eis gehen, sie hörte das Malmen und Mahlen und sah, wie die Flut abströmte und sank. Das Bewußtsein von einer eigentümlichen Kraft durchfuhr sie. Sie hatte die Gottesmutter gesehen, genau wie damals in der verschneiten Winternacht – und zu ihren Häupten schwebte ein Stirnreif, fein und glitzernd und mit sieben funkelnden Sternen besetzt. Sie konnte nicht irren: das war alles wirklich und wahrhaftig geschehen, aber dünne Schleier webten darüber hin und tauchten ihr Erinnern in mystische Dämpfe. – Hatte Gott sie begnadet? – Strömte ein höheres Wesen durch sie seinen Willen aus? – Ja, es war so; aber sie mußte jetzt Ruhe haben – Ruhe, Ruhe. Ihre ganze Seele sehnte sich und lechzte nach Ruhe. Und hier hatte sie diese gefunden. Hier war sie allein, hier konnte ihr angegriffener Geist ausrasten von den seelischen Erregungen der verflossenen Stunde; sie befand sich in einer anderen Welt, und säuselnd raunten ihr die langen Weidenruten Frieden in die zweifelnden und geängstigten Sinne.

Langsam beugte sie die Knie und sank auf den Boden. Sie fühlte die kühle Feuchte des Erdreichs, der Wiesenbrodem legte sich kalt um ihren fröstelnden Körper, sie schauderte zusammen, aber eine wohltätige Ausgeglichenheit des Denkens und Wollens kam über sie; sie fühlte sich glücklich. Mit einer beinahe feierlichen Gemessenheit faltete sie die Hände und betete lange. Und ihre Gedanken flogen, was sie gerne taten, in die schönen Tage der Kindheit zurück: ihr seliger Vater, der Webermeister, weinte. Er weinte immer, wenn sie vor ihm stand im schlichten, weißen Kleidchen, ein frisches Kränzchen im Haar und eine künstliche Lilie in der Hand, um am Fronleichnamstage mit der Prozession durch die mit frischem Grün austapezierten Straßen zu schreiten. Sie hörte die Trommel der Schützenbruderschaft feierliche Wirbel schlagen. Perdje Puhl rührte die Schlägel; mit pomphafter Würde schritt er vor dem Allerheiligsten, während der Weihrauch stieg und silberhelle Schellchen, von zarten Kinderhänden in Bewegung gesetzt, allerwärts tönten. Geschnittenes Kälberrohr duftete in den Straßen – und es gab Maien vor allen Türen, Maien an allen Straßenecken, wehende Kirchenfahnen und Glockengebimmel und brennende Kerzen. Ihre kleine Freundin ging neben ihr und war ebenso feierlich gestimmt und so glücklich wie sie, denn sie trug das Lamm Gottes auf einem brennendroten Sammetkissen, das mit einer goldenen Bordüre versehen war. Und Moses Herzlieb stand vor der Tür. Er hatte die seidene Mütze vom Kopf genommen und dienerte so freundlich herüber. Blühende Levkoyen und Goldlackstöcke hatte er auf das blauangestrichene Fensterbrett gestellt, und seine fahlroten Schläfenlöckchen waren sorglicher gekräuselt und mit Quittensaft verkleistert als an sonstigen Tagen, denn er wollte doch auch das Seinige tun auf Fronleichnam. Und weiter, am Großen Markt, auf der Freitreppe des evangelischen Pfarrhauses, wo alles so nüchtern und kahl aussah, wo keine Fahnen wehten und kein Maienbaum duftete – da harrte noch jemand. Es war ein junger Gymnasiast mit grüner Schirmmütze und brauner Lodenjoppe. Er sah sie mit großen Augen an – sie, das armselige Häuslerkind . . . Und sie schlug die Blicke zur Erde, denn sie fühlte, wie sich ihr bleiches Gesichtchen mit einer fliegenden Röte bedeckte. Und die Kirchenfahnen wehten im Wind, die geschlagenen Maien bewegten ihre Herzblättchen so seltsam, und als sie an ihrer ärmlichen Schwelle vorbeikam, kniete ihr Vater neben der Tür und schlug sich die Brust und weinte – denn er weinte immer am Fronleichnamstage. Und die Schellen klingelten . . .

Marie Verwahnen fuhr aus ihren Träumen empor.

»Heilig – heilig – heilig . . .

Fern lag ihr das eintönige, nüchterne Grau des Alltags; gierig saugte sie die heiligen Rufe ein, alle Zweifel schwanden und eine Fülle von Sabbatlicht umleuchtete sie. Sie war dem Erdenstaub und dem irdischen Leben entrückt. Himmlische Musik umtönte ihr Ohr, Engelsköpfe tauchten aus rosigen Wolken.

»Marie . . .

Mit einem jähen Laut schreckte sie auf.

»Was war das?«

Johannes van Melle stand vor ihr.

»Du . . .?!«

Sie wandte langsam das Gesicht zu ihm. Sie war dem nüchternen Leben wiedergegeben. Mit der Rechten umklammerte er ihr Handgelenk: »Was tust Du jetzt – hier?«

Sie konnte nicht sprechen. Nur gestammelte Laute rangen sich aus ihrer Brust, aber auch diese erstarben unter der frostigen Kälte, die ihr aus einem verzerrten Antlitz entgegenstarrte. Mit einem brutalen Behagen fühlte er die Marter, die in ihr war, und die diabolische Lust stieg in ihm auf, sie weiter zu quälen. Sein keuchender Mund näherte sich ihrem Ohr: »Also das ist der Dank für all meine Liebe zu Dir, für alles das, was ich gelitten habe um Dich und noch leide?!«

»Johannes . . .

»Schweige! – Um Deinetwillen wurde das Herz meines Vaters zum Kiesel, hart und gefühllos. Um Deinetwillen bin ich zum Bettler geworden, als ich Dich anging, dem aberwitzigen Vorhaben zu entsagen, Dich nicht dem Gespött der denkenden Menschen auszusetzen, denn Du warst meiner Bitte gegenüber . . .«

»Aber ich konnte nicht anders – ich durfte nicht anders! – Die heilige Stimme ...«

»War ein Unsinn, Marie! – Du, ich glaube, daß unsere Liebe . . .«

Er hielt plötzlich inne. Ein trockenes Schluchzen erschütterte seinen Körper.

»Das Schicksal läßt sich nicht aufhalten,« stöhnte er verzweifelt, »das weiß ich. – Aber nicht das Schicksal greift hier mit rauher Gewalt ein, um uns auseinanderzureißen – Du selber . . .«

»Johannes, lieber Johannes . . .

»Ich sage Dir Lebewohl,« sagte er rauh, ohne die Stimme zu heben.

Er wandte sich zum Gehen. Ihre Züge versteinten sich. Mit herabhängenden Armen und halbgeöffnetem Munde sah sie ihm nach. Dann kam Leben in die starre Gestalt. Sie umschlang ihn so plötzlich, daß er keine Zeit fand, sich rücklings zu beugen, um ihren brennenden Lippen zu entgehen. Das Weib, das begehrende und Liebe fordernde Weib war in ihr rege geworden. Mit abgewandtem Gesicht sträubte er sich gegen ihre Umarmung, aber ihr Mund hatte bereits den seinen gefunden. Ha! dieser schmiegsame Leib, dieses braungoldige Haar, diese Lust auf den glühenden Lippen und diese Augen, groß wie die eines Rehes und schuldlos wie die eines Kindes – und dabei diese fanatischen Anwandlungen und die zerfleischende Tatze! – Nein – das war nicht mehr seine Marie! – Es hatte sich vieles geändert. Mit rauher Gewalt löste er sich aus ihrer Umarmung: »Nein, Marie, nach allem, was geschehen ist – ich werde zum Narren!«

»Johannes . . .

»Leb' wohl.«

Sie vertrat ihm den Weg.

»Du,« fragte sie bestürzt, »Du willst fort – fort von mir?!«

Ein Lächeln, das ihm die Seele zerschnitt, legte sich um ihren Mund, und dieses Lächeln wandelte sich und nahm einen ersterbenden Zug an.

»Warum das?« stammelte sie mit abgerissenen Lauten. »Ich kann doch nicht dafür, daß eine unwiderstehliche Gewalt mich zu Gott hinzieht und mir gebietet, seinem Willen als Werkzeug zu dienen – aber trotz dieser Gewalt: meine Liebe, meine grenzenlose Liebe zu Dir . . .«

Sie stand dicht vor ihm. Ein heißer Duft ging von ihr aus, jener eigentümliche Duft, der dem Frauenleibe entströmt, und der sich um seine Sinne legte wie eine unentrinnbare Fessel. Und ob er wollte oder nicht, er mußte auf der Stelle verharren, er konnte sich ihrem Wesen nicht entziehen, denn jählings fühlte er die geheimnisvolle und magnetische Kraft ihres Körpers, die ihn seit Jahren schon in eine Art von Knechtschaft versetzte, jene Kraft, die er haßte und fürchtete und dennoch immer wieder mit allen Fibern seines Herzens herbeisehnte, die ihn nicht mehr loslassen sollte fürs Leben. Rettungslos war er dieser verfallen.

»Gehe von hinnen,« flüsterte ihm eine innere Stimme zu. »Fliehe dieses Weib,« raunte sie weiter, »und habe Mitleid mit Dir selbst,« und dennoch blieb er und sah in die starren Augen der Wachsmarie – lange und fragend.

Sie fühlte diesen Wandel. Die schmalen Flügel ihrer Nase hoben sich bebend, das pulsende Leben trat in ihre Wangen zurück – und dann: wie von einem Taumel gefaßt, sank sie in seine geöffneten Arme. Brust drängte sich an Brust, die pochenden Herzen schlugen hörbar zusammen – und die grünumsponnenen Weidenruten raunten in dieses Sichwiederfinden, in diese Seligkeit hinein wie mit geheimnisvollen Märchenstimmen aus verklungenen Tagen.

»Verzeih' mir!« stammelte sie. »Ich habe unrecht getan – unrecht an Dir und mir. – Hörst Du das Rauschen? – Fühlst Du das Erwachen um uns? – Das ist der Frühling, der kommende Frühling! – O, Du – Du – Du . . .

Sie drängte sich näher an ihn, und die bläuliche Mondeshelle wob zärtliche Schleier um die glücklichen Beiden. Und wie der Wind wehte – wie das tönte und rauschte . . .!

Mit unruhiger Hand strich er durch ihre durchfeuchteten Haare. Er schauerte unter ihren Küssen zusammen.

»Nun glaubst Du wieder,« meinte sie flüsternd. »Du – Du . . .! – Ja, Du fühlst meine Liebe, Du mußt sie fühlen, denn niemals hat ein Weib so geliebt, wie ich liebe, Johannes! – Ich kann nicht mehr sprechen. – Johannes, lieber Johannes . . .

In der innigen Hingabe ihres ganzen Seins, ihres ganzen Wesens schienen ihre Augensterne zu wachsen. Ein aufsteigendes Feuer rötete ihre Wangen, das Wächserne schwand – und wie ein Hochzeitsschleier legten sich ihre gelösten Strähnen um die beiden Gestalten. Er suchte nach Worten in seinem Glück. Er kniete nieder zu ihren Füßen, er legte die Arme um sie und barg sein Antlitz in ihren Schoß. Der Atem seiner Brust ging wilder und wilder: »Ja – nun bist Du mir wiedergegeben! – Endlich – endlich gefunden! – Nun gehörst Du mir, und keine Macht auf Erden vermag uns wieder zu trennen. Du bist mein – mein – mein . . .

Jubelnd sprang er auf. Mit freudiger Gewalt riß er sie an sich und trank ihre Küsse mit gierigen Lippen: »Marie – Marie – Marie . . .

An seine Schulter gelehnt, den Kopf leise gesenkt, lauschte sie seinen trunkenen Worten. Dann warf sie beide Arme um seinen Hals, und zu ihren Häupten wölbte sich jetzt der wolkenlose, dunkelblaue Himmel in nächtiger Klarheit. Es war Ruhe in der Natur und Ruhe in den Herzen der beiden einsamen Menschen. Selbst auf dem Rheindamm schienen die lauten Stimmen eingeschlafen zu sein; nur die Schattenrisse der versprengten Menge hoben sich noch immer gegen den klaren Himmel ab – scharf, deutlich und greifbar. Und die beiden mitten in dieser großen Stille. So selig wie heute war er noch niemals in der Nähe dieses hingebenden Weibes gewesen. Ein niegefühltes Drängen irrte durch seinen Geist. Wie ein sanftes elektrisches Strömen ging es von ihrem jungfräulichen Leibe aus und drängte sich ihm in die kleinsten Fasern hinein. Er fühlte diese eigentümliche Kraft, und ihm war es, als wenn Harmonie und Friede durch sie in seine Seele übergingen.

So standen sie . . .

Plötzlich kam ein Brausen über ihn her, ein Brausen, das ständig wuchs und von dem er sich zuerst keine Rechenschaft zu geben vermochte. Gleichzeitig erstarrte der Körper der Geliebten in seinen Armen.

Was war das, was bedeutete das?!

Langsam wandte sie den Kopf. Die durchsichtigen Nasenflügel öffneten sich über den feingeschnittenen Lippen. Ihr Gesicht nahm wieder die Wachsfarbe an, um schließlich bleich und kalt wie weißer Marmor zu werden. Weit und gespenstisch öffneten sich ihre Blicke: »Hörst Du das, hörst Du das – lieber Johannes?!«

Ohne das Gesicht zu ihm zu wenden, streckte sie die Hand aus.

Und wieder das dumpfe Brausen von eben – dann ein einziger Schrei, erschütternd, mächtig, gewaltig.

Ihre Augen bohrten sich in Richtung des Deiches. Eine wilde Aufregung war von neuem unter die Massen gekommen.

»Hörst Du – hörst Du?!«

»Um Gottes willen, was hast Du?!«

»Meerstern, ich Dich grüße . . .!« klang es in hundert und überhundert Stimmen – und dann wie aus einem Munde: »Du bist heilig – heilig – heilig . . .

Sie taumelte rücklings.

»Wie sie rufen . . .!« schrie die plötzlich Verzückte.

»Heilig – heilig – heilig . . .

Immer lauter, inbrünstiger, fanatischer klang es herüber. Es dröhnte wie eine Posaune am Tag des Gerichts. Schnell war er bei ihr. Er packte sie mit bebenden Händen: »Ich beschwöre Dich, Marie – ich flehe Dich an . . .

Erregt wies sie auf den Deich: »Und weißt Du, was das bedeutet . . .

Ein trockenes Schluchzen erschütterte ihren Körper; ihre Züge nahmen einen entschlossenen, kalten und gierigen Ausdruck an: »Weißt Du . . .?! – Weißt Du . . .?!«

»Das ist der helle Wahnsinn!« schrie Johannes van Melle.

»Nein!«

Unter ihren Brauen flackerte es wie Irrlichter.

»Nein – und abermals nein! – Sie wollen mich haben – Sie werden mir fluchen, wenn ich das Große, Heilige nicht erfülle. Sie wollen mich unter sich haben!«

»Marie, Marie . . .

»Hörst Du die Stimmen?! – Sie rufen mich auf den Weg der Pflicht, sie verdammen mich, wenn ich meiner Liebe ferner lebe – denn unsere Liebe ist sündig!«

Ihr Gesicht schimmerte totenblaß. Mit Entsetzen starrte Johannes van Melle hinein. Ja, das war wieder das verlockende Weib mit den blutigen Tatzen.

»Ich ersticke, Marie!«

»Du bist heilig – heilig – heilig . . .

Deutlich schallte die gellende Stimme des Küsters herüber.

Johannes van Melle sank in die Knie: »Erbarme Dich meiner . . .

»Wende Dich!« hauchte die Verzückte. »Der Himmel ist in mir! – Du, Du, Du – lasse Deinen ketzerischen Glauben – und dann: ewig die Deine!«

»Wachsmarie . . .! – Wachsmarie . . .!« klang es von drüben.

Mit einem wilden Satz sprang er auf: »Du – das ist ja entsetzlich!«

»Willst Du – willst Du?!«

»Herr Gott im Himmel, ich darf doch nicht – ich kann doch nicht!«

»Niemals?«

»Nie!«

»Dann . . .«

Sie stand wie eine gemeißelte Säule.

Vorgebeugten Leibes rückte der Ärmste näher. Seine Brust keuchte, ein wirres Leuchten stand in seinem Gesicht. – Eine Erkenntnis erfüllte seine Seele.

»Du!« schrie er auf. »Weißt Du, wer Du bist . . .?!«

Beide Hände umklammerten ihre Schultern. Ein gellendes Gelächter schlug ihr entgegen: »Weißt Du, wer Du bist – wer in Dir wohnt? – Weißt Du das – weißt Du das?!«

Sie rührte sich nicht.

Er brachte seinen Mund an ihr Ohr.

»Der Wahnsinn – oder der Teufel!« stöhnte er mit kalten Lippen, mit einer Stimme, daß ihr grauen mußte.

»Der Wahnsinn – oder der Teufel!«

Alles flirrte, tanzte vor ihm. Dann war es betäubende Dunkelheit vor seinen Blicken geworden. Noch einmal glaubte er das Rauschen von Frauengewandung und gedämpfte Rufe zu hören: »Heilig – heilig – heilig . . .!« –

Dann vernahm er nichts mehr und sah nichts mehr.

Schwer sank sein Haupt in die Feuchte.

Die Nacht ging über ihn hin.

Als er erwachte, zwinkerte der Morgen hinter ihm auf – fahl, grau, dunstig, fröstelnd.

Er war allein, aber das Fieber war in ihm.

 


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